Die historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party
Teile 1 - 11
Dezember 2008 / Januar 2009
Die US-amerikanische Socialist Equality Party (SEP) hat vom 3. bis 9. August 2008 ihren Gründungskongress durchgeführt. Der Kongress diskutierte und verabschiedete ein Dokument über die "historischen und internationalen Grundlagen der Socialist Equality Party", das wir hier in deutscher Übersetzung in elf Teilen veröffentlichen. Bereits in deutscher Übersetzung erschienen sind ein Bericht über den Gründungskongress und die Grundsatzerklärung der SEP, die ebenfalls vom Gründungskongress verabschiedet wurde.
1. Das Programm der SEP hat prinzipiellen, nicht konjunkturellen oder pragmatischen Charakter. Es gründet sich auf eine Analyse der Krise des Weltkapitalismus und beinhaltet die strategischen Erfahrungen der Arbeiterklasse und der internationalen sozialistischen Bewegung. Das internationale wirtschaftliche und politische System ist seinem Wesen nach imperialistisch. Trotz des technologischen Fortschritts, des Wachstums der Produktivkräfte und der Ausdehnung kapitalistischer Produktionsverhältnisse auf den gesamten Erdball krankt das kapitalistische Weltsystem an den gleichen unlösbaren Widersprüchen, die im 20. Jahrhundert die Schrecken zweier Weltkriege, Faschismus, eine endlose Reihe regionaler militärischer Konflikte und unzählige brutale politische Diktaturen hervorgebracht haben.
2. Die Grundzüge des Imperialismus, wie Lenin sie während des Ersten Weltkriegs herausgearbeitet hat (monopolitische Konzentration der Produktion, Vorherrschaft des Finanzkapitals und ökonomisches Parasitentum, Streben der Großmächte nach Weltherrschaft auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet, Unterdrückung schwächerer Nationen und eine durchgehende Tendenz zur politischen Reaktion) bestimmen auch die heutige politische und wirtschaftliche Ordnung. Wie 1914 (am Vorabend des Ersten Weltkrieges) und 1939 (am Vorabend des Zweiten Weltkriegs) sind auch heute folgende Widersprüche entscheidend: Der Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaatensystem und der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und Privateigentum an den Produktionsmitteln. Diese Widersprüche erzeugen sowohl die Gefahr eines weiteren katastrophalen Weltkriegs wie die objektiven Voraussetzungen für den Sturz des Kapitalismus - den gesellschaftlichen Charakter von Industrie und Finanzwesen, die Globalisierung des wirtschaftlichen Lebens und die gesellschaftliche Macht der Arbeiterklasse.
3. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 riefen die Apologeten der Bourgeoisie das "Ende der Geschichte" aus. Damit meinten sie das "Ende des Sozialismus" und den endgültigen Triumph des Kapitalismus. Die darauf folgenden Ereignisse haben gezeigt, dass die Grabreden für die Revolution, geschweige denn für die Geschichte überhaupt, verfrüht waren. Das 21. Jahrhundert wird nicht weniger stürmisch verlaufen als das zwanzigste. Die internationale Arbeiterklasse wird ohne Frage erneut mit den historischen Problemen konfrontiert, die frühere Generationen nicht lösen konnten.
4. Eine revolutionäre sozialistische Strategie kann nur auf der Grundlage der Lehren aus den vergangenen Kämpfen entwickelt werden. Vor allem erfordert die Ausbildung von Marxisten ein detailliertes Wissen über die Geschichte der Vierten Internationale. Die Entwicklung des Marxismus zum theoretischen und politischen Wegbereiter der sozialistischen Revolution hat ihren höchsten Ausdruck in den Kämpfen der Vierten Internationale seit ihrer Gründung 1938 gefunden. Sie richteten sich gegen den Stalinismus, den Reformismus, den pablistischen Revisionismus und alle anderen Formen des politischen Opportunismus.
5. Politische Übereinstimmung innerhalb der Partei in den wesentlichen Fragen des Programms und der Aufgaben ist nur möglich, wenn Einigkeit in der historischen Einschätzung des 20. Jahrhunderts und seiner strategischen Lehren besteht. Rosa Luxemburg beschrieb die Geschichte einmal als die via dolorosa der Arbeiterklasse. Nur wenn die Arbeiterklasse aus der Geschichte lernt - nicht nur aus ihren Siegen, sondern auch aus ihren Niederlagen -, ist sie auf die Anforderungen vorbereitet, die eine neue Periode revolutionärer Kämpfe an sie stellt.
Ursprung und Entwicklung des Marxismus
6. Die Epoche des Imperialismus bildete sich in ihrer modernen Form während der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts heraus. Die rasche Ausbreitung der kapitalistischen Industrie ließ die Arbeiterklasse anwachsen und führte zum Ausbruch von Klassenkämpfen zwischen der Bourgeoisie und dem neuen Industrieproletariat in Europa und Nordamerika. Die Entwicklung des Marxismus hatte diesen historischen Prozess theoretisch vorweggenommen. Das Kommunistische Manifest, erschien im November 1847, am Vorabend der ersten revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse. Das Werk von Karl Marx und Friedrich Engels ersetzte die utopischen Projekte, die auf eine allgemeine Verbesserung der Lage der Menschheit abzielten, durch die Aufdeckung der objektiven Gesetze, nach denen der historische Prozess sich vollzieht. Wie Engels in seinem klassischen Werk, dem Anti-Dühring erklärt, stellte die materialistische Auffassung der Geschichte fest,
"...dass die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; dass in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird. Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche. Die erwachende Einsicht, dass die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen unvernünftig und ungerecht sind, dass Vernunft Unsinn, Wohltat Plage geworden, ist nur ein Anzeichen davon, dass in den Produktionsmethoden und Austauschformen in aller Stille Veränderungen vor sich gegangen sind, zu denen die auf frühere ökonomische Bedingungen zugeschnittne gesellschaftliche Ordnung nicht mehr stimmt. Damit ist zugleich gesagt, dass die Mittel zur Beseitigung der entdeckten Missstände ebenfalls in den veränderten Produktionsverhältnissen selbst - mehr oder minder entwickelt - vorhanden sein müssen. Diese Mittel sind nicht etwa aus dem Kopf zu erfinden, sondern vermittelst des Kopfes in den vorliegenden materiellen Tatsachen der Produktion zu entdecken."[1]
7. Die Veröffentlichung des Kapitals im Jahr 1867 ermöglichte es der Arbeiterklasse, die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise zu verstehen. Das Kapital schuf die wissenschaftliche Grundlage für die Entwicklung der modernen sozialistischen Bewegung, auch wenn noch mehrere Jahre vergingen, ehe Marx Meisterwerk die Aufmerksamkeit eines bedeutenden Teils der Arbeiterklasse gewinnen konnte. Als dann größere Teile der Arbeiterklasse, besonders in Deutschland, unter den Einfluss des Marxismus kamen, entstanden die sozialen und theoretischen Grundlagen für den Aufbau sozialistischer Massenparteien in ganz Europa. Die Gründung der Zweiten Internationale 1889 war ein Meilenstein im Kampf um die politische Einheit der internationalen Arbeiterklasse. Sie beruhte im Hinblick auf die Entwicklung des Kapitalismus und der Industriearbeiterklasse auf weitaus reiferen objektiven Voraussetzungen, als sie 1864 gegeben waren, als Marx und Engels die Erste Internationale gründeten. Im Zeitraum zwischen 1876, als die Erste Internationale aufgelöst wurde, und 1889 fand ein enormes Wachstums des Kapitalismus und des Industrieproletariats statt. Das nächste Vierteljahrhundert war durch widersprüchliche Strömungen in der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des Kapitalismus und der internationalen Arbeiterbewegung geprägt. Oberflächlich betrachtet waren Wirtschaftswachstum und Stabilität vorherrschende Kennzeichen dieser Periode. In diesem Rahmen fand das Wachstum der Arbeiterbewegung, vor allem in Westeuropa, innerhalb der Bahnen des Parlamentarismus und der Gewerkschaften statt. Hinter der scheinbar stabilen Fassade der politischen und wirtschaftlichen Ordnung baute sich im Inneren des kapitalistischen Systems jedoch ein gewaltiger Druck auf. Mit der Entwicklung des Imperialismus im letzten Jahrzehnt des 19. und im ersten des 20. Jahrhunderts verschärften sich die gefährlichen Rivalitäten zwischen den großen kapitalistischen Staaten. Gleichzeitig untergruben zunehmende wirtschaftliche Probleme die Grundlage für Klassenkompromisse und führten zu einer Intensivierung der Klassenspannungen.
8. Diese von Widersprüchen geprägte Entwicklung bildete den Nährboden für die Spannungen innerhalb der Zweiten Internationale und der Sozialdemokratie, und besonders in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Offiziell vertrat die SPD die Auffassung vom Krieg zwischen den Klassen, doch ihr Wachstum war mit dem Wachstum des deutschen Kapitalismus und seiner nationalen Industrie verbunden, die mit der Stärkung des Proletariats und der Gewerkschaften einhergingen. Die Wachstumsperiode des Kapitalismus erlaubte der Bourgeoisie, die Entstehung einer Schicht in der Arbeiterklasse und der Gewerkschaftsbürokratie zu fördern (die Lenin später als "Arbeiteraristokratie" bezeichnete) und deren Interessen mit dem kapitalistischen System zu versöhnen. Dies war die Grundlage für das Anwachsen des Opportunismus in der Zweiten Internationale, der in jedem Land zutage trat. Seine theoretisch weitest entwickelte Form fand dieser Opportunismus in den Schriften Eduard Bernsteins, der die marxistische Analyse der objektiven Widersprüche des kapitalistischen Systems und deren revolutionärer Implikationen zurückwies. Bernstein stellte auch die wissenschaftliche Grundlage der marxistischen Theorie in Frage; stattdessen solle der Sozialismus als moralisches Ideal betrachtet werden, das nicht notwendigerweise in Bezug zu den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Entwicklung stehe. Diese Argumente widerspiegelten den breiten Einfluss diverser Strömungen einer subjektiv-idealistischen Philosophie, insbesondere des Neokantianismus, die den marxistischen Materialismus ablehnte.
9. Die Stärke der revisionistischen, antimarxistischen Tendenzen spiegelte nicht die intellektuelle Kraft ihrer Argumente, die in sich unstimmig und impressionistisch waren. Der Revisionismus entwickelte sich vielmehr in einer Zeit der raschen ökonomischen Ausdehnung und des anwachsenden Lebensstandards in Europa. Dadurch bot sich der Arbeiterklasse trotz ihrer sozialistischen Führung keine realistische Möglichkeit zu einem revolutionären Sturm auf die kapitalistische Gesellschaft. So entstand innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung, vor allem in Deutschland, ein merkwürdiger Dualismus. Ihre Führer benutzten die Sprache des revolutionären Marxismus, aber die tägliche praktische Arbeit der Partei spielte sich innerhalb der Grenzen des Reformismus ab. Bernsteins Formulierungen widerspiegelten und rechtfertigten diesen reformistischen Charakter der täglichen Praxis der deutschen Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Die politischen Auswirkungen dieser theoretischen Revision zeigten sich 1899 in Frankreich, als der sozialistische Führer Millerand Minister in einer bürgerlichen Regierung wurde.
Die Ursprünge des Bolschewismus
10. Die bolschewistische Tendenz entstand aus dem Kampf, den Lenin (und auf philosophischem Gebiet Plechanow) gegen revisionistische Strömungen innerhalb der russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei führten. Lenin bestand darauf, dass sich sozialistisches Bewusstsein nicht spontan innerhalb der Arbeiterklasse entwickeln könne, sondern in die Arbeiterbewegung hineingetragen werden müsse. Er stützte sich dabei auf Standpunkte, die Kautsky, der führende Theoretiker der SPD, entwickelt hatte. In seiner wegweisenden Schrift Was tun? zitiert Lenin den folgenden, wichtigen Absatz aus dem Programm der Sozialdemokratischen Partei Österreichs:
"Das moderne sozialistische Bewusstsein kann nur erstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht. In der Tat bildet die heutige ökonomische Wissenschaft ebenso eine Vorbedingung sozialistischer Produktion wie etwa die heutige Technik, nur kann das Proletariat beim besten Willen die eine ebenso wenig schaffen wie die andere; sie entstehen beide aus dem heutigen gesellschaftlichen Prozess. Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz (hervorgehoben von K. K.); in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist denn auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden, die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen, wo die Verhältnisse es gestatten. Das sozialistische Bewusstsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes."[2]
11. Die zentrale Aufgabe der revolutionären Partei bestehe darin, die Arbeiterbewegung mit marxistischer Theorie zu durchdringen: " Kann nun von einer selbständigen, von den Arbeitermassen im Verlauf ihrer Bewegung selbst ausgearbeiteten Ideologie keine Rede sein", schrieb Lenin, "so kann die Frage nur so stehen: bürgerliche oder sozialistische Ideologie. Ein Mittelding gibt es hier nicht (denn eine 'dritte' Ideologie hat die Menschheit nicht geschaffen, wie es überhaupt in einer Gesellschaft, die von Klassengegensätzen zerfleischt wird, niemals eine außerhalb der Klassen oder über den Klassen stehende Ideologie geben kann). Darum bedeutet jede Herabminderung der sozialistischen Ideologie, jedes Abschwenken von ihr zugleich eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie"[3]. Lenin wandte sich gegen alle Tendenzen, die ihre Arbeit an die spontanen Formen der Aktivitäten der Arbeiterklasse anpassten und die täglichen praktischen Kämpfe von dem weiter gesteckten historischen Ziel der sozialen Revolution trennten. Klarer als jeder andere Sozialist seiner Zeit erkannte Lenin, dass die Entwicklung des Marxismus in der Arbeiterklasse einen ständigen Kampf gegen den politischen und ideologischen Druck der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Tendenzen erforderte. Darin bestand die Bedeutung des Kampfes, den er gegen verschiedene Formen des Revisionismus und Opportunismus über Fragen der Theorie, der politischen Strategie und der Parteiorganisation führte.
12. Der zweite Kongress der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei endete 1903 mit einer Spaltung zwischen der bolschewistischen und der menschewistischen Tendenz. Er war ein Wendepunkt in der Geschichte der revolutionären sozialistischen Bewegung. Obwohl die Spaltung unerwartet wegen Fragen der Parteimitgliedschaft und -organisation eintrat, die auf den ersten Blick als zweitrangig erschienen, wurde nach und nach klar, dass der Konflikt mit dem größeren Problem des politischen Opportunismus in der RSDAP und mit Fragen der politischen Perspektive und des Programms zusammenhing. Zu den organisatorischen Fragen meinte Lenin in Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück : "Der Opportunismus im Programm hängt natürlich zusammen mit dem Opportunismus in der Taktik und dem Opportunismus in organisatorischen Fragen"[4]. Weiter äußerte er: "Der opportunistische Flügel jeder Partei verteidigt und rechtfertig stets jede Rückständigkeit, die programmatische, die taktische und die organisatorische"[5]. Lenin schloss seine Analyse mit einer denkwürdigen Erklärung:
"Das Proletariat besitzt keine andere Waffe im Kampf um die Macht als die Organisation. Durch die Herrschaft der anarchischen Konkurrenz in der bürgerlichen Welt gespalten, durch die unfreie Arbeit für das Kapital niedergedrückt, ständig in den Abgrund völliger Verelendung, der Verwilderung und Degradation hinab gestoßen, kann und wird das Proletariat unbedingt nur dadurch eine unbesiegbare Kraft werden, dass seine ideologische Vereinigung auf Grund der Prinzipien des Marxismus gefestigt wird durch die materielle Einheit der Organisation, die Millionen Werktätiger zur Armee der Arbeiterklasse zusammenschweißt."[6]
13. Im Anschluss an den zweiten Kongress traf Lenins kompromissloser Standpunkt in vielen Teilen der RSDAP auf scharfe Kritik, die ihn für die Spaltung verantwortlich machte. Seine Vorgehensweise im innerparteilichen Konflikt wurde von dem jungen Trotzki (der zum Zeitpunkt des Kongresses erst 23 Jahre alt war) und von Rosa Luxemburg scharf kritisiert. Selbst diese hervorragenden Revolutionäre verstanden damals Lenins Einsicht in die materielle Beziehung noch nicht, die zwischen den theoretischen, politischen und organisatorischen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und dem objektiven gesellschaftlichen Prozess der Klassenbeziehungen und Klassenkonflikte außerhalb der Partei besteht. Während damals die meisten Sozialisten dazu neigten, den Konflikt zwischen den Fraktionen der RSDAP als Konflikt zwischen rivalisierenden Strömungen anzusehen, die aus subjektiven Motiven um Einfluss über eine politisch noch ungeprägte Arbeiterklasse kämpfen, interpretierte Lenin den Konflikt als objektiven, historisch bestimmten Ausdruck realer Veränderungen in den Klassenbeziehungen - sowohl zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie, als auch zwischen verschiedenen Schichten innerhalb der Arbeiterklasse. Lenin studierte die Auseinandersetzung zwischen den Strömungen der Partei als "Schlüsselindikator" der Entwicklung der revolutionären Epoche. In dem scharfen Konflikt, der auf dem zweiten Kongress aufbrach, war der wesentliche Punkt, beinhaltet in der Frage des Parteistatuts, die Beziehung der russischen Arbeiterklasse und der RSDAP zur liberalen Bourgeoisie und ihren politischen Parteien. Hinter der opportunistischen Haltung der Menschewiki in Organisationsfragen (wie den Pflichten eines Parteimitglieds), stand ein versöhnlerisches und anpassungsbereites Verhalten gegenüber dem russischen Liberalismus. Als sich im weiteren Verlauf die politische Situation in Russland zuspitzte, traten die Implikationen der Organisationsfragen deutlicher zutage. Wie Trotzki später selbst anerkannte, wuchs sein Verständnis der politischen Methoden Lenins, der vor dem Hintergrund der verhängnisvollen Ereignisse "eine zunehmend korrektere, d.h. bolschewistische Konzeption der Beziehung zwischen Klasse und Partei, zwischen Theorie und Politik und zwischen Politik und Organisation erarbeitete... Was in meinen Augen 'spalterisch', 'trennend'; etc. erschien, kam mir nun wie ein heilsamer und unvergleichlich vorausschauender Kampf für die revolutionäre Unabhängigkeit des Proletariats vor."[7]
Die Theorie der Permanenten Revolution
14. Die Spaltung auf dem Kongress von 1903 war eine Vorwegnahme der gesellschaftlichen Erhebung in Russland. Die Russische Revolution von 1905 warf wesentliche strategische Fragen für die russische Sozialdemokratie auf. Obwohl die Revolution in einer Niederlage endete, hatten die Ereignisse von 1905 die ungeheure gesellschaftliche Kraft der Arbeiterklasse gezeigt, die im Kampf gegen das zaristische Regime die führende Rolle spielte. Vor den Ereignissen von 1905 wurde die Entwicklung von Revolutionen als Zuspitzung nationaler Ereignisse angesehen, deren Erfolg von der Logik der inneren sozioökonomischen Struktur und Verhältnisse bestimmt war. Marxistische Theoretiker hatten angenommen, dass die sozialistische Revolution in den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern Europas (Großbritannien, Deutschland und Frankreich) beginnen würde, und dass die weniger entwickelten Länder (wie Russland) erst ein ausgedehntes Stadium kapitalistischer wirtschaftlicher und bürgerlich demokratischer Entwicklung durchlaufen müssten, bevor sie "reif" für eine proletarische sozialistische Revolution wären. In letzteren Ländern ging man in der Regel davon aus, dass es die Aufgabe der marxistischen Parteien sei, den revolutionären Kampf auf die Verwirklichung einer demokratischen Republik unter der politischen Führung der nationalen Bourgeoisie zu beschränken. Von dieser traditionellen Perspektive leiteten die russischen Menschewiki ihre Politik ab und folgten damit der politischen Strategie, die Plechanow ausgearbeitet hatte. In der Revolution von 1905 erwies sich die Bourgeoisie jedoch als unwillig, die demokratische Revolution gegen den Zaren durchzuführen, und stellte sich stattdessen auf dessen Seite und gegen die Arbeiterklasse.
15. Lenin erklärte im Gegensatz zu den Menschewiki, die Arbeiterklasse müsse die Revolution auf Grund der Schwäche der Bourgeoisie im Bündnis mit der Bauernschaft führen und eine "demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" errichten. Diese Formulierung brachte Lenins Entschlossenheit zum Ausdruck, der demokratischen Revolution einen möglichst radikalen Charakter zu verleihen (d.h. für die kompromisslose Zerstörung aller Überbleibsel der Feudalordnung auf dem Lande und die entschlossene Abschaffung der Selbstherrschaft einzutreten). Aber sie definierte die Revolution oder den Staat, der aus ihr hervorgehen sollte, nicht in sozialistischen Begriffen. Die demokratische Diktatur bedeutete nicht notwendig einen Eingriff in die bürgerlich-kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Darüber hinaus war die Formulierung nicht eindeutig, was den Charakter der Staatsform und die Machtverteilung zwischen Proletariat und Bauernschaft anging.
16. In der Theorie der Permanenten Revolution präsentierte Trotzki eine kühnere Lösung für das Problem der demokratischen Revolution im rückständigen Russland. Sie war hinsichtlich des Klassencharakters der Staatsmacht, die aus dem Sturz des Zarenregimes hervorgehen werde, nicht zweideutig wie Lenins Formulierung. Trotzki sagte voraus, dass die Revolution sich nicht auf bürgerlich-demokratische Aufgaben begrenzen lassen, sondern einen sozialistischen Charakter annehmen werde, und dass die Arbeiterklasse die Staatsmacht erobern und ihre Diktatur errichten werde. Trotzki stützte seine Analyse auf die soziale Dynamik der bevorstehenden russischen Revolution und die internationale Entwicklung des kapitalistischen Systems. Der Charakter, die Aufgaben und der Erfolg der russischen Revolution, so betonte er, würden letztlich stärker durch internationale als durch nationale Voraussetzungen bestimmt. Die unmittelbaren Aufgaben, vor denen die russischen Massen stünden, seien zwar bürgerlich-demokratischer Natur - der Sturz der zaristischen Selbstherrschaft und die Abschaffung der Reste des Feudalsystems auf dem Lande -, doch könnten diese Aufgaben weder unter der politischen Führung der nationalen Bourgeoisie, noch im Rahmen einer bürgerlich-demokratischen Republik durchgeführt werden. Die großen Veränderungen in der Weltwirtschaft und die Entstehung der Arbeiterklasse als ungeheuer mächtige soziale Kraft bedeuteten, dass die demokratische Revolution im 20. Jahrhundert sehr anders verlaufen werde als im 19. Jahrhundert. Die russische Bourgeoisie sei in das kapitalistische Weltsystem integriert worden. Sie sei schwach und hänge vom Imperialismus ab. Die demokratischen Aufgaben könnten daher nur durch eine Revolution verwirklicht werden, die von der Arbeiterklasse mit Unterstützung der Bauernschaft durchgeführt werde. Nach der Machteroberung könne die Arbeiterklasse sich jedoch nicht auf demokratische Aufgaben beschränken und werde gezwungen sein, Maßnahmen mit sozialistischem Charakter zu ergreifen. Darüber hinaus könne die soziale Revolution in Russland im nationalen Rahmen nicht Bestand haben. Ihr Überleben hänge von der Ausdehnung der Revolution auf die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder und letztlich die ganze Welt ab. Im Juni 1905 schrieb Trotzki:
"Indem der Kapitalismus allen Ländern seine Wirtschafts- und Verkehrsweise aufdrängt, hat er die ganze Welt in einen einzigen ökonomischen und politischen Organismus verwandelt... Das verleiht den sich entwickelnden Ereignissen von Anfang an einen internationalen Charakter und eröffnet eine große Perspektive: die politische Emanzipation, geleitet von der Arbeiterklasse Russlands, hebt diese ihre Führerin auf eine in der Geschichte bisher unbekannte Höhe, legt kolossale Kräfte und Mittel in ihre Hand, lässt sie die weltweite Vernichtung des Kapitalismus beginnen, für die die Geschichte alle objektiven Voraussetzungen geschaffen hat."[8]
Lenins Verteidigung des Materialismus
17. Später bemerkte Trotzki, Lenins Werk zeichne sich durch den höchsten Grad theoretischen Bewusstseins aus. Dies zeigte sich insbesondere in seiner kompromisslosen Verteidigung des Marxismus gegen verschiedene Formen des philosophischen Idealismus und Subjektivismus, der die marxistische Bewegung zu desorientieren drohte. Lenins Entscheidung, ein ganzes Jahr auf die Niederschrift von Materialismus und Empiriokritizismus (1908-09) zu verwenden, zeigt, wie sehr er sich der Gefahr bewusst war, die der weit verbreitete Einfluss des philosophischen Idealismus in der sozialistischen Bewegung darstellte. Dieser Idealismus trat nicht nur in Form des Neo-Kantianismus auf - oft verbunden mit dem Bestreben, den Sozialismus auf Ethik zu gründen -, sondern auch durch offen irrationalistische Auffassungen, die auf den Einfluss Schopenhauers und Nietzsches zurückgingen. Diese Strömungen verstanden die sozialistische Revolution als Produkt des heroischen Willens zur Tat. Lenin betrachtete diesen idealistischen Irrationalismus als unvereinbar mit einem wissenschaftlichen Verständnis der Wirkungsgesetze der kapitalistischen Gesellschaft und der objektiven Grundlagen des revolutionären Kampfes.
18. Lenin beharrte auf dem Standpunkt: "Die Philosophie des Marxismus ist der Materialismus". Der Materialismus sei "die einzige folgerichtige Philosophie, die allen Lehren der Naturwissenschaften treu bleibt, die dem Aberglauben, der Frömmelei usw. feindlich" sei. Er erklärte, dass der Marxismus den Materialismus, wie er im 18. Jahrhundert existiert habe, weiterentwickelt habe, indem er ihn bereicherte "durch die Errungenschaften der deutschen klassischen Philosophie und besonders des Hegelschen Systems, das seinerseits zum Materialismus Feuerbachs geführt hatte". Den großen Beitrag, den die klassische deutsche Philosophie geleistet habe, die Ausarbeitung der Dialektik, definierte Lenin als "die Lehre von der Entwicklung in ihrer vollständigsten, tiefstgehenden und von Einseitigkeit freiesten Gestalt, die Lehre von der Relativität des menschlichen Wissens, das uns eine Widerspiegelung der sich ewig entwickelnden Materie gibt".[9] Am Vorabend des ersten Weltkriegs erklärte Lenin präzise den philosophischen Standpunkts des Marxismus:
"Marx, der den philosophischen Materialismus vertiefte und entwickelte, führte ihn zu Ende und dehnte dessen Erkenntnis der Natur auf die Erkenntnis der menschlichen Gesellschaft aus. Der historische Materialismus von Marx war eine gewaltige Errungenschaft des wissenschaftlichen Denkens. Das Chaos und die Willkür, die bis dahin in den Anschauungen über Geschichte und Politik geherrscht hatten, wurden von einer erstaunlich einheitlichen und harmonischen wissenschaftlichen Theorie abgelöst, die zeigt, wie sich aus einer Form des gesellschaftlichen Lebens, als Folge des Wachsens der Produktivkräfte, eine andere, höhere Form entwickelt - wie zum Beispiel aus dem Feudalismus der Kapitalismus hervorgeht.
Genauso wie die Erkenntnis des Menschen die von ihm unabhängig existierende Natur, d. h. die sich entwickelnde Materie widerspiegelt, so spiegelt die gesellschaftliche Erkenntnis des Menschen (d. h. die verschiedenen philosophischen, religiösen, politischen usw. Anschauungen und Lehren) die ökonomische Struktur der Gesellschaft wider. Die politischen Einrichtungen sind ein Überbau auf der ökonomischen Basis. Wir sehen zum Beispiel, wie die verschiedenen politischen Formen der heutigen europäischen Staaten dazu dienen, die Herrschaft der Bourgeoisie über das Proletariat zu festigen.
Marx Philosophie ist der vollendete philosophische Materialismus, der der Menschheit - insbesondere aber der Arbeiterklasse - mächtige Mittel der Erkenntnis gegeben hat."[10]
19. Angefangen mit Georg Lukács Geschichte und Klassenbewusstsein von 1922 haben sich akademisch gebildete, in der idealistischen Philosophie geschulte Intellektuelle innerhalb und am Rande der sozialistischen Bewegung immer wieder bemüht, die Dialektik dem Materialismus entgegen zu stellen; das ging soweit, dass sie Werke wie Materialismus und Empiriokritzismus als Beispiele eines "Vulgärmaterialismus" herabwürdigten, den Lenin selbst später abgelehnt habe, nachdem er 1914-15 ein systematisches Studium von Hegels Wissenschaft der Logik unternommen habe. Derartige Behauptungen stützen sich (auch heute noch) nicht nur auf eine grobe Verfälschung der Philosophischen Hefte Lenins, sondern auch seiner gesamten intellektuellen Biographie. Sie spielten eine wichtige Rolle in dem bürgerlichen Angriff auf die Grundlagen und das Erbe des klassischen Marxismus, der vor dem Hintergrund des Triumphs des Stalinismus in der UdSSR, des Aufstiegs des Faschismus in Deutschland und der physischen Vernichtung breiter Schichten theoretisch ausgebildeter Kader in Europa stattfand. Die "Dialektik", die die Idealisten in Worten anerkannten, hat nichts mit der "Lehre von der Entwicklung" zu tun, auf die Lenin sich bezieht, geschweige denn mit der wahrhaft wissenschaftlichen Methode, wie Engels sie beschreibt, die "die Dinge und ihre begrifflichen Abbilder wesentlich in ihrem Zusammenhang, ihrer Verkettung, ihrer Bewegung, ihrem Entstehen und Vergehen auffasst".[11] Es war vielmehr eine "Dialektik", in der die Natur und das materielle Universum, das vor dem und unabhängig vom Menschen existiert, nicht vorkommen. Es war (und ist) die Pseudodialektik einer subjektiv aufgefassten Interaktion unzufriedener Intellektueller und ihrer sozialen Umgebung, in der das Individuum - unabhängig vom Wirken objektiver Gesetze, die die Entwicklung von Natur, Gesellschaft und Bewusstsein bestimmen - frei ist, die Welt so zu "erschaffen", wie es ihm oder ihr gerade passt.
Der imperialistische Krieg und der Zusammenbruch der Zweiten Internationale
20. Die Spannungen, die sich im Innern des Weltkapitalismus aufgebaut hatten, entluden sich im Ersten Weltkrieg, der mit all seinen Schrecken die Epoche des "Todeskampfs des Kapitalismus" und der sozialistischen Weltrevolution einläutete. Bereits in den 1880er Jahren hatte Engels vor den Implikationen des kapitalistischen Militarismus und der Kriegsgefahr gewarnt. Vor 1914 hatte die Zweite Internationale auf einer Reihe von Kongressen Manifeste verabschiedet, in denen sie die Arbeiterklasse aufrief, sich einem Kriegsausbruch entgegenzustellen, und, sollte er doch erfolgen, die Krise für eine Volkserhebung zu nutzen, um den Sturz des Kapitalismus zu beschleunigen. Als jedoch der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 ermordet wurde - was nur der Funke war, der die schon seit langem schwelenden Konflikte in der europäischen Bourgeoisie zur Explosion brachte -, zeigten sich schlagartig die Auswirkungen des Opportunismus, der sich in der sozialistischen Bewegung ausgebreitet hatte. Am 4. August 1914 stimmten die Abgeordneten der SPD für die Kriegskredite, und nahezu alle wichtigen Parteien der Internationale stellten sich hinter die Kriegspolitik ihrer jeweiligen bürgerlichen Regierung.
21. Die Bolschewistische Partei lehnte die Kapitulation der Zweiten Internationale klar ab und wandte sich unter Lenins Führung gegen den Krieg. Nur wenige Wochen nach Kriegsausbruch verfasste Lenin eine Resolution, in der er den Konflikt als "einen bürgerlichen, imperialistischen und dynastischen Krieg" definierte. In der Resolution hieß es:
"Das Verhalten der Führer der deutschen sozialdemokratischen Partei - der stärksten und einflussreichsten Partei der II. Internationale (1889-1914) -, die für das Kriegsbudget gestimmt hat und sich die bürgerlich-chauvinistischen Phrasen der preußischen Junker und der Bourgeoisie zu eigen macht, ist direkter Verrat am Sozialismus. In keinem Fall lässt sich das Verhalten der Führer der deutschen sozialdemokratischen Partei rechtfertigen, selbst dann nicht, wenn man annehmen wollte, diese Partei habe sich infolge absoluter Schwäche vor der Notwendigkeit gestellt gesehen, sich dem Willen der bürgerlichen Mehrheit der Nation vorübergehend zu unterwerfen. In Wirklichkeit treibt diese Partei heute eine nationalliberale Politik."[12]
22. Die Resolution verurteilte das Vorgehen der französischen und belgischen sozialistischen Parteien als "ebenso verwerflich"[13]. Sie stellte dann die tragischen Ereignisse des August 1914 in den notwendigen politischen und historischen Zusammenhang:
"Der Verrat am Sozialismus, den die Mehrheit der Führer der II. Internationale (1889-1914) beging, bedeutet den ideologischen und politischen Zusammenbruch dieser Internationale. Die Hauptursache dieses Zusammenbruchs ist darin zu suchen, dass in ihr faktisch der kleinbürgerliche Opportunismus überwiegt, auf dessen bürgerlichen Charakter und auf dessen Gefährlichkeit die besten Vertreter des revolutionären Proletariats in allen Ländern schon seit langem hingewiesen haben. Die Opportunisten haben den Zusammenbruch der II. Internationale seit langem vorbereitet, indem sie die sozialistische Revolution verneinten und sie durch den bürgerlichen Reformismus ersetzten; indem sie den Klassenkampf und seinen zu bestimmten Zeitpunkten notwendigen Umschlag in den Bürgerkrieg leugneten und die Zusammenarbeit der Klassen predigten; indem sie unter der Flagge des Patriotismus und der Vaterlandsverteidigung den bürgerlichen Chauvinismus predigten und die bereits im Kommunistischen Manifest dargelegte Grundwahrheit des Sozialismus, dass die Arbeiter kein Vaterland haben, ignorierten oder bestritten; indem sie sich im Kampf gegen den Militarismus auf einen spießbürgerlich-sentimentalen Standpunkt beschränkten, anstatt anzuerkennen, dass die Proletarier aller Länder gegen die Bourgeoisie aller Länder einen revolutionären Krieg führen müssen; indem sie aus der notwendigen Ausnutzung des bürgerlichen Parlamentarismus und der bürgerlichen Legalität einen Fetischkult dieser Legalität machten und die unumgängliche Pflicht, in Krisenzeiten illegale Formen der Organisation und Agitation zu schaffen, der Vergessenheit preisgaben."[14]
23. Lenin beharrte darauf, dass die Kapitulation der Zweiten Internationale das Ende dieser Organisation als Instrument des revolutionären Kampfs bedeute. Es war daher notwendig, mit dem Aufbau einer neuen, der Dritten Internationale, zu beginnen. Diese neue Internationale müsste sich auf einen kompromisslosen Kampf gegen den Opportunismus gründen, der sich 1914 als Agentur des Imperialismus in der internationalen Arbeiterbewegung erwiesen habe. Lenin wandte sich gegen alle Erklärungen, die den Zusammenbruch der Zweiten Internationale als Ergebnis individueller Fehler und Schwächen zu verharmlosen suchten. "Auf jeden Fall" schrieb Lenin, "ist es unsinnig, die Frage nach dem Kampf der Richtungen und dem Wechsel der Epochen der Arbeiterbewegung durch die Frage nach der Rolle einzelner Personen zu ersetzen"[15]. Wie Lenin vorhersah, beschleunigte die Spaltung zwischen Marxismus und Opportunismus eine grundlegende Neugruppierung der Arbeiterbewegung zwischen nationalistischen Chauvinisten und internationalistischen Strömungen, die sich in allen Ländern vollzog. Aus dieser Spaltung sollten später die neuen Kommunistischen Parteien hervorgehen.
24. Der Erste Weltkrieg hatte tiefe Ursachen in der Entwicklung des Kapitalismus, insbesondere in dem Widerspruch zwischen der zunehmend globalisierten Wirtschaft und dem kapitalistischen Nationalstaatensystem. Trotzki schrieb 1915: "Der Kern des gegenwärtigen Krieges ist der Aufruhr der Produktivkräfte, die den Kapitalismus erzeugten, gegen ihre nationalstaatliche Ausbeutungsform... Der Krieg von 1914 bedeutet vor allem die Zertrümmerung des nationalen Staates als eines selbständigen Wirtschaftsgebietes... Der Krieg von 1914 ist der größte Zusammenbruch eines an seinen eigenen Widersprüchen zugrunde gehenden ökonomischen Systems, den die Geschichte kennt"[16]. Dies bedeutete gleichzeitig, dass die alten sozialdemokratischen Parteien, die in einer Periode des kolossalen Wachstums der Nationalwirtschaften entstanden waren, durch den Zusammenbruch der vertrauten Bedingungen, unter denen sich ihre politische Routine während mehrerer Jahrzehnte herausgebildet hatten, in ihren Grundfesten erschüttert wurden. Die formale theoretische und rhetorische Verteidigung der revolutionären Perspektive war mit einer überwiegend reformistischen Praxis sorgsam ausbalanciert worden. Aber die veränderten Bedingungen machten die Fortsetzung der doppelten theoretischen und politischen Buchführung unmöglich. "In ihrem historischen Zusammenbruch ziehen die nationalen Staaten die nationalen sozialistischen Parteien mit... Wie die nationalen Staaten zu einem Hemmnis für die Entwicklung der Produktivkräfte wurden, so auch die alten sozialistischen Parteien zum Haupthindernis für die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse."[17]
25. Bei der Erforschung der Ursachen des Opportunismus der Zweiten Internationale analysierte Lenin die wesentlichen ökonomischen und sozio-politischen Veränderungen in der Struktur des Weltkapitalismus, die mit der Entstehung des Imperialismus einhergingen. Er kritisierte die Formulierungen Karl Kautskys, des Theoretikers der deutschen Sozialdemokratie, der im August 1914 vor den Opportunisten kapituliert hatte. Lenin widersprach Kautskys Behauptung, der Imperialismus sei lediglich eine "bevorzugte" Politik. Er erklärte dagegen:
"Der Imperialismus ist ein besonderes historisches Stadium des Kapitalismus. Diese Besonderheit ist eine dreifache: der Imperialismus ist: 1. ein monopolistischer Kapitalismus; 2. parasitärer oder faulender Kapitalismus; 3. sterbender Kapitalismus. Die Ablösung der freien Konkurrenz durch das Monopol ist der ökonomische Grundzug, das Wesen des Imperialismus."[18]
26. Lenin wies auch Kautskys Theorie des "Ultra-Imperialismus" zurück, wonach es möglich sei, auf friedliche, nicht-gewaltsame Weise eine nicht-imperialistische Regelung der Weltwirtschaft und der Beziehungen zwischen den mächtigsten kapitalistischen Mächten zu erreichen.
"Wesentlich ist, dass Kautsky die Politik des Imperialismus von seiner Ökonomik trennt, indem er von Annexionen als der vom Finanzkapital bevorzugten Politik spricht und ihr eine angeblich mögliche andere bürgerliche Politik auf derselben Basis des Finanzkapitals entgegenstellt. Es kommt so heraus, als ob die Monopole in der Wirtschaft vereinbar wären mit einem nicht monopolitischen, nicht gewalttätigen, nicht annexionistischen Vorgehen in der Politik. Als ob die territoriale Aufteilung der Welt, die gerade in der Epoche des Finanzkapitals beendet wurde und die die Grundlage für die Eigenart der jetzigen Formen des Wettkampfs zwischen den kapitalistischen Großstaaten bildet, vereinbar wäre mit einer nicht imperialistischen Politik. Das Resultat ist eine Vertuschung, eine Abstumpfung der fundamentalsten Widersprüche des jüngsten Stadiums des Kapitalismus statt einer Enthüllung ihrer Tiefe, das Resultat ist bürgerlicher Reformismus statt Marxismus."[19]
Die Permanente Revolution bewahrheitet sich in der Russischen Revolution
27. Zwischen 1914 und 1917 sahen Lenin und Trotzki voraus, dass der imperialistische Krieg revolutionäre Erhebungen in Europa auf die Tagesordnung setzen würde. Diese Perspektive bewahrheitete sich mit dem Ausbruch der Februarrevolution, die sich durch den Krieg und die extreme Verschlimmerung der Krise der russischen Gesellschaft entwickelte. Nach dem Sturz des Zaren in der Februarrevolution von 1917 stellten sich die Menschewiki auf die Seite der bürgerlichen Provisorischen Regierung und waren gegen eine Revolution der Arbeiterklasse. Die Provisorische Regierung verteidigte die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, führte den Krieg fort und lehnte die Verteilung von Land an die Bauern ab. Lenin kehrte im April nach Russland zurück und rief die Arbeiterklasse zum Widerstand gegen die Provisorische Regierung und zur Übernahme der Macht durch die Sowjets auf. Damit gab er durch sein konkretes Handeln die Losung von der demokratischen Diktatur auf, die seit langem gültiges Programm der Bolschewiki gewesen war. Lenins Position bestätigte und unterstützte in allen wesentlichen Punkten Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, die mit außerordentlicher Präzision den tatsächlichen Verlauf der revolutionären Entwicklung vorweggenommen und theoretisch und politisch die Grundlage für Lenins entscheidende Umorientierung der Bolschewistischen Partei im April 1917 gelegt hatte. Als Lenin Trotzkis Perspektive übernahm, wurde er heftig von vielen "Alten Bolschewiki", einschließlich Stalin, angegriffen. Vor Lenins Rückkehr nach Russland im April 1917 vertrat Stalin als Herausgeber der Prawda, der Zeitung der Bolschewiki, die Position, die Provisorische Regierung kritisch zu unterstützen. Auch trat er für die Weiterführung des Kriegs ein.
28. In den Monaten vor dem Sturz der Provisorischen Regierung studierte Lenin intensiv die Schriften von Marx und Engels über den Staat. Mit dieser Arbeit antwortete er auf die Opportunisten, die sich bemühten, den Staat als eine über den Klassen stehende Instanz darzustellen, die dazu diene, die Differenzen zwischen den Klassen zu versöhnen und den Schiedsrichter zwischen ihnen zu spielen. Lenin legte großen Wert auf Engels Definition des Staates als Zwangsinstrument, das die Bourgeoisie nutzt, um ihre Herrschaft zu verteidigen und die Arbeiterklasse zu unterdrücken und auszubeuten. Diese Definition, so argumentierte Lenin, habe im 20. Jahrhundert nichts an Bedeutung eingebüßt. Im Gegenteil:
"Insbesondere aber weist der Imperialismus, weist die Epoche des Bankkapitals, die Epoche der gigantischen kapitalistischen Monopole, die Epoche des Hinüberwachsens des monopolistischen Kapitalismus in den staatsmonopolistischen Kapitalismus, eine ungewöhnliche Stärkung der Staatsmaschinerie auf, ein unerhörtes Anwachsen ihres Beamten- und Militärapparats in Verbindung mit verstärkten Repressalien gegen das Proletariat sowohl in den monarchistischen als auch in den freiesten, republikanischen Ländern."[20]
29. Im Oktober 1917, als die Bolschewiki die Mehrheit im Petersburger Sowjet gewonnen hatten, organisierten sie unter der Führung Trotzkis einen Aufstand, stürzten die Provisorische Regierung und übergaben die Macht den Sowjets. Ernsthafte historische Forschungen haben alle Behauptungen widerlegt, es habe sich bei der Oktoberrevolution um einen verschwörerischen "Putsch" gehandelt, den die Bolschewiki ohne Massenunterstützung unternommen hätten[21]. In Wirklichkeit gab es in der Arbeiterklasse von Petersburg, der russischen Hauptstadt, überwältigende Unterstützung für den Sturz des bürgerlichen Regimes. Erhebliche Widerstände gab es jedoch innerhalb der bolschewistischen Führung. Lev Kamenew und Grigori Sinowjew, die zu Lenins engsten Mitarbeitern gehörten, waren überzeugt, dass ein Aufstand in einer Katastrophe enden würde. Sie sahen unüberwindbare Hindernisse für den Sieg der Revolution voraus. Sie wiesen darauf hin, dass Kerenski, der Führer der Provisorischen Regierung, immer noch über erhebliche militärische Truppen verfüge, und dass rund um die Hauptstadt Artillerie postiert sei. Wie sich herausstellte, lagen die bolschewistischen Gegner des Aufstands mit ihrer Einschätzung weit daneben. Der Sturz der Provisorischen Regierung wurde recht leicht und ohne viel Blutvergießen bewerkstelligt. Trotzki schrieb später über die Bedeutung des Kampfs innerhalb der Bolschewistischen Partei:
"Es gibt zwei Führertypen, die die Neigung haben, die Partei aufzuhalten, und zwar in dem Moment, in dem sie den bedeutendsten Schritt vorwärts machen soll. Die einen sind geneigt, auf dem Wege der Revolution vor allem Schwierigkeiten und Hindernisse zu sehen, und betrachten jedes Moment mit der, wenn auch nicht immer bewussten Absicht, der Tat auszuweichen. Der Marxismus dient ihnen nur dazu, die Unmöglichkeit der revolutionären Tat zu begründen. In den russischen Menschewisten sehen wir diesen Typus in Reinkultur. Aber an und für sich ist dieser Typus nicht nur im Menschewismus vertreten, sondern er kommt in dem allerkritischsten Momente, auf verantwortungsvoller Stelle auch in den am meisten revolutionären Parteien zum Vorschein.
