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Verbotene DDR-Filme der 1960er Jahre

Von Bernd Reinhardt
3. August 2011

Die 1960er Jahre waren von wachsenden sozialen Spannungen und einer intellektuellen und kulturellen Gärung gekennzeichnet, die schließlich in die internationale Studentenrevolte, den französischen Generalstreik von 1968 und den Prager Frühling mündeten. Auch die DDR bildete hier keine Ausnahme.

Jahrgang 45 Jahrgang 45 (© PROGRESS Film-Verleih)

Bereits der Bau der Mauer 1961 war mit Streiks in den Betrieben beantwortet worden. Auch die Aufforderung des stalinistischen „Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds“ (FDGB), nun zum Wohle der DDR „Für das gleiche Geld und in der gleichen Zeit mehr produzieren!“, löste alles andere als Begeisterung aus. Die Einführung eines Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung (NÖSPL) nach dem Vorbild der sowjetischen Libermanschen Reformen, sollte das Warenangebot verbessern und die allgemeine Lage entspannen.

Allerdings hatte der Versuch, mittels bestimmter kapitalistischer Anreize die Wirtschaftsleistung zu erhöhen, in der UdSSR zu Streiks geführt und war wieder fallengelassen worden. Der hohe Arbeitsdruck stieß auch in der DDR auf Ablehnung. Es gab weiterhin Streiks in Produktionsbetrieben.

Wie fortgeschritten die Unzufriedenheit war, zeigte sich auch in einer Reihe von Filmen.

Die Glatzkopfbande (1962/63) von Richard Groschopp brachte jugendliche Randalierer auf die Leinwand, die eine Urlaubergegend terrorisierten. In Frank Vogels Denk bloß nicht, ich heule (1964/65) verprügeln Jugendliche in einer Szene auf dem Gelände einer Naziruine einen alten Kommunisten. Das Kaninchen bin ich (1964/65) von Kurt Maetzig nimmt einen Richter aufs Korn, der seine Rechtsgrundsätze jedem sich ändernden Kurs der Partei anpasst.

Die Glatzkopfbande Die Glatzkopfbande (© PROGRESS Film-Verleih)

Ähnlichen Opportunismus beschreibt ein desillusionierter ehemaliger Journalist in Herrmann Zschoches Karla (1965/66) einer Junglehrerin. Während der fünfziger Jahre hatte er angewidert erlebt, wie sich journalistische Götzendiener Stalins urplötzlich in empörte Kritiker verwandelten. Karla will ihre Schüler zu Aufrichtigkeit und Selbständigkeit erziehen. Sie scheitert an der Schulrealität, wo die Kontrolle „ideologisch ungefestigter Schüler“ über alles gestellt wird.

Der ehrgeizige Betriebsleiter in Der Frühling braucht Zeit (1965) von Günter Stahnke greift zu kriminellen Methoden, wenn es um Planprozente und Wettbewerbsvorsprünge geht. Selbstherrlich und rücksichtslos herrscht er über die Arbeiter, setzt sich über Fachurteile hinweg. Schließlich verursacht er einen Unfall. Er denunziert einen leitenden Ingenieur, wobei er demagogisch betont, dass dieser bis 1945 ein faschistischer Leutnant war. Er schreckt nicht davor zurück, im Namen der „Arbeiter- und Bauernmacht“ den alten Parteisekretär des Betriebes zu attackieren, der in der Belegschaft Ansehen genießt.

In der Tat waren solche „Durchreißer“, die „Ordnung“ schufen, von der SED herangezüchtet worden. Mit zahlreichen Vollmachten und Privilegien ausgestattet, stellten sie einen Machtfaktor dar, zumal SED-Chef Walter Ulbricht und sein Chefökonom Apel das Außenhandelsmonopol des Staats, das das Primat der Politik über die Wirtschaft garantierte, zu lockern begannen. Aus diesem Milieu von SED-Wirtschaftskadern tönte später der Ruf nach Kapitalismus. (1)

Der Frühling braucht Zeit Der Frühling braucht Zeit (© PROGRESS Film-Verleih)

Auf Jahrgang 45 von Jürgen Böttcher werden wir am Ende dieses Artikels ausführlicher eingehen.

Am populärsten geworden ist Spur der Steine (1965/66) von Frank Beyer, in dem Balla, der junge Brigadier einer Zimmermannsbrigade, einen Vertreter der Staatsmacht ins Wasser wirft. Gegen das Chaos auf der Baustelle, verursacht durch inkompetente Planung, ruft Balla seine Brigade zum Streik auf. Allerdings folgen ihm die Kollegen nicht. Dem Film wurde bescheinigt, ein Bild von der SED zu zeichnen, dass davon abrät in die Partei einzutreten.