Die Vertreter des anderen Typus zeichnen sich durch ihren oberflächlich-agitatorischen Charakter aus. Diese sehen nirgends Hindernisse, solange sie nicht mit dem Kopf an die Wand stoßen. Sie setzen sich über alle Schwierigkeiten hinweg und haben eine große Geschicklichkeit, reale Hindernisse mit Hilfe gewandter Redewendungen zu umgehen. Sie bekunden in allen Fragen den größten Optimismus, der unvermeidlich in sein Gegenteil umschlägt, sobald die Stunde der entscheidenden Tat geschlagen hat. Für den ersten Typus, den kleingläubigen Revolutionär, bestehen die Schwierigkeiten der Machtergreifung nur in der Anhäufung und Vergrößerung derjenigen Schwierigkeiten, die er gewöhnt ist, sich vor seine Augen zu führen. Für den zweiten Typus, den oberflächlichen Optimisten, entstehen die Schwierigkeiten immer ganz unerwartet. In der Vorbereitungszeit ist das Verhalten der beiden verschieden, der eine ist skeptisch und man kann sich auf ihn im revolutionären Sinne nicht sehr verlassen, dafür kann der andere als der unbändige Revolutionär erscheinen. In dem entscheidenden Moment gehen beide Hand in Hand und bäumen sich gegen den Aufstand."[22]
30. Die Russische Revolution war ein Ansporn für Erhebungen auf der ganzen Welt. Die revolutionäre Regierung rief zur Beendigung des Krieges auf und veröffentlichte Geheimverträge, die die imperialistischen Bestrebungen der Kriegführenden offen legten, und rief die Arbeiter auf, sich gegen ihre Regierungen zu erheben. Die Menschewiki lehnten den Sturz der Provisorischen Regierung weiterhin kompromisslos ab, obwohl die von den Bolschewiki geführte Revolution sich großer Unterstützung erfreute. Sogar nach dem Sturz der Provisorischen Regierung wiesen die Menschewiki die Bemühungen gemäßigter Bolschewiki wie Kamenew zurück, der sie in eine sozialistische Koalitionsregierung einbinden wollte. Die Menschewiki bestanden darauf, dass ihr Preis für jegliche Zusammenarbeit mit den Bolschewiki nicht nur die Entfernung von Lenin und Trotzki aus allen Machtpositionen, sondern auch ihre Auslieferung an die Polizeibehörden sei!
31. Hätte die Bolschewistische Partei nicht die Macht erobert, wäre eine Konterrevolution die sichere Folge gewesen, das Zarenregime wäre wieder hergestellt oder eine Militärdiktatur errichtet worden. Nachdem sich die Bourgeoisie und ihre imperialistischen Unterstützer vom ersten Schock erholt hatten, zettelten sie einen Bürgerkrieg an, der das revolutionäre Regime stürzen sollte. Unter Leitung Trotzkis wurde die Rote Armee aufgebaut, um die Sowjetherrschaft gegen die Konterrevolution zu verteidigen. Trotzki erwies sich als genialer militärischer Stratege und Organisator. Sein Erfolg als Führer der Roten Armee war Ausdruck seines unvergleichlichen Verständnisses der objektiven Aufgaben, vor denen die Arbeiterklasse stand, und seiner Fähigkeit, dieses Verständnis den Massen nahe zu bringen. In einer Rede im April 1918 erklärte er:
"Die Geschichte ist keine nachsichtige, sanfte Mutter, die die Arbeiterklasse beschützt: Sie ist eine böse Stiefmutter, die die Arbeiter durch blutige Erfahrungen lehrt, wie sie ihre Ziele erreichen müssen. Die arbeitenden Menschen neigen rasch dazu, zu vergeben und zu vergessen: Schon wenn der Kampf etwas leichter geworden ist, wenn sie überhaupt etwas erreicht haben, scheint ihnen die Hauptarbeit bereits getan, und sie sind gerne bereit, großherzig zu sein, in Passivität zu verfallen, den Kampf einzustellen. Darin liegt ein Unglück für die arbeitenden Menschen. Aber die besitzenden Klassen geben niemals den Kampf auf. Ihre Erziehung hat sie gelehrt, dem Druck der arbeitenden Massen unablässig Widerstand entgegenzusetzen, und jede Passivität, Unentschlossenheit oder Schwanken unsererseits setzt unsere verwundbaren Stellen den Schlägen der besitzenden Klassen aus, so dass sie unweigerlich bei nächster Gelegenheit einen neuen Angriff auf uns starten. Die Arbeiterklasse benötigt nicht das allgemeine Vergeben, das Tolstoi predigte, sondern Härte, Unnachgiebigkeit, die felsenfeste Überzeugung, dass es ohne Kampf um jeden, auch den kleinsten Schritt vorwärts zur Verbesserung ihres Lebens, ohne unablässigen, unversöhnlich harten Kampf und ohne Organisation dieses Kampfs keine Rettung und Befreiung geben kann."[23]
32. Die Bolschewiki waren überzeugt, dass das Schicksal der russischen Revolution von der Ausdehnung der Revolution über die Grenzen Russlands hinaus abhing. Diese Auffassung wurde von den besten Repräsentanten des internationalen Sozialismus vertreten. Die Bolschewiki verteidigend, schrieb Rosa Luxemburg: "In dieser Beziehung waren Lenin und Trotzki mit ihren Freunden die ersten, die dem Weltproletariat mit gutem Beispiel vorangegangen sind, sie sind bis jetzt immer noch die einzigen, die mit Hutten ausrufen können: Ich habs gewagt!" Die Russische Revolution habe die Frage des Sozialismus aus einer rein theoretischen in eine praktische Frage verwandelt. Luxemburg betonte jedoch, dass das Schicksal der russischen Revolution vom Ergebnis des Klassenkampfs außerhalb der Grenzen Russlands abhänge. "In Russland konnte das Problem nur gestellt werden", schrieb sie. "Es konnte nicht in Russland gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem Bolschewismus."[24] Die Bourgeoisie sah in den entstehenden revolutionären Bewegungen ihre gefährlichsten Gegner. Die vereinten Kräfte des Weltimperialismus organisierten zur Unterstützung der Konterrevolution eine Intervention in Russland. In Deutschland organisierten die konterrevolutionären Kräfte im Bündnis mit der Sozialdemokratie, die durch einen Aufstand der Arbeiterklasse 1918 an die Macht gekommen war, im Januar 1919 die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts. Die Ermordung dieser beiden revolutionären Führer war die politische Antwort der deutschen (und internationalen) Bourgeoisie auf die russische Revolution. Die herrschenden Klassen hatten aus 1917 den Schluss gezogen, dass der Aufbau einer marxistischen Führung in der Arbeiterklasse um jeden Preis verhindert werden musste. Die blutigen Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben bewiesen, dass diese Lehre den herrschenden Klassen und ihren Agenten unter den Sozialdemokraten und Stalinisten als Richtschnur diente.
Die Kommunistische Internationale
33. Die Dritte, Kommunistische Internationale oder Komintern hielt in Moskau im März 1919 ihren ersten Kongress ab. Die Sowjetunion verteidigte sich noch immer gegen die konterrevolutionären Truppen, die von den Imperialisten unterstützt wurden. Im Belagerungszustand erarbeitete die Kommunistische Internationale ein Programm für die Strategie und Taktik der Weltrevolution als praktische Aufgabe, vor der die internationale Arbeiterklasse stand. Aus den tragischen Ereignissen von 1914 zog die Kommunistische Internationale die Lehre, sich auf einen kompromisslosen Kampf gegen Opportunismus und Revisionismus zu gründen, die den Untergang der Zweiten Internationale verursacht hatten. Am 30. Juli 1920 sprach Trotzki die einführenden Worte zu den Leitsätzen über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale. Diese enthielten die so genannten "21 Punkte", welche die Bedingungen für die Mitgliedschaft in der internationalen revolutionären Organisation definierten. Demnach musste jede Organisation, die sich der Komintern anschließen wollte, "regelrecht und planmäßig aus allen mehr oder weniger verantwortlichen Posten der Arbeiterbewegung... die reformistischen und Zentrumsleute entfernen", sie sei außerdem "verpflichtet, den vollen Bruch mit dem Reformismus und der Politik des Zentrums anzuerkennen".[25]
34. Trotzki erklärte, dass die Komintern als "Schule der revolutionären Strategie" gegründet wurde, die die Entwicklung neuer Kommunistischer Parteien überall auf der Welt betreuen und sich dabei auf ein Verständnis der objektiven Lage, die Ausarbeitung korrekter Taktiken und den Kampf gegen Opportunismus stützen müsse. Er schrieb: "Die Aufgabe der Arbeiterklasse in Europa und auf der ganzen Welt besteht darin, der gründlich durchdachten Strategie der Bourgeoisie ihre eigene revolutionäre Strategie entgegenzusetzen, die ebenso bis ins Detail durchdacht sein muss. Dazu muss man zuallererst verstehen, dass der Sturz der Bourgeoisie nicht automatisch, mechanisch erfolgen kann, nur weil sie von der Geschichte verdammt ist."[26]
35. Am Ende des Ersten Weltkriegs bestand unmittelbar die Möglichkeit zur Ausdehnung der Revolution. Im November 1918 führte der Ausbruch der Revolution in Deutschland rasch zur Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik. Die politische Macht fiel der SPD in die Hände, die alles daran setzte, die Revolution abzuwürgen. Im Gegensatz zur Lage in Russland achtzehn Monate zuvor gab es in Deutschland keine politisch entwickelte Partei, die durch viele Jahre unnachgiebigen Kampfes gegen Revisionismus und Zentrismus gestählt war. Die linken Gegner der SPD hatten viel zu lange gezögert, einen klaren organisatorischen Bruch mit der Sozialdemokratischen Partei zu vollziehen. Eine beträchtliche Fraktion dieser Opposition befand sich auf halbem Wege zwischen SPD und Bolschewismus. Erst Ende Dezember 1918 gründete die revolutionärste Fraktion in Deutschland, der Spartakusbund, die Kommunistische Partei. Dann brach im Januar 1919, wenig vorbereitet und ohne strategischen Plan, ein Aufstand in Berlin aus. Die SPD-Regierung mobilisierte rechtsgerichtete Freikorps, um den Aufstand niederzuschlagen, und billigte den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
36. Es folgten weitere Niederlagen der aufständischen Arbeiterklasse in ganz Europa. Im März 1921 wurde ein verfrühter und schlecht vorbereiteter Aufstand von der Staatsmacht in Deutschland niedergeworfen. Auf dem dritten Kongress der Kommunistischen Internationale intervenierten Lenin und Trotzki entschieden gegen den "Linksradikalismus". Kommunistische Parteien, so betonten sie, könnten die Macht nicht erobern, ohne zuerst die Unterstützung der Massen zu gewinnen. Eine von Lenin geschriebene Broschüre mit dem Titel Der "linke Radikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus wurde unter den Kongressdelegierten verteilt. Darin führte Lenin aus, dass die Bolschewistische Partei sich nicht nur auf den Kampf gegen den Menschewismus gründe, sondern ebenso auf den Kampf "gegen den kleinbürgerlichen Revolutionarismus, der dem Anarchismus ähnelt oder manches von ihm entlehnt, und der in allem, aber auch allem Wesentlichen von den Bedingungen und Erfordernissen des konsequenten proletarischen Klassenkampfes abweicht."[27]
37. Lenin erklärte, der Sieg der Bolschewiki wäre im Oktober 1917 nicht möglich gewesen, wenn die revolutionäre Partei nicht zuvor viele Formen politischer Kämpfe geführt und beherrscht hätte. Er wies radikale Phrasendrescherei zurück, die politische Kompromisse unter allen Umständen ablehnte, die Legitimität der Teilnahme an Wahlen oder am Parlament leugnete und es für unverzeihlich hielt, in den reaktionären Gewerkschaften zu arbeiten. Der dritte Kongress riet den Kommunistischen Parteien, sich auf eine längere Periode vorzubereiten, in der sie sich die Gefolgschaft der Arbeiterklasse erarbeiten müssten. Zu den taktischen Initiativen, die Lenin und Trotzki vorschlugen, gehörte die Forderung nach einer "Einheitsfront" der Massenorganisationen der Arbeiterklasse. Der Zweck der "Einheitsfront" bestand darin, die Verteidigung der Arbeiterklasse zu organisieren oder den Kampf für wichtige Forderungen in einer Weise aufzunehmen, dass den Massen sowohl die revolutionäre Initiative der Kommunistischen Parteien als auch die Niedertracht der Sozialdemokraten vor Augen geführt würde. Zweck der Einheitsfront war es nicht, politische Gegner zu amnestieren oder sie von Kritik auszusparen. Vielmehr sollte diese Taktik dem objektiven Bedürfnis der Arbeiterklasse nach Einheit im Kampf entsprechen und gleichzeitig ihr politisches Bewusstsein schärfen, indem ihre opportunistische Führung bloßgestellt wurde.
38. Der politische Kurswechsel durch den Dritten Kongress führte zu einem deutlichen Fortschritt. Besonders in Deutschland gewann die Kommunistische Partei erheblich an Autorität. Aber Anfang 1923 änderte sich die politische Lage dramatisch. Der katastrophale Zusammenbruch der Wirtschaft im Frühjahr, dem eine bespiellose Inflation folgte, setzte einen Prozess in Gang, der scheinbar unausweichlich zum revolutionären Sturz des bürgerlichen Staates führte. Die Mitgliedschaft der diskreditierten SPD schmolz dahin, während die der Kommunistischen Partei rasch anwuchs. Im Oktober 1923 schienen die Bedingungen für eine erfolgreiche Revolution außerordentlich günstig zu sein. Der 25. Oktober, der sechste Jahrestag der russischen Oktoberrevolution, wurde als Datum für den Aufstand festgelegt. Dann sagte der damalige Vorsitzende der KPD, Heinrich Brandler, den Aufstand im letzten Moment ab. Rasch unterdrückten die staatlichen Truppen isolierte Aufstandsbewegungen in Städten, in denen örtliche Führer nichts von der Entscheidung, den Aufstand abzusagen, erfahren hatten. So endete der deutsche Oktober statt in einer Revolution in einem politischen Fiasko.
39. Für Trotzki war das Scheitern der deutschen Revolution 1923 ein negativer Beweis für die maßgebliche politische Wahrheit, dass der subjektive Faktor der Führung in dem Moment entscheidende Bedeutung für den Kampf um die Macht erhält, wenn die objektiven Bedingungen für die Revolution vorhanden sind. Darüber hinaus konstatierte er, die historische Erfahrung habe gezeigt, dass der Übergang zum Kampf um die Macht innerhalb der revolutionären Partei ausnahmslos zu einer ernsten politischen Krise führt. Derartige Krisen haben enorme Bedeutung, und die Art und Weise, wie sie bewältigt werden, kann das Schicksal der Revolution auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus entscheiden. Trotzki schrieb:
"Die revolutionäre Partei befindet sich unter dem Druck fremder politischer Kräfte; in jeder Periode ihres Bestehens entwickelt sie andere Mittel, diesen Kräften zu widerstehen und sich ihnen entgegenzusetzen. Bei einer taktischen Neuorientierung und den damit verbundenen inneren Reibungen schwindet die Kraft, sich den zerstörenden äußeren Kräften zu widersetzen. Es besteht daher die Gefahr, dass innere Umgestaltungen der Partei, die im Hinblick auf die Notwendigkeit der taktischen Neuorientierung entstehen, über das Ziel hinauswachsen und verschiedenen Klassentendenzen als Stützpunkt dienen. Einfacher ausgedrückt: eine Partei, die mit den historischen Aufgaben ihrer Klasse nicht Schritt hält, läuft Gefahr, zum indirekten Werkzeug anderer Klassen zu werden oder wird es auch tatsächlich."[28]
Die Ursprünge des Stalinismus und die Gründung der Linken Opposition
40. Die Niederlage der deutschen Revolution 1923 trug dazu bei, die konservativen Strömungen zu stärken, die sich innerhalb des Sowjetstaats und der Parteibürokratie entwickelten. Diese Strömungen waren verstärkt aufgetreten, nachdem das Sowjetregime im Frühjahr 1921 die Neue Ökonomische Politik (NEP) eingeführt hatte. Die NEP ließ eine Wiederbelebung des kapitalistischen Marktes zu und machte bedeutende wirtschaftliche Zugeständnisse an kapitalistische Schichten in den Städten und auf dem Lande. Zweck dieser Zugeständnisse war es, die wirtschaftlichen Aktivitäten wiederzubeleben, die durch Revolutions- und Kriegsjahre weitgehend zum Erliegen gekommen waren. Während Lenin und Trotzki gehofft hatten, die Periode der Neuen Ökonomischen Politik würde von relativ kurzer Dauer sein - und der Sowjetunion helfen, die Zeit zu überbrücken, bis erneut international revolutionäre Kämpfe ausbrächen -, stärkte diese Politik konservative soziale Kräfte und veränderte die wirtschaftliche und politische Dynamik des sowjetischen Lebens. Diese Prozesse fanden ihren Widerhall in der Bolschewistischen Partei und untergruben Trotzkis Stellung in der Führung. In der herrschenden Schicht und der rasch wachsenden Partei- und Staatsbürokratie machten sich eine konservative Haltung und Selbstzufriedenheit breit, die immer offener politischen Ausdruck fand. Wie sich Trotzki in seiner Autobiografie erinnerte:
"Aber doch nicht immer und nicht alles nur für die Revolution, man muss auch an sich denken - diese Stimmung wurde übersetzt mit: Nieder mit der permanenten Revolution. Der Widerstand gegen die theoretischen Ansprüche des Marxismus und die politischen Ansprüche der Revolution nahm für diese Menschen allmählich die Form des Kampfes gegen den Trotzkismus an. Unter dieser Flagge vollzog sich die Entfesselung des Kleinbürgers im Bolschewik. Darin eben bestand mein Verlust der Macht, und das ergab die Form, in der dieser Verlust erfolgte."[29]
41. Die Angriffe auf Trotzki und die Theorie der Permanenten Revolution - die mit der Lüge begannen, "Trotzki unterschätzt die Bauernschaft" - waren die politische Widerspiegelung der Feindschaft der Staats- und Parteibürokratie gegen das internationalistische Programm der Oktoberrevolution. Die wachsende politische Macht Stalins und die bürokratische Diktatur, die mit seinem Namen verbunden ist, war kein unvermeidliches Ergebnis der sozialistischen Revolution, sondern entwickelte sich aus den besonderen Widersprüchen eines Arbeiterstaates, der in einem rückständigen Land entstanden und durch das Scheitern der internationalen Revolution isoliert geblieben war. Die vom zaristischen Russland ererbte wirtschaftliche Rückständigkeit wurde durch die verheerenden Folgen von sieben Jahren imperialistischen Krieges (1914-17) und Bürgerkrieges (1918-21) verschärft. Diese Bedingungen bedeuteten eine enorme Belastung für den Aufbau der Sowjetwirtschaft. Auch hatte der Bürgerkrieg von der Arbeiterklasse und der Bolschewistischen Partei selbst einen enormen Tribut an Menschenleben gefordert. Zehntausende klassenbewusste Arbeiter, die hauptsächlich die Machteroberung der Bolschewiki unterstützt hatten, waren getötet worden. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Degeneration der Bolschewistischen Partei war die Einbindung eines großen Teils ihrer Kader in die wuchernde Staats- und Parteibürokratie. Langjährige Revolutionäre wurden zu Verwaltungsbeamten, und diese Veränderung wirkte sich mit der Zeit auf ihre politische Orientierung aus. Hinzu kam, dass die Nachfrage des neuen Staates nach ausgebildeten Verwaltungskräften die Rekrutierung vieler Menschen mit sich brachte, die in der Bürokratie des alten Regimes gearbeitet hatten. Diese Veränderungen in der staatlichen Struktur, der sozialen Funktion vieler "Altbolschewiki" und der generellen Lage der Arbeiterklasse fanden schließlich einen politischen Ausdruck.
42. Wie Trotzki erklärte, war der aus Revolution und Bürgerkrieg hervorgegangene Sowjetstaat ein höchst widersprüchliches Phänomen. Als Produkt einer wirklichen Revolution der Arbeiterklasse, die die alte staatliche Struktur zerschlagen und die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse weitgehend abgeschafft hatte, gründete sich der neue Staat auf neue Eigentumsverhältnisse, die auf staatlicher Kontrolle über das Finanzwesen und dem Staatseigentum an den Produktionsmitteln beruhten. In dieser Hinsicht war das neue Regime, das aus der Oktoberrevolution hervorgegangen war, ein Arbeiterstaat. Aber es gab auch eine andere Seite: Bedingt durch den niedrigen Stand der Produktivkräfte und des vorherrschenden "allgemeinen Mangels" war dieser neue Staat durch eine bürgerliche - d.h. ungleiche - Verteilung der Güter geprägt. Dieser grundlegende Widerspruch zwischen der sozialistischen Form der Eigentumsverhältnisse und der bürgerlichen Form der Verteilung verlieh dem Sowjetregime seine besondere und zunehmend repressive Gestalt.
43. Trotzki und seine Anhänger - darunter viele der wichtigsten Führer der russischen Revolution - bildeten 1923 die Linke Opposition, um die Politik der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion zu reformieren und für eine richtige Linie in der Kommunistischen Internationale zu kämpfen. Anhänger der Linken Opposition prangerten den Verfall der innerparteilichen Demokratie an und befürworteten eine Wirtschaftspolitik, die ein größeres Gewicht auf die Entwicklung der staatlichen Industrie legte, um die sozialistische Planung zu stärken und die Preise für Industriegüter zu senken. Die Stalin-Fraktion dagegen trieb die Marktliberalisierung voran, wobei sie die Bedürfnisse der besser gestellten Bauernschaft (Kulaken) im Auge hatte, und begrenzte die Entwicklung des staatlichen Sektors und der wirtschaftlichen Planung. Mit Lenins Erkrankung und seinem Tod im Januar 1924 nahm der Einfluss der von Stalin geführten Fraktion zu. In seinen letzten schriftlichen Äußerungen hatte Lenin vor der wachsenden Bürokratisierung der Kommunistischen Partei gewarnt und die Ablösung Stalins als Generalsekretär gefordert.
Die Folgen der Politik des "Sozialismus in einem Land"
44. Trotzki und die Linke Opposition kämpften für die Einführung einer richtigen Wirtschaftspolitik in der Sowjetunion, aber sie beharrten vor allem darauf, dass das Schicksal des revolutionären Regimes von der Ausdehnung der Revolution über die Grenzen der UdSSR hinaus abhinge. Ohne den Sieg der Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Europas und in Nordamerika könne der Sowjetstaat nicht überleben. Dies war die wesentliche Frage, um die sich der Konflikt zwischen der Linken Opposition und der stalinistischen Bürokratie drehte. 1924 behauptete Stalin, unterstützt von Bucharin, der Sozialismus könne in der UdSSR auf nationaler Grundlage aufgebaut werden. Die Verkündung der Theorie des "Sozialismus in einem Land" stellte einen Fundamentalangriff auf einen wesentlichen Grundsatz der marxistischen Theorie und der Perspektive der Weltrevolution dar, auf die sich die Oktoberrevolution gegründet hatte. Sie bezeichnete einen Wendepunkt in der Geschichte der UdSSR: Die Bürokratie koppelte die Politik der Sowjetunion vom Schicksal der Weltrevolution ab. Die materiellen Interessen der Bürokratie fanden ihren Ausdruck im Programm des "nationalen Sozialismus". Insofern das staatliche Eigentum die Quelle für das Einkommen und die Privilegien der Bürokratie war, diente eine im Wesen defensive national orientierte Politik den Interessen des stalinistischen Regimes. Im Bereich der Außenpolitik ersetzten opportunistische Bewertungen des "nationalen Interesses" eine prinzipielle, internationalistische revolutionäre Ausrichtung. Das stalinistische Regime verwandelte die Kommunistische Internationale in ein Instrument für eine nationalistische sowjetische Außenpolitik. Das Sowjetregime benutzte die nationalen Kommunistischen Parteien als Mittel, um Druck auf die bürgerlichen Regierungen auszuüben. Dies war der Ursprung der Klassenzusammenarbeit, die schließlich die stalinistischen Parteien in Instrumente der Konterrevolution verwandelte.
45. Die Folgen der Wende in der sowjetischen Politik auf internationaler Ebene zeigten sich in der Niederlage des Generalstreiks in Großbritannien im Mai 1926. Stalin bemühte sich um die Sympathie der nationalen Führung der britischen Gewerkschaften und wies die britische Kommunistische Partei an, den Vorstand des Gewerkschaftsdachverbands Trades Union Congress (TUC), der von der Bürokratie kontrolliert wurde, bei der Mobilisierung für und während des Generalstreiks unkritisch zu unterstützen. Dadurch war die Arbeiterklasse auf den Verrat des Generalstreiks durch den TUC nicht vorbereitet.
46. Es folgten noch größere Katastrophen. Die Sowjetbürokratie nahm die Theorie der Permanenten Revolution unter Beschuss und griff die menschewistische Zwei-Stufen-Theorie der Revolution in Ländern mit einer verzögerten kapitalistischen Entwicklung wieder auf. In den Jahren von 1925 bis 1927 befahl Stalin der Kommunistischen Partei Chinas, die bürgerliche Bewegung der Kuomintang zu unterstützen, was mit der Theorie des "Blocks der vier Klassen" gegen den Imperialismus begründet wurde. Trotzki widersprach dieser Politik der Klassenzusammenarbeit energisch und warnte vor ihren katastrophalen Folgen für die sozialistische Revolution in China. Die Tatsache, dass China vom Imperialismus unterdrückt war, bedeutete keine Abschwächung des Konflikts zwischen der chinesischen Bourgeoisie und der Arbeiterklasse. In Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall. Wie Trotzki schrieb:
"Die gewaltige Bedeutung des ausländischen Kapitals für das Leben Chinas hat dazu geführt, dass mächtige Schichten der chinesischen Bourgeoisie, der Bürokratie und des Militärs ihr Schicksal mit dem des Imperialismus verbunden haben. Ohne diese Verbindung wäre der gewaltige Einfluss der so genannten Militärmachthaber auf das Leben Chinas in letzter Zeit undenkbar. Außerdem wäre es schlicht naiv zu glauben, es läge ein Abgrund zwischen der so genannten Kompradoren-Bourgeoisie, d.h. der ökonomischen und politischen Agentur des ausländischen Kapitals in China, und der so genannten nationalen Bourgeoisie. Diese beiden Schichten stehen einander ungleich näher als die Bourgeoisie den Arbeiter- und Bauernmassen... Es ist ein grober Fehler zu glauben, der Imperialismus schweiße alle Klassen Chinas mechanisch von außen zusammen... Der revolutionäre Kampf gegen den Imperialismus schwächt nicht die Entwicklung der Klassengegensätze, sondern verschärft sie."[30]
47. Trotzkis Warnungen bestätigten sich. Im April 1927 verübten militärische Einheiten der Kuomintang unter der Führung Tschiang Kai-Scheks ein Massaker an der Arbeiterklasse in Schanghai. Ein großer Teil der Führung der chinesischen Kommunistischen Partei wurde von bürgerlich-nationalistischen Kräften umgebracht. Nach dem April 1927 wurde die KP Chinas angewiesen, sich dem "linken" Flügel der Kuomintang unter Wang Tsching-Wei anzuschließen. Aber der "linke" Wang Tsching-Wei verübte an der Arbeiter- und Bauernbewegung ein nicht minder brutales Massaker als Tschiang Kai-Schek. Im August 1927 dann, nachdem die Kommunistische Partei nahezu vollständig demoralisiert und in Auflösung begriffen war, verlangte die Komintern den sofortigen Übergang zum bewaffneten Aufstand. Ein Versuch, diese Politik in Kanton umzusetzen, wurde in nur drei Tagen in Blut ertränkt. Diese katastrophalen Niederlagen, die so weit reichende Auswirkungen auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sollten, bedeuteten das Ende der chinesischen KP als einer Massenpartei der chinesischen Arbeiterklasse. Um den Folgen dieses durch Stalins Politik angerichteten Desasters zu entfliehen, zogen sich die überlebenden KP-Führer einschließlich Mao Zedongs aufs Land zurück und gründeten die Kommunistische Partei neu als eine Organisation, die sich auf die Bauernschaft stützte. Die spätere Geschichte Chinas - bis hin zu seiner heutigen Form als Bastion der räuberischsten Form der kapitalistischen Ausbeutung - kann man nur verstehen, wenn man sich auf Trotzkis Kritik an Stalins "Block der vier Klassen" und der nachfolgenden Tragödie von 1927 stützt.
Der Ausschluss Trotzkis
48. Mit den Niederlagen in Großbritannien und China schwand das Vertrauen der sowjetischen Arbeiterklasse in die Revolution. Dies gab wiederum dem Konservatismus der Bürokratie Auftrieb und verstärkte deren Entfremdung von der Arbeiterklasse. Die Macht in der Sowjetunion konzentrierte sich in den Händen der bürokratischen Clique, an deren Spitze Stalin stand. 1926 vereinigte sich die Linke Opposition für kurze Zeit mit Kamenew und Sinowjew zur Vereinigten Opposition. Im Zeitraum Juli bis Oktober 1926 wurden Kamenew und Trotzki aus dem Politbüro ausgeschlossen, und im November 1927 wurden Trotzki und Sinowjew aus der Russischen Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Im Dezember wurden auch alle Anhänger der Linken Opposition ausgeschlossen. Während Kamenew und Sinowjew später vor Stalin kapitulierten und wieder in die Kommunistische Partei eintraten, wurde Trotzki im Januar 1928 nach Alma Ata verbannt und im Februar 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen.
49. Von Beginn seines Exils an beharrte Trotzki darauf, dass alle Differenzen zwischen der stalinistischen Fraktion und der Linken Opposition auf zwei unversöhnlichen Auffassungen von Sozialismus beruhten. Die Stalinisten gingen von der Möglichkeit aus, auf der Grundlage der russischen Ressourcen eine national isolierte sozialistische Gesellschaft zu schaffen, während die Linke Opposition darauf bestand, dass das Schicksal des Arbeiterstaates und seine Weiterentwicklung zum Sozialismus untrennbar mit der Entwicklung der sozialistischen Weltrevolution verbunden waren. 1930 fasste Trotzki in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe seiner zwei Jahre zuvor geschriebenen Broschüre Die Permanente Revolution die wesentliche Frage so zusammen:
"Der Marxismus geht von der Weltwirtschaft aus nicht als einer Summe nationaler Teile, sondern als einer gewaltigen, selbständigen Realität, die durch die internationale Arbeitsteilung und den Weltmarkt geschaffen wurde und in der gegenwärtigen Epoche über die nationalen Märkte herrscht. Die Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft sind längst über die nationalen Grenzen hinausgewachsen. Der imperialistische Krieg war eine der Äußerungen dieser Tatsache. Die sozialistische Gesellschaft muss in produktionstechnischer Hinsicht im Vergleich zu der kapitalistischen Gesellschaft ein höheres Stadium darstellen. Sich das Ziel zu stecken, eine national isolierte sozialistische Gesellschaft aufzubauen, bedeutet, trotz aller vorübergehenden Erfolge, die Produktivkräfte, sogar im Vergleich zum Kapitalismus, zurückzerren zu wollen. Der Versuch, unabhängig von den geographischen, kulturellen und historischen Bedingungen der Entwicklung des Landes, das einen Teil der Weltgesamtheit darstellt, eine in sich selbst abgeschlossene Proportionalität aller Wirtschaftszweige in nationalem Rahmen zu verwirklichen, bedeutet, einer reaktionären Utopie nachzujagen."[31]
50. Trotzkis Kritik an Stalins nationaler sozialistischer Perspektive hatte politische Bedeutung über die Probleme der Politik der Sowjetunion hinaus. Es ging um die grundlegendsten Fragen der globalen Perspektive und strategischen Aufgaben der internationalen Arbeiterklasse in der Epoche des Imperialismus. Eine internationale Strategie war für die Arbeiterklasse in einem fortgeschrittenen kapitalistischen Land nicht weniger entscheidend als für die Arbeiterklasse Russlands. Trotzki schrieb:
"Der Abschluss einer sozialistischen Revolution ist im nationalen Rahmen undenkbar. Eine grundlegende Ursache für die Krise der bürgerlichen Gesellschaft besteht darin, dass die von dieser Gesellschaft geschaffenen Produktivkräfte sich mit dem Rahmen des nationalen Staates nicht vertragen. Daraus ergeben sich einerseits die imperialistischen Kriege, andererseits die Utopie der bürgerlichen Vereinigten Staaten von Europa. Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: sie findet ihren Abschluss nicht vor dem endgültigen Siege der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten."[32]
Die frühen Kämpfe der internationalen Linken Opposition
51. Die Linke Opposition fand außerhalb der russischen Kommunistischen Partei Resonanz. Ein Durchbruch erfolgte, als Trotzkis Kritik des Programmentwurfs für die Kommunistische Internationale, die dieser für den Sechsten Kongress im Jahre 1928 vorbereitet hatte, durch einen glücklichen Zufall in die Hände von James P. Cannon fiel, einem langjährigen Revolutionär und Gründungsmitglied der amerikanischen Kommunistischen Partei. Nachdem sie das Dokument studiert hatten, beschlossen Cannon und der kanadische Revolutionär Maurice Spector, sich für Trotzkis Positionen einzusetzen. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten nahm Cannon mit Unterstützung von Max Shachtman und Martin Abern den Kampf für die Positionen der Linken Opposition in der Kommunistischen Partei auf. Eine Stellungnahme von Cannon, Shachtman und Abern wurde auf einem Treffen des Politischen Komitees der Kommunistischen Partei am 27. Oktober 1928 vorgelegt. Darin heißt es:
"Die Versuche, das Fundament der marxistisch-leninistischen Lehre durch die hohle Theorie des Sozialismus in einem Land zu revidieren, sind von der Opposition unter Führung Trotzkis zu Recht bekämpft worden. Diese falsche Theorie war der Ausgangspunkt einer Reihe revisionistischer und opportunistischer Fehler auf verschiedenen Gebieten der Tätigkeit der Komintern und in ihrer ideologischen Arbeit im allgemeinen. Die falsche Linie in der Frage der chinesischen Revolution, das Debakel des Anglo-Russischen Komitees, das beunruhigende und beispiellose Wuchern des Bürokratismus in der Komintern, eine falsche Haltung und Politik in der Sowjetunion, etc, etc., all dies kann wenigstens teilweise darauf zurückgeführt werden. Diese neue Theorie hängt damit zusammen, dass die Robustheit und Dauer der zeitweiligen Stabilisierung des Kapitalismus überschätzt wird. Das ist die wirkliche Quelle des Pessimismus in der Beurteilung der Entwicklung der proletarischen Weltrevolution. Zu den Hauptpflichten jedes Kommunisten in jeder Partei der Komintern gehört, gemeinsam mit der Opposition für die Lehren von Marx, Engels und Lenin in dieser grundlegenden Frage einzutreten."[33]
52. Noch auf der gleichen Sitzung des Politischen Komitees wurde Cannon aus der Partei ausgeschlossen. Er gründete daraufhin die Communist League of America. Damit nahm die trotzkistische Bewegung in den Vereinigten Staaten, die in der internationalen trotzkistischen Bewegung solch eine wichtige Rolle spielen sollte, ihre Arbeit auf einer prinzipiellen Grundlage auf. Ihr Ausgangspunkt war nicht ein Streit über organisatorische Fragen oder die nationale Taktik, sondern vielmehr über die entscheidende Frage der internationalen revolutionären Strategie. Das Dokument, das Cannon inspirierte, Trotzkis Kritik des Programmentwurfs für die Kommunistische Internationale, richtete sich umfassend gegen die nationalistische Orientierung der Stalinschen Führung und ihre Unfähigkeit, die strategischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse seit der Oktoberrevolution von 1917 auszuwerten. In seiner Einschätzung zur weltweiten politischen und wirtschaftlichen Lage kritisierte Trotzki, dass in dem Perspektivdokument eine Analyse der Bedeutung des amerikanischen Imperialismus fehle. Trotzki hob die stürmischen Folgen hervor, die es haben musste, wenn der amerikanische Imperialismus seine Vorherrschaft durchsetzen und aufrechterhalten würde. Er erwartete zwar eine schwere Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten, meinte aber, dass dies die dominante Stellung Amerikas in der Weltpolitik nicht mindern werde.
"Genau das Gegenteil trifft zu. Während der Krise wird sich die Hegemonie der Vereinigten Staaten noch viel vollständiger, offener, schärfer und rücksichtsloser auswirken als während der Aufstiegsperiode. Die Vereinigten Staaten werden versuchen, ihre Schwierigkeiten und Krankheiten vorwiegend auf Kosten Europas zu bekämpfen und zu überwinden, ganz gleich, ob in Asien, Kanada, Südamerika, Australien oder Europa selbst, oder ob auf friedlichem oder kriegerischem Wege."[34]
53. Mit dem Börsenkrach an der Wall Street im Oktober 1929 begann eine weltweite Depression, die den Kapitalismus in die größte Krise seiner Geschichte stürzte. Grade mal ein gutes Jahrzehnt nach Ende des Ersten Weltkriegs stellten die Große Depression der 1930er Jahre und die daraus entspringenden blutigen sozialen und politischen Unruhen eine weitere, gründliche Widerlegung der selbstzufriedenen Haltung aller Revisionisten und Reformisten dar. Der Kapitalismus war durch seine eigenen Widersprüche in Europa, Asien und Nordamerika an den Rand des Zusammenbruchs geraten. Dass er diese Unruhen überlebte, wenn auch auf Kosten einer unvorstellbaren Zahl an Menschenleben, war in erster Linie den bewussten politischen Verrätereien der Arbeitermassenorganisationen zu verdanken, die wiederum vor allem von den Stalinisten und Sozialdemokraten geführt wurden. Die Vierte Internationale entstand auf der Grundlage des Kampfes, den Trotzki gegen diese Verrätereien führte. Die Geschichte dieser Auseinandersetzungen und die Lehren daraus stellen bis heute die wesentliche historische, theoretische und politische Grundlage für die Ausbildung von Marxisten dar.
54. Nach seiner Ankunft in der Türkei 1929 setzte Trotzki sich weiterhin für eine richtige Politik in der Sowjetunion ein und forderte ein geplantes und rationelles Industrialisierungsprogramm. Das Ziel der Internationalen Linken Opposition bestand nach wie vor in der politischen Reform des Regimes in der Sowjetunion und der Rückkehr der Kommunistischen Internationale zu einer korrekten revolutionären Linie auf Grundlage marxistischer Prinzipien. Angesichts einer Massenhungersnot, die durch das Zurückhalten von Getreide von Seiten der Bauern ausgelöst worden war, wandte sich die stalinistische Bürokratie in den späten 1920er Jahren von der zuvor besonders bevorzugten Bauernschaft ab und ließ ihre Marktpolitik fallen. Stattdessen begann sie ein brutales und undurchdachtes Programm der Industrialisierung, der Kollektivierung der Landwirtschaft und die "Vernichtung der Kulaken als Klasse". Ihr Programm der raschen Industrialisierung, gegründet auf Wirtschaftsnationalismus und nationale Autarkie, ließ sich nicht ernsthaft mit dem Vorschlag Trotzkis vergleichen, der eine planmäßige staatliche Industrieentwicklung unter Ausnützung der Ressourcen der Weltwirtschaft und im Rahmen internationaler Arbeitsteilung vorsah. Ultralinke Schwankungen in der Innenpolitik wurden von einer scharfen Wende in der Komintern begleitet, die sich, gestützt auf die Theorie der "Dritten Periode", dem sektiererischen politischen Abenteurertum zuwandte. Die politische Perspektive, die diese "Theorie" - oder vielmehr Anti-Theorie - vertrat, ging von einer ständigen "Radikalisierung der Massen" aus, frei von allen Widersprüchen und offenbar ohne Beziehung zu objektiven wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Alle Probleme der politischen Strategie und Taktik wurden von den Stalinisten auf das einfache Herausbrüllen radikaler Parolen reduziert. Wie Trotzki warnend erklärte, kam diese stalinistische Hypothese der Karikatur einer marxistischen Analyse gleich. So schrieb er:
"Vom Standpunkt unserer Epoche als Ganzes geht die Entwicklung des Proletariats natürlich in revolutionärer Richtung. Es handelt sich aber nicht um eine gleichmäßige Entwicklung, wie auch der objektive Prozess der Vertiefung kapitalistischer Widersprüche nicht gleichmäßig verläuft. Die Reformisten überblicken nur die Aufschwünge, die formalen Revolutionäre nur die Abwärtsbewegung. Aber ein Marxist sieht den Verlauf als Ganzes, alle seine konjunkturellen Aufs und Abs, ohne einen Moment lang die Hauptrichtung - die Kriegskatastrophen und den Ausbruch von Revolutionen - aus den Augen zu verlieren."[35]
Der Sieg des Faschismus in Deutschland
55. Gemäß der Politik der "Dritten Periode" wurden die Kommunistischen Parteien angewiesen, ihre Anpassung an die Gewerkschaften, sozialdemokratischen Parteien und bürgerlichen Nationalisten zugunsten eines ultralinken Programms aufzugeben, dass die Gründung von "roten" Gewerkschaften und eine Ablehnung der Einheitsfronttaktik beinhaltete. An Stelle der Einheitsfronttaktik bezeichnete man die sozialdemokratischen Parteien nunmehr als "Sozialfaschisten".
56. Die neue Politik der Komintern hatte katastrophale Folgen in Deutschland, wo der Aufstieg des Faschismus eine tödliche Gefahr für die sozialistische Bewegung darstellte. Der Faschismus war eine Bewegung des demoralisierten Kleinbürgertums, das von der Wirtschaftskrise schwer gebeutelt war und sich zwischen den beiden Hauptklassen eingekeilt fand, der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse. Die Niederlagen der sozialistischen Bewegung hatten große Teile des Kleinbürgertums davon überzeugt, dass die Arbeiterklasse nicht die Lösung sondern die Wurzel ihrer Probleme sei. Die deutsche Bourgeoisie nutzte die Faschisten, um die Arbeiterorganisationen zu zerschlagen und die Arbeiterklasse zu atomisieren. Der Sieg von Hitlers Nazipartei im Januar 1933 war nur durch das Zusammenspiel der Verrätereien von Sozialdemokratie und Stalinismus möglich. Die Sozialdemokraten vertrauten auf die Weimarer Republik, die sich längst in Auflösung befand, und fesselten die Arbeiterklasse an den kapitalistischen Staat. Die stalinistische Politik des "Sozialfaschismus" - nach der es sich bei der SPD und Hitlers Partei um "Zwillinge" handelte - verbot alle Formen der Zusammenarbeit zwischen der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratie, und sei es auch nur zu Verteidigungszwecken. Sie raubte der Kommunistischen Partei jede Möglichkeit, das Vertrauen von Arbeitern zu gewinnen, die immer noch loyal zur SPD standen. Als die Führung der Kommunistischen Partei die kriminelle Parole "Nach Hitler kommen wir" ausgab, warnte Trotzki im Dezember 1931: "Arbeiter-Kommunisten, Ihr seid Hunderttausende, Millionen; ihr könnt nirgends hinfahren, für euch gibt es nicht genug Reisepässe. Wenn der Faschismus zur Macht gelangt, wird er wie ein furchtbarer Panzer über eure Schädel und Wirbelsäulen hinwegrollen. Rettung liegt nur in unbarmherzigem Kampf. Und Sieg im Kampf kann nur das Bündnis mit den sozialdemokratischen Arbeitern bringen. Eilt, Arbeiter-Kommunisten, es bleibt euch wenig Zeit"[36] Diese Warnung bestätigte sich auf tragische Weise, als Hitler 1933 an die Macht kam, die Führung der Arbeiterklasse verhaften und hinrichten ließ und die unabhängigen Arbeiterorganisationen zerschlug.