Die Forderung dieser Filme war eindeutig: „Mit solchen Richtern und Funktionären nicht! [...] Mit solchen Wirtschaftsfunktionären und Betriebsdirektoren nicht! [...] Mit solch einer Schule und den entsprechenden Funktionären nicht!“ (2)

Das 11. Plenum des ZK der SED beschloss Dezember 1965 gegen „Überspitzungen“ in der Wirtschaft die zweite Phase der Neuen Ökonomischen Politik einzuleiten. Bestandteil war auch die endgültige Unterordnung der noch teilweise auf den Westen ausgerichteten Wirtschaft unter die nationalen Bedürfnisse der UdSSR. Der neue Kreml-Chef Breschnew brauchte zur Entspannung der Lage in Land ebenfalls mehr Konsumgüter – aus der DDR.

Gleichzeitig eröffnete das Plenum einen Angriff auf Kunst und Medien. Es zeichnete ein düsteres Bild der Jugend und beschuldigte die Künstler Skepsis bei Jugendlichen zu schüren.

„Wollen wir die Arbeitsproduktivität und damit den Lebensstandard weiter erhöhen, woran doch alle Bürger der DDR interessiert sind, dann kann man nicht nihilistische, ausweglose und moralzersetzende Philosophien in Literatur, Film, Theater, Fernsehen und Zeitschriften verbreiten“, so Erich Honeckers Botschaft an die Künstler.

Dabei hatte gerade die Ausrichtung der Wirtschaft nach dem „Grundsatz des höchsten ökonomischen Nutzeffekts“ Künstler zu Kritik ermutigt. Der Ruf nach mehr Arbeitsproduktivität richtete sich auch gegen die weit verbreitete Kontrolle und Einmischung von Bürokraten, die zwar ein SED-Abzeichen, aber kein Fachwissen besaßen und so letztlich dem „DDR-Sozialismus“ schadeten. Den Künstlern schien dies als Vorbote einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft und Kultur. Aufbruchsstimmung erzeugte das 1963 von der SED verabschiedete Jugendkommuniqué, das beschloss den „Hausherren von Morgen“ mehr Verantwortung zu übertragen.

An Demokratie dachte man in der SED nicht. Um das kritische Potential der jungen, unbequemen Nachkriegsgeneration effektiver für den nationalen Aufbau einspannen zu können, sollte die alte rigide Art der Kontrolle aus der Zeit vor dem Mauerbau durch eine moderne, subtilere Methode ersetzt werden. Sie hieß Mitsprache und bedeutete Kontrolle durch Einbindung.

Die erforderlichen Zugeständnisse sollten gerade nicht jene Dynamik entfalten, die die Position der Bevölkerung gegenüber der SED stärken konnte. So durfte die im März 1963 ins Leben gerufene, regelmäßige Fernsehsendung Prisma nur begrenzt Missstände öffentlich anprangern. Die Verteufelung des westlichen Beat, deren Wirkungslosigkeit der „Leipziger Beataufstand“ von 1965 deutlich machte, wurde allmählich aufgegeben. Der nun folgende „DDR-Beat“ mit „sozialistischem Gesicht“ stand unter staatlicher Kontrolle.

Die Beziehung der jungen Künstler zum Sozialismus war nicht mehr geprägt von den programmatischen Kämpfen der 20er Jahre in der sozialistischen Bewegung, sondern von deren Ergebnis, dem Sieg des Stalinismus. Stalins Brutalität gegenüber der sowjetischen Bevölkerung hatte schockiert, galt aber weithin als eine „Überspitzung“ im Sozialismus.

Die Konflikte innerhalb der SED über Zugeständnisse gegenüber der Bevölkerung betrachteten die Künstler daher hoffnungsvoll als Generationskonflikte. Bereits der junge Liedermacher Wolf Biermann hatte 1962 in seinem Gedicht „An die alten Genossen“ die alte KPD-Generation respektvoll und freundlich zur Abgabe der Macht an die Jungen aufgefordert. Die prompte Reaktion: Auftrittsverbot.

In Filmen wie Karla, wie Berlin um die Ecke (1965/90) von Gerhard Klein (Buch: Wolfgang Kohlhaase) oder Spur der Steine steht der hartnäckige Widerstand der „Alten“, die überall den „Klassenfeind“ wittern und der Jugend misstrauen, an zentraler Stelle. Der junge Parteisekretär Horrath ist der eigentliche Held in Spur der Steine. Er sieht in dem raubeinigen Balla, der kein Freund der SED, aber ein tüchtiger Arbeiter und ehrlicher Kerl ist, eine Chance für den Sozialismus.