57. Der Sieg des Faschismus in Deutschland markierte einen entscheidenden Punkt im Niedergang der Kommunistischen Parteien. Trotz des ungeheuren Ausmaßes der Niederlage in Deutschland gab es in den Parteien der Kommunistischen Internationale keine Opposition. Trotzki reagierte darauf mit dem Aufruf zur Gründung neuer Parteien und einer neuen Internationale. "Die Moskauer Leitung erklärte nicht nur die Politik, die Hitlers Sieg gesichert hatte, für fehlerfrei, sondern verbot, über das Geschehene zu diskutieren", schrieb Trotzki im Juli 1933. "Und diese schmachvolle Verteidigung wurde weder zurückgewiesen, noch auch nur angegriffen. Kein nationaler Kongress, kein internationaler Kongress, keine Diskussion in den Parteiversammlungen, keine Polemik in der Presse! Eine Organisation, die der Donner des Faschismus nicht geweckt hat, und die demütig derartige Entgleisungen von Seiten der Bürokratie unterstützt, zeigt, dass sie tot ist und nichts sie wieder beleben wird."[37] Trotzki verstand die Sowjetunion weiterhin als Arbeiterstaat, wenn auch einen, der eine weit reichende Degeneration durchlaufen hatte. Er warnte jedoch, dass das langfristige Überleben der Sowjetunion, ganz zu schweigen von ihrer Entwicklung auf sozialistischer Grundlage, vom Sturz der Bürokratie in einer politischen Revolution abhängen werde.
Die Vierte Internationale und der Kampf gegen den Zentrismus
58. Der Aufruf zur Gründung der Vierten Internationale war kein taktisches Manöver. Er stützte sich auf eine objektive Einschätzung der gesellschaftlichen und politischen Transformation, die das Sowjetregime, die Komintern und deren Beziehung zur Arbeiterklasse durchlaufen hatten. An diesem Punkt geriet Trotzki Mitte der 1930er Jahre in Konflikt mit politischen Tendenzen, die er als "Zentristen" bezeichnete. Diese Gruppen bekannten sich zwar zur sozialistischen Revolution, wandten sich aber gegen den Aufbau der Vierten Internationale. Sie hofften vielmehr eine Art Mittelweg zwischen Stalinismus und Trotzkismus, zwischen reformistischer und revolutionärer Politik zu finden.
59. Ein Zentrist, schrieb Trotzki 1934, "steht dem revolutionären Prinzip: Aussprechen, was ist, voll Widerwillen gegenüber; er neigt dazu, grundsätzliche Kritik mit persönlichem Kombinieren und kleinlicher Diplomatie zwischen Organisationen zu vertauschen." Er fügte hinzu: "Zwischen Opportunist und Marxist nimmt der Zentrist eine Stellung ein, die in gewissem Grade derjenigen entspricht, die der Kleinbürger zwischen Kapitalisten und Proletarier einnimmt: Er schmeichelt dem ersten und verachtet den zweiten." Einen weiteren Wesenszug des Zentrismus beschrieb Trotzki so: "Er begreift nicht, dass man in der heutigen Epoche die nationale revolutionäre Partei nur als Teil der internationalen Partei aufbauen kann; in der Wahl seiner internationalen Verbündeten ist er noch weniger wählerisch als im eigenen Lande."[38]
60. Als sich die Arbeiterklasse gegen die faschistische Bedrohung nach links bewegte, blockierten die zentristischen Gruppen den Aufbau einer wirklich revolutionären Partei. Die zentristischen Tendenzen - darunter die Independent Labour Party in Großbritannien, die von deutschen Emigranten geführte SAP (in der der spätere SPD-Parteichef und Kanzler Willy Brandt eine führende und verräterische Rolle spielte), die spanische POUM und andere - versuchten einen Mittelweg zwischen revolutionärer und reformistischer Politik zu finden. Hinter ihrer Behauptung, die Gründung der Vierten Internationale sei "verfrüht", stand 1) eine grundlegende Ablehnung von Trotzkis Einschätzung des stalinistischen Regimes und seiner verbündeten Parteien als konterrevolutionär und 2) eine Weigerung, entschlossen mit den opportunistischen Beziehungen zu brechen, die in ihrem jeweiligen nationalen Milieu vorherrschten.
Der Volksfront-Verrat
61. Die abwartende Haltung und Unentschlossenheit der zentristischen Tendenzen unterhöhlte den Kampf gegen den Stalinismus unter Bedingungen, wo das Sowjetregime immer offener einen konterrevolutionären Charakter annahm. Nachdem die Stalinisten sich in Deutschland gegen Trotzkis Forderung nach einer "Einheitsfront" der Arbeiterklasse gegen Hitler gewandt hatten, gingen sie nach dem Sieg der Nazis in die umgekehrte Richtung. Auf dem Siebten Kongress der Komintern im Jahre 1935 gaben sie ein neues Programm aus: die "Volksfront". Im Namen des Kampfs gegen den Faschismus und zur Verteidigung der Demokratie wurde zur Bildung von politischen Allianzen mit "demokratischen" bürgerlichen Parteien aufgerufen. Die praktische Wirkung dieser Allianzen bestand in der Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Bourgeoisie, das Privateigentum und den kapitalistischen Staat. Während sich die Volksfront für die Arbeiterklasse als katastrophal erwies, diente sie den Interessen der Sowjetbürokratie. Stalin bot an, die Kommunistischen Parteien in den verschiedenen Ländern als Mittel zur Unterdrückung des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse zu benutzen, und erhoffte sich dadurch verbesserte Beziehungen zu bürgerlichen Regimes und eine Verbesserung der diplomatischen Stellung der UdSSR. Welche begrenzten und kurzfristigen diplomatischen Vorteile auch immer auf Grundlage dieser Strategie zu gewinnen waren, so bleibt es doch eine Tatsache, dass die durch die "Volksfrontpolitik" verursachten Niederlagen der Arbeiterklasse die Sowjetunion nachhaltig schwächten.
62. Die stalinistische Politik richtete sich mittlerweile bewusst gegen die revolutionäre Machtübernahme der Arbeiterklasse. Stalin fürchtete, dass gerade in Westeuropa ein Sieg der Arbeiterklasse die revolutionäre Bewegung in der sowjetischen Arbeiterklasse erneut zum Leben erwecken würde. In den Jahren von 1936 bis 1938 beteiligten sich die Stalinisten am Abwürgen einer revolutionären Situation in Frankreich, die im Juni 1936 von einem Generalstreik ausgelöst wurde. Die Volksfrontregierung demoralisierte, unterstützt von der Kommunistischen Partei Frankreichs, die Arbeiterklasse und machte den Weg für die Kapitulation der französischen Bourgeoisie vor Hitler im Juni 1940 frei. In der Spanischen Revolution unterstützten die Stalinisten die bürgerliche Regierung von Azaña. Stalin überschwemmte Spanien mit GPU-Agenten, die revolutionäre Kräfte umbrachten und die Unterdrückung des Arbeiteraufstands in Barcelona organisierten. Sie entführten, folterten und ermordeten Andres Nin, den Führer der POUM. Die Liquidierung der POUM durch die Stalinisten wurde auf tragische Weise durch die zentristische Politik Nins erleichtert. In den Vereinigten Staaten unterstützte die Kommunistische Partei die Demokratische Partei und die Regierung von Präsident Franklin Delano Roosevelt.
63. Der Sinn der Volksfrontpolitik, die Trotzki als Allianz zwischen bürgerlichem Liberalismus und der GPU bezeichnete, war die Verteidigung des kapitalistischen Eigentums gegen die Gefahr der sozialistischen Revolution. In Reden wurde die "Demokratie" hochgehalten, um die Entwaffnung der Arbeiterklasse als unabhängige Kraft zu erleichtern, während die Klasseninteressen, denen der "demokratische" Staat diente, verschwiegen wurden. Überall da, wo die Arbeiterklasse vom Kampf um die politische Macht abgehalten wurde, war der Kampf gegen die reale Bedrohung der Demokratie auf fatale Weise eingeschränkt. Wie sich in Frankreich und Spanien zeigte, kann es ohne Kampf für den Sozialismus keine Verteidigung der Demokratie geben, und alle diese Versuche endeten im Desaster. Die Stalinisten behaupteten in Frankreich und Spanien immer wieder, eine revolutionäre Politik würde das Kleinbürgertum "erschrecken" und es in die Arme der Faschisten treiben. Daher könne die Arbeiterklasse sich die Sympathie der Mittelschichten nur erhalten, wenn sie auf sozialistische Forderungen und eine Gefährdung des Privateigentums verzichte und im Rahmen der Volksfront gemäßigte bürgerliche Politiker unterstütze. Trotzki wies diese feige und defätistische Herangehensweise entschieden zurück, in der sich vollkommenes Unverständnis für die soziale Psychologie der Mittelklassen ausdrückte:
"Es ist falsch, dreimal falsch, zu behaupten, das heutige Kleinbürgertum gehe nicht mit den Arbeiterparteien, weil es "extreme" Maßnahmen scheut. Ganz im Gegenteil. Die unteren Schichten des Kleinbürgertums, seine breiten Massen, sehen in den Arbeiterparteien nur Parlamentsmaschinen, trauen nicht der Kraft der Arbeiterparteien, ihrer Kampffähigkeit, ihrer Bereitschaft, diesmal den Kampf bis ans Ende zu führen.
Ist dem aber so, lohnt es dann, den Radikalismus durch seine linken parlamentarischen Spießgesellen zu ersetzen? So urteilt oder reagiert der halb enteignete, ruinierte und in Empörung versetzte Eigentümer. Ohne Verständnis für diese Psychologie der Bauern, Handwerker, Angestellten, kleinen Beamten usw. - eine Psychologie, die sich aus der sozialen Krise ergibt - ist es unmöglich, die richtige Politik auszuarbeiten. Das Kleinbürgertum ist wirtschaftlich abhängig und politisch zerstückelt. Es kann darum nicht selbstständig Politik machen. Es braucht einen Führer, der ihm Vertrauen einflößt. Diesen Führer, einen individuellen oder einen kollektiven, eine Person oder eine Partei, kann ihm die eine oder die andere Grundklasse liefern, entweder die Großbourgeoisie oder das Proletariat. Der Faschismus eint und bewaffnet die zerstreuten Massen: Aus menschlichem Staub schafft er Kampfabteilungen. Damit gibt er dem Kleinbürgertum die Illusion, dass es eine selbstständige Kraft sei. Es beginnt sich einzubilden, dass es wirklich den Staat kommandieren werde. Kein Wunder, wenn ihm die Hoffnungen und Illusionen zu Kopf steigen.
Aber das Kleinbürgertum kann auch das Proletariat zum Führer nehmen."[39]
64. Die Verwandlung der Komintern in ein Instrument der Sowjetbürokratie war von einer Säuberungs- und Parteiausschlusswelle begleitet, in der alle Vertreter der Tradition des revolutionären Internationalismus durch einen Vertreter des Apparats ersetzt wurden. Diese Transformation hatte 1923 begonnen und setzte sich die gesamten 1930er Jahre hindurch fort, häufig im Namen des Kampfes gegen den Trotzkismus. Zur Zeit der "Volksfrontpolitik" hatte die Komintern das Programm der Weltrevolution bereits vollkommen fallen gelassen, das Stalin selbst als "tragikomisches Missverständnis" bezeichnete. Die Komintern wurde schließlich 1943 als Geste der Stalinschen Bürokratie gegenüber den imperialistischen Alliierten aufgelöst.
Die Verratene Revolution
65. 1936 verfasste Trotzki Die Verratene Revolution, aus der sich die sozioökonomische Notwendigkeit zum Aufbau der Vierten Internationale ableitete. In diesem gewaltigen Werk beschrieb Trotzki die spezifischen Gesetzmäßigkeiten, die die Sowjetbürokratie hervorgebracht hatten, wachsen ließen und unvermeidbar auch zerstören mussten. Er weigerte sich, der Bürokratie irgendeine fortschrittliche historische Rolle zuzuschreiben. Er analysierte die Widersprüche, die die Existenz der Bürokratie als privilegierter Kaste innerhalb des Arbeiterstaates prägten, und erklärte, die Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 könnten nur durch die politische Revolution erhalten und ausgebaut werden. Die sowjetischen Arbeiter müssten die Bürokratie durch einen gewaltsamen Umsturz beseitigen und gleichzeitig die von der bolschewistischen Revolution geschaffenen verstaatlichten Eigentumsverhältnisse beibehalten und weiter entwickeln. Trotzki definierte das Sowjetregime als Übergangsregime, dessen Schicksal von der Weltrevolution abhing. Zusammenfassend stellte er fest:
"Die UdSSR ist eine zwischen Kapitalismus und Sozialismus stehende, widerspruchsvolle Gesellschaft, in der a) die Produktivkräfte noch längst nicht ausreichen, um dem staatlichen Eigentum sozialistischen Charakter zu verleihen, b) das aus Not geborene Streben nach ursprünglicher Akkumulation allenthalben durch die Poren der Planwirtschaft dringt, c) die bürgerlich bleibenden Verteilungsnormen einer neuen Differenzierung der Gesellschaft zugrunde liegen, d) der Wirtschaftsaufschwung die Lage der Werktätigen langsam bessert und die rasche Herausbildung einer privilegierten Schicht fördert, e) die Bürokratie unter Ausnutzung der sozialen Gegensätze zu einer unkontrollierten und dem Sozialismus fremden Kaste wurde, f) die von der herrschenden Partei verratene soziale Umwälzung in den Eigentumsverhältnissen und dem Bewusstsein der Werktätigen noch fortlebt, g) die Weiterentwicklung der angehäuften Gegensätze sowohl zum Sozialismus hin als auch zum Kapitalismus zurückführen kann, h) auf dem Wege zum Kapitalismus eine Konterrevolution den Widerstand der Arbeiter brechen müsste, i) auf dem Wege zum Sozialismus die Arbeiter die Bürokratie stürzen müssten. Letzten Endes wird die Frage sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene durch den Kampf der lebendigen sozialen Kräfte entschieden werden."[40]
66. Mit der als "Staatskapitalismus" bekannten Theorie ist ein Einwand gegen Trotzkis Analyse der Sowjetgesellschaft verbunden, der besagt, die Bürokratie stelle eine neue herrschende Klasse dar. Trotzki lehnte diese Theorie ab, die in all ihren Spielarten nicht in der Lage war, ihre Charakterisierung der Bürokratie als Klasse auf marxistischer Grundlage zu belegen. Für Marxisten zeichnet sich eine Klasse durch ihre unabhängigen Wurzeln in der Wirtschaftsstruktur der Gesellschaft aus. Die Existenz einer Klasse ist mit historisch einzigartigen Eigentums- und Produktionsverhältnissen verbunden, die sich wiederum in den Aktivitäten dieser gesellschaftlichen Schicht ausdrücken. Die Sowjetbürokratie stellte keine solche historische Kraft dar. Sie usurpierte die politische Macht, sie verwaltete den Staat und sie verzehrte einen beachtlichen Anteil des Wohlstands in der Sowjetunion. Aber die Eigentumsformen waren aus der Arbeiterrevolution hervorgegangen. Trotzki leugnete nicht, dass die umfassende Kontrolle über den Staat, die von der Bürokratie ausgeübt wurde, "ein neues, noch nicht dagewesenes Verhältnis zwischen der Bürokratie und den Reichtümern der Nation"[41] hervorgebracht hatte. Wenn es nicht rechtzeitig zu einer politischen Revolution käme, warnte er, könne dies "zur völligen Liquidierung der sozialen Errungenschaften der proletarischen Revolution führen"[42]. Tatsächlich geschah dies schließlich, etwa 55 Jahre nach der Veröffentlichung der Verratenen Revolution. Die Auflösung der Sowjetunion und ihre Folgen bestätigten jedoch unzweifelhaft Trotzkis Definition der Bürokratie als Kaste, nicht als Klasse. Die Zerstörung der Sowjetunion führte rasch zur Liquidierung des Staatseigentums und dessen Umwandlung in Privateigentum. Bürokraten auf hohen Posten überführten die staatlichen Industrie-, Finanz-, und Rohstoffressourcen, die sie zuvor verwaltet hatten, in ihr persönliches Vermögen. Es entstand ein Erbrecht, das es der neuen Bourgeoisie erlaubte, ihr Eigentum - das praktisch nur durch Diebstahl von Staatsvermögen zustande gekommen war - an ihre Nachkommen und Kinder weiterzugeben. Es entstand eine Börse. Die Arbeitskraft wurde zur Ware, die dem Wertgesetz unterliegt. Was von der staatlichen Planung übrig war, brach zusammen. Nicht ein einziges spezifisches gesellschaftliches Attribut, durch das die herrschende Bürokratie vielleicht zu Recht als eigenständige Klasse hätte definiert werden können, überlebte die UdSSR. Hätte vor der Auflösung der Sowjetunion wirklich "Staatskapitalismus" existiert, so wäre er, zusammen mit dem Arbeiterstaat, aber rasch verschwunden! Die "Theorie" des Staatskapitalismus trug zu einem besseren soziologischen Verständnis der Sowjetgesellschaft nichts bei und entwickelte keinerlei politische Strategie für den revolutionären Kampf gegen den Stalinismus.
67. Die stalinistische Bürokratie ermordete praktisch die gesamte Führung der Oktoberrevolution. In den Jahren von 1936 bis 1938 fanden Schauprozesse gegen langjährige bolschewistische Führer statt, unter anderem gegen Sinowjew, Kamenew, Bucharin und Radek. Diese grausamen Verfahren, in denen die Angeklagten gezwungen wurden, sich selbst zu belasten (mit dem falschen Versprechen, solche Geständnisse würden sie selbst und ihre Familien retten), endeten ausnahmslos mit der Verkündung des Todesurteils, das innerhalb weniger Stunden vollstreckt wurde. In den wenigen Fällen, in denen Gefängnisstrafen verhängt wurden - wie bei Rakowski und Radek - wurden die Angeklagten später im Geheimen ermordet. Die Prozesse waren das öffentliche Erscheinungsbild eines beispiellosen Massenmordes, der abseits der Öffentlichkeit stattfand. Hunderttausende Sozialisten, die besten Vertreter mehrerer politischer Generationen von marxistischen Intellektuellen und Arbeitern, wurden physisch vernichtet. Der faschistische Diktator Mussolini stellte mit Bewunderung fest, dass Stalins Regime weitaus mehr Kommunisten auf dem Gewissen hatte als sein eigenes! Beinahe eine Million Menschen verloren ihr Leben in der Welle konterrevolutionärer Gewalt von 1936 bis 1939. Diese Vernichtung - die im direktesten Sinne Trotzkis Charakterisierung Stalins als "Totengräber der Revolution" bestätigte - fügte dem revolutionären Bewusstsein der sowjetischen Arbeiterklasse schweren Schaden zu, von dem sich die Sowjetunion nie mehr erholte. Die Geschichte dieser unvergleichlichen Verbrechen widerlegt endgültig die Behauptung unzähliger bürgerlicher Propagandisten, der Stalinismus basiere auf dem theoretischen und politischen Erbe des Marxismus, oder gar, der Stalinismus und der Trotzkismus seien beides nur Spielarten des gleichen Marxismus. Die wahre Beziehung zwischen Stalinismus und Trotzkismus wurde wohl von Trotzki am besten charakterisiert: Er schrieb, was sie trenne, sei "ein Strom von Blut".
Die Gründung der Vierten Internationale
68. Im September 1938 fand der Gründungskongress der Vierten Internationale statt, ein Meilenstein für die sozialistische Bewegung und die internationale Arbeiterklasse. Das Gründungsdokument Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale (Das Übergangsprogramm) wurde von Trotzki verfasst und umriss die wichtigsten Aufgaben, vor denen die sozialistische Bewegung stand:
"Ohne eine sozialistische Revolution, und zwar in der nächsten geschichtlichen Periode, droht der gesamten menschlichen Kultur eine Katastrophe. Alles hängt nunmehr vom Proletariat ab, das heißt vor allem von seiner revolutionären Vorhut. Die geschichtliche Krise der Menschheit läuft auf die Krise der revolutionären Führung hinaus."[43]
69. Der einzige Ausweg aus dieser Krise der Führung bestand im Aufbau der Vierten Internationale in allen Ländern. Den Skeptikern und Zentristen, die den Aufbau einer neuen Internationale für verfrüht hielten und meinten, eine solche Organisation müsse aus "großen Ereignissen" hervorgehen, antwortete Trotzki:
"Die Vierte Internationale ist bereits aus großen Ereignissen hervorgegangen: den größten Niederlagen des Proletariats in der Geschichte. Verursacht wurden diese Niederlagen durch die Entartung und den Verrat der alten Führung. Der Klassenkampf duldet keine Unterbrechung. Die Dritte Internationale ist nach der Zweiten für die Revolution tot. Es lebe die Vierte Internationale"
Aber ist es schon an der Zeit, sie zu proklamieren? - die Skeptiker geben sich nicht zufrieden. Die Vierte Internationale, antworten wir, braucht nicht "proklamiert" zu werden. Sie besteht und kämpft. Ist sie schwach? Ja, ihre Reihen sind noch wenig zahlreich. Es sind bislang vorwiegend Kader. Aber diese Kader sind die einzigen Bürgen der Zukunft. Außer diesen Kadern gibt es auf unserem Planeten keine einzige revolutionäre Tendenz, die dieses Namens würdig wäre."[44]
70. Die weitere Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigte, dass es korrekt war, von der Vierten Internationale als einzig wahrer revolutionärer Führung auszugehen. Die strategische Aufgabe dieser Periode bestand darin, die Kluft zwischen der Reife objektiver revolutionärer Bedingungen und der mangelnden Vorbereitung des Proletariats und seiner Avantgarde zu überbrücken. Hierzu formulierte die Vierte Internationale eine Reihe von ökonomischen und politischen Forderungen - wie die gleitende Lohnskala, die Verstaatlichung von Industrie, Banken und Landwirtschaft, die Bewaffnung des Proletariats, die Bildung einer Arbeiter- und Bauernregierung - um das revolutionäre Bewusstsein der Arbeiterklasse zu entwickeln und ihre alte Führung zu diskreditieren. Die Forderungen, schrieb Trotzki, stellen eine Brücke dar "die von den heutigen Bedingungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten von Arbeitern ausgehen und stets zu ein- und demselben Schluss führen: zur Machteroberung des Proletariats"[45]. Später versuchten die revisionistischen Tendenzen, das Übergangsprogramm in ein Rezept für opportunistische Anpassung zu verwandeln, indem sie einzelne Forderungen aus ihrem revolutionären Kontext rissen und damit eher verhinderten, die Arbeiterklasse für eine sozialistische Perspektive und ein damit verbundenes Programm zu gewinnen. So benutzen sie Bruchstücke des Übergangsprogramms, um sich an das rückständige Bewusstsein der Arbeiterklasse und die stalinistische Führung anzupassen, anstatt eben jenes zu bekämpfen.
71. In Diskussionen mit Führern der amerikanischen Trotzkisten im Mai 1938 bestand Trotzki darauf, dass das Programm der revolutionären Partei von der objektiven krisenhaften Entwicklung des Weltkapitalismus ausgehen müsse und nicht von subjektiven Stimmungen und dem existierenden Bewusstseinsstand in der Arbeiterklasse. "Das Programm", betonte er, "muss eher die objektiven Aufgaben der Arbeiterklasse als die Rückständigkeit der Arbeiter ausdrücken. Es muss die Gesellschaft so widerspiegeln, wie sie ist, und nicht die Rückständigkeit der Arbeiterklasse. Es ist ein Werkzeug, die Rückständigkeit zu überwinden und zu besiegen. Deshalb müssen wir in unserem Programm die sozialen Krisen der kapitalistischen Gesellschaft, einschließlich und gerade in den Vereinigten Staaten, in ihrer ganzen Schärfe ausdrücken. Wir können die objektiven Bedingungen, die nicht von uns abhängen, nicht aufschieben oder modifizieren. Wir können nicht garantieren, dass die Massen die Krise lösen werden, aber wir müssen die Lage so ausdrücken, wie sie ist, und das ist die Aufgabe des Programms."[46]
Die Folgen der Politik des "Sozialismus in einem Land"
72. Die Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts im August 1939 und der nachfolgende Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lösten eine politische Krise in der Socialist Workers Party in den Vereinigten Staaten aus.[47] Eine politische Fraktion unter Führung von Max Shachtman, James Burnham und Martin Abern argumentierte, man könne die Sowjetunion nicht länger als Arbeiterstaat bezeichnen. Aus dieser veränderten Einschätzung zur Klassennatur des Sowjetstaats – den Burnham nun als "bürokratischen Kollektivismus" charakterisierte – ergab sich ihre Haltung, die Vierte Internationale solle im Falle eines Krieges nicht zur Verteidigung der Sowjetunion aufrufen.
73. Trotzki antwortete, die Kennzeichnung des stalinistischen Regimes als "bürokratischer Kollektivismus" – eine neue, nie da gewesene Form einer ausbeuterischen Gesellschaft, die der Marxismus nicht vorhergesehen hat – beinhalte weitreichende politische und historische Implikationen. Letztlich stelle sie die historische Umsetzbarkeit des marxistischen Projekts selbst in Frage. Die Prämisse hinter Burnhams These (die etwas später auch von Shachtman übernommen wurde) lautete, die Arbeiterklasse habe ihr Potenzial als revolutionäre Kraft erschöpft. Die Entwicklung der modernen Gesellschaft führe demnach nicht in Richtung Sozialismus, der auf Grundlage einer internationalen Arbeiterrevolution errungen wird. Vielmehr entstünde eine Form des "bürokratischen Kollektivismus", in dem die Gesellschaft von einer Verwaltungselite kontrolliert und geführt werde. Hatte Burnham Recht, ergab sich daraus zwangsläufig der Schluss, dass der Marxismus die Entwicklung der modernen Geschichte falsch verstanden hatte, – besonders aber hatte er einen Fehler begangen, als er der Arbeiterklasse eine revolutionäre Rolle zuschrieb. Diese Perspektive war weniger Ausdruck einer materialistischen Analyse der ökonomischen Grundlagen und sozialen Dynamik der modernen kapitalistischen Gesellschaft, ganz zu schweigen von der Sowjetunion, als vielmehr ein Verzweiflungsschrei. Aus den Niederlagen der 1920er und 1930er Jahre schlossen Burnham und Shachtman die Unmöglichkeit der sozialistischen Revolution. Trotzki wies diese impressionistische und pessimistische Haltung zurück. Die Vierte Internationale, schrieb er, hielt die revolutionäre Perspektive des Marxismus aufrecht. Und er erklärte, dass die Niederlagen, die die Arbeiterklasse erlitten hatte, dem politischen Verrat der Arbeitermassenorganisationen entsprangen. Trotzki stellte fest:
"All die verschiedenen Arten enttäuschter und verängstigter Vertreter des Pseudomarxismus gehen im Gegensatz dazu davon aus, dass der Bankrott der Führung nur die Unfähigkeit des Proletariats 'widerspiegelt', seinen revolutionären Auftrag zu erfüllen. Nicht alle unsere Gegner drücken diesen Gedanken klar aus, aber allesamt – Ultralinke, Zentristen, Anarchisten, ganz zu schweigen von den Stalinisten und Sozialdemokraten – wälzen die Verantwortung für die Niederlagen von sich selbst auf die Schultern des Proletariats ab. Keiner von ihnen äußert sich dazu, was genau die Bedingungen sind, unter denen das Proletariat in der Lage sein wird, den sozialistischen Umsturz durchzuführen."[48]
74. Trotzki bestand darauf, dass der Konflikt innerhalb der SWP über programmatische Fragen zwei grundverschiedene und unversöhnliche Sichtweisen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung widerspiegelte.
"Wenn wir annehmen, es wäre wahr, dass der Grund für die Niederlagen in den sozialen Eigenschaften des Proletariats selbst begründet liegt, dann müsste man die Lage der modernen Gesellschaft als hoffnungslos bezeichnen. …Allerdings stellt sich die Sache für denjenigen völlig anders dar, der sich klar geworden ist über den tiefen Antagonismus zwischen dem organischen, tiefgehenden und unüberwindlichen Drängen der Arbeitermassen, sich aus dem blutigen kapitalistischen Chaos zu befreien, und dem konservativen, patriotischen und durch und durch bürgerlichen Charakter der überlebten Arbeiterführung. Wir müssen uns für eine dieser beiden unvereinbaren Auffassungen entscheiden."[49]
75. Die Vierte Internationale war immer wieder und in verschiedenen Erscheinungsformen mit politischen und theoretischen Tendenzen konfrontiert, die von der Auffassung ausgingen, die Arbeiterklasse sei keine revolutionäre Kraft. Ob in der Form des Pablismus oder anderer demoralisierter radikaler Tendenzen, wie auch der "Neuen Linken", die von der Frankfurter Schule (Marcuse, Horkheimer, Adorno et al) beeinflusst waren, bildete die Ablehnung der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse immer die Grundlage ihrer opportunistischen politischen Anschauungen. Und was Shachtman und Burnham betrifft, so bestätigte ihre nachfolgende politische Entwicklung Trotzkis Analyse. Im April 1940 verließen Burnham und Shachtman die SWP und gründeten die Workers Party. Innerhalb eines Monats trat Burnham auch aus seiner eigens neu geschaffenen Partei aus und erklärte, er sei kein Marxist oder Sozialist mehr. Dies war der Beginn einer schnellen und extremen Rechtsentwicklung. Er befürwortete einen atomaren Erstschlag gegen die Sowjetunion und wurde in den 1950er Jahren zum Hauptideologen der entstehenden neokonservativen Bewegung. 1982, einige Jahre vor seinem Tod, erhielt Burnham die Freiheitsmedaille aus den Händen von US-Präsident Ronald Reagan. Shachtman entwickelte sich zunächst etwas langsamer, jedoch ebenso unausweichlich nach rechts. Er wurde politischer Berater der Gewerkschaftsbürokratie im amerikanischen Dachverband der AFL-CIO und gehörte dem reaktionärsten Kalte-Krieger-Flügel in der Demokratischen Partei an. Vor seinem Tod im Jahre 1972 befürwortete Shachtman das Bombardement Nordvietnams durch die Vereinigten Staaten.
Trotzkis Verteidigung der materialistischen Dialektik
76. Die Auseinandersetzung von 1939/40 verdient noch in weiterer Hinsicht Beachtung, nämlich in ihrer theoretisch-philosophischen Dimension. Burnham, der Philosophieprofessor an der New York University war, erklärte sich selbst zum Gegner der materialistischen Dialektik. Wie viele andere, die den dialektischen Materialismus vom Standpunkt des philosophischen Idealismus (insbesondere in seiner Neokantianischen Form) ablehnten, tat Burnham den Materialismus von Marx und Engels ab, als handele es sich bloß um ein Produkt der überholten Wissenschaft des 19. Jahrhunderts und ihrer umfassenden Bewunderung für Darwins Evolutionslehre. Was die Dialektik anbetraf, so belächelte Burnham Hegel als den "seit hundert Jahren toten Erz-Verwirrer des menschlichen Denkens"[50]. In seiner Antwort auf Burnham charakterisierte Trotzki auf prägnante Weise sowohl die materialistische Dialektik als auch die theoretische Methode des Professors. Er erklärte die Beziehung zwischen Burnhams pragmatischen Anschauung und seinen politischen Schlussfolgerungen:
"Das gewöhnliche Denken arbeitet mit solchen Konzepten wie Kapitalismus, Moral, Freiheit, Arbeiterstaat usw. als unveränderlichen Abstraktionen, wobei davon ausgegangen wird, dass Kapitalismus gleich Kapitalismus, Moral gleich Moral ist usw. Das dialektische Denken untersucht alle Dinge und Erscheinungen in ihrer ununterbrochenen Veränderung und bestimmt in den materiellen Bedingungen dieser Veränderungen jene kritische Grenze, jenseits derer 'A' aufhört 'A' zu sein, ein Arbeiterstaat aufhört, ein Arbeiterstaat zu sein.
Der grundlegende Fehler des gewöhnlichen Denkens liegt darin, dass es sich mit bewegungslosen Eindrücken einer Wirklichkeit zufrieden geben will, die aus ewiger Bewegung besteht. Durch größere Annäherungen, Berichtigungen, Konkretisierungen gibt das dialektische Denken Konzepten einen inhaltlichen Reichtum und größere Flexibilität; ich würde sogar sagen eine Saftigkeit, die sie in gewisser Hinsicht den lebendigen Phänomenen näher bringt. Nicht der Kapitalismus im Allgemeinen, sondern ein bestimmter Kapitalismus auf einer bestimmten Entwicklungsstufe. Nicht ein Arbeiterstaat im Allgemeinen, sondern ein bestimmter Arbeiterstaat in einem rückständigen Land, in imperialistischer Umzingelung usw.
Dialektisches Denken steht zum gewöhnlichen Denken in demselben Verhältnis wie der Film zu einem Standfoto. Der Film macht Standfotos nicht wertlos, sondern verbindet eine Reihe von ihnen entsprechend den Gesetzen der Bewegung. Dialektik leugnet den Syllogismus nicht, sondern lehrt uns, Syllogismen derartig zu verbinden, dass wir unser Verständnis an die sich ewig verändernde Wirklichkeit annähern. Hegel stellte in seiner Logik eine Reihe von Gesetzen auf: das Umschlagen von Quantität in Qualität, die Entwicklung durch Widersprüche, der Widerstreit von Inhalt und Form, die Unterbrechung der Kontinuität, das Umschlagen von Möglichkeit in Unvermeidlichkeit usw.; diese Gesetze sind für das theoretische Denken ebenso wichtig wie der einfache Syllogismus für einfachere Aufgaben.
Hegel schrieb vor Darwin und vor Marx. Dank des machtvollen Anstoßes, den die Französische Revolution dem Denken gab, nahm Hegel die allgemeine Entwicklung der Wissenschaft vorweg. Aber weil es nur eine Vorwegnahme war, wenn auch die eines Genies, bekam sie von Hegel einen idealistischen Charakter. Hegel arbeitete mit ideologischen Schatten als endgültiger Wirklichkeit. Marx zeigte, dass die Bewegung dieser ideologischen Schatten nichts anderes als die Bewegung der materiellen Dinge widerspiegelte.
Wir nennen unsere Dialektik materialistisch, da ihre Wurzeln weder im Himmel noch in den Tiefen unseres 'freien Willens' liegen, sondern in der objektiven Wirklichkeit, in der Natur. Bewusstsein entwickelte sich aus dem Unbewussten, die Psychologie aus der Physiologie, die organische Welt aus der anorganischen, das Sonnensystem aus den Nebeln. Auf allen Sprossen dieser Leiter der Entwicklung wurden die quantitativen Veränderungen in qualitative verwandelt. Unser Denken, einschließlich des dialektischen Denkens, ist nur eine der Ausdrucksformen der sich ändernden Materie. Innerhalb dieses Systems ist weder Platz für Gott, noch für den Teufel, noch für die unsterbliche Seele, noch für ewigen Normen von Gesetz und Moral. Die Dialektik des Denkens ist, da sie aus der Dialektik der Natur erwachsen ist, folglich durch und durch materialistisch."[51]
77. Shachtman behauptete, niemand hätte bis dahin gezeigt, "dass Übereinstimmung oder Meinungsverschiedenheiten über die eher abstrakten Lehren des dialektischen Materialismus notwendigerweise die konkreten politischen Streitfragen von heute oder morgen berühren - und politische Parteien, Programme und Kämpfe beruhen auf solchen konkreten Streitfragen". Trotzki antwortete darauf:
"Was für Parteien? Welche Programme? Welche Kämpfe? Alle Parteien und Programme werden hier in einen Topf geworfen. Die Partei des Proletariats ist keine Partei wie alle anderen. Sie gründet sich durchaus nicht auf 'solche konkreten Fragen'. Schon in ihrem Fundament ist sie den Parteien der bürgerlichen Pferdehändler und der kleinbürgerlichen Flickschuster diametral entgegengesetzt. Ihre Aufgabe ist die Vorbereitung einer sozialen Revolution und die Erneuerung der Menschheit auf neuen materiellen und moralischen Grundlagen. Um nicht dem Druck der bürgerlichen öffentlichen Meinung oder der Polizeirepression nachzugeben, braucht der proletarische Revolutionär, umso mehr noch ein Führer, eine klare, vorausschauende, vollkommen durchdachte Weltanschauung. Nur auf der Grundlage eines einheitlichen marxistischen Konzepts ist es möglich, an 'konkrete' Fragen richtig heranzugehen."[52]
Die kleinbürgerliche Opposition und die Parteiorganisation
78. Schon zu Beginn des Fraktionskampfes in der SWP bezeichnete Trotzki die Minderheit um Shachtman, Burnham und Abern als "typisch kleinbürgerliche Tendenz". Dies war keine unbegründete Beleidigung. Trotzki, der über mehr als vierzig Jahre politischer Erfahrung verfügte und in dieser Zeit zwei Revolutionen (1905 und 1917) angeführt sowie die Rote Armee aufgebaut und befehligt hatte, entdeckte bei der Minderheit Züge, wie sie für "jede kleinbürgerliche Gruppe in der sozialistischen Bewegung" typisch seien. Dazu gehörten "eine verächtliche Haltung gegenüber der Theorie und eine Neigung zum Eklektizismus, Respektlosigkeit gegenüber der Tradition der eigenen Organisation, Besorgnis um die eigene 'Unabhängigkeit' statt Besorgnis um objektive Wahrheit, Nervosität anstelle von Festigkeit, Bereitschaft, von einer Position zur anderen zu springen, Mangel an Verständnis des revolutionären Zentralismus und Feindschaft ihm gegenüber und schließlich die Neigung, die Parteidisziplin durch Cliquenbildung und persönliche Beziehungen zu ersetzen".[53]
79. Die Minderheit griff unentwegt die organisatorische Praxis der SWP an, setzte Cannon praktisch mit Stalin gleich, als wäre er der Chef einer rücksichtslosen Parteibürokratie, die jeden Ausdruck von Individualität niedertrampelte. Cannon, der gerne Klartext redete, bemerkte dazu:
"Kleinbürgerliche Intellektuelle sind von Natur aus nach innen gekehrt. Sie halten ihre Gefühle, ihre Zweifel, ihre Ängste und ihre egoistische Sorge um ihr persönliches Schicksal fälschlicherweise für die Stimmungen und Entwicklungstendenzen der breiten Massen. Sie messen die Probleme der Welt an ihren eigenen belanglosen Schmerzen und Qualen."[54]
80. Cannon wies darauf hin, dass die Vorwürfe, die die kleinbürgerliche Minderheit der Partei bezüglich der organisatorischen Praxis machte, einem bekannten Muster folgten:
"Die Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung ist seit den Tagen der Ersten Internationale eine ununterbrochene Chronik der Versuche kleinbürgerlicher Gruppierungen und Tendenzen aller Art, sich für ihre theoretische und politische Schwäche durch wütende Angriffe gegen die 'organisatorischen Methoden' der Marxisten zu entschuldigen. In die Rubrik organisatorische Methoden schlossen sie alles ein: vom Konzept des revolutionären Zentralismus über organisatorische Routineangelegenheiten bis hin zu den persönlichen Verhaltensweisen und Methoden ihrer prinzipiellen Gegner, die sie stets als 'schlecht', 'barsch', 'tyrannisch' und – natürlich 'bürokratisch' beschreiben. Bis zum heutigen Tage wird einem jede kleine Anarchistengruppe darlegen, wie der 'autoritäre' Marx mit Bakunin umgesprungen ist.
Die elfjährige Geschichte der trotzkistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten ist überaus reich an solchen Erfahrungen. Die internen Auseinandersetzungen und Fraktionskämpfe, in denen der Kaderkern unserer Bewegung gefestigt und erzogen wurde, richteten sich meist gegen Versuche, grundsätzliche Probleme mit organisatorischen Querelen zu überlagern. Die politisch schwachen Opponenten griffen jedesmal auf diese Ausflucht zurück."[55]
81. Trotzki schätzte Cannons Analyse der "Organisationsfragen" und seinen Kampf für eine "proletarische Ausrichtung" der SWP sehr. Er bemerkte dazu: "Jims Broschüre ist ausgezeichnet. Sie ist das Werk eines richtigen Arbeiterführers. Hätte die Diskussion nicht mehr hervorgebracht als dieses Dokument, wäre sie gerechtfertigt."[56]
Die Vierte Internationale und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs
82. Der Zweite Weltkrieg begann im September 1939 mit dem Überfall Nazideutschlands auf Polen. Hitlers blutiger Angriff wurde durch die Unterzeichnung eines "Nichtsangriffspakts" zwischen Deutschland und dem stalinistischen Regime nur eine Woche zuvor erleichtert. Der politische und militärische Hauptimpuls für die Entfachung des Flächenbrands ging von den strategischen Zielen des Dritten Reiches aus. Doch grundlegender entsprang der Krieg den ökonomischen und geopolitischen Widersprüchen, die der Erste Weltkrieg geschaffen hatte, und darüber hinaus der historischen Überlebtheit des Nationalstaatensystems und dem generellen Zusammenbruch des Weltkapitalismus. Trotzki lehnte jeden Versuch ab, den Krieg als Konflikt zwischen Demokratie und Faschismus zu verstehen: "Der gegenwärtige Krieg, den die Beteiligten begannen, bevor sie den Versailler Vertrag unterzeichneten, erwuchs aus imperialistischen Widersprüchen. Er war so unvermeidlich wie der Zusammenstoß zweier Züge, die auf demselben Gleis aufeinander zufahren."[57] Im Manifest der Vierten Internationale, Der imperialistische Krieg und die proletarische Weltrevolution, vom Mai 1940 machte Trotzki die imperialistische Bourgeoisie aller großen kapitalistischen Länder für die globale Katastrophe verantwortlich. Die späten Vorwürfe Frankreichs, Großbritannien und der Vereinigten Staaten gegen Hitlers totalitäres Regime strotzten vor Zynismus. Trotzki schrieb:
"Die demokratischen Regierungen, die seinerzeit Hitler für seinen Kreuzzug gegen den Bolschewismus priesen, erkennen heute in ihm eine Art Satan, der unerwartet aus den Tiefen der Hölle hervorbrach und gegen geheiligte Abkommen, Grenzen, Regeln und Vorschriften verstößt. Ohne Hitler wäre die kapitalistische Welt ein blühender Garten. Welch erbärmliche Lüge! Dieser deutsche Epileptiker mit einer Rechenmaschine in seinem Schädel und unbegrenzter Macht in seinen Händen fiel nicht vom Himmel und kam nicht aus der Hölle; er ist nichts als die Verkörperung der Zerstörungskräfte des Imperialismus... So gibt Hitler, wenn er die alten Kolonialmächte in ihren Grundfesten erschüttert, dem imperialistischen Machtwillen nur einen vollendeteren Ausdruck. Mit Hitler hat der Weltkapitalismus, in eine Sackgasse verrannt und zur Verzweiflung getrieben, begonnen, sich den Dolch in die eigenen Eingeweide zu pressen.
Den Schlächtern des zweiten imperialistischen Krieges wird es nicht gelingen, Hitler zum Sündenbock für ihre eigenen Verbrechen zu machen.
Vor dem Richterstuhl des Proletariats werden sich alle, die jetzt herrschen, zu verantworten haben. Hitler wird es nur den ersten Platz auf der Anklagebank zuweisen."[58]
83. Das Manifest verwies auf die Rolle der Vereinigten Staaten. Zu dieser Zeit (1940) standen sie noch außerhalb des direkten Konflikts. Aber Trotzki sagte voraus, dass die amerikanische Bourgeoisie bald die durch den Krieg gebotene Gelegenheit nutzen werde, um den Vereinigten Staaten eine Hegemonialrolle in Fragen des Weltkapitalismus zu verschaffen. Das war keine Frage des Wollens, sondern es war von ökonomischer und politischer Notwendigkeit diktiert:
"Aber die industrielle, finanzielle und militärische Stärke der Vereinigten Staaten, der überlegenen kapitalistischen Macht der Welt, gewährleistet keineswegs eine Blüte der amerikanischen Wirtschaft, sondern verleiht der Krise ihres sozialen Systems nur einen besonders bösartigen und krampfhaften Charakter. Gold in Milliardenhöhe muss brachliegen, genau wie es für die Millionen Arbeitslose keine Verwendung gibt! Die Thesen der Vierten Internationale, 'Der Krieg und die Vierte Internationale', die vor sechs Jahren veröffentlicht wurden, sagten voraus:
'Der Kapitalismus der Vereinigten Staaten ist dicht an die Aufgaben herangerückt, welche Deutschland 1914 auf den Kriegspfad drängten. Die Welt ist schon verteilt? Soll man sie neu aufteilen! Für Deutschland galt es, Europa zu "organisieren". Für die Vereinigten Staaten gilt es, die Welt zu "organisieren". Die Geschichte treibt die Menschheit schnurstracks zum Vulkanausbruch des amerikanischen Imperialismus.'"[59]
84. Das Manifest analysierte die Triebkräfte des amerikanischen Imperialismus:
"Unter dem einen oder anderen Vorwand oder Schlagwort werden die Vereinigten Staaten in den ungeheuerlichen Zusammenprall eingreifen, um ihre Weltherrschaft aufrechtzuerhalten. Die Form und der Zeitpunkt des Kampfes zwischen dem amerikanischen Kapitalismus und seinen Feinden ist noch nicht bekannt – vielleicht nicht einmal in Washington. Ein Krieg mit Japan wäre ein Kampf um 'Lebensraum' im Pazifischen Ozean. Ein Kieg im Atlantischen Ozean wäre, selbst wenn er unmittelbar gegen Deutschland gerichtet wäre, ein Krieg um das Erbe Großbritanniens.
Die Möglichkeit eines deutschen Sieges liegt wie ein Albdruck auf Washington. Mit dem europäischen Kontinent und den Hilfsmitteln seiner Kolonien als Basis, all die europäischen Munitionsfabriken und Schiffswerften zu seiner Verfügung, würde Deutschland, besonders in Verbindung mit Japan im Osten, eine tödliche Gefahr für den amerikanischen Imperialismus darstellen. Die gegenwärtigen gigantischen Schlachten auf Europas Feldern sind in diesem Sinne vorbereitende Episoden im Kampf zwischen Amerika und Deutschland."[60]
85. Das Manifest der Vierten Internationale rief die Arbeiter in den Vereinigten Staaten auf, sich gegen den Krieg zu wenden, verurteilte aber gleichzeitig ausdrücklich den Pazifismus von Teilen des Kleinbürgertums.
"Unser Kampf gegen das Eingreifen der Vereinigten Staaten in den Krieg hat nichts mit Isolationismus oder Pazifismus zu tun. Wir sagen den Arbeitern offen, dass die imperialistische Regierung nicht umhin kann, dieses Land in den Krieg hineinzuziehen. Der Disput innerhalb der herrschenden Klasse geht nur darum, wann in den Krieg zu treten und gegen wen zuerst das Feuer zu eröffnen. Darauf zu zählen, dass man die Vereinigten Staaten durch Zeitungsartikel und pazifistische Resolutionen in der Neutralität halten könne, ähnelt dem Versuch, die Flut mit einem Besen zurückzuhalten. Ein wirklicher Kampf gegen den Krieg bedeutet Klassenkampf gegen den Imperialismus und erbarmungslose Entlarvung des kleinbürgerlichen Pazifismus. Nur die Revolution könnte die amerikanische Bourgeoisie vom Eintritt in den zweiten imperialistischen Krieg oder von der Eröffnung eines dritten zurückhalten. Alle anderen Methoden sind entweder Scharlatanerie oder Dummheit oder beides."[61]
86. Im Gegensatz zu kleinbürgerlichen Pazifisten, die zum individuellen passiven Widerstand gegen den Krieg rieten, forderte die Vierte Internationale eine militärische Ausbildung für Arbeiter, jedoch unter Kontrolle der Gewerkschaften und mit Offizieren aus den Reihen der Arbeiterklasse. In den Vereinigten Staaten und unter ihren Alliierten versuchte die herrschende Klasse den Krieg als "Krieg für die Demokratie" zu verkaufen und den Hass auszunutzen, den große Teile der Arbeiterklasse gegen das Naziregime hegten. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurde diese Parole von den Stalinisten als Teil ihrer Allianz mit den imperialistischen Mächten aufgegriffen. Die Vierte Internationale wies dies von Anfang an zurück.
"Keine geringere Lüge ist die Parole eines Kampfes für Demokratie gegen Faschismus. Als ob die Arbeiter vergessen hätten, dass die englische Regierung Hitler und seiner Henkersbande zur Macht verhalf! Die imperialistischen Demokraten sind in Wahrheit die größten Aristokratien der Geschichte. England, Frankreich, Holland, Belgien sind auf der Knechtschaft der Kolonialvölker aufgebaut. Die Demokratie der Vereinigten Staaten beruht auf der Besitzergreifung des unermesslichen Reichtums eines ganzen Kontinents. Alle Bemühungen dieser 'Demokratie' sind darauf gerichtet, ihre privilegierte Stellung aufrechtzuerhalten. Einen beträchtlichen Teil der Kriegslasten laden die imperialistischen Demokratien auf ihre Kolonien ab. Die Sklaven werden zur Lieferung von Blut und Gold herangezogen, damit ihre Herren Sklavenhalter bleiben können."[62]
87. Trotzki bestand darauf, dass die anfängliche Kriegsallianz des Stalinschen Regimes mit Deutschland sowie die brutale Besatzungspolitik in Finnland und Polen nichts am sozialen Charakter der Sowjetunion als degenerierter Arbeiterstaat änderten. Trotz aller Verbrechen und Verrätereien des Stalinismus rief die Vierte Internationale immer noch zur Verteidigung der UdSSR gegen den Imperialismus auf.
"Viele kleinbürgerliche Radikale, die gestern noch die Sowjetunion zur Achse machen wollten, um die sich die 'demokratischen Kräfte' gegen den Faschismus gruppieren sollten, haben nun, da ihre eigenen Vaterländer von Hitler bedroht sind, plötzlich gemerkt, dass Moskau, das ihnen nicht zu Hilfe kam, eine imperialistische Politik verfolgt, und dass kein Unterschied zwischen dem Sowjetstaat und den faschistischen Ländern besteht.
Lüge! Wird jeder klassenbewusste Arbeiter antworten – es gibt einen Unterschied. Die Bourgeoisie versteht diesen sozialen Unterschied besser und tiefer als die radikalen Windbeutel. Natürlich sichert die Verstaatlichung der Produktionsmittel in einem, überdies rückständigen Land noch nicht den Aufbau des Sozialismus. Aber die Grundvoraussetzung für den Sozialismus, nämlich die geplante Entwicklung der Produktivkräfte, kann sie durchaus fördern. Sich von der Verstaatlichung der Produktionsmittel aus dem Grunde abzuwenden, dass sie an und für sich noch nicht den Wohlstand der Massen schafft, wäre dasselbe, wie ein granitenes Fundament aus dem Grunde zu zerstören, dass man ohne Wände und Dach nicht leben kann."[63]
88. Die Verteidigung der Sowjetunion gegen den Imperialismus bedeutete jedoch nicht im Geringsten irgendein politisches Zugeständnis an die stalinistische Bürokratie.
"Die Vierte Internationale kann die Sowjetunion nur mit den Methoden des revolutionären Klassenkampfes verteidigen. Wenn man den Arbeitern das richtige Verständnis für den Klassencharakter des Staates - imperialistisch, kolonial, proletarisch – und die gegenseitigen Beziehungen zwischen ihnen sowie die inneren Gegensätze jedes einzelnen vermittelt, dann versetzt man sie in die Lage, in jeder gegebenen Situation die richtigen praktischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Während sie einen unermüdlichen Kampf gegen die Moskauer Oligarchie führt, lehnt die Vierte Internationale entschieden jede Politik ab, die dem Imperialismus gegen die UdSSR helfen würde.
Die Verteidigung der Sowjetunion fällt im Prinzip mit der Vorbereitung der sozialistischen Weltrevolution zusammen. Wir verwerfen ausdrücklich die Theorie des Sozialismus in einem Lande, diese Ausgeburt des unwissenden und reaktionären Stalinismus. Nur die Weltrevolution kann die Sowjetunion für den Sozialismus retten. Aber die Weltrevolution bringt unvermeidlich die Austilgung der Kremloligarchie mit sich."[64]
89. Das Manifest schloss mit der Bekräftigung, dass die Vierte Internationale die Strategie der sozialistischen Weltrevolution verfolge.
"Im Unterschied zur Zweiten und zur Dritten Internationale basiert die Vierte Internationale ihre Politik nicht auf das Kriegsglück der kapitalistischen Staaten, sondern auf die Verwandlung des imperialistischen Krieges in einen Krieg der Arbeiter gegen die Kapitalisten, auf den Sturz der herrschenden Klasse in allen Ländern, auf die sozialistische Weltrevolution. Die Verschiebung der Schlachtlinien an der Front, die Zerstörung von Hauptstädten, die Besetzung von Territorien, der Untergang einzelner Staaten stellen von diesem Standpunkt aus nur tragische Episoden auf dem Weg zum Umbau der modernen Gesellschaft dar.
Wir erfüllen unabhängig vom Verlauf des Krieges unsere Grundaufgabe: Wir erklären den Arbeitern die Unversöhnlichkeit zwischen ihren Interessen und denen des blutrünstigen Kapitalismus; wir mobilisieren die Werktätigen gegen den Imperialismus; wir propagieren die Vereinigung der Arbeiter in allen Krieg führenden und neutralen Ländern; wir rufen die Arbeiter und Soldaten innerhalb jedes Landes und die Soldaten auf beiden Seiten der Schlachtlinie zur Verbrüderung auf; wir mobilisieren die Frauen und die Jugend gegen den Krieg; wir betreiben eine beständige, ausdauernde, unermüdliche Vorbereitung der Revolution – in den Fabriken, in den Betrieben, in den Dörfern, in den Baracken und bei der Flotte."[65]
Trotzkis Platz in der Geschichte
90. Der Kriegsausbruch gefährdete Trotzkis Leben mehr als je zuvor. Die revolutionären Folgen des Ersten Weltkriegs waren den imperialistischen Mächten und der Sowjetbürokratie frisch im Gedächtnis. Solange er lebte, blieb Trotzki der Führer der revolutionären Regierung im Exil. War es nicht möglich, sogar wahrscheinlich, fürchtete Stalin, dass die Kriegsunruhen eine revolutionäre Bewegung hervorriefen, die Trotzki wieder an die Macht brächte? Um die Führung der Russischen Revolution komplett zu vernichten und das Wachsen der Vierten Internationale zu verhindern, infiltrierten Stalins Agenten die trotzkistische Bewegung. Ihr zentrales Ziel war die Ermordung von Leo Trotzki. Zu den Agenten der GPU in der trotzkistischen Bewegung gehörten Mark Zborowski (der Sekretär von Trotzkis Sohn Leo Sedow), Sylvia Callen (die Sekretärin von James P. Cannon) und Joseph Hansen (Trotzkis Sekretär und Wache ab 1937 und spätere Führer der SWP). Zborowski, der in der trotzkistischen Bewegung dem Decknamen "Etienne" trug, half der GPU beim Mord an Erwin Wolf, einen von Trotzkis Sekretären (im Juli 1937), Ignatz Reiss, einem Abtrünnigen der GPU, der sich zum Trotzkismus bekannte (im September 1937), Leo Sedow (im Februar 1938) und Rudolf Klement, Sekretär der Vierten Internationale, (im Juli 1938, weniger als zwei Monate vor dem Gründungskongress der Vierten Internationale). Am 24. Mai 1940 entging Trotzki einem Mordanschlag, der von einem GPU-Agenten unter seinen Wachen begünstigt wurde (Robert Sheldon Harte). Am 20. August 1940 wurde Trotzki von dem GPU-Agenten Ramon Mercader in seinem Haus in Coyoacan bei Mexiko-Stadt niedergestreckt. Er starb am folgenden Tag.
91. Der Mord an Trotzki war ein vernichtender Schlag für den internationalen Sozialismus. Trotzki war nicht nur der zweite Führer der Oktoberrevolution, der unerschütterliche Gegner des Stalinismus und Gründer der Vierten Internationale. Er war der letzte und größte Vertreter der politischen, intellektuellen, kulturellen und moralischen Tradition des klassischen Marxismus, der die revolutionäre Arbeitermassenbewegung inspiriert hatte, die im letzten Jahrzehnt des neunzehnten und den ersten Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts entstand. Er entwickelte ein Verständnis der revolutionären Theorie, das sich philosophisch auf den Materialismus stützte, nach außen auf die Wahrnehmung der objektiven Realität gerichtet war, sich an der Ausbildung und politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse orientierte und sich strategisch vorrangig mit dem revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus beschäftigte.
Auf die historischen Aufgaben der neuen revolutionären Epoche konzentriert, verachtete er jene, die ihrer politischen Verantwortung unter dem Vorwand der Verteidigung der persönlichen Freiheit zu entgehen versuchten. "Sollen die Philister im leeren Raum ihrer eigenen Individualität nachjagen", erklärte Trotzki. Er gab auch jenen nicht im Geringsten nach, die behaupteten, die Niederlagen der Arbeiterklasse bewiesen das "Scheitern" des Marxismus an sich. Für Trotzki beruhten solche Argumente auf politischer Demoralisierung, nicht theoretischer Einsicht. Gerade die redeten am lautesten über die "Krise des Marxismus", die intellektuell vor der politischen Reaktion kapituliert hatten. Sie übertrugen ihre persönlichen Ängste, so Trotzki, "in die Sprache der immateriellen und universellen Kritik". Die unzähligen linken Kritiker des Marxismus hatten der Arbeiterklasse nur demoralisierte Resignation zu bieten. Die Gegner des Marxismus, stellte Trotzki fest, "entwaffnen sich selbst im Angesicht der Reaktion, verzichten auf wissenschaftliches Denken, sobald es die Gesellschaft betrifft, geben nicht nur materielle, sondern auch moralische Positionen preis und berauben sich jedes Anspruchs auf revolutionäre Rache in der Zukunft."[66]
Die Vereinigten Staaten treten in den Krieg ein
92. Von Kriegsbeginn an waren die USA tief in den globalen Konflikt verwickelt – politisch, wirtschaftlich und sogar militärisch. Die US-Regierung unter Roosevelt nutzte die verzweifelte Lage des britischen Premierministers Winston Churchill aus, um den britischen Imperialismus zu politischen und finanziellen Zugeständnissen zu zwingen. Letztendlich konnten die Vereinigten Staaten jedoch weder die deutsche Vorherrschaft über Europa noch die japanische Überlegenheit im asiatisch-pazifischen Raum dulden. Seit der amerikanischen Eroberung der Philippinen um die Jahrhundertwende betrachteten die Vereinigten Staaten den Pazifik als ihre Einflusssphäre und seit der Niederschlagung des Boxeraufstands China als ihr Protektorat. Japans Angriff auf Pearl Harbor bot Roosevelt die Gelegenheit zum "Rendezvous mit dem Schicksal", das er bereits ein paar Jahre zuvor beschworen hatte. Dass es dem amerikanischen Imperialismus dabei nicht um Demokratie ging, wie zur Rechtfertigung des Kriegseintritts angeführt wurde, zeigt sich schon allein an der Tatsache, dass Millionen Afroamerikaner in dieser Zeit von den Grundrechten ausgeschlossen waren und während des Krieges antidemokratische Maßnahmen getroffen wurden – unter anderem die Internierung von zehntausenden Japanern und Amerikanern japanischer Abstammung, die in den Vereinigten Staaten lebten. Der Rahmen des "nationalen Sicherheitsstaats" wurde größtenteils während der Kriegsjahre geschaffen. Als Nazideutschland im Juni 1941 die Sowjetunion angriff, wurden die stalinistischen Parteien zu begeisterten Anhängern der "demokratischen" imperialistischen Mächte, und unterstützten in den Vereinigten Staaten zum Beispiel schamlos eine Antistreikvereinbarung.
93. Nach dem Mord an Trotzki hielt die Socialist Workers Party die Perspektive des proletarischen Internationalismus aufrecht und wehrte sich gegen die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die imperialistischen Kriegsziele der Regierung Roosevelt. Daher war die SWP die einzige Tendenz in der Arbeiterbewegung in den Vereinigten Staaten, deren Führer während des Krieges inhaftiert und als erste nach dem (später für verfassungswidrig erklärten) Smith Act aus dem Jahre 1940 verurteilt wurden. 1941 wurden achtzehn Mitglieder und Führer der SWP vor Gericht der Aufwiegelung für schuldig befunden. Ganz auf der Linie ihrer kriegsbedingten Allianz mit dem amerikanischen Imperialismus und ihrer rücksichtslosen Gegnerschaft zum Trotzkismus unterstützte die Kommunistische Partei die Verurteilungen. Als nach dem Krieg auch KP-Mitglieder nach dem Smith Act verfolgt wurden, nahm die SWP einen prinzipiellen Standpunkt ein und verteidigte sie gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates.
94. Die schrecklichen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs bestätigten Luxemburgs Warnung, dass der Arbeiterklasse nur zwei Möglichkeiten blieben: Sozialismus oder Barbarei. Die im Zuge des Krieges begangenen Verbrechen offenbarten einer ganzen Generation das wahre Gesicht des Kapitalismus. Sechs Millionen Juden starben im Holocaust, ebenso fünf Millionen Roma, sowjetische Kriegsgefangene, Polen und andere Opfer des faschistischen Regimes. Die Regierung der Vereinigten Staaten stand dem Massenvernichtungsprogramm der Nazis gleichgültig gegenüber, weigerte sich die Eisenbahnlinien in die Vernichtungslager zu bombardieren, und stellte ihr eigenes barbarisches Potenzial zur Schau, als sie zwei Atombomben auf kriegsunwichtige japanische Städte warf und dabei 200.000 bis 350.000 Zivilisten tötete. Der Hauptzweck dieses Verbrechens bestand darin, der Welt und insbesondere der Sowjetunion das tödliche Potenzial der neuen amerikanischen Massenvernichtungswaffe zu demonstrieren. Insgesamt ließen etwa 100 Millionen Menschen in dem sechsjährigen Konflikt ihr Leben. Dies war der bittere Preis, den die Arbeiterklasse für den Verrat ihrer Führer und das Scheitern der sozialistischen Revolution bezahlte. Der spätere Nachkriegsboom entstand auf diesem Berg menschlicher Leichen.
Das Kriegsende und die Pufferstaaten
95. Der europäische Kapitalismus war durch den Krieg wirtschaftlich ruiniert. Große Teile der Bourgeoisie waren wegen ihrer Unterstützung für den Faschismus diskreditiert. In dieser Situation spielten das Sowjetregime und sein Netzwerk stalinistischer Parteien die entscheidende Rolle, um die Arbeiterklasse von der Machtübernahme abzuhalten. Die Stalinisten nutzten ihre politische Autorität - die durch den Sieg der Roten Armee über Hitlers Wehrmacht gestiegen war -, um die gegen Kriegsende ausgebrochenen Massenkämpfe zu zerstreuen und abzulenken. In Frankreich, Italien und Deutschland instruierte der Kreml die stalinistischen Parteien vor Ort, bürgerliche Regierungen zu unterstützen, die Widerstandskämpfer zu entwaffnen und jede unabhängige Initiative aus der Arbeiterklasse zu unterdrücken. In Griechenland verweigerte die Sowjetbürokratie später den Aufständischen die dringend benötigte Hilfe und garantierte dadurch den Sieg der Bourgeoisie im Bürgerkrieg.
96. In Osteuropa, wo der Kreml aus Gründen der militärischen Abwehr keine von den Vereinigten Staaten kontrollierten Marionettenregimes dulden konnte, schuf die Sowjetunion eine Reihe von "Pufferstaaten" (Ostdeutschland, Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien), die unter ihrer Kontrolle standen. Doch die Verstaatlichungen in diesen Ländern (die zum Teil um mehrere Jahre hinausgeschoben wurden) waren begleitet von einer systematischen Entmündigung der Arbeiterklasse. Die Schaffung von stalinistischen Polizeistaatsregimes bedeutete nicht die Ausdehnung einer sozialistischen Revolution, sondern ein besonderes und zeitlich begrenztes Arrangement, das letztlich dem konservativen Ziel diente, Nachkriegseuropa zu stabilisieren. In Jugoslawien fanden die Verstaatlichungen unter etwas anderen Bedingungen als in den Pufferstaaten statt. Unter Führung von Titos Kommunistischer Partei kamen nach dem Zweiten Weltkrieg die Partisanen an die Macht. Doch wenn auch das Erbe des Partisanenkampfes Tito mehr Legitimität verlieh und ihm eine Popularität verschaffte, die in den anderen stalinistisch kontrollierten Staaten unvorstellbar war, wurde die Arbeiterklasse daran gehindert, ihre eigenen Vertretungen und Räte zu schaffen, durch die sie die politische Macht hätte ausüben können. Das Tito-Regime degenerierte bald zum Polizeistaat, in dem Tito selbst die Mittlerrolle zwischen den zerstrittenen Fraktionen der Bürokratie übernahm, die sich nach nationalen und ethnischen Gesichtspunkten herausbildeten. Dieses Gefüge hatte letztlich keinen dauerhaften Bestand, was sich nach Titos Tod im Jahre 1980 zeigte.
Die Vereinigten Staaten und die erneute Stabilisierung des Kapitalismus
97. Die Verrätereien des Stalinismus verschafften den Vereinigten Staaten die benötigte Atempause, um ihre Hegemonie wiederherzustellen und mit der Stabilisierung der daniederliegenden Weltwirtschaft zu beginnen. Eine Periode des nachhaltigen Wirtschaftswachstums nach dem Krieg war möglich, da (1) die europäische und asiatische Wirtschaft im Krieg größtenteils zerstört worden war und (2) die wirtschaftliche Stärke der amerikanischen Industrie auf fortschrittlichen Produktionsmethoden beruhte. Der amerikanische Kapitalismus wollte durch eine Finanz- und Währungsordnung (das Bretton Woods System) die "Welt neu organisieren", wobei der amerikanische Dollar die Rolle einer weltweiten Reservewährung spielte, mit festgelegten internationalen Umtauschkursen und einer Dollar-Gold-Konvertibilität. Mit Unterstützung anderer kapitalistischer Mächte schufen die Vereinigten Staaten Institutionen wie den Internationalen Währungsfond (IWF) und die Weltbank, um die Wirtschaft in internationalen Fragen zu regulieren. Mit dem Marshallplan stimulierte der amerikanische Kapitalismus ab 1947 die wirtschaftliche Erholung Europas und Asiens, die für die weitere Expansion der US-Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung darstellte. Auf dieser Grundlage amerikanischer Hegemonie über das kapitalistische System expandierte der Welthandel nach dem Krieg schnell.
98. Diese internationale Stabilisierung der Wirtschaft bildete die materielle Grundlage für eine nationale Reformpolitik in vielen Ländern auf dem ganzen Erdball. In den Vereinigten Staaten verfolgte die amerikanische Bourgeoisie eine keynesianische Politik der Nachfragestimulation. Auch als Reaktion auf die Streikwelle nach Kriegsende wurden den Industriearbeitern bedeutende wirtschaftliche Zugeständnisse gemacht und die Reformpolitik aus der Ära des New Deal fortgesetzt, die schon damals zur Verhinderung einer sozialen Revolution gedacht war. Gleichzeitig wurden mit Unterstützung der rechten Gewerkschaftsbürokratien AFL und CIO die Gewerkschaften und andere Organisationen rücksichtslos von sozialistisch orientierten Arbeitern und Mitgliedern der Kommunistischen Partei gesäubert. In Europa setzte sich ein ähnliches Programm nationaler Sozialreformen und der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Unternehmensverbänden durch, wobei die Sozialdemokraten und Gewerkschaften tatkräftige Hilfe leisteten. In den wirtschaftlich zurückgebliebenen ehemaligen Kolonialländern konnten nationale bürgerliche Regimes eine gewisse Unabhängigkeit erlangen, indem sie zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten hin- und herlavierten. Durch eine Politik, die Importe durch eigene Produkte ersetzte (Importsubstitution), konnten viele ehemalige Kolonien eine begrenzte Politik eigener industrieller Entwicklung verfolgen und Agrarreformen vorantreiben. In der Sowjetunion fand unter Aufsicht der stalinistischen Bürokratie eine beachtliche Entwicklung der sowjetischen Industrie auf Basis nationaler Wirtschaftsplanung statt, die jedoch von der Bürokratie selbst vollkommen verzerrt und entstellt war.
99. In Hinblick auf die internationalen Beziehungen wollten die Vereinigten Staaten jeden Ausbruch eines direkten Konflikts zwischen den kapitalistischen Großmächten verhindern und sorgten für die Etablierung von Institutionen wie den Vereinten Nationen, um die internationalen Beziehungen zu regulieren. Mit dem Kriegsende ging der Beginn des "Kalten Krieges" einher, dem Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Die unmittelbare Euphorie, mit der die amerikanische Bourgeoisie ihr Monopol auf die Atombombe feierte, verflog schnell, als auch die Sowjetunion mit der Herstellung von Atomwaffen begann. Ein erbitterter Kampf entspann sich innerhalb der politischen Elite Amerikas zwischen den Fraktionen, die einerseits für eine "Eindämmung" der UdSSR, andererseits für ein militärisches "Rollback" eintraten. Die letztere Position konnte leicht zu einem umfassenden Atomkrieg führen, wie damals sehr wohl verstanden wurde. Der Konflikt innerhalb der Bourgeoisie erreichte 1950, während des Koreakriegs, einen Höhepunkt, als General Douglas MacArthur den Abwurf von Atombomben auf China forderte, damit der Vormarsch chinesischer Truppen auf der koreanischen Halbinsel gestoppt werde. US-Präsident Truman feuerte MacArthur. Die "Eindämmungsfraktion" hatte sich durchgesetzt. Die stalinistische Bürokratie setzte ihrerseits strategisch auf eine gütliche Einigung mit dem Imperialismus, was sich in der Politik der "friedlichen Koexistenz" ausdrückte, einer logischen Fortsetzung der Theorie des "Sozialismus in einem Land". Diese unsichere Waffenruhe, bei der sich zwei "Supermächte" in einem nuklearen Wettrüsten zu übertreffen versuchten und um Einfluss in den unterentwickelten Ländern buhlten, drohte regelmäßig in einen offenen und umfassenden Konflikt umzuschlagen.
Aufbegehren der Massen in der Nachkriegsperiode
100. Im Rahmen der erneuten wirtschaftlichen Stabilisierung des Weltkapitalismus zeichnete sich die Nachkriegsperiode durch ein gewaltiges Aufbegehren der internationalen Arbeiterklasse und unterdrückten Massen aus. In Asien, Nahost, Afrika und Lateinamerika versuchten zig Millionen Arbeiter und Bauern, die Fesseln des Kolonialismus abzustreifen. Diese Massenkämpfe verdeutlichten, wie enorm relevant die Theorie der Permanenten Revolution und die Lehren aus Trotzkis Kampf gegen Stalins Verrat der Chinesischen Revolution waren. Einmal mehr konnten die wesentlichen Probleme, die mit dem antiimperialistischen Kampf verbunden sind - die Zerschlagung aller Überreste des Feudalismus und der Dominanz von Großgrundbesitzern, das Ende der Kolonialherrschaft und die Herstellung nationaler Unabhängigkeit, die Gestaltung des Wirtschaftslebens zur Abschaffung von Armut und die Hebung des sozialen und kulturellen Niveaus der Massen - nur unter Führung der revolutionären Arbeiterklasse erreicht werden, die mit einem demokratischen und internationalen sozialistischen Programm bewaffnet ist. Doch die objektive Notwendigkeit eines solchen Programms und einer solchen Perspektive stand im Gegensatz zur führenden Rolle der nationalen Bourgeoisie in der antiimperialistischen Bewegung, die noch von den stalinistischen Parteien unterstützt wurde.
101. In Indien bestätigte sich die Theorie der Permanenten Revolution durch den katastrophalen Verrat der antiimperialistischen Unabhängigkeitsbewegung durch Gandhi, Nehru und die bürgerliche Kongresspartei in den Jahren 1947/48. Die indische Bourgeoisie akzeptierte die Teilung des Landes in ein vorwiegend hinduistisches Indien und ein muslimisches Pakistan, was umgehend zu religiös motivierten Konflikten führte, die bis zu einer Million Menschen das Leben kosteten. Das schreckliche Erbe der Teilung zeigt sich in den Jahrzehnten von Krieg, Gewalt und einer anhaltenden Massenarmut. In der einen oder anderen Form brachte die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die von der Bourgeoisie geführten nationalen Bewegungen in einem Land nach dem anderen politische Katastrophen hervor. Die Schlüsselrolle spielten dabei die stalinistischen Parteien, die unbeeindruckt ihre von Klassenkollaboration geprägte "Zwei-Stadien-Theorie" vertraten - zunächst die Unabhängigkeit unter Führung der Bourgeoisie und später, zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, der Sozialismus. Dadurch verhinderten sie den Kampf der Arbeiterklasse um die politische Vorherrschaft in der antiimperialistischen Massenbewegung und die Machtübernahme.
102. In scharfem Kontrast zu den Stalinisten nahm die trotzkistische Bewegung in Ceylon (später Sri Lanka), die in der Bolschewistisch-Leninistischen Partei Indiens (BLPI) organisiert war, einen prinzipiellen und internationalistischen Standpunkt ein. Sie wandte sich gegen die politische Übereinkunft, die zwischen der nationalen Bourgeoisie und dem britischen Imperialismus ausgehandelt worden war und formal den Kolonialstatus beendete. Diese Haltung wurde umgehend bestätigt, als die Bourgeoisie in Sri Lanka ein Staatsbürgerschaftsrecht einführte, dass eben jene Bevölkerungsteile entrechtete, die im Kampf gegen die britische Herrschaft eine höchst wichtige Rolle gespielt hatten: die tamilischen Plantagenarbeiter. Seit der Unabhängigkeit setzte die singhalesische Bourgeoisie hauptsächlich auf Rassismus gegenüber der tamilischen Minderheit, um von der sozialen Spaltung abzulenken und eine vereinte Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern.
Die Chinesische Revolution
103. In China nahm die nationalistische Bewegung die Form eines Bauernaufstands unter direkter Führung der Kommunistischen Partei Chinas an. Nach ihrer katastrophalen Niederlage im Jahre 1927 hatte sich die Kommunistische Partei aufs Land zurückgezogen und unter Teilen der Bauernschaft "Rote Armeen" aufgebaut. Mit welchen praktischen und pragmatischen Gründen sie auch immer ihre Umorientierung zu rechtfertigen versuchte - die Abkehr der Kommunistischen Partei von ihren städtischen und proletarischen Wurzeln führte zu einem umfassenden Wandel im politischen und sozialen Charakter der Partei. Die Beibehaltung marxistischer Phrasen änderte nichts an der Tatsache, dass die chinesischen Stalinisten sich jetzt hauptsächlich auf die Bauernschaft stützten. Bezeichnenderweise spielte Mao Tsetung, der vor der Niederlage von 1927 dem rechten Flügel der KPCh angehörte, die führende Rolle bei den Veränderungen in strategischer Orientierung und gesellschaftlicher Basis der Partei.
104. Trotzki verfolgte die Ereignisse in China aufmerksam, auch nachdem er 1927 aus der Kommunistischen Partei Russlands und der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden war. In einem Brief aus dem Jahre 1932 an Anhänger der Linken Opposition in China erklärte er, welche Folgen die politische und soziologische Entwicklung der KPCh hat: Käme die Kommunistische Partei auf Grundlage einer Bauernbewegung an die Macht, würde ihre Politik letztlich die Interessen und Anschauungen dieser gesellschaftlichen Basis widerspiegeln. Trotzki sah die Möglichkeit eines Konflikts zwischen Bauernschaft und Arbeitern voraus: "Die Bauernbewegung ist ein mächtiger revolutionärer Faktor, sofern sie sich gegen die Großgrundbesitzer, die Militärmachthaber, die Feudalherren und Wucherer richtet. Aber in der Bauernbewegung selbst gibt es sehr starke, eigentumfixierte und reaktionäre Tendenzen, die sich in einem gewissen Stadium feindlich - sogar mit Waffengewalt - gegen die Arbeiter richten können. Wer den Doppelcharakter der Bauernschaft vergisst, ist kein Marxist. Man muss die fortschrittlichen Arbeiter lehren, hinter den kommunistischen Aushängeschildern und Bannern die wirklichen gesellschaftlichen Prozesse zu erkennen."[67]
105. Als die japanische Besatzung am Ende des Zweiten Weltkriegs zusammenbrach, begann die KPCh eine Offensive, die schließlich im Oktober 1949 zur Eroberung der politischen Macht führte. Maos Sieg war weitaus weniger seiner "Genialität" geschuldet - die weder vor noch nach 1949 besonders in Erscheinung trat - sondern vielmehr außergewöhnlich günstigen Ausgangsbedingungen, die durch den militärischen Zusammenbruch des japanischen Reiches gegeben waren. Außerdem versuchte die KPCh selbst nach dem japanischen Zusammenbruch wiederholt, eine Übereinkunft mit Tschiang Kai-schek und der Kuomintang auszuhandeln. Es lag vielmehr an Tschiangs Unnachgiebigkeit denn an Maos Entschlossenheit, dass kein Kompromiss zwischen den beiden Lagern zustande kam. Die KPCh kam widerwillig zu dem Schluss, dass Tschiangs Sturz notwendig war.
106. Maos Regime setzte bürgerlich-nationalistische Maßnahmen durch, darunter die Enteignung der Großgrundbesitzer, stand aber der Arbeiterklasse zutiefst feindselig gegenüber. Es unterdrückte brutal die chinesischen Trotzkisten, die nach der Niederlage 1927 weiterhin in den proletarisch geprägten Stadtzentren aktiv waren. Nach langem Zögern übernahm das Regime die Kontrolle über einen Großteil der chinesischen Industrie. Die KPCh errichtete einen bürokratischen Polizeistaat nach stalinistischem Vorbild, verband die Verstaatlichung der Industrie und sozialistische Rhetorik mit einer Innenpolitik, die rücksichtslos jede Opposition, insbesondere aber die von links, unterdrückte. Die nationalistische Politik der KPCh, darunter auch der so genannte "Große Sprung nach vorn", hatte katastrophale Folgen und verursachte unter anderem eine Hungersnot, die etwa 30 Millionen Menschen das Leben kostete. Auf internationaler Ebene hielt der Maoismus an der stalinistischen Theorie einer Allianz mit der Bourgeoisie in rückständigen Ländern fest. Das hatte katastrophale Konsequenzen in ganz Asien, zum Beispiel in Indonesien (wo das indonesische Militär und antikommunistische, paramilitärische Kräfte in den Jahren 1965/66 mit Rückendeckung der CIA eine Million Arbeiter und Bauern abschlachteten) und in Vietnam (wo die Stalinisten 1954 mit dem französischen Imperialismus eine Teilung des Landes aushandelten, die den Boden für die US-Intervention schuf).
Die Gründung des Staates Israel
107. Das Prinzip national ausgerichteter Politik und Reformen fand einen etwas anderen Ausdruck in der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 durch die Teilung des britischen Protektorats Palästina. Weltweit betrachteten viele Menschen die Gründung des jüdischen Staates Israel mit Sympathie, denn sie waren über den faschistischen Horror entsetzt, der zur Vernichtung von zwei Dritteln der europäischen Juden geführt hatte. Objektiv betrachtet war die Gründung Israels gesellschaftlich wie politisch reaktionär, da sie auf dem Prinzip ethnisch-religiöser Ausgrenzung beruhte und die Palästinenser ihrer Heimat beraubte. Der Staat Israel sollte später zur Hauptstütze und Militärbastion des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten werden. Diese Tragödie sowohl für die jüdische als auch die arabische Bevölkerung wurde durch den Stalinismus ermöglicht, der durch seine Verrätereien und seinen Antisemitismus viele ursprünglich sozialistisch orientierte Juden in die Arme des Zionismus trieb. In den 1920er Jahren hatte die Kommunistische Partei Palästinas für eine vereinte Bewegung von jüdischen und arabischen Arbeitern gekämpft. Doch die nationalistische Degeneration der stalinistischen Parteien wirkte sich auch in der KPP aus, die sich noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs entlang ethnischer Linien teilte. Die sowjetische Bürokratie vervollständigte ihren Verrat an der Arbeiterklasse in dieser Weltregion, indem sie als Teil ihrer Nachkriegsabkommen mit dem Imperialismus die Gründung Israels befürwortete. Im Gegensatz dazu vertrat die Vierte Internationale eine internationalistische Position, die sich auf die Einheit der Arbeiterklasse stützte. Sie schrieb im Jahre 1948:
"Die Vierte Internationale weist die zionistische Lösung der jüdischen Frage als utopisch und reaktionär zurück. Sie erklärt, dass eine vollkommene Ablehnung des Zionismus die notwendige Bedingung ist, um die Kämpfe der jüdischen Arbeiter mit den sozialen, nationalen und Befreiungskämpfen der arabischen Werktätigen zu vereinen. Sie erklärt, dass die Forderung nach jüdischer Einwanderung in Palästina durch und durch reaktionär ist, wie es überhaupt reaktionär ist, die Einwanderung von unterdrückenden Völkern in Kolonialländer zu fordern. Sie ist der Auffassung, dass die Frage der Einwanderung sowie die Beziehung zwischen Juden und Arabern erst dann angemessen gelöst werden kann, wenn der Imperialismus durch eine frei gewählte verfassungsgebende Versammlung vertrieben wird, in der die Juden als nationale Minderheit volle Rechte genießen."[68]
Der Koreakrieg
108. Neben der Chinesischen Revolution fanden die antikolonialen Unruhen der Nachkriegsära ihren explosivsten Ausdruck beim Ausbruch des Koreakriegs im Juni 1950, bei dem die Streitkräfte Nordkoreas unter stalinistischer Führung rasch die Armee des von den Vereinigten Staaten unterstützten südkoreanischen Diktators Syngman Rhee überrannten. Unter dem Deckmantel einer UN-Resolution befahl US-Präsident Truman dem amerikanischen Militär einzugreifen und eroberte einen Großteil der Halbinsel zurück. Als sich die US-Streitkräfte der chinesischen Grenze näherten, griff China mit Truppen in den Konflikt ein und drängte die Amerikaner zurück; schließlich stabilisierten sich die Kämpfe entlang einer Linie, die in etwa der Vorkriegsgrenze entsprach. Die amerikanische SWP stellte den Kampf in Zusammenhang mit der um sich greifenden Revolution in den Kolonialländern und widersprach der Behauptung, die koreanische Bevölkerung sei nichts weiter als eine Moskauer Marionette. In einem offenen Brief an die US-Regierung erklärte Cannon:
"Die amerikanische Intervention in Korea ist eine brutale imperialistische Invasion, die sich in nichts von dem französischen Krieg in Indochina oder dem holländischen Überfall auf Indonesien unterscheidet. Amerikanische Jungens werden 10.000 Meilen weit weggeschickt, um zu töten und selbst getötet zu werden, nicht um das koreanische Volk zu befreien, sondern um es zu erobern und zu unterwerfen. Es ist abscheulich. Es ist eine Ungeheuerlichkeit."
Der Kampf des koreanischen Volkes, fuhr Cannon fort, "ist Bestandteil eines machtvollen Aufstandes der nach Hunderten von Millionen zählenden kolonialen Völker in ganz Asien gegen den westlichen Imperialismus. Das ist die Wahrheit, darum geht es. Die kolonialen Sklaven wollen nicht länger Sklaven sein."[69]
109. Der Koreakonflikt zeigte deutlich die reaktionären Implikationen der Theorien, die Sowjetunion stelle eine neue Form der Klassengesellschaft dar, ob sie nun als "bürokratischer Kollektivismus" oder "Staatskapitalismus" bezeichnet wurde. Der Theoretiker des "bürokratischen Kollektivismus", Max Shachtman, hatte zehn Jahre zuvor mit der Vierten Internationale gebrochen und dabei feierlich erklärt, eine unabhängige, "dritte" Position zu wahren. Aber im Jahre 1950 ging er offen in das Lager des amerikanischen Imperialismus über. Von Shachtmans damaliger Organisation, der so genannten Workers Party, entworfene Flugblätter wurden aus der Luft über chinesischen und nordkoreanischen Soldaten abgeworfen und lieferten ihnen "sozialistische" Argumente, um sich den amerikanischen Invasoren zu ergeben. Der führende Vertreter der "staatkapitalistischen" Ansicht, Tony Cliff, brach mit der Revolutionary Communist Party, die damals die Sektion der Vierten Internationale in Großbritannien war und Cannons kompromisslose Opposition gegen den imperialistischen Krieg unterstützte. Cliff dagegen nahm eine Position strikter Neutralität ein und verurteilte den von ihm so genannten "russischen Imperialismus" ebenso wie den der Vereinigten Staaten.
Die Ursprünge des pablistischen Revisionismus
110. Die erneute Stabilisierung der kapitalistischen Entwicklung verlieh den sozialen Kämpfen der Nachkriegszeit ihren widersprüchlichen Charakter. Das Kriegsende brachte einen Aufschwung im Klassenkampf in den entwickelten Ländern und die antiimperialistische Bewegung in den Kolonien mit sich. Die ökonomische Stabilisierung erweiterte allerdings enorm das Handlungsfeld für die bürgerlich-nationalistischen Bewegungen, Stalinisten, Gewerkschaftsbürokraten und verschiedenen kleinbürgerlichen Bewegungen, die diese Kämpfe anführten. Die objektive Funktion dieser Bewegungen und Organisationen bestand darin, in der einen oder anderen Form unter größeren Teilen der Arbeiterklasse und unterdrückten Massen eine Unterstützerbasis für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Weltsystems zu schaffen. Sie förderten die Illusion, dass durch eine Politik nationaler Reformen, denen nach dem Krieg neues Leben eingehaucht wurde, dauerhafte Errungenschaften zu erreichen seien.
111. Die Komplexität der Nachkriegsperiode fand Ausdruck in Form einer revisionistischen Tendenz innerhalb der trotzkistischen Bewegung, die sich an die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Organisationen anpasste. Die Revisionisten fingen an, die stalinistischen und sozialdemokratischen Tendenzen wie auch die kleinbürgerlich-nationalistischen und radikalen Bewegungen nicht als Hindernisse für die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse zu sehen, sondern betrachteten sie vielmehr als alternative Vehikel, um den Sozialismus zu erreichen. Es ging ihnen nicht mehr darum, diesen Organisationen die unabhängige Perspektive der Vierten Internationale entgegenzusetzen. Vielmehr wollten sie die Vierte Internationale in ein Druckmittel verwandeln, um auf die vorhandenen Führer der Arbeiterklasse und nationalen Bewegungen einzuwirken. Die Revisionisten schrieben den Stalinisten und bürgerlichen Nationalisten eine historisch progressive Rolle zu und wiesen Trotzkis Analyse zurück, dass ihnen ein grundlegend konterrevolutionärer Charakter eigen sei. Die umfassende Revision der Perspektive, auf der die Vierte Internationale gegründet worden war, ging ursprünglich von zwei Männern aus, die führende Positionen in der trotzkistischen Bewegung im Nachkriegseuropa innehatten: Michel Pablo und Ernest Mandel.
112. Pablos Revisionen waren eine impressionistische Reaktion auf die politischen Veränderungen in Osteuropa. Die erste Reaktion der Vierten Internationale auf die Errichtung der stalinistisch dominierten Regimes gründete sich auf Trotzkis Analyse und Verständnis. Trotz der politischen "Erfolge" des Stalinismus bestand die Vierte Internationale darauf, dass dieser seinem Wesen nach eine konterrevolutionäre Rolle spielte. So hieß es in einer Stellungnahme aus dem Jahre 1946:
"Ihre abscheulichen Verrätereien, die Unterdrückung von Massenerhebungen, ihr konterrevolutionärer Terror, die Verwüstungen, die sie anrichteten, und ihre Plünderungen - all dies diskreditiert in den Augen der Arbeiter allein schon das Wort, schon die Idee des Kommunismus. Wie schwer wiegen die Verstaatlichungen in Osteuropa gegen die Verbrechen Stalins an der Arbeiterklasse? Die stalinistischen konterrevolutionären Abenteuer in Osteuropa haben dem Stalinismus keineswegs den Ruf eingebracht, eine progressive historische Mission zu erfüllen; sie haben vielmehr die Dringlichkeit verschärft, diesen blutigen Dämon zu besiegen und ihn daran zu hindern, noch mehr Schaden anzurichten, als er der Weltarbeiterklasse und ihrem Kampf für ihre Emanzipation bereits zugefügt hat.