Karla Karla (© PROGRESS Film-Verleih)

Die Filme weisen die SED auf die Notwendigkeit hin, ihre Macht mit der Bevölkerung zu teilen. Sie fordern die Umsetzung der offiziellen SED-Losung: „Arbeite mit, plane mit, regiere mit!“ Ihr naiv scheinender Appell an Ehrlichkeit und Wahrheit ermutigte zu unbequemen Fragen. Warum ist der Ehrliche der Dumme im Sozialismus? Wie moralisch leben die Prediger der „sozialistischen Moral“ eigentlich? Das musste gerade eine Partei beunruhigen, die sich durch Verschweigen und Fälschen der eigenen Geschichte an der Macht hielt.

Die Filme verdeutlichen, wie fest und umfassend das System von Lüge und Heuchelei in der Gesellschaft verankert war. Sie wurden sofort verboten oder innerhalb kurzer Zeit aus den Kinos verbannt. Ihr Ruf nach Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit rückte die Künstler in den Augen der damaligen Funktionäre in die Nähe der Konterrevolution.

Nicht verboten wurde der Film Die Glatzkopfbande. Er war ein sehr erfolgreicher DEFA-Film. Zweifellos fing er etwas von der aufgeladenen Stimmung in der Jugend ein. Gleichzeitig diente die Herausstellung westlicher Einflüsse auf die jugendlichen Randalierer der Legitimierung der Mauer.

„Skeptizismus“ und Jürgen Böttchers Jahrgang 45

Jürgen Böttchers Jahrgang 45 (1966/90), eine Liebesgeschichte, wurde dagegen noch vor der Fertigstellung verboten. Erst nach dem Sturz Honeckers gelangte der Film zur Uraufführung. Es war der erste Spielfilmversuch Böttchers, der eigentlich immer Spielfilme machen wollte und seine Beschäftigung mit dem Dokumentarfilm zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn in der DDR als Schule des Sehens ansah. (Siehe auch: Zum 80. Geburtstag von Jürgen Böttcher).

Al, ein 23jähriger Autoschlosser, und Li, eine junge Krankenschwester, sind zwei Jahre verheiratet, wollen sich aber scheiden lassen – weil es, wie Al erklärt, nicht mehr geht. Er hat Li in seiner alten Clique kennengelernt, seit sie arbeiten geht, sei sie irgendwie „alt“ geworden. Er will zurück in die alte, verspielte Zeit, ist allergisch gegen alles, was mit Pflicht und Regeln zu tun hat. Schließlich mussten seine Eltern und Großeltern, einfache Arbeiter, ihr Leben lang den Buckel krumm machen. Im Sozialismus will Al sein Leben selbst bestimmen und genießen.

Wegen des Scheidungstermins nimmt Al Urlaub, räkelt sich, während Li zur Arbeit geht, genüsslich im Bett. Das Radio berichtet über die DDR-Landwirtschaft. Warum immer dieses Gerede? Al stellt auf Musik. Er zieht aus der gemeinsamen Wohnung, nistet sich (nicht ganz legal) im Keller seiner alten Clique ein, nimmt dann Quartier bei Muttern. Er pafft eine dicke Zigarre, ganz wie sein Freund Mogul (oder ist es doch die von Brecht?), jault auf seiner Trompete. Als sich Nachbarn beschweren, trötet er vom Fensterbrett laut in den Hof. Er hört Old Time Jazz vom Grammophon und sucht seine Motorradkumpels auf. Aus der Kofferheule tönt westlicher Beat. Irgendwann geht er trotz Urlaub zur Arbeit, aus Langeweile.

Jahrgang 45 Jahrgang 45 (© PROGRESS Film-Verleih)

Dies alles erzählt der Film beiläufig, in undramatischen, poetischen Bildern und sparsamen Dialogen, so dass er über Strecken wie einer von Böttchers späteren Dokumentarfilmen wirkt. Dazu die realen Bilder vom Berlin der sechziger Jahre. Die Häuser und Höfe vom Prenzlauer Berg sind immer noch vom Krieg gezeichnet. Abseits davon entstehen die ersten Neubaugebiete.

Die Gesellschaft ist eine Baustelle und mittendrin lebt Al. In seinen lässig-gelangweilten, sich Raum schaffenden Gebärden steckt etwas provozierend Waches, dass nicht in das Idealbild des vorbildlichen Arbeiters passte, der, im „sozialistischen Wettbewerb“ stehend, um Planübererfüllung ringt und sich enthusiastisch nach der Arbeitszeit weiter qualifiziert.