Die Blindheit des Stalinismus, sein unbeschreiblich reaktionärer Charakter und sein historischer Bankrott offenbaren sich unübersehbar vor allem in Osteuropa. Gegen armselige Ausbeute, gegen erbärmliche Reparationszahlungen, die die wirtschaftlichen Nöte der UdSSR nicht im Geringsten beheben, hat der Kreml in ganz Osteuropa und weltweit eine Mauer des Hasses gegen sich errichtet. Als Gegenleistung für die militärische Kontrolle über die von Armut heimgesuchten, bankrotten Balkanstaaten hat der Kreml den anglo-amerikanischen Imperialisten geholfen, die Revolution zu unterdrücken und den niedergehenden Kapitalismus wieder aufzupäppeln."[70]
113. Im April 1949 erklärte das Internationale Exekutivkomitee der Vierten Internationale:
"Man kann den Stalinismus nicht aufgrund vereinzelter Ergebnisse seiner Politik einschätzen, sondern muss von der Gesamtheit seiner Aktivitäten auf Weltebene ausgehen. Betrachten wir den Verfallszustand, in dem sich der Kapitalismus selbst vier Jahre nach Kriegsende noch befindet, und betrachten wir die konkrete Situation von 1943-45, so steht außer Frage, dass auf Weltebene der Stalinismus der entscheidende Faktor war, der den plötzlichen und zeitgleichen Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung in Europa und Asien verhinderte. In diesem Sinne sind die Errungenschaften der Bürokratie in der Pufferzone höchstens der Preis, den der Imperialismus für ihm auf Weltebene geleistete Dienste bezahlte - und dieser Preis wird darüber hinaus inzwischen ständig in Frage gestellt.
Vom internationalen Standpunkt aus wiegen die Reformen der Sowjetbürokratie - die Angleichung der Pufferzone an die UDSSR - weit weniger schwer als die Schläge, die die Sowjetbürokratie gerade durch ihre Taten in der Pufferzone dem Bewusstsein des Weltproletariats versetzt hat, das sie mit ihrer Politik demoralisiert, verwirrt, fehlleitet und lähmt, so dass es teilweise für die imperialistischen Kampagnen zur Vorbereitung eines neuen Krieges empfänglich wird. Selbst vom Standpunkt der UdSSR aus gefährden sie die Niederlagen und die Demoralisierung des Weltproletariats, die der Stalinismus verursacht hat, weit mehr, als sie die Festigung der Pufferstaaten stärkt."[71]
Pablo weist den Trotzkismus zurück
114. Doch im Lauf des Jahres 1949 gab es Anzeichen, dass Pablo seine Haltung veränderte. Er fing an, über den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus zu schreiben, der sich über "Jahrhunderte" hinweg in "deformierten Arbeiterstaaten" nach stalinistischem Vorbild vollziehen würde. Im Jahre 1951 verabschiedete das Internationale Exekutivkomitee der Vierten Internationale eine Resolution, die die Theorie der "Kriegsrevolution" unterstützte. Nach dieser Theorie sollte der Ausbruch eines Kriegs zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die Form eines weltweiten Bürgerkriegs annehmen, der wiederum die Sowjetbürokratie dazu zwingen werde, als Geburtshelferin für die soziale Revolution zu fungieren. Im selben Jahr veröffentlichte Pablo ein Dokument, in dem es heißt:"Die gesellschaftliche Wirklichkeit besteht für unsere Bewegung im Wesentlichen aus der kapitalistischen Herrschaft und der stalinistischen Welt."[72]
115. Pablos Analyse schrieb den Klassenkonflikt ebenso ab wie die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse und die historische Notwendigkeit der Vierten Internationale. Für ihn bestand die Aufgabe der Vierten Internationale darin, als Druckmittel innerhalb der existierenden stalinistischen Organisationen zu wirken. Der Pablismus erweiterte die falschen Behauptungen zugunsten der stalinistischen Bürokratie auf die bürgerlich-nationalen Bewegungen in den halbkolonialen und unterentwickelten Ländern. Anstelle einer Klassenanalyse sprach Pablo vom "Aufgehen in der echten Massenbewegung". In einem Bericht an den Dritten Weltkongress der Vierten Internationale im August/September 1951 zog Pablo folgende Schlüsse aus dieser Perspektive: "Es gibt heute keine einzige trotzkistische Organisation, in der nicht alle oder zumindest ein Teil ernsthaft, tiefgreifend und konkret verstehen, dass es notwendig ist, alle organisatorischen Erwägungen betreffs der formalen Eigenständigkeit der wirklichen Integration in die Massenbewegung, wie sie sich in jedem Land ausdrückt, unterzuordnen, beziehungsweise der Integration in eine wichtige Strömung in dieser Massenbewegung, die man beeinflussen kann."[73]
116. Die theoretische Grundlage des Pablismus war eine objektivistische Methode, die die Bedeutung, welche die marxistische Bewegung der Rolle der Partei für die Entwicklung der Weltrevolution beimisst, leugnete. So heißt es an späterer Stelle:
"Der Standpunkt des Objektivismus besteht darin, zu betrachten anstatt praktisch revolutionär zu handeln, zu beobachten anstatt zu kämpfen, zu rechtfertigen, was geschieht, anstatt zu erklären, was getan werden muss. Diese Methode lieferte die theoretische Untermauerung für eine Perspektive, in der der Trotzkismus nicht mehr als die Lehre zur Anleitung der praktischen Tätigkeit der Partei gesehen wurde, die entschlossen ist, die Macht zu erobern und den Verlauf der Geschichte zu ändern, sondern als eine allgemeine Interpretation eines historischen Prozesses, in dessen Verlauf der Sozialismus letztlich unter der Führung nicht-proletarischer Kräfte errichtet wird, die der Vierten Internationale feindlich gegenüberstehen. Insofern dem Trotzkismus überhaupt eine direkte Rolle im Gang der Ereignisse zugeschrieben wurde, dann bestand sie lediglich in einer Art unterbewusstem geistigen Prozess, der unbewusst die Aktivitäten der Stalinisten, Neostalinisten, Halbstalinisten und natürlich der kleinbürgerlichen Nationalisten dieser oder jener Prägung anleitete.
In diesem Sinne war der Pablismus weit mehr als eine Reihe unzutreffender Behauptungen, falscher Prognosen und programmatischer Revisionen. Er griff die gesamte Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus an und verwarf die zentralen Lehren, die die Marxisten aus der historischen Entwicklung des Klassenkampfes in einem ganzen Jahrhundert abgeleitet hatten. Die größte Errungenschaft des Marxismus im zwanzigsten Jahrhundert - die leninistische Parteikonzeption - wurde untergraben, als Pablo die Notwendigkeit des bewussten Faktors im Kampf des Proletariats und in der historischen Verwirklichung der proletarischen Diktatur ablehnte. Für Pablo und seine Anhänger bestand keine Notwendigkeit, die Arbeiterklasse theoretisch zu erziehen und ihr ihre historischen Aufgaben bewusst zu machen. Es bestand keine Notwendigkeit, für den Marxismus und gegen die Vorherrschaft bürgerlicher Ideologie in der spontanen Bewegung der Arbeiterklasse zu kämpfen....
Die Anpassung an den Stalinismus war ein wichtiges Merkmal der neuen, pablistischen Anschauung, aber es wäre falsch, allein darin ihre Wesensart zu sehen. Der Pablismus war (und ist) schrankenloses Liquidatorentum, d. h. die Zurückweisung der Hegemonie des Proletariats in der sozialistischen Revolution und der wirklich unabhängigen Existenz der Vierten Internationale als bewusster Ausdruck der historischen Rolle der Arbeiterklasse....
Die praktische Tätigkeit der trotzkistischen Bewegung sollte sich nicht länger auf die Erziehung des Proletariats konzentrieren, um ihm seine historischen Aufgaben bewusst zu machen und seine bedingungslose programmatische und organisatorische Unabhängigkeit von allen anderen Klassenkräften herzustellen. Sie sollte sich auch nicht mehr auf eine wissenschaftliche Analyse der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und der Klassenkräfte stützen, die wiederum auf dem Boden eines historisch begründeten Vertrauens in die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse stand. Stattdessen sollte sie sich nach taktischen Zweckmäßigkeiten richten. Prinzipielle Positionen, das Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe, sollten dabei der vergeblichen Hoffnung geopfert werden, die Führer der stalinistischen, sozialdemokratischen und bürgerlich-nationalistischen Organisationen zu beeinflussen und nach links zu drücken."[74]
117. Auf Grundlage dieser Perspektive versuchte Pablo mit Mandels Unterstützung, seine Stellung als Internationaler Sekretär der Vierten Internationale auszunutzen und ganze Sektionen zu zwingen, sich als unabhängige Organisationen aufzulösen und in stalinistische Parteien einzutreten; eine Taktik, die von ihnen als Entrismus sui generis bezeichnet wurde. Die Revisionisten kamen zu dem Schluss, das Bemühen um den Aufbau von Sektionen der Vierten Internationale in jedem Land sei ein Fehler gewesen. Diese Position wurde zum Kennzeichen einer katastrophalen Perspektive, die immer wieder aufs Neue zum Tragen kam, bei unzähligen opportunistischen Tendenzen auch heute noch. Sie meinen, es sei nicht möglich revolutionäre Parteien aufzubauen und daher müsse man nach irgendeiner anderen Kraft Ausschau halten, die zu dem gegebenen Zeitpunkt gerade zufällig eine Massenorganisation leitet - unabhängig von deren Geschichte, Programm und Klassenbasis.
118. Die pablistische Tendenz in den Vereinigten Staaten wurde von Bert Cochran angeführt. Sie fand vor allem Unterstützung unter einer Gruppe von Gewerkschaftern innerhalb der SWP, die den Druck des Antikommunismus auf die Arbeiterklasse ebenso widerspiegelten wie das Anwachsen einer eher konservativen Schicht von Arbeitern, die von einem steigenden Lebensstandard profitierten. Die Cochran-Anhänger lehnten jede Diskussion über die Spaltung zwischen Trotzkismus und Stalinismus ab, eine Position, die in ihrem berüchtigten Wahlspruch "Werft den alten Trotzkismus über Bord" zum Ausdruck kam. Cochran wandte sich gegen das Grundprinzip, dass sozialistisches Bewusstsein historisches Bewusstsein ist, als er 1951 schrieb: "...während Trotzki in ganz unmittelbarem und direktem Sinne der Lehrer und Führer unserer Bewegung war, so folgt daraus doch keineswegs, dass wir Arbeiter dadurch unter unserem Banner sammeln werden, dass wir ihnen Recht und Unrecht im Kampf zwischen Stalin und Trotzki einbläuen, der inzwischen Geschichte ist."[75] Diese Forderung, Geschichte zu vergessen, meinte in Wirklichkeit, dass die Perspektive und Prinzipien vergessen werden sollten, die in dieser Geschichte beinhaltet sind. Die meisten Cochran-Anhänger brachten diese liquidatorische Perspektive schließlich zu ihrem logischen Ende, indem sie sich in den Gewerkschaften auflösten und in die Demokratische Partei eintraten.
Der "Offene Brief" und die Gründung des Internationalen Komitees
119. Die Fraktionskämpfe, die sich innerhalb der Vierten Internationale entwickelten, kulminierten im November 1953 in der Veröffentlichung eines Offenen Briefes, den Cannon an die Trotzkisten in der ganzen Welt richtete. Unterstützt von den trotzkistischen Organisationen in Großbritannien und Frankreich war Cannons Handeln vollkommen durch die Umstände gerechtfertigt, mit denen die Weltbewegung konfrontiert war. Auf dem Spiel standen die Verteidigung der wesentlichen politischen Prinzipien, auf denen die Vierte Internationale seit ihrer Gründung beruhte, und ihr Überleben als unabhängige revolutionäre Organisation. Cannons Brief erklärte, warum es keinen Kompromiss mit dem Pablismus geben könne, und fasste diese Prinzipien folgendermaßen zusammen:
"1. Der Todeskampf des kapitalistischen Systems droht, die Zivilisation durch immer schlimmere Depressionen, Weltkriege und barbarische Erscheinungen wie den Faschismus, zu zerstören. Die Entwicklung von Atomwaffen unterstreicht heute diese Gefahr auf das Ernsteste und Nachdrücklichste.
2. Der Sturz in den Abgrund kann nur verhindert werden, indem der Kapitalismus weltweit durch eine sozialistische Planwirtschaft ersetzt, und so die Spirale des Fortschritts, die der Kapitalismus in seiner Frühzeit in Gang gesetzt hat, wieder aufgenommen wird.
3. Dies kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse geschehen, da sie die einzige wahrhaft revolutionäre Klasse in der Gesellschaft ist. Doch die Arbeiterklasse selbst ist mit einer Krise der Führung konfrontiert, obwohl die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse auf Weltebene noch nie so günstig wie heute dafür waren, dass die Arbeiter den Weg der Machteroberung beschreiten können.
4. Um sich für die Durchsetzung dieses welthistorischen Zieles zu organisieren, muss die Arbeiterklasse in jedem Land eine revolutionäre Partei nach dem Muster, wie es Lenin entwickelt hat, aufbauen; das heißt, eine Kampfpartei, die in der Lage ist, Demokratie und Zentralismus dialektisch zu vereinen - Demokratie in der Entscheidungsfindung, Zentralismus bei der Durchführung dieser Beschlüsse; mit einer Führung, die von den einfachen Mitgliedern kontrolliert wird, Mitgliedern, die fähig sind, diszipliniert vorzugehen, auch wenn sie unter Feuer stehen.
5. Das Haupthindernis hierfür ist der Stalinismus, der dadurch, dass er das Ansehen der Oktoberrevolution von 1917 in Russland ausnutzt, Arbeiter anzieht, nur um dann später ihr Vertrauen zu missbrauchen und sie entweder in die Arme der Sozialdemokratie, in Apathie oder zurück zu Illusionen über den Kapitalismus zu treiben. Den Preis für diese Verrätereien hat dann das arbeitende Volk zu zahlen, in Form einer Stärkung faschistischer oder monarchistischer Kräfte und durch neue Kriege, die der Kapitalismus hervorbringt und vorbereitet. Seit ihrer Gründung stellte sich die Vierte Internationale als eine ihrer Hauptaufgaben den Sturz des Stalinismus innerhalb und außerhalb der UdSSR.
6. Viele Sektionen der Vierten Internationale sowie Parteien und Gruppen, die mit ihrem Programm sympathisieren, stehen vor der Notwendigkeit einer flexiblen Taktik. Es ist daher umso dringender, dass sie wissen, wie man den Imperialismus und alle seine kleinbürgerlichen Agenturen (wie z.B. nationalistische Organisationen und Gewerkschaftsbürokratien) bekämpft, ohne vor dem Stalinismus zu kapitulieren; dass sie umgekehrt wissen, wie man gegen den Stalinismus kämpft (der letzten Endes eine kleinbürgerliche Agentur des Imperialismus ist), ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren."[76]
120. Der Offene Brief wies darauf hin, dass Pablo diese Prinzipien über Bord geworfen hatte.
"Anstatt die Gefahr einer neuen Barbarei herauszustreichen, hält er die Entwicklung zum Sozialismus für unaufhaltsam; und doch sieht er den Sozialismus nicht für unsere Generation oder eine der nächsten Generationen kommen.
Stattdessen vertritt er das Konzept einer alles überflutenden Welle von Revolutionen, die nichts als deformierte Arbeiterstaaten, d.h. Arbeiterstaaten des stalinistischen Typus hervorbringen, die dann jahrhundertelang weiter bestehen.
Damit verrät er den größtmöglichen Pessimismus über die Fähigkeiten der Arbeiterklasse, was völlig auf einer Linie liegt mit dem Spott, mit dem er sich kürzlich über den Kampf für den Aufbau unabhängiger revolutionärer sozialistischer Parteien äußerte. Anstatt am Hauptkurs festzuhalten und mit allen taktischen Mitteln unabhängige revolutionäre sozialistische Parteien aufzubauen, blickt er auf die stalinistische Bürokratie oder einen entscheidenden Teil dieser Bürokratie, ob sie sich nicht unter dem Druck der Massen dazu bringen lässt, sich zu verändern und die Ideen und das Programm des Trotzkismus anzunehmen."[77]
121. Cannons Brief schloss mit einer Warnung und dem Aufruf zu handeln:
"Wir fassen zusammen: Der Graben zwischen Pablos Revisionismus und dem orthodoxen Trotzkismus ist so tief, dass weder ein politischer noch ein organisatorischer Kompromiss möglich ist. Die Pablo-Fraktion hat bewiesen, dass sie das Zustandekommen von demokratischen Entscheidungen, die wirklich die Meinung der Mehrheit widerspiegeln, nicht zulassen wird. Sie verlangen die vollständige Unterordnung unter ihre verbrecherische Politik. Sie sind entschlossen, alle orthodoxen Trotzkisten aus der Vierten Internationale zu vertreiben oder ihnen einen Maulkorb umzuhängen und Handschellen anzulegen...
Wenn wir den Sektionen der Vierten Internationale von unserer Position aus, die erzwungenermaßen außerhalb der Mitgliedschaft liegt, einen Rat geben dürfen[78], so meinen wir, dass es Zeit ist zu handeln. Es ist Zeit, dass die orthodox-trotzkistische Mehrheit der Vierten Internationale ihren Willen gegen Pablos Machtanmaßung durchsetzt."[79]
Die leninistisch-trotzkistische Theorie der Partei
122. Nach der Spaltung schrieb Cannon über die wesentlichen Fragen im Hinblick auf die politischen Prinzipien, die aufgekommen waren. Er betonte dabei den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Marxismus und den spontaneistischen Konzeptionen von Pablo und Mandel.
"Wir allein richten uns uneingeschränkt nach Lenins und Trotzkis Theorie der Partei als der bewussten Avantgarde und ihrer Rolle als Führung im revolutionären Kampf. Diese Frage wird brennend aktuell und ist in der gegenwärtigen Epoche wichtiger als alle anderen.
Das Problem der Führung nun beschränkt sich nicht auf die spontanen Erscheinungen des Klassenkampfes in einem lang hingezogenen Prozess, ja nicht einmal auf die Eroberung der Macht in diesem oder jenem Land, wo der Kapitalismus besonders schwach ist. Es ist vielmehr eine Frage der Entwicklung der internationalen Revolution und der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft. Wer die Annahme zulässt, dass dies automatisch geschehen könnte, gibt in Wirklichkeit den ganzen Marxismus auf. Nein, es erfordert bewusstes Handeln, und dazu ist die Führung der marxistischen Partei, die das bewusste Element im historischen Prozess darstellt, unerlässlich. Keine andere Partei taugt dafür. Keine andere Tendenz in der Arbeiterbewegung kann als hinlänglicher Ersatz angesehen werden. Aus diesem Grund ist unsere Haltung gegenüber allen anderen Parteien und Tendenzen unversöhnlich feindlich.
Wenn die Kräfteverhältnisse eine Anpassung der Kader der Avantgarde an Organisationen erfordern, die momentan von solchen feindlichen Tendenzen beherrscht werden - von Stalinisten, Sozialdemokraten, Zentristen -, dann muss eine solche Anpassung stets als eine taktische Anpassung gesehen werden, die dazu dient, den Kampf gegen sie zu erleichtern, niemals, um ihnen die entscheidende historische Rolle zuzuschreiben, während den Marxisten die zweitrangige Aufgabe überlassen bleibt, freundliche Ratschläge zu erteilen und loyale Kritik zu äußern."[80]
Stalinismus in der Krise
123. Der Kampf innerhalb der Vierten Internationalen war sowohl Spiegelbild als auch Vorwegnahme von Veränderungen auf Weltebene. Als sich die Spaltung vollzog, steckte der Kreml in einer Krise. Die blutigen Säuberungen in Osteuropa und die berüchtigten Festnahmen von jüdischen Ärzten in der Sowjetunion machten selbst dem direkten Umfeld von Stalin völlig klar, dass die ausufernde Paranoia des Diktators jede kohärente Antwort auf die Krise der sowjetischen Nachkriegsgesellschaft verhinderte. Als Stalin im März 1953 plötzlich unter sonderbaren Begleitumständen starb, bot sich die Möglichkeit für eine veränderte Politik. Nach einem kurzen Fraktionskampf innerhalb des Politbüros wurde Lawrenti Beria, der Chef von Stalins Geheimpolizei, seines Postens enthoben und hingerichtet. Durch diesen Akt zeigte die Bürokratie, die ihre Macht der Zerstörung des revolutionären Kaders der Bolschewistischen Partei durch Stalin verdankte, ihren Wunsch, die Privilegien ohne die permanente Gefahr von Säuberungen, Verhaftungen und Hinrichtungen zu genießen. Aber der Zugang der Bürokratie zu den Privilegien war durch die wachsende Unzufriedenheit der Arbeiterklasse in der Sowjetunion und Osteuropa stärker gefährdet als bisher. Im Juni 1953 erhoben sich ostdeutsche Arbeiter gegen die stalinistische Bürokratie und wurden von sowjetischen Truppen unterdrückt. Im Februar 1956 hielt Nikita Chruschtschow seine "Geheimrede" vor dem 20. Kongress der Kommunistischen Partei, in der er einige Verbrechen Stalins verurteilte, aber absichtlich die Opfer aus der trotzkistischen Linken Opposition und die bei den Moskauer Prozessen zum Tode Verurteilten ausnahm. Chruschtschow, selbst ein Führer der stalinistischen Bürokratie, konnte die Ursprünge der Stalinschen Verbrechen nicht darlegen und flüchtete sich in einfache Entschuldigungen: Stalins Handlanger in der Bürokratie und die gesamte sowjetische Bevölkerung seien einem "Personenkult" verfallen. Im gleichen Jahr erhob sich die ungarische Arbeiterklasse und bildete Arbeiterräte, die eine Embryonalform der politischen Revolution darstellten. Der Aufstand wurde brutal unterdrückt, als Chruschtschow sowjetische Panzer nach Budapest schickte. Dies verdeutlichte einmal mehr den vollkommen konterrevolutionären Charakter des Stalinismus. Stalins Tod hatte nichts an der Tatsache geändert, dass der Stalinismus jeder revolutionären Bewegung unversöhnlich feindlich gegenüberstand.
124. Die Krise des Stalinismus bot eine gute Gelegenheit für die Klärung zentraler politischer Fragen. Die britischen Trotzkisten unter Führung von Gerry Healy betonten, wie wichtig eine Klärung der großen politischen Fragen sei, die hinter Trotzkis Kampf gegen Stalin standen. Dies beinhaltete natürlich die Vertiefung des Kampfes gegen die Pablisten, die jedes politische Manöver des Stalinismus als Beispiel für eine fortschrittliche "Selbstreform" der Bürokratie interpretierten. Doch an diesem Punkt nahm die SWP-Führung Abschied von ihrem unversöhnlichen Widerstand gegen den Pablismus, den Cannon in den Jahren 1953/54 so kraftvoll vertreten hatte. Im Jahre 1957 zeigte Cannon Interesse an einer möglichen Wiedervereinigung mit den Pablisten und behauptete zu Unrecht, die Differenzen zwischen dem IKVI und dem pablistischen Sekretariat hätten sich über die Jahre hinweg verkleinert. Diese veränderte Haltung der SWP gegenüber den Pablisten war Ausdruck eines klaren Rechtsrucks in der allgemeinen politischen Linie der Partei. In den späten 1950er Jahren zeigte die SWP Interesse, bei einer "Umgruppierung" verschiedener radikaler Tendenzen dabei zu sein. Ihre Hinwendung zu den Pablisten bedeutete eine Veränderung der Klassenausrichtung der SWP, weg von ihrer traditionellen "proletarischen Orientierung" und hin zu Bündnissen mit politischen Vertretern radikaler Teile des Kleinbürgertums.
Castrismus und die Hinwendung der SWP zu Pablo
125. Castros Machtübernahme im Januar 1959 nahm die wachsende opportunistische Fraktion in der SWP zum Anlass, die Partei wieder auf das kleinbürgerliche Milieu des amerikanischen Radikalismus zu orientieren. Die Castro-Regierung war auf Grundlage eines bürgerlich-nationalistischen Programms und durch einen Guerillakrieg, der von der Bauernschaft getragen wurde, an die Macht gelangt. Der nationalistische Charakter der Bewegung und ihre ersten Bemühungen, soziale Reformen umzusetzen, brachten sie in Konflikt mit dem amerikanischen Imperialismus. Als Antwort auf die Drohungen von Seiten der Vereinigten Staaten suchte Castro die Unterstützung der Sowjetunion. Erst an diesem Punkt erklärte sich das Regime selbst als "kommunistisch".
126. Ursprünglich hatte die SWP das Castro-Regime als bürgerlich-nationalistisch bezeichnet. Aber im Laufe des Jahres 1960 veränderte die Partei unter Führung von Joseph Hansen ihre Haltung. Eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung dieser Veränderungen spielte die intensive und politisch undurchsichtige Zusammenarbeit der SWP mit dem zweifelhaften "Fair Play for Cuba Committee". Im Dezember 1960 erklärte die SWP, Kuba sei zum Arbeiterstaat geworden. Hansen rechtfertigte die Haltung auf der kruden empiristischen Basis, dass Verstaatlichungen stattgefunden hatten, und war sich dabei offenbar der Tatsache nicht bewusst, dass die Nationalisierung des Bodens - wie Lenin vielmals in seinen umfangreichen Schriften zur Agrarfrage in Russland betont hatte - ihrem Wesen nach eine bürgerlich-demokratische Maßnahme ist. Auch bezog Hansen die Analyse der kubanischen Entwicklungen nicht auf die historischen und theoretischen Probleme - darunter die Frage nach der Klassengrundlage des Regimes und das Nichtvorhandensein von unabhängigen Arbeiterorganisationen - die die SWP in den Diskussionen über Osteuropa und China vorrangig beschäftigt hatten. Darüber hinaus wurden die Ereignisse in Kuba isoliert von der internationalen Situation und allen Fragen der Weltperspektive behandelt. Die "Tatsache", dass Castro Verstaatlichungen durchgeführt hatte, war ein Beweis dafür, argumentierte die SWP, dass eine Revolution mit "stumpfer Waffe" und von "unbewussten Marxisten" durchgeführt werden könne, die aufgrund des Drucks objektiver Notwendigkeit und ohne die aktive Beteiligung der Arbeiterklasse den Sozialismus einführten.
127. Die Haltung der SWP, die enge Parallelen zur Argumentation der Pablisten aufwies, war einer Zurückweisung der Prinzipien, die Cannon in seinem Offenen Brief dargelegt hatte. Wenn Arbeiterstaaten durch die Taten kleinbürgerlicher Guerillaführer, die ihre Basis in der Bauernschaft hatten, und unter Bedingungen, wo nicht einmal erkennbare Herrschaftsorgane der Arbeiterklasse existierten, geschaffen werden konnten - was sollte dann noch der Zweck der Vierten Internationale sein? Die Bewunderung der SWP für den Castrismus und Guerillakampf in Lateinamerika bedeutete die Zurückweisung einer revolutionären Perspektive für die amerikanische und internationale Arbeiterklasse. Ihre Haltung zu Kuba ging Hand in Hand mit einer zunehmenden Anpassung der Partei an die kleinbürgerliche Protestpolitik in den Vereinigten Staaten.
Die SLL verteidigt den Trotzkismus
128. Diese Entwicklungen intensivierten den politischen Konflikt mit dem Internationalen Komitee. In einem Brief vom 2. Januar 1961 schrieb die Socialist Labour League, die britische Sektion des IKVI, an die SWP-Führung:
"Die größte Gefahr für die revolutionäre Bewegung ist das Liquidatorentum, das sich aus der Kapitulation vor der Stärke des Imperialismus, vor den bürokratischen Apparaten der Arbeiterbewegung oder vor beidem ergibt. Noch unverkennbarer als 1953 vertritt der Pablismus heute diese liquidatorische Tendenz in der internationalen marxistischen Bewegung...
Jede Abweichung von der Strategie der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und des Aufbaus revolutionärer Parteien wird die Bedeutung eines Fehlers der trotzkistischen Bewegung von welthistorischem Ausmaß annehmen...
Gerade weil die Möglichkeiten, die sich dem Trotzkismus eröffnen, so gewaltig sind, und daher die Notwendigkeit politischer und theoretischer Klarheit so groß ist, müssen wir uns nachdrücklich gegenüber dem Revisionismus in allen seinen Formen abgrenzen. Es ist an der Zeit, die Periode zu beenden, in der der pablistische Revisionismus als eine Strömung innerhalb des Trotzkismus betrachtet wurde. Wenn wir das nicht tun, können wir uns nicht für die revolutionären Kämpfe rüsten, die jetzt beginnen."[81]
129. Im Mai 1961 erweiterte die SLL ihre Kritik an der Abwendung der SWP vom Trotzkismus und ihre immer klarere Anpassung an die unzähligen bürgerlichen und kleinbürgerlichen nationalistischen Tendenzen, die die damalige antikoloniale und antiimperialistische Bewegung dominierten. Die Linie der SWP, wie das SLL-Dokument feststellt, bedeutete eine Abkehr von den Konzeptionen, die Trotzki in seiner Theorie der Permanenten Revolution entwickelt hatte:
"Ein wesentlicher Bestandteil des revolutionären Marxismus in unserer Epoche ist die Theorie, dass die nationale Bourgeoisie in den unterentwickelten Ländern unfähig ist, den Kapitalismus zu besiegen und einen unabhängigen Nationalstaat zu errichten. Diese Klasse ist mit dem Imperialismus verbunden und von Natur aus unfähig zu einer unabhängigen kapitalistischen Entwicklung, denn sie ist Teil des kapitalistischen Weltmarktes und kann mit den Produkten der fortgeschrittenen Länder nicht konkurrieren...
Es stimmt zwar, dass die Stufe der Unabhängigkeit von Ländern wie Ghana und nationale Unabhängigkeitsbewegungen unter Führung von Männern wie Mboya in Kenia stimulierend auf nationale Befreiungsbewegungen in anderen Ländern wirken, aber es bleibt doch eine Tatsache, dass Nkrumah, Mboya, Nasser (Ägypten), Kassem, Nehru (Indien), Sukarno (Indonesien) und ihresgleichen die nationale Bourgeoisie ihres Landes vertreten. Die maßgeblichen imperialistischen Politiker in den USA und Großbritannien wissen sehr genau, dass der Besitz und die strategischen Bündnisse des internationalen Kapitals in Asien, Afrika und Lateinamerika nur aufrechterhalten werden können, wenn sie Führern dieser Art die politische Unabhängigkeit geben oder ihren Sieg über feudale Elemente wie Farouk und Nuries-Said akzeptieren....
Trotzkisten sind nicht dazu da, die Rolle solcher nationalistischer Führer aufzuwerten. Diese verfügen nur deshalb über das Vertrauen der Massen, weil die sozialdemokratischen und besonders die stalinistischen Führungen verraten haben. Daher werden sie zu Puffern zwischen dem Imperialismus und den Arbeiter- und Bauernmassen. Die Möglichkeit wirtschaftlicher Hilfe aus der Sowjetunion versetzt sie oft in die Lage, gegenüber den Imperialisten höher zu pokern. Sie ermöglicht es radikaleren Elementen unter den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führern sogar, imperialistischen Besitz anzugreifen und größere Unterstützung bei den Massen zu gewinnen. Die entscheidende Frage für uns aber ist in jedem Fall, dass die Arbeiterklasse in diesen Ländern durch eine marxistische Partei ihre politische Unabhängigkeit herstellt, die arme Bauernschaft zum Aufbau von Sowjets führt und die notwendigen Verbindungen zur internationalen sozialistischen Revolution erkennt. In keinem Fall sollten Trotzkisten unserer Meinung nach diese Strategie durch die Hoffnung ersetzen, dass die nationalistische Führung sozialistisch werde. Die Befreiung der Arbeiterklasse ist die Aufgabe der Arbeiter selbst."[82]
130. Und zur Kubafrage erklärte die SLL:
"Die gegenwärtige Diskussion über Kuba scheint folgendermaßen vorzugehen: Die kubanischen Massen unterstützen Castro; Castro begann als Kleinbürger, ist aber Sozialist geworden; der öffentliche Druck des imperialistischen Angriffs und des Volkskampfes könnten ihn zum Marxisten machen, und schon die Aufgaben, die sich ihm bei der Verteidigung der Errungenschaften der Revolution stellen, haben ihn auf natürlichem Wege zu Positionen gebracht, die man vom Trotzkismus nicht mehr unterscheiden kann. Diese Herangehensweise tritt die Grundsätze des Marxismus mit Füßen... [Wir] müssen politische Tendenzen auf einer Klassengrundlage einschätzen, danach, wie sie sich über lange Perioden hinweg in Beziehung zur Bewegung der Klassen im Kampf entwickeln. Keine proletarische Partei, und schon gar keine proletarische Revolution, wird in irgendeinem rückständigen Land aus bekehrten kleinbürgerlichen Nationalisten hervorgehen, die natürlich oder zufällig über die Bedeutung von Arbeitern und Bauern stolpern."[83]
Die pablistische Wiedervereinigung und der Verrat in Ceylon
131. Im Juni 1963 hielten die SWP und die europäischen Pablisten einen Vereinigungskongress ab und gründeten ein neues "Vereinigtes Sekretariat". Was diesem Kongress seinen unprinzipiellen und reaktionären Charakter verlieh, war die bewusste und entschlossene Weigerung, die Fragen zu untersuchen, die zur Spaltung von 1953 geführt hatten. Die wiederholte Behauptung, die Differenzen seien Vergangenheit und im Kontext der "neuen Weltrealität" nicht weiter relevant, verschleierten nur die sehr realen und gefährlichen Implikationen pablistischer Politik. Die Weigerung der britischen Trotzkisten, an der reaktionären Scharade des "Vereinigungskongresses" teilzunehmen, in dem die wichtigsten Fragen von der Diskussion ausgenommen waren, ist als Akt großen politischen Mutes zu werten.
132. Innerhalb eines Jahres wurde klar, worum es eigentlich ging. Im Juni 1964 akzeptierte eine der führenden Sektionen der pablistischen Internationale, die Lanka Sama Samaja Party (LSSP) eine Einladung der ceylonesischen Ministerpräsidentin Sirimavo Bandaranaike, in ihre neu zu bildende bürgerliche Koalitionsregierung einzutreten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vierten Internationalen war eine trotzkistische Partei an einem solchen krassen Verrat sozialistischer Prinzipien beteiligt. Dieser Verrat war über viele Jahre politischen Abrutschens der LSSP vorbereitet worden, doch die Pablisten verhinderten eine Diskussion über den politischen Niedergang der LSSP. Nun wirkte nur ein Jahr nach der Wiedervereinigung die pablistische Internationale (mit kritischer Unterstützung der SWP) als Geburtshelferin bei dem Verrat, der zu einem Bürgerkrieg geführt, die srilankische Gesellschaft verwüstet und beinahe 100.000 Menschenleben gekostet hat. Das Internationale Komitee verurteilte die Rolle der Pablisten bei der ceylonesischen Katastrophe. Die Worte des IKVI haben den Test der Zeit bestanden:
"Der Eintritt von Mitgliedern der LSSP in die Bandaranaike-Koalition bezeichnet das Ende einer ganzen Entwicklungsepoche der Vierten Internationale. Der Revisionismus in der trotzkistischen Weltbewegung hat seinen Ausdruck im direkten Dienst am Imperialismus, in der Vorbereitung einer Niederlage der Arbeiterklasse gefunden."[84]
Opposition in der SWP: Die Gründung des ACFI
133. Innerhalb der Socialist Workers Party wandte sich eine Minderheitstendenz unter Führung von Tim Wohlforth gegen die zunehmend opportunistische Orientierung der SWP und unterstützte die Kritik von Seiten der Socialist Labour League. Die große Stärke dieser Tendenz war ihre Einsicht, dass die politische Krise der SWP als internationales Problem verstanden werden musste. Die Auseinandersetzung innerhalb der SWP konnte daher nicht von dem Standpunkt aus geführt werden, einen taktischen Vorteil bei der Diskussion der einen oder anderen politischen Frage zu erlangen. Stattdessen war das grundlegende Ziel der Diskussion, politische und theoretische Klarheit bezüglich der zentralen Probleme der revolutionären Perspektive in der Vierten Internationale zu gewinnen. Die britische SLL riet ihren amerikanischen Unterstützern, soweit möglich Fraktionskonflikte über zweitrangige politische Differenzen und Organisationsfragen zu meiden und alles zu geben, um eine politische Klärung im SWP-Kader zu erreichen. Diese prinzipielle Herangehensweise unterschied sich deutlich von dem Vorgehen einer anderen Minderheitstendenz unter Führung von James Robertson, die ihre nationalen Fraktionsinteressen höher bewerteten als die Klärung auf internationaler Ebene.
134. Die von Wohlforth geführte Minderheit arbeitete von 1961 bis 1964 in der SWP. Auch nach dem Vereinigungskongress 1963 strebte die Minderheit weiterhin eine prinzipielle politische Diskussion innerhalb der Socialist Workers Party an. Die Ereignisse in Ceylon spitzten den Kampf in der SWP jedoch enorm zu. Die Pro-IKVI-Minderheit veröffentlichte einen Brief an die SWP-Mitgliedschaft und forderte darin eine Diskussion über die Hintergründe des Verrats der LSSP. In der Erklärung der Minderheit vom Juni 1964 heißt es:
"In der ganzen Periode von 1961 bis 1963 haben wir in politischer Übereinstimmung mit dem IKVI ständig darauf hingewiesen, dass eine Wiedervereinigung der Vierten Internationale ohne eine sehr ausführliche Diskussion vor der eigentlichen Wiedervereinigung nur zu einer Katastrophe und weiteren Desintegration der Internationale und der hiesigen Partei führen könne. Unsere Position ist auf der ganzen Linie bestätigt worden...
Es darf jetzt keine Weigerung mehr geben, sich mit der politischen, theoretischen und methodologischen Krise zu konfrontieren, die unsere Partei und den internationalen Verband, mit dem sie zurzeit in politischer Solidarität steht, zerreißt. Um das Überleben der Partei zu sichern, muss sofort in allen Zellen eine gründliche Diskussion über diese Fragen organisiert werden."[85]
135. Nach der Herausgabe dieses Briefes wurden alle neun Unterzeichner aus der Partei ausgeschlossen. Die Minderheit gründete das Amerikanische Komitee der Vierten Internationale (ACFI) und nahm die umfassenden Vorbereitungen für die Umwandlung des ACFI in eine trotzkistische Partei in Angriff, die politisch mit dem Internationalen Komitee verbunden sein sollte.
Der Dritte Kongress des IKVI
136. Nach der Wiedervereinigung musste das IKVI die Lehren aus dem Kampf gegen den Pablismus ziehen und dessen objektive Bedeutung einschätzen. Das Internationale Komitee hielt seinen Dritten Weltkongress im April 1966 ab, um die Kräfte des internationalen Trotzkismus zu konsolidieren und die Grundlage zu bereiten für den Aufbau von trotzkistischen Parteien in der ganzen Welt. Die Kongressresolution verwies auf die Widersprüche im Weltimperialismus und die Anzeichen für einen Niedergang des Nachkriegsbooms. Es heißt darin:
"Der Imperialismus befindet sich in einer wachsenden Krise. Die Entwicklung der Produktivkräfte während des und seit dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere der Bau von Atomwaffen und die Einführung der Automatisierung, treibt den Konflikt zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen auf die Spitze. Die dadurch ausgelösten Kämpfe radikalisieren die Arbeiterjugend. Die Parteien der Vierten Internationale werden durch diese Kämpfe aufgebaut werden."
137. Die Kongressresolution betonte die objektive Rolle des pablistischen Revisionismus, ein revolutionäres Aufbegehren der Arbeiterklasse zu verhindern.
"Der Revisionismus, der die Revolution in den fortgeschrittenen Ländern, die koloniale Revolution und die politische Revolution in den Arbeiterstaaten als getrennte Bereiche definiert, trägt maßgeblich dazu bei, die kapitalistische Dominanz über die Arbeiterbewegung und seine eigene Blockierung des Aufbaus revolutionärer Parteien zu verschleiern. Diese Form des Revisionismus findet insbesondere in der Theorie und Praxis des selbsternannten Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale Ausdruck, das ohne Diskussion theoretischer und politischer Fragen gebildet wurde. Die nächste Stufe im Aufbau der Vierten Internationale muss aber gerade mit einer äußerst ernsthaften theoretischen Diskussion in allen Sektionen über die Politik und Theorie der Bewegung in Vergangenheit und Gegenwart einhergehen."[86]
138. Das Internationale Komitee betonte die Notwendigkeit, die Entwicklung der Vierten Internationale auf die Lehren der vergangenen Kämpfe zu basieren. Es erklärte nachdrücklich, dass die Auseinandersetzung mit dem pablistischen Revisionismus ein politisch und theoretisch entscheidendes Element in der Geschichte der Vierten Internationale darstellt - und nicht eine Ablenkung von anderen, wichtigeren Aufgaben des Parteiaufbaus. Durch eben jenen nachhaltigen Kampf gegen die Revision des Marxismus kämpft die trotzkistische Bewegung gegen den ideologischen Druck, der von der Bourgeoisie ausgeübt wird, und entwickelt ihre revolutionäre Perspektive. Diesem Verständnis der historischen und politischen Bedeutung, die dem Kampf gegen den Revisionismus innewohnt, widersetzten sich zwei Tendenzen, die zum Dritten Kongress eingeladen worden waren, um herauszufinden, ob eine prinzipielle politische Zusammenarbeit möglich war - Voix Ouvrière und die Spartacist-Tendenz unter Führung von James Robertson. In beiden Fällen erwies sich eine Zusammenarbeit als unmöglich.
139. Nach Auffassung dieser Gruppen überschätzte das IVKI die Bedeutung des Pablismus und der politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Vierten Internationale. Robertson erklärte 1966 auf der Konferenz:
"Wir bestreiten, dass die gegenwärtige Krise des Kapitalismus so scharf und tief ist, dass nur eine revisionistische Tendenz innerhalb des Trotzkismus die Arbeiter im Zaum halten kann, vergleichbar mit der Degeneration der Zweiten und Dritten Internationale. Eine derart falsche Einschätzung würde auf einer gewaltigen Überschätzung unserer gegenwärtigen Bedeutung beruhen und würde daher auch zur Desorientierung unserer Kräfte beitragen."[87]
140. In dieser Stellungnahme findet sich alles, was den Marxismus auf theoretischem und politischem Gebiet vom kleinbürgerlichen Radikalismus trennt. Im Wesentlichen leugnete Robertson die objektive gesellschaftliche und politische Bedeutung des Konflikts innerhalb der Vierten Internationale. Die Lehren aus Lenins Kampf zum Aufbau der Bolschewistischen Partei im Kampf gegen den Revisionismus und aus Trotzkis späterem Kampf gegen den Stalinismus und diverse Formen des Zentrismus wurden ignoriert. Die Auseinandersetzung mit dem Pablismus innerhalb der Vierten Internationale - die so offensichtlich mit großen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden war - wurde von Robertson als mehr oder weniger subjektiv motivierter Hickhack zwischen verschiedenen Einzelpersonen ins Lächerliche gezogen. Noch dazu kam Robertson knapp zwei Jahre nach dem Eintritt der LSSP in eine bürgerliche Koalitionsregierung zu dieser Einschätzung!
Pablismus, die Neue Linke und der Guerillakampf
141. Zur gleichen Zeit, als Robertson diese Worte äußerte, waren die Pablisten dabei, Stützen und Puffer in Stellung zu bringen, auf die sich die Bourgeoisie ebenso wie die Stalinisten in kommenden sozialen Unruhen verlassen konnten. Diese Unruhen standen im Jahre 1966 bereits vor der Tür. In den Vereinigten Staaten spielte die SWP eine zentrale Rolle dabei, die wachsende Anti-Vietnamkriegs-Bewegung der staatstreuen Demokratischen Partei unterzuordnen. In ganz Europa passten sich die pablistischen Organisationen an die Stalinisten und die kleinbürgerlichen Tendenzen der "Neuen Linken" an, die bald schon zur Zerstreuung und Desorientierung der sozialen Massenproteste von 1968 beitragen sollten. In Frankreich erleichterten die Pablisten den stalinistischen Verrat am revolutionären Aufbegehren der Arbeiterklasse im Mai/Juni 1968. Dabei hatten der "Prager Frühling" in der Tschechoslowakei 1968 und die Streikwelle in Polen deutlich gezeigt, dass sich die stalinistischen Regimes bereits in einer tödlichen Krise befanden. Die pablistischen Organisationen lenkten mit ihren Theorien von der Selbstreform der Bürokratie die Vierte Internationale davon ab, ihre Kräfte in einem unnachgiebigen Kampf gegen die stalinistischen Regimes zu konzentrieren und ihren Sturz vorzubereiten. Es stand Mitte der 1960er Jahre noch keineswegs fest, dass der Zusammenbruch des Stalinismus letztlich zur Bildung von rechten und pro-kapitalistischen Regimes in der ehemaligen UdSSR und Osteuropa führen würde. Tatsächlich waren die Kämpfe gegen die stalinistische Tyrannei im Osteuropa der 60er Jahre fortschrittlich und vom Sozialismus inspiriert. Der spätere Rückschritt in Osteuropa, der UdSSR und auch China war das Ergebnis politischer Bedingungen, die in bedeutendem Ausmaß von der falschen und reaktionären Politik der Pablisten mitgestaltet wurden.
142. Auf der Liste des pablistischen Verrats steht auch die Verherrlichung des Castrismus und Guerillakampfes, die für eine ganze Generation linker Arbeiter und Jugendlicher in Lateinamerika verheerende Konsequenzen hatte. Die politischen Katastrophen in den 1970er Jahren - in Chile, Argentinien, Bolivien und Uruguay - waren Folge der Theorien und Politik, die das pablistische Vereinigte Sekretariat vertrat. Das politische Signal für die Zurückweisung des Trotzkismus gab das Vereinigte Sekretariat mit der Glorifizierung von Ernesto "Che" Guevara, jenem argentinischen Radikalen, der - wie viele lateinamerikanische Intellektuelle seiner Zeit - das marxistische Konzept von der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse ausdrücklich zurückwies. Die Pablisten übergingen geflissentlich die Tatsache, dass Guevara den Mörder Trotzkis, Ramon Mercader, nach seiner Freilassung aus einem mexikanischen Gefängnis im Jahre 1960 auf Kuba persönlich willkommen hieß. Sie forderten die sozialistische Jugend in Lateinamerika auf, eine Alternative zur Strategie zu finden, die sich auf die Arbeiterklasse stützte. So schrieb der bolivianische Pablist Moscoso:
"Die Guerilla-Methode der Kubaner lässt sich auf alle unterentwickelten Länder anwenden, wenn auch ihre Form entsprechend den Besonderheiten jedes Landes notwendigerweise variiert. In Ländern mit großer Bauernschaft, in denen die Landfrage ungelöst ist, wird die Guerilla ihre Stärke auf die Bauernschaft begründen; der Guerilla-Kampf wird diese Massen aktivieren und das Agrarproblem mit der Waffe in der Hand lösen, wie in Kuba, ausgehend von der Sierra Maestra, geschehen. In anderen Ländern aber wird das Proletariat und das radikalisierte Kleinbürgertum der Städte die Guerilla mit Kräften versorgen."[88]
"Kontinuität" oder "Wiederaufbau" der Vierten Internationale
143. Das IKVI und besonders die britischen Trotzkisten von der Socialist Labour League bewiesen auf dem Kongress 1966 und danach große politische Weitsicht, als sie sich gegen alle Versuche wandten, den Kampf gegen den pablistischen Revisionismus in seiner Bedeutung herabzumindern. "Zuallererst gilt es unbedingt zu verstehen, dass der Kampf gegen den Pablismus geführt wurde, um den Marxismus weiter zu entwickeln und gleichzeitig jede Errungenschaft der marxistischen Theorie aus der Vergangenheit zu verteidigen", schrieb die SLL 1967. Und weiter: "Die Konferenz des Internationalen Komitees 1966 brachte dies deutlich zum Ausdruck, als sie darauf bestand, dass das Internationale Komitee durch seinen Kampf innerhalb der Vierten Internationale die Kontinuität der Bewegung verkörpert. Gegen Voix Ouvrière und Robertson beharrten wir darauf, dass die Marxisten die Theorie der revolutionären Partei, des Bolschewismus, nur durch den Kampf gegen den Pablismus bewahrt hatten."[89]
144. Die französische Sektion der Vierten Internationale, die Organisation Communiste Internationaliste (OCI), unterstützte auf dem Kongress 1966 die Position der SLL. Doch sie vertrat die Auffassung, die Vierte Internationale müsse "wiederaufgebaut" werden. Hinter dieser zweideutigen Wortwahl - die ein bedeutendes Maß an Skepsis bezüglich der Lebendigkeit der Vierten Internationale nach dem Bruch mit dem Pablisten verriet - stand eine zentristische Entwicklung innerhalb der OCI selbst. Im Jahre 1967 erklärte die OCI, das größte Problem am Pablismus bestehe nicht in dessen Orientierung auf den Stalinismus und bürgerlichen Nationalismus sondern in seinen offen zentralistischen bürokratischen Methoden. Die OCI meinte, es müssten "flexiblere" Organisationen aufgebaut werden, die sich auf eine "Einheitsfront"-Taktik konzentrierten. Die SLL formulierte eine vorausschauende Warnung an die Parteispitze der OCI:
"Die Radikalisierung der Arbeiter in Westeuropa schreitet jetzt besonders in Frankreich schnell voran... In einem solchen Stadium der Entwicklung besteht immer die Gefahr, dass eine revolutionäre Partei auf die Situation in der Arbeiterklasse nicht in revolutionärer Weise reagiert, sondern sich dem Niveau des Kampfes anpasst, auf das die Arbeiter durch ihre eigene Erfahrung unter ihrer alten Führung beschränkt sind, d.h., an die unvermeidliche anfängliche Konfusion. Solche Abweichungen vom Kampf für die unabhängige Partei und das Übergangsprogramm verbergen sich oft hinter Formulierungen wie näher an die Arbeiterklasse herankommen, Einheit mit allen, die im Kampf stehen, Verzicht auf Ultimaten, den Dogmatismus aufgeben, etc."[90]
Die Gründung der Workers League
145. Auf Grundlage der Lehren, die der Dritte Kongress gezogen hatte, vollendete das American Committee for the Fourth International seine Vorbereitungen für die Gründung einer neuen trotzkistischen Partei in politischer Solidarität mit dem IKVI. Der Gründungskongress der Workers League fand im November 1966 statt. Der wachsende Widerstand gegen den Vietnamkrieg unter Studenten, der Ausbruch gewalttätiger Proteste von afroamerikanischen Arbeitern und Jugendlichen in verschiedenen Großstädten und die militanten Streiks großer Teile der Arbeiterklasse waren klare Anzeichen für eine Krise des amerikanischen Kapitalismus. Die Socialist Workers Party, die ihr trotzkistisches Erbe zurückwies, reagierte auf diese Entwicklungen, indem sie sich an die kleinbürgerlichen Tendenzen anpasste, die diese Bewegungen dominierten. Ihr Opportunismus drückte sich darin aus, dass sie den Schwarzen Nationalismus befürwortete, in dem sie eine Alternative zum Kampf für die Vereinigung der Arbeiterklasse auf Grundlage eines sozialistischen Programms erblickte. Die Unterstützung der SWP für den Schwarzen Nationalismus, die sogar dessen Forderung nach einem eigenständigen Staat für Schwarze einschloss, bedeutete, dass die SWP die amerikanische Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft abgeschrieben hatte. Diese Perspektive spiegelte den Einfluss der Neuen Linken und der antimarxistischen Konzepte Herbert Marcuses wider, eines führenden Vertreters der Frankfurter Schule, der die Arbeiterklasse als "protofaschistisches" Element in der amerikanischen Gesellschaft bezeichnete.
146. Die Gründung der Workers League auf Basis der Auseinandersetzungen seit 1953 innerhalb der Vierten Internationale war ein Meilenstein im Kampf für Marxismus in den Vereinigten Staaten. Die weitere Entwicklung des Marxismus setzte voraus, den revolutionären Charakter der amerikanischen Arbeiterklasse und ihre entscheidende Rolle im Kampf gegen den US-Imperialismus anzuerkennen. Diese Perspektive konnte nur auf Grundlage eines unversöhnlichen Kampfes gegen die Vielzahl von kleinbürgerlich-radikalen Tendenzen verwirklicht werden, gegen die verschiedenen Formen von Identitätspolitik bezüglich ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung und Geschlecht, die in den 1960er und den frühen 1970er Jahren aufkamen. In seinem Grußwort an den Gründungskongress der Workers League sagte Gerry Healy:
"Die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten ist die mächtigste Arbeiterklasse der Welt, und in dieser Klasse müsst ihr eure Partei aufbauen. Das gehört zu den wichtigsten Prinzipien des Marxismus, und es gilt mit besonderer Dringlichkeit für die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten. Nicht Black Power oder die Dutzende von Friedens- und Bürgerrechtsbewegungen, die im ganzen Land entstanden sind, werden die Hauptfragen unserer Zeit lösen, sondern die Arbeiterklasse, geführt von einer revolutionären Partei. Genau an diesem Punkt distanzieren wir uns von den Revisionisten. Wir weisen die Vorstellung, dass die Schwarzen selbst und kleinbürgerliche Bewegungen mit dem amerikanischen Imperialismus abrechnen können, entschieden zurück. Sollten wir solchen Bewegungen gelegentlich kritische Unterstützung geben, muss unsere Unterstützung im Kern immer darin bestehen, dass wir ihnen unsere Kritik an ihren Schwächen erklären."[91]
147. Die zentrale Aufgabe bestand für die Workers League darin, für die politische Unabhängigkeit der amerikanischen Arbeiterklasse von der Bourgeoisie und deren politischen Parteien, insbesondere der Demokratischen Partei, zu kämpfen. Unter den in den Vereinigten Staaten vorherrschenden Bedingungen nahm dies die Form an, die Massengewerkschaften unter dem Dach der AFL-CIO aufzufordern, eine Arbeiterpartei auf Grundlage sozialistischer Politik zu gründen. Diese Forderung, die den Erfahrungen der 1930er Jahre entsprang und ursprünglich von Trotzki vorgeschlagen worden war, hatte die SWP in den 1950er Jahren aufgegeben, als sie sich an den Protestbewegungen der Mittelklasse orientierte. Sie wurde von der Workers League wieder belebt, die in der Hauptresolution des Gründungskongresses erklärte:
"Wir müssen der Arbeiterklasse aufzeigen, dass sie notwendigerweise über einzelne ökonomische Kämpfe hinausgehen und einen grundlegenden politischen Kampf gegen die herrschende Klasse und ihre politischen Instrumente aufnehmen muss. Die Forderung nach einer Labor Party wird daher für unsere gesamte Arbeit in den Vereinigten Staaten die vereinheitlichende Forderung sein. Sie muss in unserer gesamten Propaganda und Agitation allgegenwärtig sein: in der Arbeiterjugend, den Gewerkschaften, bei Minderheiten, in der Kriegsfrage...
Wir müssen für eine Labor Party kämpfen, die schwarze und weiße Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Unterdrücker vereint, anstatt Zugeständnisse an Rassenpolitik zu machen. Das Konzept einer Labor Party muss in die Antikriegsbewegung getragen werden. Der Kampf gegen die Kriegspolitik der US-Imperialisten kann nicht von der übrigen arbeiterfeindlichen Politik der Imperialisten getrennt werden. Kleinbürgerliche Parteien, die gegen den Krieg auf klassenloser Grundlage kämpfen, sind nutzlose Versuche und dienen eher dazu, die Klassenfragen, um die es geht, zu vernebeln als zu erklären."[92]
148. Der Kampf für die Gründung einer Arbeiterpartei, basierend auf den Gewerkschaften, sollte eine große Rolle in den Auseinandersetzungen spielen, die die Workers League in den kommenden 25 Jahren führte, um die AFL-CIO-Bürokratie an einer Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Demokratische Partei zu hindern. Diese Forderung war nicht als Vorschlag zu verstehen, eine reformistische Alternative zur revolutionären Partei aufzubauen - d.h. eine amerikanische Version der britischen Labour Party oder der kanadischen New Democratic Party - sondern als Mittel, eine revolutionäre politische Bewegung in der Arbeiterklasse zu entwickeln und die erdrückende Klassenkollaboration zu beenden. Solange die AFL-CIO auch nur begrenzt ein Instrument der Arbeiterklasse war und einen bedeutenden Teil der klassenbewussten Arbeiter zu ihren Anhängern zählte, bot die Forderung nach der Gründung einer sozialistischer Politik verpflichteten Arbeiterpartei eine klare politische Führung für die Arbeiterklasse, zeigte ihr einen Weg jenseits des Gewerkschaftertums auf und spielte eine bedeutende Rolle in der Entwicklung von revolutionärem und sozialistischem Klassenbewusstsein. Wegen objektiver Veränderungen im Wesen der Gewerkschaften und ihrer Beziehung zur Arbeiterklasse nahm die Workers League ihre Forderung nach dem Aufbau einer Arbeiterpartei später zurück. Dem gingen strukturelle Entwicklungen des Weltkapitalismus und ein massiver Verrats an Arbeiterkämpfen durch die Gewerkschaften voraus.
149. Der eskalierende Konflikt zwischen Trotzkismus und Revisionismus entfaltete sich vor dem Hintergrund wachsender wirtschaftlicher und politischer Instabilität. Die gewaltige Wirtschaftsübermacht der Vereinigten Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - die für die erneute Stabilisierung und den Wiederaufbau des Weltkapitalismus von entscheidender Bedeutung war - erodierte im Laufe der 1950er und 1960er Jahre. Der Export von amerikanischem Kapital nach Übersee hatte in den 1960er Jahren eine Dollarkrise hervorgerufen, die den Zusammenbruch des Nachkriegsgleichgewichts ankündigte. Verschiedene Versuche, die Krise einzudämmen, erwiesen sich als untauglich, und am 15. August 1971 zerstörten die Vereinigten Staaten die Grundlage des Bretton-Woods-Systems, indem sie die Dollar-Gold-Konvertibilität aufhoben. Die Socialist Labour League erkannte, dass der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu neuen wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen führen würde, doch ungeklärte Fragen innerhalb des Internationalen Komitees und innerhalb der SLL selbst sollten bald schon einen hohen politischen Preis fordern.
Spaltung im Internationalen Komitee
150. Als die britische und die französische Sektion nach dem Dritten Kongress des IKVI und besonders nach den Ereignissen im Mai/Juni 1968 anwuchsen, entstand ein politischer Konflikt. Während die britische Sektion eine korrekte Kritik an der zentristischen Orientierung der OCI formulierte, traten auch innerhalb der SLL-Führung politische Differenzen auf. Obwohl bekannt war, dass Cliff Slaughter, der auch IKVI-Sekretär war, Nähe zur OCI-Forderung nach einem "Wiederaufbau" der Vierten Internationale gezeigt hatte, wurde die Frage innerhalb der Parteispitze nicht weiter diskutiert. Eine ähnliche Vermeidungshaltung herrschte in Bezug auf die unkritische Position von Michael Banda, einem anderen Führungsmitglied der SLL, gegenüber Maos "Kulturrevolution" und der Politik der Nationalen Befreiungsfront in Vietnam. Die Zurückhaltung der SLL, eine offene Diskussion über diese wichtigen Fragen zu führen, beruhte auf Healys Befürchtung, ein politischer Konflikt innerhalb seiner eigenen Organisation würde die praktische Arbeit und die organisatorischen Erfolge der britischen Sektion unterlaufen.
151. Das Ausweichen vor einer Klärung wichtiger Perspektivfragen - die für die Entwicklung des Programms von zentraler Bedeutung ist - nahm in der Socialist Labour League eine ganz spezifische theoretische Form an. Als sich die Differenzen mit der OCI in den Jahren 1970/71 zuspitzten, vertrat die SLL den Standpunkt, die umstrittenen politischen Fragen seien nur sekundäre und nicht wesentliche Manifestationen von philosophischen Differenzen. Die korrekte Feststellung, dass sich die philosophische Methode in der politischen Analyse erweist, wurde auf einseitige Weise angewandt, um die konkrete Untersuchung politischer Fragen durch immer abstraktere Diskussionen über philosophische Erkenntnistheorie zu vermeiden. Als die OCI fälschlich behauptete, der dialektische Materialismus sei keine "Erkenntnistheorie", wurde dies zum Anlass genommen, um eine Untersuchung der zentristischen Politik der französischen Organisation zu umgehen. Im Gegensatz zu Trotzkis Herangehensweise in der Auseinandersetzung mit Burnham und Shachtman 1939/40 - in der die Bedeutung und richtige Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus eindeutig in Verbindung zu den Fragen der politischen Perspektive stand - vertraten Healy und Slaughter die Position, dass die Diskussion über Dialektik wichtiger war als die über politische Fragen und letztere sogar überflüssig machte.
152. Im Herbst 1971 gab die SLL eine Spaltung in der Vierten Internationale bekannt, beließ jedoch die politischen Differenzen ungeklärt. Trotz einer Vielzahl von höchst wichtigen politischen Fragen, die mit den Problemen der revolutionären Strategie verbunden waren und sich aus der Krise des Kapitalismus und den Kämpfen der Arbeiterklasse ergaben, erklärte die SLL in einer Stellungnahme vom 1. März 1972, die Spaltung sei "nicht um taktische Gesichtspunkte im Aufbau der Vierten Internationale erfolgt... Die Spaltung dreht sich nicht um unzählige Detailfragen organisatorischer Art oder gar um politische Positionen zu bestimmten Fragen." Es handele sich vielmehr, so behauptete die SLL, um "eine politische Spaltung, die an die Grundlagen der Vierten Internationale rührt - die marxistische Theorie".[93] Da die eigentlichen politischen Streitfragen nicht ausgiebig diskutiert wurden, war die Beschwörung der "marxistischen Theorie" kaum mehr als eine Übung in abstrakter Rhetorik. Die SLL schrieb, sie habe "aus der Erfahrung des Aufbaus der revolutionären Partei in Großbritannien gelernt, dass ein entschiedener und schwieriger Kampf gegen idealistische Denkweisen notwendig ist, der über Übereinstimmung in Fragen des Programms und der Politik weit hinausgeht".[94] Diese Erklärung stand in direktem Widerspruch zu Trotzki, der gesagt hatte: "Die Bedeutung des Programms ist die Bedeutung der Partei", und dieses Programm "ist ein gemeinsames Verständnis der Ereignisse, der Aufgaben".[95] Nun erklärte die SLL, der "Kampf gegen idealistische Denkweisen" - eine ziemlich vage Formulierung - sei wichtiger als programmatische Übereinstimmung! Zudem drückte sich in der Feststellung der SLL, sie gründe ihre Arbeit auf die Erfahrung, "eine revolutionäre Partei in Großbritannien aufzubauen", und nicht auf die Lehren der Vierten Internationale aus dem Kampf gegen Stalinismus, Sozialdemokratie und Pablismus, eine beunruhigende Verschiebung ihrer Achse aus - vom Internationalismus hin zum Nationalismus.
153. Dass die politischen Fragen hinter der Spaltung mit der OCI nicht geklärt wurden, untergrub die Arbeit des Internationalen Komitees genau zu dem Zeitpunkt, als die Krise des Weltkapitalismus ein Höchstmaß an politischer Klarheit verlangte. Die wichtigste Aufgabe hätte für die SLL-Führung darin bestanden, die Schlussfolgerungen aus dem zentristischen Abdriften der OCI in Programm, Praxis und internationaler Orientierung zu ziehen. Dies war höchst wichtig zu einer Zeit, da neue Sektionen des Internationalen Komitees entstanden. 1968 wurde die Revolutionary Communist League als ceylonesische Sektion gegründet. In Deutschland entstand 1971 der Bund Sozialistischer Arbeiter. In Australien wurde 1971 die Socialist Labour League ins Leben gerufen. In Griechenland fand die Gründung einer neuen Sektion 1972 unter Bedingungen statt, wo die Mitgliedschaft zwischen OCI- und SLL-Anhängern gespalten war.
154. Es ist inzwischen öffentlich bekannt, dass die OCI in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren stark an heimlichen politischen Manövern beteiligt war, die zur Gründung der Sozialistischen Partei in Frankreich führten. Mitglieder der OCI arbeiteten eng mit François Mitterand zusammen, als die SP auf vollkommen opportunistischer Grundlage und als Wahlverein für Mitterand entstand. Ein OCI-Mitglied, Lionel Jospin, wurde Mitarbeiter Mitterands, stieg die Karriereleiter in der Sozialistischen Partei hoch und wurde schließlich selbst Ministerpräsident Frankreichs. Es ist rückblickend unmöglich festzustellen, ob eine offene politische Auseinandersetzung von Seiten der SLL die opportunistische Degeneration der OCI und ihre Verwandlung in ein Instrument des französischen Staats hätte aufhalten können. Aber ein solcher Kampf hätte die politischen Fragen geklärt und die SLL selbst auf die Gefahr hinweisen können, die ihr durch die Entwicklung opportunistischer Tendenzen in ihren eigenen Reihen drohte.
Die Gründung der Workers Revolutionary Party und die Weltkrise 1973-75
155. Die Umwandlung der SLL in die Workers Revolutionary Party im November 1973 war nicht auf der Grundlage einer Aneignung der strategischen Erfahrungen der internationalen trotzkistischen Bewegung vorbereitet. Es handelte sich vielmehr um eine taktische Antwort auf die Bewegung in der Arbeiterklasse gegen die Tory-Regierung unter Premierminister Edward Heath. Die SLL schloss das Internationale Komitee von den Diskussionen aus, die rund um die Gründung der Workers Revolutionary Party stattfanden. Nach ihrem Gründungskongress, in einer Zeit militanter Arbeitskämpfe, die zum Sturz der Heath-Regierung und der Regierungsübernahme durch die Labour Party im März 1974 führten, wuchs die WRP rasch an. Dies verdeckte für kurze Zeit die wachsenden politischen Probleme innerhalb der britischen Sektion.
156. Der Sturz der Heath-Regierung war eine Episode in der wirtschaftlichen und politischen Krise, die den Weltkapitalismus in den Jahren 1973 bis 1975 erschütterten. Das Ende der Dollar-Gold-Konvertibilität verursachte eine inflationäre Welle, die den Vertrauensverlust in die amerikanische Währung noch verstärkte. Im Oktober 1973 brach im Nahen Osten Krieg aus, was unmittelbar zu einer Vervierfachung des Ölpreises durch die OPEC führte. Dies löste wiederum die schlimmste Rezession seit der Großen Depression der 1930er Jahre aus. Im April 1974 stürzte die faschistische Diktatur in Portugal unter Salazar, der beinahe ein halbes Jahrhundert an der Macht gewesen war, unter dem Druck antikolonialer Aufstände in Afrika (Angola und Mosambik) und einer wachsenden Krise im Innern. In Lissabon fand am Maifeiertag zum ersten Mal eine legale Demonstration statt, und mehrere Millionen Menschen beteiligten sich daran. Die Militärjunta in Griechenland, die 1967 die Macht ergriffen hatte, stürzte im Juli 1974 nach einer katastrophalen Intervention auf Zypern. Im August 1974 musste US-Präsident Richard Nixon zurücktreten, nachdem das amerikanische Parlament wegen des Watergate-Skandals und rechtswidriger Militäraktionen der Regierung in Kambodscha ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet hatte. Schließlich zogen im April 1975 die vietnamesischen Befreiungstruppen in Saigon ein, stellten die Einheit des Landes her und brachten die neokolonialistischen Operationen der Vereinigten Staaten in Indochina zu einem für die Weltmacht demütigenden Ende.
Wohlforths Bruch mit der Workers League
157. Die kapitalistische Weltkrise und die Eskalation im Klassenkonflikt brachten politische Probleme in der Workers League zum Vorschein. Das Wachstum der amerikanischen Sektion in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren beruhte zu einem Großteil auf der Radikalisierung von Studierenden und Jugendlichen aus Minderheitsgruppen.
Doch das politische Klima an den Universitäten änderte sich deutlich, als der Abzug von US-Truppen aus Vietnam begann und die Wehrpflicht endete. Die Workers League stand vor der Aufgabe, sich der Arbeiterklasse zuzuwenden. Diese Hinwendung erforderte nicht allein die Ausweitung praktischer Aktivitäten, sondern auch eine umfassende, marxistische Analyse der objektiven Situation. Zudem musste man die jungen und relativ unerfahrenen Parteikader mit den Lehren aus dem Kampf des IKVI gegen den pablistischen Revisionismus vertraut machen. Stattdessen nahm die Parteiarbeit unter Wohlforths Leitung einen vorwiegend aktivistischen Charakter an und ließ eine klare politische Perspektive vermissen. Wohlforths politisches und persönliches Verhalten nahm auf beunruhigende Weise immer mehr Zeichen von Orientierungslosigkeit an. Unter dem Einfluss seiner neuen Lebensgefährtin, Nancy Fields, wurde sein Vorgehen in der Partei sprunghaft, prinzipienlos und destruktiv. Im Zeitraum eines Jahres (1973/74) verlor die Workers League mehr als die Hälfte ihrer Mitgliedschaft.
158. Die Krise in der Workers League erreichte ihren Höhepunkt Ende August 1974. Das Internationale Komitee erfuhr, dass Nancy Fields - die ohne jede Erfahrung oder Qualifikation von Wohlforth in die Parteiführung gebracht worden und dort seine ständige Begleitung war - enge Familienbeziehungen zu Spitzenvertretern des Geheimdienstes CIA unterhielt. Dann kam heraus, dass Wohlforth sehr wohl von diesen familiären Verbindungen gewusst, sie aber vor allen anderen Führungsmitgliedern der Workers League geheim gehalten hatte. Wohlforth hatte auch nicht das Internationale Komitee über Nancy Fields Hintergrund aufgeklärt, obwohl er sie im Mai 1974 persönlich als seine Begleiterin zu einer IKVI-Konferenz ausgewählt hatte. Verschiedene Delegierte auf der Konferenz kamen aus Ländern mit diktatorischen Regierungen und mussten ihre politische Arbeit daher unter den Bedingungen der Illegalität durchführen. Das Zentralkomitee der Workers League wählte Wohlforth als Nationalen Sekretär ab und setzte die Mitgliedschaft von Nancy Fields aus, solange die Untersuchung zu ihrem Hintergrund nicht abgeschlossen war.[96] Einen Monat später trat Wohlforth aus der Workers League aus. Kurz danach begann er, das Internationale Komitee öffentlich zu beschimpfen und trat - allem widersprechend, was er über die letzten vierzehn Jahre hinweg geschrieben hatte - wieder in die Socialist Workers Party ein. Letztlich trennte sich Wohlforth gänzlich von sozialistischer Politik, verunglimpfte die trotzkistische Bewegung als "Kult" und forderte in den 1990er Jahren schließlich amerikanische Militäraktionen auf dem Balkan (in einem Artikel mit der Überschrift "Dem Krieg eine Chance").
Die Workers League nach Wohlforth
159. Die politische Desertion von Wohlforth markierte einen Wendepunkt für die Workers League als trotzkistische Organisation. In Wohlforths Rückzug und seiner nachfolgenden Zurückweisung der eigenen politischen Geschichte drückten sich nicht nur persönliche Schwächen aus. Darin zeigten sich auch spezifische Eigenschaften des kleinbürgerlichen Radikalismus amerikanischer Prägung - insbesondere seine Verachtung gegenüber theoretischer Konsistenz und eine pragmatische Geringschätzung der Geschichte. Die Workers League verstand, dass die Krise, die sie in den Jahren 1973/74 erlebt hatte, mehr verlangte als eine Kritik an Wohlforths Fehlverhalten. Als Reaktion auf Wohlforths Rückzug und seine Tiraden gegen das IKVI begann die Workers League, die Geschichte der Vierten Internationale umfassend aufzuarbeiten. Eben diese Betonung der politischen Erfahrung der trotzkistischen Bewegung im Kontext der objektiven Entwicklung des Weltkapitalismus und internationalen Klassenkampfes wurde zum wesentlichen und herausragenden Merkmal der Workers League. Die Entwicklung einer marxistischen Perspektive und strategischen Orientierung für die Arbeiterklasse, erklärte die Workers League, war nur dann möglich, wenn das ganze Gewicht der historischen Erfahrung der marxistischen Bewegung in der Analyse des zeitgenössischen sozioökonomischen Prozesses zum Tragen kommt. In einer Perspektivresolution der Workers League vom November 1978 heißt es:
"Die Grundlage für eine revolutionäre Praxis, die unerlässliche Basis für jede wirkliche Orientierung auf die Arbeiterklasse vom Standpunkt des Kampfes um die Macht muss eine gründliche Aneignung aller historischen Erfahrungen des Internationalen Komitees seit 1953 sein. Die Ausbildung eines trotzkistischen Kaders ist nur möglich, wenn man darum ringt, jeden einzelnen Aspekt der politischen Arbeit der Partei auf die historischen Errungenschaften des Internationalen Komitees zu gründen, die im Kampf gegen den Revisionismus gewonnen wurden."[97]
160. Das Dokument erläuterte, wie dieses bewusste und beständige Aufarbeiten der historischen Erfahrung der trotzkistischen Bewegung mit dem theoretischen Kampf gegen den Pragmatismus, sowie mit der praktischen Orientierung der Partei auf die Arbeiterklasse zusammenhängt:
"Es kann keine bewusste Hinwendung zur Arbeiterklasse geben, ohne dass man bewusst dafür eintritt, die historische Kontinuität zwischen den heutigen Kämpfen der Arbeiterklasse und der revolutionären Partei als Einheit von Gegensätzen zu bewahren, wie auch den gesamten Gehalt der objektiven historischen Erfahrung der Klasse und der Entwicklung des Bolschewismus. Nur wenn man sich bemüht, die gesamte Arbeit der Partei auf die historischen Errungenschaften des Kampfs gegen den Revisionismus und auf das gewaltige politische und theoretische Kapital zu gründen, das Trotzki der Vierten Internationale hinterlassen hat, kann man in der Partei und damit in der Arbeiterklasse selbst ernsthaft gegen den Pragmatismus kämpfen. Sobald der Kampf gegen Pragmatismus vom direkten historischen Zusammenhang getrennt wird, der zwischen der täglichen Praxis der Kader und dem gesamten Schatz an historischen Erfahrungen der trotzkistischen Bewegung besteht, verkommt dieser Kampf zu verbalen Gefechten. Genauer gesagt, er wird selbst zu einer Form von Pragmatismus."[98]
Die Ursprünge der Untersuchung zu "Sicherheit und die Vierte Internationale"
161. Die Verbindung von Geschichte und Politik drückte sich in den Umständen aus, die Wohlforths Rückzug aus der Workers League umgaben. Zwar hatte er ursprünglich zugegeben, dass er die Sicherheit der Bewegung ernsthaft gefährdet hatte, als er weder die Führung der Workers League noch das Internationale Komitee über Nancy Fields Familienverbindungen unterrichtete. Doch nachdem Wohlforth die Workers League verlassen hatte, erklärte er, dass die von der Partei erhobenen Bedenken vollkommen ungerechtfertigt waren. Gerry Healys Sorgfalt in Sicherheitsfragen, erklärte Wohlforth, sei ein Beweis für "Wahnsinn". Joseph Hansen, der wichtigste politische Vertreter der Socialist Workers Party und Herausgeber des pablistischen Magazins Intercontinental Press unterstützte Wohlforth mit einer wüsten Beschimpfung Healys: "Wohlforth nennt Healys Auftreten Wahnsinn. Sollte man nicht eher und zutreffender einen modernen Begriff dafür wählen, z.B. Paranoia?"[99]
162. Hansens Eingreifen auf Seiten Wohlforths zielte darauf ab, die Notwendigkeit der Sicherheit in der revolutionären sozialistischen Bewegung herunterzuspielen und jene zu diskreditieren, die solche Fragen ernst nahmen. Hieraus ergaben sich Fragen von größter politischer und historischer Bedeutung.
"i. Hansen verteidigte Wohlforths laxe Haltung gegenüber der Sicherheit seiner eigenen Organisation zu einem Zeitpunkt, als nach dem Rücktritt Nixons eine ungeheure Menge an Beweismaterial über massive staatliche Spionagetätigkeit gegen radikale und sozialistische Organisationen ans Licht kam. Hansens eigene Organisaton war über nahezu fünfzehn Jahre Zielobjekt einer Spionageoperation. Dokumente über die so genannte COINTELPRO-Operation, die das FBI unter J. Edgar Hoover ins Leben gerufen hatte, zeigten, dass die SWP zwischen 1961 und 1975 massiv von Polizeiagenten und Informanten unterwandert worden war.
ii. Der trotzkistischen Bewegung wurden durch die Infiltration der Vierten Internationale durch Agenten der Sowjetunion und der USA vernichtende Schläge zugefügt. Die Ermordung wichtiger Führer der Vierten Internationale zwischen 1937 und 1940 wurde von den stalinistischen Agenten, die in die Bewegung eingedrungen waren, vorbereitet und ausgeführt.
iii. Hansen, der Healys Sorge um die Sicherheit der internationalen trotzkistischen Bewegung als Paranoia verunglimpfte, war Zeuge der Ermordung Leo Trotzkis durch Mercader gewesen. Niemand anderer als Hansen hatte dem GPU-Agenten am Tag des Mordes Einlass in Trotzkis Villa in Coyoacan gewährt. Hansen wusste auch, dass Mercader zu einem jungen Mitglied der SWP eine persönliche Beziehung aufgebaut hatte, um so an Trotzki heranzukommen. Nach Trotzkis Ermordung kritisierte James P. Cannon die Sorglosigkeit, die Trotzkis Sicherheit geschadet hatte: Wir haben die Vergangenheit selbst führender Leute nicht genug geprüft - woher sie kamen, wie sie leben, mit wem sie verheiratet sind, etc. Wenn in der Vergangenheit solche Fragen aufkamen - die von größter Bedeutung für eine revolutionäre Organisation sind -, schrie die kleinbürgerliche Opposition regelmäßig: Meine Güte, ihr dringt in das Privatleben der Leute ein! Ja, genau das tun wir, genauer gesagt, wir drohen es an - in der Vergangenheit war das nicht so. Hätten wir solche Dinge genauer unter die Lupe genommen, hätten wir vielleicht einige schlimme Dinge in der Vergangenheit verhindern können."[100]
163. In diesem Zusammenhang war Hansens Attacke gegen Healy nicht nur ehrenrührig. Sie war nichts Geringeres als ein Versuch, den Kader der trotzkistischen Bewegung angesichts realer Gefahren von Seiten des kapitalistischen Staates und seiner Einrichtungen zu entwaffnen. Das Internationale Komitee entschied, dass die angemessene Antwort auf Hansen und Wohlforth darin bestand, die historischen Erfahrungen der Vierten Internationale im Hinblick auf Sicherheitsfragen aufzuarbeiten. Dies schloss insbesondere auch eine Untersuchung der Ereignisse ein, die zur Ermordung Leo Trotzkis führten. Auf seinem Sechsten Kongress im Mai 1975 beschloss das IKVI diese Untersuchung, deren Ergebnisse später unter dem Titel "Sicherheit und die Vierte Internationale" veröffentlicht wurden.
Die Rolle von Joseph Hansen
164. Zu Beginn der Untersuchung wurden erst kurz zuvor freigegebene Dokumente gesichtet, die das Ausmaß der Verschwörung, die Trotzkis Ermordung umgab, ebenso klar machten wie die üble Rolle von Agenten, die praktisch alle wichtigen politischen Zentren der Vierten Internationale infiltriert hatten. Das IKVI entdeckte Dokumente über die Agententätigkeit von Gestalten wie Mark Zborowski, der zur rechten Hand von Trotzkis Sohn Leo Sedow wurde. Zborowski spielte eine Schlüsselrolle bei der Ermordung von Sedow und anderen Führungsmitgliedern der Vierten Internationale in Europa. Eine andere wichtige stalinistische Agentin, die den Kreml mit wertvollen Informationen über Trotzkis Aktivitäten versorgte, war Sylvia Caldwell (geborene Callen), die persönliche Sekretärin von James P. Cannon. Doch die wichtigsten Informationen, die das IKVI aufdeckte, bezogen sich auf die Aktivitäten von Joseph Hansen. In US-amerikanischen Nationalarchiven und durch die Freigabe ehemals klassifizierter Informationen fanden sich Dokumente, aus denen hervorging, dass Joseph Hansen unmittelbar nach dem Mord an Trotzki eine verdeckte Verbindung zu hochrangigen US-Agenten suchte, herstellte und beibehielt. In einem der Dokumente, einem Brief des amerikanischen Konsuls in Mexiko-Stadt an einen Vertreter im US-Außenministerium vom 25. September 1940 heißt es über Hansen, dass er "mit einer Person Ihres Vertrauens in New York in Kontakt kommen möchte, der er gefahrlos vertrauliche Informationen übergeben kann."[101]
165. Das IKVI brachte schlüssige Beweise ans Licht, dass Joseph Hansen als Agent innerhalb der trotzkistischen Bewegung gearbeitet hatte. Eine Klage von Alan Gelfand gegen die Regierung der Vereinigten Staaten, die eine staatliche Kontrolle über die Socialist Workers Party unterstellte, erzwang die Herausgabe von offiziellen Dokumenten, die die Ergebnisse der Untersuchung zu "Sicherheit und die Vierte Internationale" bestätigten. Zu den wichtigsten Fakten, die durch die Klage herauskamen, zählte, dass das FBI spätestens seit Mitte der 1940er Jahre wusste, dass Joseph Hansen innerhalb der SWP für die GPU gearbeitet hatte. Er war vom ehemaligen Führer der Kommunistischen Partei Louis Budenz als stalinistischer Agent identifiziert worden; der gleiche Mann hatte auch Sylvia Caldwell öffentlich als Agentin benannt. Hieraus ergab sich klar, warum Hansen und die SWP-Führung so vehement gegen Budenz vorgegangen waren und Caldwell verteidigt hatten. Zuzugeben, dass Budenz Vorwürfe gegen Caldwell richtig waren, hätte seine Identifizierung Hansens als Agent um einiges glaubwürdiger gemacht. Daher verteidigte die SWP sie als "vorbildliche Genossin", bis das Gericht die Freigabe von Sylvia Caldwells Aussage vor der Grand Jury anordnete, in der sie zugibt, als GPU-Agentin innerhalb der SWP gearbeitet zu haben. Reba Hansen, die Frau von Joseph Hansen, log öffentlich über die Gründe für Caldwells plötzlichen Rückzug aus der Partei 1947 (dem Jahr, in dem Budenz Enthüllungen bekannt wurden). Reba Hansen beschrieb Caldwell als "warmherzigen Menschen" und behauptete: "Sylvia musste New York 1947 wegen familiärer Verpflichtungen verlassen."[102]. Der Nationale Sekretär der SWP, Jack Barnes, erklärte als Zeuge im Gelfand-Prozess, Caldwell sei "eine meiner Heldinnen, nach all den Belästigungen und dem, was sie in den letzten Jahren durchstehen musste".[103]
Ein schändliches "Urteil": Die Pablisten unterstützen die Vertuschung stalinistischer Verbrechen
166. Trotz der Beweise, die das IKVI zusammengetragen und veröffentlicht hatte, stellten sich alle opportunistischen und pablistischen Organisationen gegen die Untersuchung "Sicherheit und die Vierte Internationale". Im September 1976 unterzeichnete praktisch jede Führungsgestalt in der pablistischen Bewegung ein so genanntes "Urteil", in dem die Untersuchung zu "Sicherheit und die Vierte Internationale" als "schamloses Konstrukt" verunglimpft wurde. Gelfand sammelte Aussagen von SWP-Vertretern, die für die Veröffentlichung des "Urteils" zuständig waren, und stellte fest, dass keiner der Unterzeichner die vom IKVI zusammengetragenen Beweise überhaupt geprüft hatte, bevor sie ihren Namen hergaben, um "Sicherheit und die Vierte Internationale" zu verurteilen. Wiederholte Forderungen des Internationalen Komitees, eine formelle Untersuchungskommission einzurichten, um die Beweise zu sichten, blieben unbeantwortet. Politische Interessen spielten bei der Reaktion der Pablisten die entscheidende Rolle. Sie waren nicht interessiert, die Frage der Ermordung Trotzkis wieder aufzubringen und eine neue Generation von Arbeitern auf die Geschichte der stalinistischen Verbrechen hinzuweisen. Sie hatten auch nichts auszusetzen, als sich die SWP 1982 vor Gericht für den GPU-Agenten und Mörder Mark Zborowski einsetzte, der auf Gelfands Betreiben hin Fragen in Bezug auf die Infiltration der Socialist Workers Party beantworten sollte. Zborowski, der seinen Ruhestand in nicht unbescheidenen Verhältnissen in San Fransisco genoss, wandte sich gegen die Zwangsvorladung mit dem Argument, dass seine Zeugenaussage, die zur Enthüllung von Agenten innerhalb der SWP beitrüge, eine Verletzung des kurz zuvor erlassenen Gesetzes zum Schutz von Geheimdienstmitarbeitern (Intelligence Identities Protection Act) darstellen würde. Das Gericht folgte Zborowskis Einwänden.
167. In dem Vierteljahrhundert, das seit Abschluss der Untersuchung "Sicherheit und die Vierte Internationale" vergangen ist, wurden zahlreiche Ergebnisse durch die Freigabe von offiziellen sowjetischen Dokumenten bestätigt. Die so genannten "Venona Papiere" -dechiffrierte Akten aus sowjetischen Geheimdienstbeständen - haben definitiv nicht nur Caldwell sondern auch Robert Sheldon Harte - ein SWP-Mitglied, das als Leibwächter nach Mexiko geschickt worden war - als stalinistischen Agenten enttarnt. Als das IKVI belastende Informationen über Harte veröffentlichte, wurden auch diese von der SWP und den Pablisten zunächst als Verleumdung angeprangert. Die Bestätigung der Vorwürfe, die das IKVI erhoben hatte, führten nicht dazu, dass irgendeine pablistische Organisation ihre Verunglimpfung von "Sicherheit und die Vierte Internationale" zurücknahm.
168. Einige weitere Tatsachen ergaben sich als Nebenprodukt aus der Sicherheitsuntersuchung. Es kam heraus, dass buchstäblich die gesamte zentrale Führung der Socialist Workers Party - wie auch eine Mehrheit ihres Politischen Komitees - das Carlton College besucht hatte, eine kleine liberale Hochschule für Geisteswissenschaften im Mittleren Westen. Es gab keine Hinweise darauf, dass die SWP in den Jahren von 1960 bis 1964 irgendeine systematische Arbeit am Carlton Collge durchgeführt hatte, in denen so viele Studierende, darunter Jack Barnes, der Partei beitraten und schnell an ihre Spitze aufstiegen. Ihre Verwandlung aus konservativen Studenten aus dem Mittleren Westen (Jack Barnes war Anhänger der Republikaner) in Führer einer angeblich revolutionären Organisation geschah über das Fair Play for Cuba Committee, das von FBI-Agenten durchsetzt war und von ihnen kontrolliert wurde. Die SWP-Führung konnte keine glaubhafte Erklärung für das Carlton College-Phänomen liefern.
169. Als die Untersuchung des Internationalen Komitees immer mehr belastende Beweise zu Hansens Agententätigkeit zu Tage förderte, nahm die Gegenkampagne der SWP und der Pablisten einen immer provokativeren Charakter an. Am 14. Januar 1977 fand in London eine öffentliche Veranstaltung der Pablisten und ihrer Anhänger statt, um "Sicherheit und die Vierte Internationale" und insbesondere Gerry Healy zu verunglimpfen. Zur Versammlung sprachen unter anderem Ernest Mandel, Tariq Ali (Führer der britischen pablistischen Organisation), Pierre Lambert (Führer der OCI) und Tim Wohlforth. Vor dem Meeting sandte die Workers Revolutionary Party einen Brief an die Führer der pablistischen Organisationen und schlug die Einrichtung einer paritätischen Kommission vor, zusammengesetzt aus gleich vielen Mitgliedern des IKVI und des Vereinigten Sekretariats, um die durch die Untersuchung aufgedeckten Beweise zu sichten und zu bewerten. Der Brief blieb unbeantwortet und auf dem Treffen vom 14. Januar unerwähnt. Stattdessen nutzte man das Treffen gänzlich, um Schmähungen gegen Healy auszustoßen. Als Healy sich im Publikum erhob und das Wort verlangte, um auf die Angriffe zu antworten, wurde dies verweigert.