„Skeptizismus“ lautete die vernichtende Kritik der Funktionäre. Al sei „bewusst als ein indifferenter, gedankenloser und unreifer junger Mann gezeichnet, der seine Arbeit macht, dann aber ohne Phantasie und Initiative seine Freizeit verbringt. [...] Al wirkt in seinem Habitus nahezu asozial.“

Der Film untermauert Als provozierenden Gestus mit einigen Anspielungen: ein Lied aus der Feder des kritischen Liedermachers Wolf Biermann (er hatte Auftrittsverbot), ein ruhelos hin und herlaufender Leopard hinterm Tierparkgitter, ein Kolibri, der in der Luft „steht“.

Tieferen Einblick in jugendlichen „Skeptizismus“ gibt der Film Denk bloß nicht, ich heule. Ein alter, verbitterter Arbeiter zieht das Fazit seines Lebens und rät seinem Sohn: „Das wichtigste im Leben ist leben!“ Der Vater hatte 1933, aus Angst vor dem KZ, sein KPD-Parteibuch verbrannt und war 1945 in der Zeit größter Not in Schiebereien verwickelt. Dafür später aus der SED ausgeschlossen, stirbt er schließlich als haltloser Alkoholiker. Für die Aufbauparolen der SED hatte er nur Hohn und Verachtung übrig.

Denk nur nicht, ich heule Denk nur nicht, ich heule (© PROGRESS Film-Verleih)

Man erhält den beklemmenden Eindruck einer Generation von Arbeitern, die allein Not und Entbehrungen gekannt hatten und sich in dem „Arbeiterstaat“ DDR bitter betrogen sahen. Noch dazu, wenn sie vielleicht sahen, wie andere, die für den „Aufbau des Sozialismus“ nützlicher waren, Karriere machten. In dem Fall hatte die SED selbst gegenüber ehemaligen Nazis kaum Berührungsängste.

Für wie viele DDR-Jugendliche dieser Generation hatte der Parteiausschluss der Eltern einen unmittelbar politischen Hintergrund, der mit der Ablehnung Stalins zu tun hatte, den die SED erst verherrlichte und später totschwieg? Konnten diese und andere Erfahrungen von Heuchelei und Lügen bei diesen Jugendlichen etwas anderes hervorrufen als starke Skepsis gegenüber dem „Sozialistischen Vaterland“?

Trotz des Optimismus von Böttchers Jahrgang 45 in den „sozialistischen Aufbau“ der DDR, ist auch hier die Distanz zur herrschenden Partei unübersehbar.

Als bester Freund ist der Rentner Mogul, der ehrenamtlich in der Wohnungskommission (in diesen Kommissionen halfen Bürger ehrenamtlich bei der Wohnraumlenkung) arbeitet. Nichts deutet auf eine Parteimitgliedschaft hin. Mogul genießt die Sonne auf Als Balkon, räsoniert über die schnell vergehende Lebenszeit. Der Zuschauer spürt, dass das Leben, der einzelne Mensch, die Jugend für den 70-Jährigen etwas Wertvolles sind. Junge Menschen und gerade solche, die noch nicht wissen, was sie wollen, brauchen Zeit, viel Zeit. Auch der Rhythmus des Films ist provozierend langsam.

Böttchers Film weist eine Zärtlichkeit gegenüber Heranwachsenden, ein Gefühl für die Zerbrechlichkeit von Gefühlen auf, wie sie in manchen Filmen von De Sica oder Visconti zu finden sind. Jahrgang 45 ist ein universales Plädoyer für Zeit gegen jeglichen Leistungs- und Wettbewerbsdruck, gegen die Einteilung von Menschen in nützliche und unnütze. Das macht ihn heute wieder aktuell.

Spur der Steine Spur der Steine(Foto: DIF)

Dass, abgesehen von Spur der Steine, die damaligen Verbotsfilme (nicht alle konnten hier berücksichtigt werden) heute kaum zu sehen sind, ist schade. Ihre Nachdrücklichkeit und Unbedingtheit beeindrucken ebenso wie ihr Bemühen, echte Konflikte zu thematisieren. Die hartnäckige, illusionäre Hoffnung der Filme in die Reformierbarkeit der SED hat mitunter etwas Verzweifeltes.

Wann wird Jürgen Böttcher seinen zweiten Spielfilm machen? Eins scheint sicher: Zeit spielt für ihn keine Rolle.

Anmerkungen

1) Siehe auch: Wolfgang Weber, „DDR - 40 Jahre Stalinismus„, Kapitel 4

2) Ralf Schenk (Red), „Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg – DEFA Spielfilme 1946-1992“, S. 197