170. Obwohl die Pablisten mauerten, wurde die Untersuchung fortgesetzt. Im Mai 1977 fand das IKVI Sylvia Caldwell in einem Vorort von Chicago, wo sie ohne festen Wohnsitz auf einem Wohnwagenstellplatz lebte. Sie hatte nach ihrem Fortgang von der SWP wieder geheiratet (ihr erster Mann, der stalinistische Agent Zalmond Franklin, war 1958 gestorben) und hieß nun Sylvia Doxsee. Sie behauptete, sich nicht an ihre Zeit als SWP-Mitglied erinnern zu können, erklärte aber gleichzeitig, James P.Cannon sei kein besonders bedeutender Mann gewesen. Das IKVI veröffentlichte im Juni 1977Fotos von Doxsee und Teile des mit ihr geführten Interviews. Die SWP reagierte darauf mit einer öffentlichen Kampagne, die die Workers League als "gewalttätige" Organisation hinstellen sollte. An der Spitze der Kampagne stand Hansen selbst, der einerseits vor den "tödlichen Folgen" der Untersuchung für das Internationale Komitee warnte, andererseits schrieb: "Healys Anhänger sind durchaus in der Lage, physische Gewalt gegen andere Teile der Arbeiterbewegung auszuüben."[104] Lange Zeit war es das übliche Vorgehen von Stalinisten gewesen, die trotzkistische Bewegung auch dann noch als "gewalttätig" darzustellen, wenn sie selbst gewalttätige Angriffe gegen sie vorbereiteten. Vier Monate später, am 16. Oktober 1977, wurde Tom Henehan, ein führendes Mitglied der Workers League, in New York City erschossen, als er eine öffentliche Veranstaltung der Parteijugendorganisation Young Socialists beaufsichtigte. Er erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der Mord an Henehan trug alle Züge eines professionellen Attentats: Er wurde von geübten Schützen durchgeführt, die die Räumlichkeiten der Veranstaltung betraten und ohne ersichtlichen Grund auf Henehan feuerten. Die New Yorker Presse stempelte den Angriff als "sinnlosen Mord" ab, und die Polizei verweigerte jede weitere Untersuchung. Obwohl die zwei Mörder von Augenzeugen identifiziert werden konnten, unternahm die Polizei nichts, um sie festzunehmen. Die Untätigkeit der Polizei fand die Unterstützung der Pablisten, die weder über den Mord an Tom Henehan berichteten noch ihn verurteilten. Die Workers League führte eine unabhängige politische Kampagne, um öffentlich Druck für die Festnahme der Mörder zu erzeugen. Im Zuge dieser Kampagne unterschrieben zehntausende Arbeiter und Vertreter von Gewerkschaftsorganisationen, die ihrerseits Millionen Arbeiter repräsentierten, eine Petition mit der Forderung der Workers League. Schließlich gab die Polizei im Oktober 1980 diesem öffentlichen Druck nach und verhaftete die Mörder Angelo Torres und Edwin Sequinot. Ihr Prozess fand im Juli 1981 statt. Sie wurden für schuldig befunden und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Doch die Angeklagten verweigerten die Aussage und gaben keine Erklärung zu ihrer Tat ab.
Die Weltsituation verändert sich: die kapitalistische Gegenoffensive
171. Die Periode von 1968 bis 1975 erlebte einen enormen Aufschwung der Arbeiterklasse. Linke und sozialistische Bewegungen verzeichneten weltweit ein starkes Wachstum. Auf dem Höhepunkt einer machtvollen Streikbewegung der britischen Arbeiter erschien im Daily Telegraph ein Leitartikel mit der Überschrift: "Wer soll regieren?", der die Gefahr eines revolutionären Sturzes des kapitalistischen Staates durch die Arbeiterklasse direkt ansprach. In den Vereinigten Staaten scheiterte die Nixon-Administration mit ihrem - von der AFL-CIO-Bürokratie unterstützten - Versuch, einen Lohnstopp durchzusetzen, am breiten Widerstand einer zunehmend militanten Arbeiterklasse. In einem Land nach dem anderen bewiesen die Arbeiter ihre Entschlossenheit, für ihre Klasseninteressen einzustehen. Die zentrale geschichtliche Frage, auf die Trotzki 1938 hingewiesen hatte - die "historische Krise der Führung des Proletariats" - blieb ungelöst. Die Bürokratien der alten stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften nutzten ihre einflussreichen Positionen, - unterstützt von pablistischen Tendenzen -, um Massenkämpfe, die die bürgerliche Herrschaft gefährdeten, irrezuleiten, zu desorientieren und niederzuhalten. Situationen, die außerordentliche revolutionäre Möglichkeiten boten, wurden in falsche Bahnen gelenkt, entschärft, verraten und in die Niederlage geführt. Die Folgen des politischen Verrats der Stalinisten und Sozialdemokraten fanden einen besonders schrecklichen Ausdruck in Chile, wo die "sozialistische" Allende-Regierung mit Hilfe der Kommunistischen Partei alles in ihrer Macht Stehende tat, um die Arbeiterklasse an der Machtübernahme zu hindern. Allende kam zwar selbst ums Leben, weil er versucht hatte, den Sturz des bürgerlichen Staates zu verhindern. Aber dies schmälerte in keiner Weise seine politische Verantwortung, da er dem Militärputsch vom 11. September 1973 unter General Augusto Pinochet Vorschub geleistet hatte.
172. Das Unvermögen der Arbeiterklasse, die von ihren eigenen Organisationen errichteten Barrieren zu überwinden, verschafften der Bourgeoisie die notwendige Zeit, die fragile Weltordnung zu stabilisieren und neu zu ordnen. Mitte 1975 deutete einiges darauf hin, dass der Höhepunkt der Wirtschaftskrise vorbei war. Dollars, die nach der Vervierfachung der Ölpreise in den Nahen Osten geflossen waren ("Petrodollars"), wurden vom Internationalen Währungsfond (IWF) in die wichtigsten kapitalistischen Bankzentren zurückgeschleust, um das internationale Finanzsystem mit neuer Liquidität zu versorgen. Die IWF-gesponserte "Reflation" verschafften dem Premierminister Harold Wilson (Labour Party) den finanziellen Spielraum, den er für zeitweilige Kompromisse mit der Gewerkschaftsbürokratie benötigte, während er gleichzeitig den Boden für neue Angriffe auf die Arbeiterklasse bereitete. 1975 fanden die reaktionären politischen Absichten der Labour-Regierung einen besonders krassen Ausdruck, als die Wilson-Regierung eine beispiellose Polizeirazzia gegen das Schulungszentrum der Workers Revolutionary Party anordnete.
173. Ende 1975 war die internationale Bourgeoisie so weit, die Enttäuschung in der Gesellschaft ausnutzen zu können. Diese Enttäuschung war durch die Unfähigkeit der Arbeiterklasse, die Krise durch eine sozialistische Lösung beizulegen, hervorgerufen worden. In Australien griff im November 1975 Generalgouverneur Sir John Kerr in die politische Krise ein, die durch die provokativen Aktionen der bürgerlichen Liberal Party zur Absetzung der demokratisch gewählten Labour-Regierung von Gough Whitlam entstanden war. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als allgemein bekannt war, dass die CIA tief in Aktivitäten verstrickt war, die Whitlam-Regierung zu destabilisieren. Kerrs "Putsch" traf auf heftigen Widerstand der Arbeiterklasse. Diese erwartete von Whitlam, dass er Widerstand leiste und offen gegen Kerry Position beziehe. Die Forderung an Whitlam, Kerry zu "entlassen", wurde von Hunderttausenden von demonstrierenden Arbeitern in ganz Australien erhoben. Whitlam jedoch kapitulierte feige vor dem Generalgouverneur und trat zurück. Solche Demonstrationen politischer Feigheit seitens der Arbeiterbürokratien überzeugten die Bourgeoisie nur umso mehr davon, dass sie die Arbeiterklasse straflos angreifen könne. In Argentinien stürzte das Militär das peronistische Regime, das die Unterstützung der Pablisten genossen hatte, und setzte eine Schreckensherrschaft gegen die Linke in Gang. In Sri Lanka und Israel kamen rechte Regierungen an die Macht, die der Keynesschen Wirtschaftspolitik den Kampf ansagten und eine monetaristische Politik im Sinne Milton Friedmans verfolgten. Friedmans wirtschaftspolitische Auffassungen von der Diktatur waren bereits in Chile umgesetzt worden.
174. 1979 kamen die Tories unter Führung Margaret Thatchers in Großbritannien an die Macht. Die politischen Voraussetzungen für ihren Sieg hatte die rechte Politik der Labour-Regierung geschaffen. Der Zorn der Arbeiterklasse entlud sich in einer Streikwelle Ende 1978 und Anfang 1979 im so genannten "Winter der Unzufriedenheit". Die Gewerkschaftsbürokratie sabotierte jeden einzelnen dieser Kämpfe. In den Vereinigten Staaten vollzog die Carter-Administration nach einem langen, mehr als hundert Tage dauernden Streik der Bergarbeiter 1977-78 einen scharfen Rechtsschwenk. Die Regierung berief sich auf ein Gesetz, den Taft-Hartley-Act, und ordnete die Wiederaufnahme der Arbeit an. Als die Streikenden sich jedoch darüber hinwegsetzten, konnte sich die Regierung nicht durchsetzen. Die amerikanische herrschende Klasse schloss daraus, dass künftige Angriffe gegen die Arbeiterklasse sorgfältiger vorbereitet werden müssten. Im August 1979 ernannte Carter Paul Volcker zum Vorsitzenden der Notenbank. Volcker ging daran, die Zinssätze auf Rekordniveau anzuheben, um eine Rezession auszulösen. Die Folge waren deutlich höherer Arbeitslosenzahlen, was die Arbeiterklasse schwächte. Eine große rechte Offensive wurde vorbereitet. Die Nominierung von Ronald Reagan als Präsidentschaftskandidat der Republikaner und seine Wahl im November 1980 bestätigten die scharfe Wende zur Klassenkonfrontation. Im Januar 1981 trat Reagan sein Amt an. Im August, kaum mehr als sechs Monate später, reagierte die Reagan-Administration auf den Streik der Fluglotsengewerkschaft PATCO, indem sie 11.000 Streikende entließ. Die AFL-CIO weigerte sich, die Fluglotsen zu verteidigen. Dieser Angriff bezeichnete den Anfang vom Ende der Gewerkschaftsbewegung als wichtige gesellschaftliche Kraft in den Vereinigten Staaten. Die Regierung hatte der Wirtschaft grünes Licht für offenen Streikbruch gegeben. Die AFL-CIO hatte außerdem deutlich gemacht, dass sie nichts tun werde, um das rechte Wüten gegen die Arbeiterklasse zu stoppen.
175. Die Rückschläge, die die Arbeiterklasse in den großen kapitalistischen Zentren einstecken musste, machten den Weg für eine aggressivere Durchsetzung imperialistischer Interessen frei. Premierministerin Thatcher entsandte die britische Marine in den Südatlantik, um Argentinien von den Malwinen (Falkland-Inseln) zu verdrängen. Die Reagan-Regierung verstrickte sich tief in einen schmutzigen Krieg gegen linke Kräfte in El Salvador und Nicaragua, verstärkte ihre Zusammenarbeit mit den Mujaheddin in Afghanistan, schickte US-Truppen in den Libanon, verschärfte ihre antisowjetische Rhetorik über das "Reich des Bösen" und griff mit Truppen auf Grenada ein.
Die Krise in der Workers Revolutionary Party
176. Entgegen den Erwartungen der Workers Revolutionary Party führte die Rückkehr der Labour Party an die Regierung im März 1974 nicht rasch zu Zusammenstößen zwischen der Arbeiterklasse und der neu gewählten Regierung. Die vom IWF gestützte Reflation schuf Manövrierraum für die Labour-Regierung. Diese neue Situation enthüllte die Schwächen im politischen Fundament der WRP. Die neue Partei und ihre Mitglieder waren schlecht auf die komplizierte Situation gerüstet, die durch die Rückkehr der Labour Party an die Regierung entstandenen war, denn die Umwandlung der Socialist Labour League in die WRP und die damit einher gehende "Massenrekrutierungs"-Kampagnen hatten sich hauptsächlich auf die elementare Anti-Tory-Stimmung gestützt, die in der Arbeiterklasse weit verbreitet war.
177. Die WRP suchte den Schwierigkeiten in der Entwicklung der Arbeiterklasse zu begegnen, indem sie sich anderweitig nach Unterstützung umsah. Die Pflege von Beziehungen mit verschiedenen nationalen Befreiungsbewegungen und bürgerlich-nationalistischen Regimes seit 1976 brachte eine stark ausgeprägte politische Fehlorientierung zum Ausdruck. Die WRP rückte von ihrem früheren Standpunkt ab, der dem Kampf gegen den Revisionismus die zentrale Bedeutung im Aufbau der marxistischen Bewegung eingeräumt hatte, und Healy und seine engsten Mitarbeiter, Cliff Slaughter und Mike Banda, näherten sich immer offener den pablistischen Konzeptionen an, die sie in den 1950er und 1960er Jahren bekämpft hatten. Ihre Kapitulation vor dem pablistischen Programm ging mit der Entwicklung einer idealistischen Mystifikation des Marxismus einher, die die dialektisch-materialistische Methode der Analyse grob verfälschte.
Die Kritik der Workers League an der WRP
178. In den 1960er und frühen 1970er Jahren hatte die britische trotzkistische Bewegung einen außerordentlich positiven Einfluss auf die Workers League ausgeübt. Die Entstehung und frühe Entwicklung der Workers League wäre ohne die unschätzbare Erfahrung der Socialist Labour League und Gerry Healys nicht möglich gewesen. Aber nach dem Bruch mit Wohlforth vollzog sich die Entwicklung der Workers League auf eine deutlich andere Weise als die der WRP. Der wesentliche Unterschied lag darin, dass die Workers League der Geschichte der trotzkistischen Bewegung und den Lehren des Kampfes gegen den Pablismus größte Beachtung schenkte.
179. Nach dem Bruch mit Wohlforth richtete die Workers League ihre Arbeit stark an der Arbeiterklasse aus. In den 1970er Jahren begann sie, in den Kämpfen der militantesten Teile der Arbeiterklasse, vor allem unter den in der Gewerkschaft UMWA organisierten Bergarbeitern, eine starke Präsenz zu entwickeln. 1978 entschied die Workers League, ihr politisches Zentrum nach Detroit zu verlegen. Damit wollte sie eine engere Verbindung zum täglichen Leben und den Kämpfen der Arbeiterklasse herstellen. In den folgenden Jahren spielten die Workers League und ihre Zeitung, The Bulletin, eine wichtige Rolle in den Streiks der Fluglotsen, der Kupferbergarbeiter von Phelps Dodge, der Greyhound-Busfahrer, der Hormel-Arbeiter und in zahlreichen weiteren Streiks in den Kohlebergwerken in West Virginia und Kentucky. Doch in all diese Kämpfe griff die Workers League nicht von dem Standpunkt ein, gewerkschaftliche Militanz in den Himmel zu loben, sondern sie verstand sie als wichtige politische Kämpfe, die die Entwicklung von sozialistischem Bewusstsein und marxistischer Führung in der Arbeiterklasse erforderten. Diese Arbeit führten der Workers League die Bedeutung einer ausgearbeiteten und umfassenden internationalen revolutionären Strategie besonders klar vor Augen.
180. Die Differenzen zwischen der WRP und der Workers League traten im Herbst 1982 offen zutage. In einem Essay zum fünften Jahrestag der Ermordung Tom Henehans betonte David North, der Nationale Sekretär der Workers League, die Bedeutung der Geschichte in der Ausbildung des Kaders der marxistischen Bewegung. Er schrieb:
"Der eigentliche Kern des Kadertrainings besteht darin, dass sich alle, die der Partei beitreten, bewusst den revolutionären Prinzipien unterordnen, die die historische Kontinuität des Marxismus beinhalten. Mit historischer Kontinuität meinen wir die ununterbrochene Kette der politischen und ideologischen Kämpfe, die unsere internationale Bewegung gegen den Stalinismus, die Sozialdemokratie, den Revisionismus und alle anderen Feinde der Arbeiterklasse geführt hat...
Revisionisten und politische Scharlatane aller Art gründen ihre Politik ausnahmslos auf die unmittelbaren praktischen Erfordernisse, mit denen sie gerade konfrontiert sind. Für prinzipielle Überlegungen dagegen braucht man ein ernsthaftes Studium der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung und Kenntnis ihrer Entwicklung als gesetzmäßiger Prozess. Dieses Wissen und die daraus folgende ständige kritische Überarbeitung der objektiven Erfahrungen der Arbeiterbewegung sind diesen Pragmatisten völlig fremd....
Eine Führung, die nicht kollektiv daran arbeitet, sich diese gesamte Geschichte anzueignen, kann ihrer revolutionären Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse nicht wirklich gerecht werden. Ohne tatsächliche Kenntnis der historischen Entwicklung der trotzkistischen Bewegung sind Hinweise auf den Dialektischen Materialismus mehr als nur hohl; in Wirklichkeit öffnen derartige leere Hinweise Tür und Tor für eine Verzerrung der dialektischen Methode. Die Quelle der Theorie liegt nicht im Denken, sondern in der objektiven Welt. Daher gründet sich die Entwicklung des Trotzkismus auf die neuen Erfahrungen im Klassenkampf, die im Lichte des gesamten Wissens unserer Bewegung untersucht werden."[105]
181. North legte der WRP eine detaillierte Kritik der von Healy verfassten Studies in Dialectical Materialism vor. Diese Kritik zeigte auf, dass Healys Konzeption der Dialektik eine Zurückweisung des Materialismus und eine Rückkehr zu der Art von subjektiv idealistischer Philosophie beinhaltete, die Marx in seiner Kritik der Linkshegelianer Anfang der 1840er Jahre überwunden hatte. North schrieb:
"Gen. Healys Studien im dialektischen Materialismus leiden an einem entscheidenden Mangel: sie ignorieren im Wesentlichen die Errungenschaften sowohl von Marx als auch von Lenin bei der materialistischen Überarbeitung der Hegelschen Dialektik. Hegel wird als unkritisch behandelt, im Wesentlichen auf die Art und Weise der Junghegelianer, gegen die Marx gekämpft hatte. ...
Gen. Healy beachtet nicht die oft wiederholten Warnungen von Marx und Engels, dass die Hegelsche Dialektik in der Form, in der sie hinterlassen worden war, unbrauchbar sei. So versucht Gen. Healy, den Erkenntnisprozess direkt aus der Hegelschen Logik zu erklären. Dies ist ein falscher Ansatz. Der Denkprozess kann ebenso wenig wie die Natur des Staates aus der Logik erklärt werden. ...
Der Ausdruck Hegel auf die Füße stellen darf nicht benutzt werden, um die große wissenschaftliche Leistung zu verniedlichen, die in dieser Aufgabe beinhaltet ist. Worum es ging, war nichts weniger, als die materialistische Weltanschauung zu begründen, mit der die Gesetze der Natur, der Gesellschaft und des Bewusstseins erfasst werden können. Das Hauptanliegen der Philosophie war nicht mehr die Sache der Logik, sondern die Logik der Sache.
Marx wies klar nach, dass das Hegelsche logische System, wenn man es so, wie es ist, anwendet, unweigerlich zu Sophisterei führt, und zwar durch die Manipulation logischer Kategorien und anschließend die Manipulation empirischer Tatsachen, um sie den vorgefassten Kategorien anzupassen."[106]
182. Abschließend fasste North seine Kritik an der politischen Entwicklung des IKVI unter der Führung der WRP zusammen. "Die Studien in der Dialektik" schrieb North, "haben eine Krise ans Tageslicht gebracht, die sich im Internationalen Komitee über eine beträchtliche Zeit hin entwickelt hat. Seit mehreren Jahren (meiner Ansicht nach begann dies 1976 und fing erst 1978 an zu dominieren) hat sich das Internationale Komitee im Namen des Kampfes für den Dialektischen Materialismus und gegen Propagandismus immer mehr vom Kampf für den Trotzkismus abgewandt". Die Kritik an Healys theoretischer Methode verband er mit einer Analyse der Beziehungen der WRP mit bürgerlich-nationalistischen Regimes im Nahen Osten. "Eine Vulgarisierung des Marxismus, die uns als 'Kampf für die Dialektik' angedreht worden ist, wurde von einer unmissverständlichen Abweichung zum Opportunismus innerhalb des Internationalen Komitees, besonders innerhalb der WRP begleitet", schrieb North. "Marxistische Verteidigung von nationalen Befreiungsbewegungen und der Kampf gegen den Imperialismus wurden auf opportunistische Weise ausgelegt, nämlich als unkritische Unterstützung verschiedener bürgerlicher nationalistischer Regime."[107]
183. Im Januar-Februar 1984 legte die Workers League eine umfassendere Analyse der Degeneration der WRP vor. In einem Brief vom 23. Januar 1984 an Michael Banda, den Generalsekretär der WRP, stellte North fest, die Workers League sei "äußerst besorgt über wachsende Anzeichen eines politischen Abdriftens auf Positionen, die - sowohl in ihren Schlussfolgerungen, wie in ihrer Methode - sehr denen ähneln, die wir historisch dem Pablismus zugeschrieben haben".
Er machte darauf aufmerksam, dass das Internationale Komitee "seit einiger Zeit ohne eine klare, politisch geeinte Perspektive arbeitet, die seine Praxis anleitet. Anstatt auf die Perspektive des Aufbaus von Sektionen des Internationalen Komitees in jedem Land konzentrierte sich die Arbeit des IKs seit einer Reihe von Jahren auf Bündnisse mit verschiedenen bürgerlich nationalistischen Regimes und Befreiungsbewegungen. Der Inhalt dieser Bündnisse hat immer weniger eine klare Orientierung auf die Entwicklung unserer Kräfte widergespiegelt, den zentralen Punkt für den Kampf, die Führungsrolle des Proletariats im antiimperialistischen Kampf in den halbkolonialen Ländern durchzusetzen. Die gleichen Auffassungen, die wir bei der SWP in Bezug auf Algerien und Kuba Anfang der sechziger Jahre so heftig angriffen, erscheinen immer häufiger in unserer eigenen Presse."[108]
184. In einem Bericht an das Internationalen Komitee der Vierten Internationale vom 11. Februar 1984 brachte North die Kritik der Workers League noch deutlicher zum Ausdruck. Darin untersuchte er die Anpassung der WRP an den bürgerlichen Nationalismus im Kontext des jahrzehntelangen Kampfes des Internationalen Komitees gegen den Pablismus, und wies gleichzeitig auf die opportunistischen Beziehungen der WRP mit reformistischen Tendenzen in Großbritannien hin. North erklärte:
"Das Internationale Komitee gründet sich auf die Traditionen und Prinzipien, die durch die politischen, theoretischen und organisatorischen Kämpfe aller vorhergehenden Generationen von Marxisten geschaffen wurden - und der Weg, auf dem diese Kontinuität mit den früheren Generationen durch das IK entwickelt wurde, war der Kampf gegen jede Spielart des Antimarxismus, die innerhalb der Arbeiterbewegung besonders innerhalb der trotzkistischen Bewegung selbst, auftauchte."[109]
185. North bemerkte, dass die von Barnes Ende 1982 verkündete ausdrückliche Zurückweisung der Theorie der Permanenten Revolution durch die amerikanische SWP den Kampf des IKVI gegen den pablistischen Revisionismus bestätigte. Anstelle des Kampfes für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse machte sich die SWP für bürgerlich-nationalistische und kleinbürgerliche Bewegungen wie die New Jewel-Bewegung auf Grenada, die Sandinistas in Nicaragua und die Farabundo Marti in El Salvador stark. In diesem Zusammenhang betonte North die Notwendigkeit, die politischen Erfahrungen des IKVI zu untersuchen. Mit Blick auf dessen politische Beziehungen zu nationalen Bewegungen im Nahen Osten schrieb North:
"Spätestens seit Mitte 1978 entwickelte sich eindeutig eine allgemeine Ausrichtung hin zu Beziehungen mit nationalistischen Regimes und Befreiungsbewegungen, ohne eine entsprechende Perspektive für den tatsächlichen Aufbau unserer eigenen Kräfte innerhalb der Arbeiterklasse. In unserer Presse begann sich immer offener eine völlig unkritische und unrichtige Einschätzung breitzumachen, die die Kader und die Arbeiterklasse dazu aufforderte, diese bürgerlichen Nationalisten als antiimperialistische Führer zu betrachten, denen politische Unterstützung gegeben werden müsse."[110]
186. North kritisierte die Unterstützung der WRP für die Unterdrückungsmaßnahmen Saddam Husseins gegen die irakische Kommunistische Partei, darunter die Hinrichtung von 21 ihrer Mitglieder im Jahr 1979, die Lobhudelei auf das iranische Regime von Ayatollah Khomeini, nachdem die Revolution vom Februar 1979 zunächst richtig eingeschätzt worden war, und die unkritische Unterstützung für den Führer der libyschen Dschamahirija, Muammar al-Gaddafi von 1977 bis 1983. North führte auch die Beziehungen an, die die WRP mit Teilen der Labour Party geknüpft hatte, zum Beispiel mit Ken Livingstone und Ted Knight, und dem Greater London Council.
187. Die Workers Revolutionary Party weigerte sich, diese Differenzen zu diskutieren. Sie drohte sogar, die Beziehungen zur Workers League abzubrechen, sollte diese ihre Kritik aufrechterhalten. Dieser prinzipienlose und opportunistische Kurs hatte schließlich vernichtende Auswirkungen auf die WRP. Nur wenig mehr als ein Jahr später, im Herbst 1985, wurde die WRP das Opfer einer organisatorischen Krise. Sie war das Ergebnis einer Entwicklung über zehn Jahr hinweg, in denen die Prinzipien, die der Gründung der Vierten Internationale und des Internationalen Komitees zugrunde gelegen hatten, immer mehr aufgegeben wurden. Die Weigerung der WRP, die politischen Ratschläge des IKVI anzunehmen, und ihre Verfolgung politischer Interessen, die sie ausschließlich nationalistisch verstand, führten im Februar 1985 zur Spaltung.
Der Zusammenbruch der WRP und die Spaltung im Internationalen Komitee
188. Im August 1985 wurden Mitglieder des Internationalen Komitees nach London einbestellt, wo Healy und andere Führer der WRP sie informierten, dass die britische Sektion in einer ernsten finanziellen Krise stecke. Man teilte den IKVI-Mitgliedern mit, die Probleme seien durch unerwartete Steuernachzahlungen und erhebliche Kostensteigerungen beim Vertrieb der Newsline, der Tageszeitung der WRP, entstanden. Die WRP-Führer richteten einen dringlichen Appell um finanzielle Unterstützung an die Sektionen des IKVI. Wie sich bald herausstellen sollte, bestand der Bericht an das IKVI weitestgehend aus Lügen. Obendrein informierte die WRP die IK-Mitglieder nicht darüber, dass innerhalb der Führung der britischen Sektion eine Krise durch Vorwürfe ungebührlichen persönlichen Verhaltens von Healy selbst ausgebrochen war. Nicht nur Healy, sondern auch Michael Banda und Cliff Slaughter lehnten Forderungen aus dem Zentralkomitee nach einer Untersuchung dieser Vorwürfe durch eine Kontrollkommission ab. Während sie um Geld vom IKVI baten, um die Probleme in Schach zu halten, die durch die interne politische Krise der britischen Sektion entstanden waren, versuchte die WRP gleichzeitig, diese Tatsachen vor den IKVI-Mitgliedern zu verheimlichen. Als sich jedoch der Fraktionskampf innerhalb der WRP im Lauf der nächsten Wochen verschärfte, erfuhr das IKVI die Einzelheiten der Krise. David North, der die Workers League vertrat, Nick Beams (von der Socialist Labour League, Australien), Ulrich Rippert und Peter Schwarz (vom Bund Sozialistischer Arbeiter in Deutschland) und Keerthi Balasuriya (von der Revolutionary Communist League in Sri Lanka) reisten nach Großbritannien, um die politische Situation in der Workers Revolutionary Party zu untersuchen. Sie betonten, dass die Krise, die sich in der britischen Sektion entwickelt hatte, ihre Wurzeln in langjährigen politischen Problemen hatte, die mit dem internationalen Programm und den internationalen Perspektiven in Zusammenhang stünden. Sie teilten den Führern der WRP mit, dass das IKVI im Kampf zwischen verschiedenen prinzipienlosen Fraktionen innerhalb der WRP-Führung keine Partei ergreifen werde. Das IKVI wies die Versuche der WRP-Führer, die internationale Bewegung für ihre eigenen nationalistischen und opportunistischen Zwecke zu benutzen, rundheraus zurück. Die WRP konnte ihre Krise vielmehr nur dann politisch überwinden, wenn die britische Organisation die Disziplin der internationalen Bewegung anerkannte.
189. Am 25. Oktober 1985 beschloss das Internationale Komitee, Healy auszuschließen, nachdem es die Vorwürfe gegen ihn überprüft hatte. In der Stellungnahme, die das IKVI herausgab, heißt es:
"Mit dem Ausschluss von Healy verfolgt das IKVI keineswegs die Absicht, den politischen Beitrag zu leugnen, den er in der Vergangenheit, vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren im Kampf gegen den pablistischen Revisionismus, geleistet hat.
In Wirklichkeit ist dieser Ausschluss das Endergebnis seiner Zurückweisung der trotzkistischen Prinzipien, die die Grundlage dieser vergangenen Kämpfe bildeten, und seines Abstiegs zu den vulgärsten Formen des Opportunismus.
Die politische und persönliche Degeneration von Healy kann eindeutig darauf zurückgeführt werden, dass er die praktischen und organisatorischen Fortschritte der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien immer ausdrücklicher von den historisch und international begründeten Kämpfen gegen Stalinismus und Revisionismus trennte, denen diese Errungenschaften entsprangen.
Die zunehmende Unterordnung prinzipieller Fragen unter unmittelbare praktische Bedürfnisse beruhte auf der Sorge um ein Wachsen des Parteiapparates. Dies degenerierte zu einem politischen Opportunismus, der stetig seine eigenen politischen und moralischen Widerstandskräfte gegenüber dem Druck des Imperialismus im ältesten kapitalistischen Land der Welt untergrub.
Unter diesen Bedingungen spielten seine ernsthaften subjektiven Schwächen eine zunehmend gefährlich politische Rolle.
Während er in der WRP wie im IKVI immer willkürlicher vorging, schrieb Healy die Fortschritte der Weltpartei in wachsendem Maße seinen eigenen persönlichen Fähigkeiten, anstatt den marxistischen Prinzipien der Vierten Internationale und dem kollektiven Kampf ihrer Kader zu.
Die Selbstverherrlichung seiner intuitiven Urteile führte zwangsläufig zu einer groben Vulgarisierung der materialistischen Dialektik und zu Healys vollständiger Verwandlung in einen subjektiven Idealisten und Pragmatiker.
Sein Interesse an den komplexen Problemen der Entwicklung der Kader der internationalen trotzkistischen Bewegung wurde durch eine Praxis abgelöst, die fast vollständig von der Entwicklung prinzipienloser Beziehungen mit bürgerlichen nationalistischen Führern und Reformisten in den britischen Gewerkschaften und der Labour Party beherrscht war.
Sein persönlicher Lebensstil verfiel einer entsprechenden Degeneration.
Diejenigen, die wie Healy die Prinzipien aufgeben, für die sie einst gekämpft haben, und die sich weigern, sich selbst dem IKVI im Aufbau seiner nationalen Sektionen unterzuordnen, müssen unter dem Druck des Klassenfeindes unweigerlich degenerieren.
Es kann keine Ausnahme von diesem historischen Gesetz geben.
Das IKVI bekräftigt, dass kein Führer über den historischen Interessen der Arbeiterklasse steht."[111]
190. Ungeachtet ihres Fraktionskampfs gegen Healy teilten Banda und Slaughter seine opportunistische und nationalistische Perspektive. Sie versuchten nicht weniger als Healy, eine Untersuchung der Ursprünge und der Entwicklung der Krise der Organisation, in der sie mehr als drei Jahrzehnte lang eine führende Rolle gespielt hatten, zu verhindern. Darüber hinaus wurde sehr schnell klar, dass Banda und Slaughter keine Einschränkung der politischen Bündnisse und Aktivitäten der WRP auf internationaler Ebene akzeptieren würden. Am 11. Dezember 1985 schrieb das Politische Komitee der Workers League an das Zentralkomitee der WRP:
"Im Laufe der vergangenen drei Monate hat die Workers League wiederholt festgestellt, dass die politische Krise innerhalb der Workers Revolutionary Party nur überwunden werden kann, wenn die britische Sektion so eng wie irgend möglich mit ihren internationalen Genossen zusammenarbeitet. Leider gibt es nach der jahrelangen systematischen falschen Ausbildung unter Healy viele Genossen in der Führung der WRP, die verächtlich auf das Internationale Komitee hinabblicken und die Aufrufe des Internationalen Komitees zu wirklicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Konsultation als unerwünschte Einmischung in das Leben der britischen Sektion betrachten. Wenn diese Genossen Unterordnung der WRP unter das Internationale Komitee hören, reagieren sie feindselig. Wir haben es hier natürlich nicht mit den subjektiven Schwächen einzelner Mitglieder zu tun. Die Tatsache, dass innerhalb der WRP starke nationalistische Tendenzen existieren, ist eine politische Widerspiegelung der historischen Entwicklung der Arbeiterklasse im ältesten imperialistischen Land der Welt. Diese Tendenzen können überwunden werden, wenn sie erkannt und bewusst bekämpft werden, und die Verantwortung, diesen Kampf zu führen, liegt bei der Führung der Workers Revolutionary Party.
Wir stehen jetzt vor der großen Gefahr, dass die Führung den Anti-Internationalismus in der Partei fördert. Die nationale Selbständigkeit der Workers Revolutionary Party wird der Autorität des Internationalen Komitees, des führenden Gremiums der Weltpartei der sozialistischen Revolution, entgegengestellt."[112]
191. In Erwiderung auf Slaughters Behauptung, dass "der Internationalismus genau darin besteht,... Klassenlinien festzulegen und sie durchzukämpfen", fragte das Politische Komitee:
"Aber wie werden diese Klassenlinien bestimmt? Erfordert dieser Vorgang die Existenz der Vierten Internationale? Genosse Slaughters Definition legt nahe - und das ist der ausdrückliche Inhalt seines gesamten Briefes -, dass sich jegliche nationale Organisation auf die Ebene des Internationalismus heben kann, indem sie es von sich aus unternimmt, die Klassenlinien festzulegen und sie durchzukämpfen."
Die Workers League erinnerte Slaughter: "Das Internationale Komitee ist die historische Verkörperung der ganzen programmatischen Grundlage des Trotzkismus und des Marxismus von Marx und Lenin. Die Unterordnung der nationalen Sektionen unter das IK ist der organisierte Ausdruck davon, dass sie mit diesem Programm übereinstimmen und es verteidigen. Wenn jemand bei seiner Definition des Internationalismus das Programm von seinem organisatorischen Ausdruck trennt, nimmt er den Standpunkt all der revisionistischen uns zentristischen Feinde des Trotzkismus ein, die die Kontinuität des Marxismus, wie er im Internationalen Komitee verkörpert ist, leugnen, um sich innerhalb ihrer nationalen Arena freie Hand zu verschaffen."[113]
192. Am 16. Dezember 1985 erhielt das Internationale Komitee einen Bericht der Internationalen Kontrollkommission, die es eingesetzt hatte, um die politischen und finanziellen Beziehungen zu untersuchen, welche die WRP zwischen 1976 und 1985 zu verschiedenen bürgerlich-nationalen Regimen im Nahen Osten aufgebaut hatte. Dieser Bericht bewies schlüssig, dass die WRP politische Beziehungen eingegangen war, die die Prinzipien der Vierten Internationale verraten, und diese Beziehungen gleichzeitig dem IKVI verschwiegen hatte. Das Internationale Komitee stimmte dafür - gegen die Stimmen von WRP-Delegierten, die die Fraktionen von Slaughter und Banda vertraten -, die WRP von der Mitgliedschaft in der internationalen Organisation zu suspendieren. Diese Resolution wurde von David Hyland unterstützt, der einen bedeutenden Teil der WRP-Mitgliedschaft vertrat, die sich in politischer Übereinstimmung mit dem Internationalen Komitee befand.
193. Die Suspendierung der WRP stellte eine unmissverständliche Bekräftigung der Prinzipien des revolutionären Internationalismus innerhalb der Vierten Internationale dar. Mit diesem Schritt machte das IKVI klar, dass es keine Unterordnung der internationalistischen trotzkistischen Prinzipien unter irgendeine Form des nationalen Opportunismus zulassen würde. Der Zweck der Suspendierung war nicht, die WRP zu bestrafen, sondern die Bedingungen für eine Mitgliedschaft im IKVI klarzustellen. Eine zweite Resolution des IKVI vom 17. Dezember 1985 spezifizierte die historischen und programmatischen Grundlagen, auf die das IKVI sich gründet. Es rief die WRP auf, diese Prinzipien erneut zu bestätigen und dadurch die eigene rasche Wiederaufnahme in das IKVI vorzubereiten. Die Resolution schloss mit den Worten:
"Das IKVI und das Zentralkomitee der WRP werden nun eng zusammenarbeiten, um die bestehenden Probleme so schnell wie möglich zu überwinden, die ein Erbe der nationalistischen Degeneration der WRP unter Healy sind, um die grundlegenden Prinzipien des Internationalismus in der WRP wieder zu festigen, und auf dieser Grundlage ihre volle Mitgliedschaft im Internationalen Komitee der Vierten Internationale wiederherzustellen. Die organisatorische Struktur dieser Beziehung soll sich stets auf die leninistischen Prinzipien des demokratischen Zentralismus gründen, die in den Statuten der Vierten Internationale ausgeführt sind."[114]
194. Erneut stimmten die Delegierten der WRP mit Ausnahme von David Hyland gegen die Resolution. Ihr Abstimmungsverhalten machte klar, dass die WRP weder das Programm noch die Autorität des Internationalen Komitees akzeptierte. Einen Monat später widerrief das Zentralkomitee der WRP sein im Oktober 1985 gegebenes Einverständnis, die Mitgliedschaft neu zu registrieren und nur jene als Mitglieder aufzunehmen, die damit einverstanden waren, dass Mitgliedschaft in der britischen Sektion die Anerkennung der politischen Autorität des Internationalen Komitees voraussetzt. Hyland und zwei weitere Mitglieder des Zentralkomitees der WRP lehnten die Zurückweisung dieser Vereinbarung durch die WRP ab. Der Beschluss des Zentralkomitees der WRP bedeutete die Spaltung vom Internationalen Komitee. Am 8. Februar 1986 hielt die WRP einen Rumpfkongress ab, an dem teilzunehmen allen Anhängern des Internationalen Komitees verwehrt wurde. Diese politische Farce bedeutete das endgültige Ende der WRP als trotzkistischer Organisation. Das Hauptdokument, das für diesen Kongress vorbereitet wurde, war eine von Banda verfasste, antitrotzkistische Tirade mit dem Titel 27 Gründe, warum das Internationale Komitee unverzüglich beerdigt und die Vierte Internationale aufgebaut werden sollte. Nur wenige Monate, nachdem er dieses Dokument verfasst hatte, distanzierte sich Banda von seiner fast 40jährigen Zugehörigkeit zur Vierten Internationale und verkündete seine Bewunderung für Stalin. Was die WRP angeht, so lösten sich ihre verschiedenen Fraktionen eine nach der anderen auf. Es dauerte nicht einmal ein Jahrzehnt, da unterstützten Slaughter und andere ehemalige Führer der WRP aktiv die US-NATO-Operation in Bosnien. Die einzige lebensfähige Tendenz in der britischen Organisation, die aus dem Zusammenbruch der WRP hervorging, war die von Dave Hyland angeführte, die die Prinzipien des IKVI verteidigte. Diese Tendenz gründete im Februar 1986 die International Communist Party, die Vorläuferorganisation der heutigen Socialist Equality Party, der britischen Sektion des IKVI.
Eine zusätzliche Anmerkung über die Ursache und Bedeutung der Spaltung im IKVI
195. Wie 1953 nahm die Spaltung im Internationalen Komitee, die sich zwischen 1982 und 1986 entwickelte, gewaltige Veränderungen vorweg, die in der letzten Hälfte der 1980er Jahre die gesamte Struktur der Weltpolitik, wie sie in den vier Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten. Weltkriegs existiert hatte, zerstören sollte. Die langwierige Krise der WRP war ein vielschichtiger und widersprüchlicher Prozess. Ihr grundlegender Ursprung lag nicht in den Schwächen des einen oder anderen Individuums, sondern in Veränderungen in den Beziehungen der Klassenkräfte im internationalen Maßstab. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine politische Partei, die über viele Jahrzehnte hinweg eine ungeheuer positive Rolle in der Entwicklung der Arbeiterklasse gespielt hat, in einer späteren Periode, wenn sich neue Bedingungen entwickeln und neue Aufgaben gestellt werden, in eine Krise gerät. Besonders tragische Beispiele für dieses historische Phänomen sind die deutsche Sozialdemokratie und die bolschewistische Partei. Ihre historischen Leistungen werden jedoch durch ihr unrühmliches Schicksal nicht ausgelöscht.
196. Ebenso wenig wurden die Errungenschaften der SLL/WRP und ihres wichtigsten Führers, Gerry Healy, durch die spätere Degeneration der Organisation ausgelöscht. Wenn man auf einer objektiven Bewertung der Geschichte der SLL/WRP besteht, lohnt es sich, den Ratschlag in Erinnerung zu rufen, den Healy Wohlforth 1972 nach dem Tod von Max Shachtman gab. Wohlforth hatte einen Nachruf auf Shachtman geschrieben, in dem er den Verrat des Verstorbenen am Sozialismus und der Arbeiterklasse während der letzten Jahrzehnte seines Lebens zu Recht anprangerte. Wohlforth fügte jedoch seiner Verurteilung folgende Erklärung hinzu: "Der langen Rede kurzer Sinn: Shachtman starb als Verräter an seiner Klasse und als Konterrevolutionär." In seiner Antwort an Wohlforth bemerkte Healy: "Gleichzeitig erscheint diese Aussage selbst widersinnig zu sein, denn Shachtman starb nicht einfach, er lebte auch. Es ist ganz natürlich, dass keine freundlichen Gefühle hochkommen, wenn man an jemanden denkt, der am Ende schmählich verraten hat. Unsere Aufgabe ist es aber nicht, Schuldzuweisungen vorzunehmen, sondern zu verstehen."[115]
197. Viele Jahre lang, besonders nach der Rückkehr der SWP zum Pablismus im Jahr 1963, waren die britischen Trotzkisten praktisch die einzigen, die das Programm und das Erbe der Vierten Internationale verteidigten. Während die OCI ein immer unzuverlässigerer Verbündeter und Ende der 1960er sogar politischer Gegner wurde, kämpfte die SLL unbeugsam gegen die Versuche der Pablisten, die Vierte Internationale in das Milieu des Stalinismus, des bürgerlichen Nationalismus und des kleinbürgerlichen Radikalismus zu liquidieren. Ohne große internationaler Unterstützung kämpfte die SLL gegen das pablistische Liquidatorentum, indem sie nach besten Kräften eine starke revolutionäre Organisation in Großbritannien aufbaute. In dieses Projekt investierte Healy sein außergewöhnliches Talent als revolutionärer Organisator und Redner. Während die Pablisten darauf beharrten, der Trotzkismus könne keine unabhängige Rolle spielen, führte die SLL einen unermüdlichen politischen Krieg gegen die britische Labour Party und errang die politische Führung ihrer Jugendorganisation, der Young Socialists (YS). Als die Führung der britischen Labour Party versuchte, dieser Offensive entgegenzuwirken, indem sie Keep Left, die Zeitung der Young Socialists, verbot, wehrten sich die SLL und ihre Anhänger in den YS und erhöhten die Verbreitung der Zeitung bis zu einer Auflage von 10.000 Lesern. Schließlich wurden die Young Socialists zur offiziellen Jugendbewegung der trotzkistischen Bewegung in Großbritannien. Die Pablisten reagierten auf die Erfolge der SLL mit bösartigen politischen Verleumdungen, die von den Stalinisten begeistert unterstützt wurden. Letztere versuchten, die SLL als "gewalttätige" Organisation hinzustellen.
198. Unter den Bedingungen politischer Isolation verstand die SLL die Entwicklung der Vierten Internationale in wachsendem Maße als Nebenprodukt des Wachstums ihrer Organisation in England. Die Erfolge der Bewegung in England, so argumentierte sie, würden die Grundlage für das Wachstum des Internationalen Komitees schaffen. Auf diese Weise nahmen die Formen und Gewohnheiten der politischen Arbeit im Laufe der Zeit eine zunehmend nationalistische Färbung an. Was genau genommen ein vorübergehendes politisches Kräfteverhältnis war, das der Arbeit in Großbritannien einen übermäßigen Stellenwert im Internationalen Komitee verlieh, baute die SLL/WRP zu einer zunehmend nationalistischen Konzeption der Beziehung zwischen SLL/WRP und der Vierten Internationale mit Absolutheitsanspruch aus. Die diversen Formen opportunistischer Praxis, die die WRP in den 1970ern und bis in die 1980er Jahre entwickelte, wurden von Healy - zumindest vor sich selbst - damit gerechtfertigt, dass er durch den "Aufbau der Partei" in England langfristig die Grundlagen für die internationale Entwicklung des IKVI legte. Obwohl es in den 1970ern und Anfang der 1980er eine beträchtliche politische Entwicklung in verschiedenen Sektionen des Internationalen Komitees gegeben hatte, neigte die WRP dazu, die internationale Organisation als kaum mehr denn ein Anhängsel ihrer eigenen britischen Organisation zu sehen.
199. Das zentrale Problem dieser Herangehensweise war ihre nationalistische Grundlage, die der politischen Tradition der Vierten Internationale zuwiderlief und mit den objektiven Prozessen der globalen sozioökonomischen und politischen Entwicklung unvereinbar war. Die Krise der WRP war Teil eines umfangreicheren Prozesses, der alle Massenparteien und Gewerkschaftsorganisationen erfasste, die sich historisch auf die Arbeiterklasse gründen. Ungeachtet unterschiedlicher organisatorischer Strukturen und politischer Bündnispartner gründeten sich Stalinisten, Sozialdemokraten und reformistische Organisationen alle auf ein nationalistisches Programm. Diese grundlegende Gemeinsamkeit verband sogar so scheinbar unversöhnliche Feinde wie den amerikanischen AFL-CIO und die Kommunistische Partei der Sowjetunion. Während das Programm der letzteren auf dem sozialistischen Potential der Produktivkräfte der UdSSR beruhte, hatten die reformistischen Ziele der ersteren die angeblich unerschöpflichen wirtschaftlichen Möglichkeiten und Reichtümer des amerikanischen Kapitalismus zur Prämisse. Beide Organisationen gerieten in eine Krise, als die Entwicklungen der Technologie und die sich daraus ergebenden Veränderungen in der Produktion und der Zirkulation des Kapitals die national-reformistischen Perspektiven der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg unbrauchbar machten.
200. Diese grundlegenden Veränderungen in der Weltwirtschaft und ihre Auswirkungen auf den internationalen Klassenkampf spiegelten sich im Internationalen Komitee wider und führten letzten Endes zur Spaltung. Der grundlegende Unterschied in der politischen Perspektive - auf der einen Seite der revolutionäre Internationalismus und auf der anderen der nationale Opportunismus - entwickelte sich lange vor der organisatorischen Spaltung. In einem Brief an Michael Banda vom 23. Januar 1984 schrieb North im Namen der Workers League: "Gleichgültig, wie vielversprechend bestimmte Entwicklungen innerhalb der nationalen Arbeit der Sektionen auch erscheinen mögen - wie unsere eigenen Erfahrungen in verschiedenen Gewerkschaftskämpfen -, diese werden keine wirklichen Erfolge für die Sektionen hervorbringen, wenn unsere Arbeit nicht von einer wissenschaftlich ausgearbeiteten internationalen Perspektive angeleitet wird. Je mehr sich die Workers League der Arbeiterklasse zuwendet, desto mehr spüren wir die Notwendigkeit der engsten Zusammenarbeit mit unseren internationalen Genossen, um die Arbeit vorwärtszubringen."[116]
201. Der Widerstand der Workers League gegen den nationalen Opportunismus der WRP befand sich in theoretischer Übereinstimmung mit den sozialen und wirtschaftlichen Prozessen, die schon in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium waren. Sie waren im Begriff, die bestehenden Strukturen und Beziehungen der Weltpolitik zu sprengen. Ähnlich wie in den 1960er und 1970er Jahren ein großer Teil des internationalen Kaders dank der Verteidigung der internationalistischen Perspektiven der Permanenten Revolution durch die britischen Trotzkisten vom IKVI angezogen wurde, so fand die Kritik der Workers League nun, nachdem sie in der internationalen Bewegung weithin bekannt wurde, überwältigende Unterstützung. Genau diese Tatsache war verantwortlich für die relativ rasche politische Neuausrichtung innerhalb des Internationalen Komitees im Herbst 1985. Dadurch entstand eine neue Grundlage für die Arbeit der internationalen Bewegung. Die nachfolgende Entwicklung des IKVI war die bewusste Antwort der marxistischen Vorhut auf die neue wirtschaftliche und politische Situation. Die Neuorientierung der Bewegung basierte auf einem systematischen Kampf gegen alle Formen des Nationalismus, eine Neuorientierung, die untrennbar mit der Entwicklung einer internationalen Perspektive verbunden war. Alle Formen des Opportunismus haben letztendlich ihre Wurzeln in bestimmten Formen nationaler Anpassung. Im Kampf gegen andere Tendenzen und innerhalb der eigenen Organisation bekräftigte das IKVI von Neuem die Konzeptionen, die von Trotzki in ihrer höchsten Form entwickelt wurden - das Primat der globalen Entwicklungen des Weltkapitalismus über die besonderen Ausprägungen in einem bestimmten Nationalstaat und das Primat der internationalen Strategie über die nationale Taktik.
Nach der Spaltung: Bedeutung und Folgen der Globalisierung
202. Unmittelbar nach der Spaltung unterzog das Internationale Komitee die Auflösung der Workers Revolutionary Party einer detaillierten Analyse. In Wie die WRP den Trotzkismus verraten hat, 1973-1985 wird nachgewiesen, dass die Krise dieser Organisation eng mit ihrem Abweichen von jenen Prinzipien zusammenhing, die von den britischen Trotzkisten immer verteidigt worden waren, sowohl bei der Gründung des Internationalen Komitees, als auch später, bei ihrem Kampf von 1963 gegen die prinzipienlose Wiedervereinigung der SWP mit den Pablisten. Anschließend ging das Internationale Komitee daran, Michael Bandas Angriff auf die Geschichte der trotzkistischen Bewegung zurückzuweisen: Es veröffentlichte Das Erbe, das wir verteidigen : Ein Beitrag zur Geschichte der Vierten Internationale von David North.
203. Nachdem das IKVI die historischen Wurzeln und den politischen Ursprung der Spaltung im Internationalen Komitee analysiert hatte, begann es mit einer systematischen Untersuchung der Veränderungen in der Weltwirtschaft, die die objektive Grundlage für die Entwicklung des Klassenkampfs und den Aufbau der Vierten Internationale bildeten. Auf dem vierten Plenum des Internationalen Komitees im Juli 1987 wurden folgende Fragen gestellt: 1) Was sind die neuen Tendenzen der globalen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, deren bewusster Ausdruck das Wachstum des Internationalen Komitees der Vierten Internationale ist? 2) Auf welcher objektiven Grundlage kann die Entwicklung einer neuen globalen revolutionären Krise erwartet werden?
204. Bei seiner Antwort auf diese Fragen legte das IKVI die hauptsächliche Betonung auf die "explosive Expansion der Aktivitäten transnationaler Konzerne". Es erklärte:
"Das Ergebnis sind eine beispiellose Integration des Weltmarkts und die Internationalisierung der Produktion. Die absolute und aktive Vorherrschaft der Weltwirtschaft über alle nationalen Wirtschaften, einschließlich der der Vereinigten Staaten, ist eine Grundtatsache des modernen Lebens. Der technologische Fortschritt, der mit der Erfindung und Perfektionierung der integrierten Schaltkreise zusammenhängt, hat zu revolutionären Veränderungen im Kommunikationswesen geführt, die wiederum den Prozess der weltweiten wirtschaftlichen Integration beschleunigt haben. Aber diese ökonomischen und technologischen Entwicklungen, weit entfernt, dem Kapitalismus neue Zukunftsaussichten zu eröffnen, haben den grundlegenden Widerspruch zwischen der Weltwirtschaft und dem kapitalistischen Nationalstaatensystem, zwischen der gesellschaftlichen Produktion und dem Privateigentum verschärft wie nie zuvor in der Geschichte."[117]
205. Das Internationale Komitee stellte außerdem fest: "Die Phänomene riesiger transnationaler Konzerne und der Internationalisierung der Produktion hängen untrennbar mit einem weiteren Faktor zusammen, der tiefe revolutionäre Bedeutung hat: dem Verlust der globalen Wirtschaftshegemonie der Vereinigten Staaten, sowohl im relativen als auch im absoluten Maßstab. Diese historische Veränderung der Weltposition des US-Imperialismus, die durch die Verwandlung der USA vom weltgrößten Gläubiger - zum größten Schuldnerland symbolisiert wird, ist die zugrunde liegende Ursache für den dramatischen Niedergang des Lebensstandards der Arbeiter und muss zu einer Periode revolutionärer Klassenkonfrontationen in den USA führen."[118]
206. Eine weitere Entwicklung, die den Zusammenbruch der Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelte, und auf die das IKVI aufmerksam machte, war die Verschärfung der Gegensätze zwischen den Imperialisten. Zur damaligen Zeit war die rasche wirtschaftliche Entwicklung Japans die unmittelbarste, wenn auch keineswegs die einzige Ursache dieser neuen Spannungen. Das IKVI wies drauf hin, dass Pläne zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes verwirklicht wurden, der in der Lage wäre, sowohl das amerikanische als auch das japanische Kapital herauszufordern. Das IKVI maß außerdem der enormen Zunahme des Proletariats in Asien, Afrika und Lateinamerika revolutionäre Bedeutung zu - ein Ergebnis des Exports von Kapital in seiner Jagd nach hohen Profitraten.
207. Die Entwicklung der transnationalen Produktion und die globale Integration von Finanzwesen und Produktion unterhöhlte die Überlebensfähigkeit von sozialen und politischen Organisationen, die im nationalstaatlichen System verwurzelt waren. Wenngleich die globale Integration des Kapitalismus die objektiven Bedingungen für die Vereinigung der Arbeiterklasse schuf, so machte dieses revolutionäre Potential dennoch Organisationen und eine Führung erforderlich, die sich auf eine bewusste internationalistische Strategie gründen. Ohne eine solche Führung ist die Arbeiterklasse nicht in der Lage, sich gegen das global organisierte Kapital zu verteidigen. Das IKVI erklärt in seinem Perspektivdokument von 1988, Die kapitalistische Weltkrise und die Aufgaben der Vierten Internationale:
"Die massive Entwicklung transnationaler Konzerne und die sich daraus ergebende globale Integration der kapitalistischen Produktion haben dazu geführt, dass die Bedingungen, denen sich die Arbeiter der Welt gegenübersehen, einander gleichen wie nie zuvor. Der heftige Konkurrenzkampf nationaler Kapitalistengruppen um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt findet seinen brutalsten Ausdruck in dem allgemeinen Streben der herrschenden Klassen, die Ausbeutung der Arbeiterklasse im eigenen Land zu verschärfen. Die Offensive des Kapitals gegen die Arbeiter äußert sich in einem Land nach dem anderen in Massenarbeitslosigkeit, Lohnkürzungen, der Zerschlagung von Gewerkschaften, der Kürzung von Sozialleistungen und verschärften Angriffen auf demokratische Rechte."[119]
208. Die Veränderungen in der Form der kapitalistischen Produktion brachten eine Veränderung der Form des Klassenkampfs mit sich:
"Es ist schon immer eine Grundaussage des Marxismus gewesen, dass der Klassenkampf nur der Form nach national, seinem Wesen nach aber international ist. Unter den gegebenen neuen Merkmalen der kapitalistischen Entwicklung muss jedoch auch die Form des Klassenkampfs einen internationalen Charakter annehmen. Selbst die elementarsten Kämpfe der Arbeiterklasse verlangen die Koordinierung ihrer Aktionen in internationalem Maßstab. Es ist eine Grundtatsache des Wirtschaftslebens, dass die transnationalen Konzerne zur Herstellung eines Endprodukts die Arbeitskraft von Arbeitern in verschiedenen Ländern ausbeuten, und dass sie auf der Suche nach der höchsten Profitrate die Produktion zwischen ihren Werken in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten verteilen und verlagern....Durch die beispiellose internationale Mobilität des Kapitals sind so alle nationalen Programme für die Arbeiterbewegung der verschiedenen Länder hinfällig und durch und durch reaktionär geworden."[120]
Genau diese Entwicklung bildete die objektive Grundlage, von der das Wachstum des IKVI zwingend abhängig war. Dieser Standpunkt wurde in einem Bericht an den 13. Nationalen Kongress der Workers League im August 1988 entwickelt und herausgehoben:
"Wir gehen davon aus, dass sich das nächste Stadium der proletarischen Kämpfe unter dem gemeinsamen Druck der objektiven ökonomischen Tendenzen und des subjektiven Einflusses der Marxisten unvermeidlich in einer internationalistischen Richtung entwickeln wird. Das Proletariat wird mehr und mehr dahin tendieren, sich selbst in der Praxis als internationale Klasse zu definieren, und die marxistischen Internationalisten, deren Politik der Ausdruck dieser organischen Tendenz ist, werden diesen Prozess fördern und ihm eine bewusste Form geben."[121]
209. Das IKVI wies darauf hin, dass die neuen Formen der globalen Produktion die Gefahr eines neuen Weltkriegs nicht verringerten, sondern vielmehr verstärkten:
"Außerdem hat der globale Charakter der kapitalistischen Produktion die ökonomischen und politischen Gegensätze zwischen den wichtigsten imperialistischen Mächten enorm verschärft und erneut den unversöhnlichen Widerspruch zwischen der objektiven Entwicklung der Weltwirtschaft und der nationalstaatlichen Form, in der das ganze System des kapitalistischen Eigentums historisch wurzelt, in den Vordergrund gerückt. Gerade der internationale Charakter des Proletariats als einer Klasse, die an kein kapitalistisches Vaterland gebunden ist, macht es zur einzigen gesellschaftlichen Kraft, die die Zivilisation aus den sie erwürgenden Fesseln des Nationalstaatensystems befreien kann.
Aus diesen fundamentalen Gründen kann kein Kampf gegen die herrschende Klasse in irgend einem Land der Arbeiterklasse bleibende Fortschritte bringen, geschweige denn ihre endgültige Befreiung vorbereiten, wenn er nicht von einer internationalen Strategie ausgeht, die die weltweite Mobilisierung des Proletariats gegen das kapitalistische System zum Ziel hat. Diese notwendige Vereinigung der Arbeiterklasse kann nur durch den Aufbau einer wirklich internationalen proletarischen, d. h. revolutionären Partei erreicht werden. Es gibt nur eine solche Partei; sie ist das Produkt eines jahrzehntelangen unablässigen ideologischen und politischen Kampfs. Es ist die Vierte Internationale, gegründet 1938 von Leo Trotzki und heute geführt vom Internationalen Komitee."[122]
Perestroika und Glasnost in der UdSSR
210. Der Kampf innerhalb des Internationalen Komitees von 1982 bis 1986 fand vor dem Hintergrund einer sich vertiefenden Krise in der Sowjetunion und seinen stalinistischen Regimes statt. Die Entwicklung dieser Krise war paradoxerweise eine Folge des gewaltigen Wachstums der sowjetischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Expansion untergrub zusätzlich die Überlebensfähigkeit der national autarken Wirtschaftspolitik, die auf der stalinistischen Perspektive vom "Aufbau des Sozialismus in einem Land" basierte. Die zunehmende Komplexität der sowjetischen Wirtschaft forderte mit immer größerer Dringlichkeit den Zugang zur Weltwirtschaft und ihrer internationalen Arbeitsteilung. Die wachsenden wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion wurden durch die krasse Ineffizienz des bürokratisch verwalteten Systems verschärft, das dem Anspruch wissenschaftlicher Planung Hohn sprach - das erwies sich vor allem, als die Wachstumsraten der Weltwirtschaft immer stärker hinter dem allgemein sehr hohen Niveau der ersten zwei Jahrzehnte nach 1945 zurück blieben. Wie Trotzki 1936 betont hatte, setzt Qualität in einer Planwirtschaft "Demokratie für Erzeuger und Verbraucher, Kritik- und Initiativfreiheit voraus, d.h. Bedingungen, die mit einem totalitären Regime von Angst, Lüge und Kriecherei unvereinbar sind"[123]. Außerdem hatte Trotzki 1935 festgestellt: "Je komplizierter die Wirtschaftsaufgaben und je größer die Forderungen und Ansprüche der Bevölkerung werden, desto akuter werden auch die Widersprüche zwischen dem bürokratischen Regime und den Erfordernissen der sozialistischen Entwicklung..."[124] Der Widerspruch zwischen den politischen und sozialen Interessen der Bürokratie und den objektiven Anforderungen der wirtschaftlichen Entwicklung fand einen besonders grotesken Ausdruck in der krankhaften Furcht des Regimes vor der Computertechnologie. In einem Land, in dem die Einwohner gezwungen waren, alle Schreibmaschinen und Vervielfältigungsmaschinen zu registrieren, versetzten die politischen Folgen weit verbreiteter Computernutzung die stalinistische Obrigkeit in Angst und Schrecken.
211. Die Opposition gegen die stalinistischen Regimes in der Sowjetunion und Osteuropa wuchs während der 1960er und 1970er Jahre kontinuierlich an. Es gab Berichte über größere Streiks in der sowjetischen Industriestadt Novocherkassk, die von der Armee im Juni 1962 gewaltsam unterdrückt wurden. Die unerwartete Amtsenthebung Chrustschows im Oktober 1964, seine Ersetzung durch Leonid Breschnew und das scharfe Vorgehen gegen die nach 1953 erfolgte Entstalinisierungs-Kampagne waren ein verzweifelter Versuch, die Legitimität des Regimes aufrechtzuerhalten. Der Prozess und die Haftstrafen für die Schriftsteller Juli Daniel und Andrei Sinjawski, die darauf abzielten, die wachsende Dissidentenbewegung einzuschüchtern, führte dazu, dass das Regime diskreditiert wurde, genauso wie die folgende Verbannung von Alexander Solschenizyn. Der Regierungsantritt von Alexander Dubcek in der Tschechoslowakei im Januar 1968, der so genannte "Prager Frühling", versetzte die Bürokratie weiter in Schrecken. Die nachfolgende Invasion der Tschechoslowakei im August 1968 und die Amtsenthebung Dubceks vertiefte die Entfremdung beträchtlicher Teile der Arbeiterklasse und der Intelligenz in der Sowjetunion und Osteuropa, die an die Möglichkeit von demokratischen und sozialistischen Reformen geglaubt hatten. 1970 wurde die Regierung Gomulka in Polen durch Massenstreiks zu Fall gebracht. Gomulka selber war inmitten von Massenprotesten 1956 an die Macht gekommen. Angesichts dieser Herausforderungen versuchte Breschnew, eine stalinistische Orthodoxie durchzusetzen, die seinem Regime einen zutiefst sklerotischen Charakter verlieh. Bezeichnenderweise entwickelte sich in dieser Periode auch die "Entspannung" zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten - ein Prozess, der in den späten 1970er Jahren ein Ende fand, als die Carter-Regierung zu einer Konfrontationspolitik wechselte, die von der Reagan-Regierung weiterentwickelt wurde.
212. Als Breschnew im November 1982 starb, konnte das Regime die Zeichen einer schwerwiegenden Wirtschaftskrise und einer allgemeinen sozialen Stagnation nicht länger verbergen. Beträchtliche Teile der Sowjetbürokratie sahen die Entstehung der Massenbewegung Solidarnosc in Polen im Jahr 1980 als Warnung vor einer revolutionären Explosion auch in der UdSSR. Breschnews Nachfolger, der KGB-Direktor Juri Andropow, versuchte, diverse Anti-Korruptions-Reformen durchzusetzen, um die Glaubwürdigkeit des Regimes wiederherzustellen. Er setzte auch ein scharfes Vorgehen gegen Alkoholismus durch, in der Hoffnung damit die Produktivität der sowjetischen Industrie steigern zu können. Doch diese Maßnahmen waren reine Beruhigungspillen. Das grundlegende Problem blieb der national abgeschlossene Charakter der sowjetischen Wirtschaft. Jedenfalls starb Andropow, der schon ernsthaft erkrankt war, als er an die Macht kam, im Februar 1984 an einer Nierenerkrankung, nur fünfzehn Monate nach seinem Amtsantritt. Sein Nachfolger Konstantin Tschernenko war ebenfalls ein unheilbar kranker Sowjetbürokrat. Er war nur dreizehn Monate im Amt. Auf Tschernenko folgte Michail Gorbatschow, dessen krisengeschütteltes Regime mit der Auflösung der UdSSR endete.
213. Gorbatschow initiierte eine zweigleisige Politik der begrenzten Ausweitung der Freiheiten im Inland (Glasnost) und der Wirtschaftsreformen (Perestroika). Das zentrale Bestreben des Teils der Bürokratie, die Gorbatschow anführte, bestand darin, die Massenopposition in der sowjetischen Bevölkerung in eine Politik zu kanalisieren, die den Kapitalismus wiederherstellen würde. Gorbatschow baute auf die Desorientierung der Arbeiter durch Jahrzehnte stalinistischer Herrschaft. Er rechnete zudem mit der politischen Unterstützung durch die kleinbürgerlich-radikale Linke. Dies war das einzige politische Kalkül, bei dem Gorbatschow ein bemerkenswertes Maß an Scharfsinn bewies. Nirgendwo sonst fand das Phänomen, das die bürgerliche Presse "Gorbimanie" taufte, einen solch hemmungslosen Ausdruck wie im Milieu des linken Kleinbürgertums. Ernest Mandel, der in Gorbatschow die Erfüllung der pablistischen Perspektive der bürokratischen Selbstreform sah, erklärte ihn zu einem "bemerkenswerten politischen Führer", einer sowjetischen Version von Franklin Delano Roosevelt.[125] Durch eine rosarote Brille in die Zukunft blickend, entwarf Mandel vier mögliche Szenarien der sowjetischen Entwicklung. Nicht eine davon enthielt die Möglichkeit einer Auflösung der UdSSR - ein außergewöhnliches Versehen für einen Autor, der gerade mal zwei Jahre vor ihrem endgültigen Zusammenbruch schrieb! Mandels Schüler, Tariq Ali, der Führer der pablistischen Organisation in Großbritannien, konnte seine Begeisterung für die Perestroika und ihre Autoren kaum im Zaum halten. Er widmete sein Buch Revolution von oben: Wohin geht die Sowjetunion?, das 1988 erschien, Boris Jelzin. Seine bewegende Hommage verkündete, dass Jelzins "politischer Mut ihn zu einem wichtigen Symbol überall im Land" gemacht habe.[126] Ali beschreibt seine Reisen in die Sowjetunion und teilt seinen Lesern mit: "ich habe mich wirklich zu Hause gefühlt."[127] Die Politik von Gorbatschow habe die revolutionäre Verwandlung der russischen Gesellschaft von oben eingeleitet, beteuert Ali. Da gebe es jene, bemerkt er zynisch, die "es vorgezogen hätten (ich auch!), wenn die Veränderungen in der Sowjetunion durch eine gigantische Bewegung der sowjetischen Arbeiterklasse zustande gekommen wären und die alten Organe der politischen Macht - die Sowjets - mit neuem Blut wiederbelebt hätten. Das wäre sehr schön gewesen, aber so ist es nicht gelaufen."[128] Ali bietet dann eine knappe Zusammenfassung der pablistischen Perspektive, die gleichermaßen politischen Impressionismus mit Naivität und persönlicher Dummheit vereint:
"In der Schrift Die Revolution von oben wird argumentiert, dass Gorbatschow eine progressive, reformistische Strömung innerhalb der sowjetischen Elite repräsentiere, deren Programm, wenn es erfolgreich wäre, eine gewaltige Bereicherung für Sozialisten und Demokraten im Weltmaßstab darstellen würde. Demnach sei die Größenordnung von Gorbatschows Taten tatsächlich vergleichbar mit den Leistungen eines amerikanischen Präsidenten des neunzehnten Jahrhunderts: Abraham Lincoln."[129]
214. Die Ex-Trotzkisten der Workers Revolutionary Party beurteilten Gorbatschows Regierung nicht weniger unkritisch. Healy erklärte, Gorbatschow sei der Führer der politischen Revolution in der Sowjetunion. Für Banda bedeutete der Amtsantritt von Gorbatschow die endgültige Widerlegung des Trotzkismus. "Gäbe es keine Restauration", so erklärte er, "dann müsste Trotzki sie erfinden! Die gesamte sowjetische Geschichte - während und nach Stalin - legt Zeugnis ab gegen diese kindische linke Spekulation und weist in die entgegengesetzte Richtung".[130]
215. Im Gegensatz zu diesen Auffassungen erklärte das IKVI bereits 1986 den grundlegend reaktionären Charakter von Gorbatschows Wirtschaftspolitik. In seinem Perspektivdokument von 1988 schrieb es:
"Durch den Versuch seiner reaktionären Perestroika gibt Gorbatschow indirekt den Zusammenbruch der gesamten ökonomischen Prämissen zu, auf denen der Stalinismus beruhte, nämlich dass der Sozialismus in einem einzigen Land aufgebaut werden könne. Die sehr reale Krise der Sowjetwirtschaft wurzelt in ihrer erzwungenen Isolation von den Quellen des Weltmarkts und der internationalen Arbeitsteilung. Es gibt nur zwei Wege, diese Krise anzupacken. Der Weg, den Gorbatschow vorschlägt, bedeutet die Auflösung der staatlichen Industrie, das Widerrufen des Planungsprinzips und die Verwerfung des staatlichen Außenhandelsmonopols, d.h. die Reintegration der Sowjetunion in die Struktur des Weltimperialismus. Die Alternative zu dieser reaktionären Lösung erfordert die Zerschlagung der Vorherrschaft des Imperialismus über die Weltwirtschaft durch eine gemeinsame revolutionäre Offensive der sowjetischen und der internationalen Arbeiterklasse mit dem Ziel, die Planwirtschaft auf die europäischen, nordamerikanischen und asiatischen Zitadellen des Kapitalismus auszudehnen."[131]
216. Die Glasnost-Reformen und die Lockerung der Beschränkungen bei der Zensur öffneten der Diskussion über politische und historische Fragen in der Sowjetunion Tür und Tor. Die Bürokratie "rehabilitierte" rückwirkend viele der alten Bolschewiki, darunter Bucharin, Sinowjew und Kamenjew und war gezwungen zuzugeben, dass die Moskauer Prozesse auf Lügen beruhten. Die Bürokratie konnte jedoch niemals Trotzki rehabilitieren, da seine Kritik die sozialen Interessen der Bürokratie als Ganze angriff. Wenn diese Ideen ein breites Gehör in der sowjetischen Arbeiterklasse finden sollten, dann würde das ernsthaft die Pläne zur kapitalistischen Restauration gefährden. 1987 beharrte Gorbatschow darauf, dass Trotzkis Ideen "auf ganzer Linie einen Angriff auf den Leninismus" darstellen.
217. Das IKVI bemühte sich, der sowjetischen Bevölkerung die Perspektive des Trotzkismus nahe zu bringen, indem es eine theoretische Zeitschrift auf Russisch herausgab und von 1989 bis 1991 mehrere Reisen in die Sowjetunion organisierte. Seine Arbeit konzentrierte sich darauf, Trotzkis Platz in der Oktoberrevolution, die Ursprünge und die Bedeutung von Trotzkis Kampf gegen den Stalinismus, das politische Programm der Vierten Internationale und das Wesen der Krise, mit der die Sowjetunion konfrontiert war, klarzustellen. Das IKVI wies wiederholt warnend darauf hin, dass die Liquidierung der UdSSR und die Wiederherstellung des Kapitalismus katastrophale Folgen für die sowjetische Arbeiterklasse haben würden. Bei einer Rede in Kiew im Oktober 1991 erklärte David North:
"In diesem Land kann die kapitalistische Restauration nur stattfinden, wenn die bereits herrschenden Produktivkräfte und die davon abhängenden gesellschaftlichen Einrichtungen auf breiter Grundlage zerstört werden. Mit anderen Worten, die Integration der UdSSR in die Struktur der imperialistischen Weltwirtschaft bedeutet nicht die langsame Aufwärtsentwicklung einer rückständigen, nationalen Wirtschaft, sondern die schnelle Zerstörung einer Wirtschaft, die zumindest für die Arbeiterklasse Lebensbedingungen geschaffen hat, die denen in den fortgeschrittenen Ländern weit ähnlicher sind als jenen in der Dritten Welt.
Wenn man die verschiedenen Pläne untersucht, die von den Befürwortern der kapitalistischen Restauration ausgeheckt worden sind, so muss man zu der Schlussfolgerung kommen, dass sie über die tatsächliche Wirkungsweise der kapitalistischen Weltwirtschaft genau so wenig wissen wie Stalin. Und sie bereiten eine soziale Tragödie vor, weit schlimmer als jene, die durch die pragmatische und nationalistische Politik Stalins geschaffen wurde.
Dies ist keine theoretische Voraussage; die Zukunft, die der Sowjetunion droht, ist in einem großen Teil Osteuropas schon Gegenwart. In allen Ländern, in denen der Kapitalismus gerade restauriert wird oder schon wieder besteht, ist ein katastrophaler Zusammenbruch der Wirtschaft die Folge."[132]
Diese Warnung wurde durch den tatsächlichen Lauf der Ereignisse nach der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 voll und ganz bestätigt.
Das Ende der UdSSR
218. Die formelle Auflösung der Sowjetunion am 25. Dezember 1991, 74 Jahre nach der Oktoberrevolution, stellte das Internationale Komitee vor entscheidende theoretische, historische und politische Fragen. Die Ursprünge, der gesellschaftliche Charakter und das politische Schicksal des Staates, der aus der Oktoberrevolution hervorgegangen war, beschäftigte die Vierte Internationale seit ihrer Gründung in besonderem Maße. In zahllosen Kämpfen innerhalb der trotzkistischen Bewegung seit den 1930er Jahren stand die "russische Frage" im Zentrum heftiger Auseinandersetzungen, oft verbunden mit erbitterten fraktionellen Meinungsverschiedenheiten. Die Frage nach dem Charakter der Sowjetunion stand 1940 und 1953 im Zentrum der Spaltungen in der Vierten Internationale. Unmittelbar nach der Spaltung von 1985-86 tauchte die Frage der Klassengrundlage der Staaten, die in Osteuropa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet wurden, erneut als eine entscheidende historische und gegenwärtige Frage für das Internationale Komitee auf. In der einen oder anderen Form schrieben alle revisionistischen Tendenzen dem Stalinismus eine zentrale und dauerhafte historische Rolle zu. 1953 prophezeiten Pablo und Mandel, der Sozialismus werde durch Revolutionen verwirklicht, die von den Stalinisten angeführt werden, was zur Bildung von deformierten Arbeiterstaaten führe, die Jahrhunderte lang Bestand hätten. Im Jahr 1983, am Vorabend des Ausbruchs der politischen Krise in der WRP, erklärte Banda gegenüber North, das Überleben der Sowjetunion sei eine "feststehende Tatsache", und es sei unmöglich, dass sie, womit Trotzki gerechnet hatte, aufhören würde zu existieren. Weniger als ein Jahrzehnt nach Bandas Erklärung waren die stalinistischen Regimes in Osteuropa und der UdSSR Vergangenheit.
219. In den Monaten nach der Auflösung der UdSSR war keine der revisionistischen Organisationen in der Lage, eine glaubhafte Einschätzung der Bedeutung dieses Ereignisses zu geben. Viele der pablistischen Tendenzen ignorierten sie, als ob nichts geschehen wäre. Nachdem sie so innig an die politische Allmacht der Bürokratie geglaubt hatten, konnten sie sich kaum dazu aufraffen, anzuerkennen, dass die UdSSR nicht mehr existierte. Überdies argumentierten selbst diejenigen, die bereit waren zuzugestehen, dass die UdSSR aufgelöst worden war, immer noch, dies würde nicht notwendigerweise den Klassencharakter des Staates ändern. Selbst ohne die Sowjetunion bleibe Russland ein "Arbeiterstaat"! Dies blieb für mehrere Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion die Position der Spartacist-Gruppe von Robertson und eines der Bruchstücke der Workers Revolutionary Party.
220. Das Internationale Komitee, das theoretisch und politisch von den Illusionen unbelastet war, die die pablistischen Tendenzen kennzeichnete, war in der Lage, zeitnah eine objektive und exakte Analyse der Auflösung der UdSSR zu geben. Am 4. Januar 1992 wurde die folgende Einschätzung getroffen:
"Nach den Ereignissen des letzten Monats, die den Höhepunkt der Politik der Bürokratie seit Gorbatschows Machtantritt im März 1985 darstellen, müssen die notwendigen Schlussfolgerungen aus der juristischen Auflösung der UdSSR gezogen werden. Man kann weder die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten als Ganze noch eine ihrer Republiken als Arbeiterstaaten bezeichnen.
Der Prozess der quantitativen Degeneration der Sowjetunion hat zu einer qualitativen Umwandlung geführt. Die Auflösung der UdSSR und die Bildung der GUS ist mehr als eine neue Abkürzung des Staatsnamens. Sie hat eine ganz bestimmte politische und gesellschaftliche Bedeutung. Sie ist die rechtliche Liquidation des Arbeiterstaats und seine Ersetzung durch Regimes, die sich offen und unzweideutig der Zerstörung der Überbleibsel der staatlichen Wirtschaft und des Planungssystems aus der Oktoberrevolution verschrieben haben. Die GUS oder ihre einzelnen Republiken als Arbeiterstaaten zu definieren, hieße, die Definition völlig von dem konkreten Inhalt zu trennen, den er in der vorigen historischen Periode zum Ausdruck brachte."[133]
221. Die Rolle, die die bürokratische Schicht in der UdSSR spielte, hatte weit reichende politische Bedeutung:
"Was in der ehemaligen Sowjetunion stattgefunden hat ist Ausdruck eines internationalen Phänomens. Überall auf der Welt ist die Arbeiterklasse mit der Tatsache konfrontiert, dass die Gewerkschaften, Parteien und sogar Staaten, die sie in einer früheren Periode geschaffen hat, in direkte Instrumente des Imperialismus verwandelt worden sind.
Vorbei sind die Tage, in denen die Bürokratien den Klassenkampf vermittelten und die Rolle eines Puffers zwischen den Klassen spielten. Obwohl die Bürokratien die historischen Interessen der Arbeiterklasse verrieten, dienten sie in beschränktem Maße immer noch ihren praktischen Tagesbedürfnissen und rechtfertigten in soweit ihre Existenz als Führer von Arbeiterorganisationen.
Das gilt nicht nur für die stalinistische Bürokratie in der UdSSR, sondern auch für die amerikanische Bürokratie in den Gewerkschaften. Auf unserem letzten Kongress haben wir diese Tatsache betont und wir können mit voller Berechtigung feststellen, dass die Führer der gegenwärtigen Gewerkschaften in keinem Sinne als eine Kraft bezeichnet werden können, die, wenn auch nur in beschränkter und verzerrter Weise, die Interessen der Arbeiterklasse verteidigen und vertreten würde. Die Führer der AFL-CIO als Gewerkschaftsführer oder überhaupt den AFL-CIO als Arbeiterorganisation zu definieren, bedeutet, der Arbeiterklasse den Blick auf die Realitäten zu verstellen."[134]
Der Kampf gegen die postsowjetische Schule der historischen Fälschung
222. Die Auflösung der UdSSR führte bei der Bourgeoisie und ihren ideologischen Verteidigern zu einem Ausbruch von euphorischem Triumphgeheul. Der sozialistische Untergang war ein für alle Mal besiegelt! Die bürgerliche Interpretation des Untergangs der Sowjetunion fand ihren klarsten Ausdruck in Francis Fukuyamas Das Ende der Geschichte. Fukuyama benutzte eine verkürzte Version von Hegels idealistischer Phänomenologie und verkündete, der beschwerliche Gang der Geschichte habe sein letztes Stadium erreicht: eine liberal-bürgerliche Demokratie nach dem Vorbild der USA, die sich auf den freien kapitalistischen Markt stützt. Dies war der Gipfel der menschlichen Zivilisation! Dieses Thema wurde von leichtgläubigen und impressionistischen kleinbürgerlichen Akademikern in zahllosen Variationen vertieft - Akademiker, die immer begierig darauf sind, sich jedes Mal dort einzufinden, wo sie glauben, dass es die Gewinnerseite der Geschichte ist. Die Schlussfolgerung, die man aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion ziehen musste, war, dass der Sozialismus eine Illusion sei: "Zusammenfassend lässt sich also sagen, der Sozialismus ist eine Utopie im wörtlichen Sinn des Begriffs - kein Ort oder nirgends, verstanden als das ideale Andere."[135]
Das Triumphgeheul der Bourgeoisie wurde besonders von jenen auf der Linken nicht in Frage gestellt, die fast bis zum letzten Augenblick des endgültigen Zusammenbruchs die stalinistische Bürokratie als Garanten des Sozialismus angesehen hatten. Tatsächlich waren sie nicht weniger als Fukuyama und Malia davon überzeugt, dass das Ende der UdSSR das Scheitern des Sozialismus bedeutete. In vielen Fällen rührte die demoralisierte Zurückweisung des Sozialismus als legitimes historisches Projekt daher, dass sie nicht bereit waren, ihre vorherigen Prämissen und Perspektiven zu untersuchen. Nicht wenige von denen, die bestrebt waren, den Marxismus fallen zu lassen und zu verfluchen, verspürten keinen Drang, sich den politischen Fragen zu stellen, die hinter dem Zusammenbruch der UdSSR standen: wie z.B. die Frage, ob die Geschichte der Sowjetunion und des zwanzigsten Jahrhunderts sich in eine ganz andere Richtung entwickelt hätte, wenn das politische Programm Trotzkis in den entscheidenden innerparteilichen Kämpfen der 1920er Jahre die Oberhand gewonnen hätte.
223. Der englische Historiker Eric Hobsbawm, ein langjähriges Mitglied der Kommunistischen Partei, erklärt ausdrücklich, einem Historiker zieme es nicht, zu überlegen, ob auch eine andere Entwicklung als die tatsächlich Stattgefundene möglich gewesen wäre. "Der Russischen Revolution war es beschieden, den Sozialismus in einem rückständigen und alsbald völlig zerrütteten Land aufzubauen..."[136] Das revolutionäre Projekt selbst habe auf einer völlig unrealistischen Einschätzung der politischen Möglichkeiten basiert. Hobsbawm behauptet, es sei unsinnig, einen anderen Ausgang der russischen Revolution auch nur in Erwägung zu ziehen: "Die Geschichte muss von dem ausgehen, was sich tatsächlich ereignet hat. Alles andere ist Spekulation."[137]
224. In seiner Antwort auf Hobsbawms herablassende Ablehnung jeglicher Berücksichtigung von historischen Alternativen zum Stalinismus erklärt North:
"Diese Auffassung ist reichlich hausbacken, denn das, was geschah - wenn man darunter nur die Zeitungsmeldungen des Tages versteht - ist mit Sicherheit nur ein kleiner Teil des historischen Prozesses. Die Geschichtsschreibung muss sich immerhin nicht einfach mit dem befassen, was geschah, sondern auch - und dies ist weitaus wichtiger - weshalb das eine geschah und das andere nicht, und was hätte geschehen können. Sobald man über ein Ereignis nachdenkt - d.h. darüber, was geschah - sieht man sich sofort gezwungen, auch die Vorgeschichte und die Umstände einzubeziehen. Ja, die Sowjetunion machte sich 1924 die Politik des Sozialismus in einem Land zu eigen. Das geschah. Aber die Opposition zum Sozialismus in einem Land geschah auch. Es geschah weiter der Konflikt zwischen der stalinistischen Bürokratie und der Linken Opposition, über den Hobsbawm keine Silbe verliert. Insofern Hobsbawm die Kräfte der Opposition, die der Politik der Sowjetunion eine andere Richtung geben wollten, bewusst ausklammert oder als bedeutungslos abtut, besteht seine Definition dessen, was geschah, aus einer einseitigen, eindimensionalen, pragmatischen und vulgären Verflachung der äußerst komplexen historischen Wirklichkeit. Von dem auszugehen, was geschah, bedeutet für Hobsbawm, dabei stehenzubleiben, wer obsiegte."[138]
225. Die fatalistische Apologetik von Hobsbawm war ein verfeinerter und ausgefeilter Ausdruck einer gewaltigen Kampagne historischer Fälschungen, die dem Zusammenbruch der UdSSR folgte. Eine wichtige Rolle in dieser Kampagne spielten die Ex-Stalinisten aus der ehemaligen Sowjetunion, die sich fast über Nacht in die erbittertsten Antikommunisten verwandelten. Sie verkündeten unermüdlich, die russische Revolution sei eine kriminelle Verschwörung gegen das russische Volk gewesen. General Dmitri Wolkogonow war nur der bekannteste unter ihnen. In seiner Lenin-Biografie räumt Wolkogonow ein - und gibt damit vielleicht mehr zu, als er beabsichtigt hatte - dass die Änderung in seinem Verhalten zu Lenin "sich vor allem deshalb" entwickelt hat, "weil die 'Sache', die er in Gang gesetzt hat und für die Millionen ihr Leben ließen, eine bedeutende historische Niederlage erlitten hat".[139] Zu den "Verbrechen", deren Wolkogonow Lenin anklagt, gehört die Auflösung der Verfassungsgebenden Versammlung im Januar 1918, ein Ereignis, bei dem nicht ein Mensch verletzt wurde. Aber das hielt Wolkogonow nicht davon ab, in seiner Eigenschaft als Boris Jelzins Militärberater den Panzerbeschuss des russischen Weißen Hauses, dem Sitz des demokratisch gewählten russischen Parlaments, im Oktober 1993 anzuführen. Laut Schätzungen wurden dabei 2000 Menschen getötet.
226. Auf seinem Plenum im März 1992 diskutierte das Internationale Komitee die Beziehung zwischen der Entwicklung der Krise des Kapitalismus und dem Klassenkampf als objektivem Prozess und der Entwicklung von sozialistischem Bewusstsein:
"Die Verschärfung des Klassenkampfs liefert die allgemeine Grundlage für die revolutionäre Bewegung. Aber sie schafft an sich nicht direkt und automatisch die politischen, intellektuellen und, könnte man hinzufügen, kulturellen Voraussetzungen für ihre Entwicklung, die insgesamt die historische Bühne für eine wirklich revolutionäre Situation vorbereiten. Nur wenn man diesen Unterschied zwischen der allgemeinen objektiven Grundlage der revolutionären Bewegung und dem komplexen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Prozess versteht, durch den sie zu einer bestimmenden historischen Kraft wird, kann man die Bedeutung unseres Kampfes gegen den Stalinismus und die Aufgaben, vor denen wir heute stehen, begreifen."[140]
227. Die Wiederbelebung der sozialistischen Kultur in der internationalen Arbeiterklasse machte einen systematischen Kampf gegen die Geschichtsfälscher notwendig. Es war notwendig, die Arbeiterklasse mit der tatsächlichen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts bekannt zu machen, ihre Kämpfe erneut mit den großen Traditionen des revolutionären Sozialismus zu verbinden, einschließlich der russischen Revolution. Nach dem März-Plenum von 1992 startete das IKVI eine Kampagne zur Verteidigung der historischen Wahrheit, um die Behauptungen der postsowjetischen Schule historischer Fälschungen zu widerlegen. Von 1993 an begann das IK eine enge Zusammenarbeit mit Wadim Rogowin, einem führenden sowjetischen marxistischen Soziologen und Historiker. Unter Bedingungen, unter denen große Teile der sowjetischen Akademikerwelt sich scharf nach rechts bewegten und die kapitalistische Restauration unterstützten, hatte Rogowin begonnen, Trotzki und die Linke Opposition zu rehabilitieren. 1993, als er gerade ein Buch mit dem Titel Gab es eine Alternative? fertig gestellt hatte, welches die Entstehung der Linken Opposition untersuchte, kam Rogowin zum ersten Mal mit Vertretern des Internationalen Komitees zusammen. Er hatte zuvor schon seit mehreren Jahren das russischsprachige Bulletin der Vierten Internationale des IKVI gelesen. Er begrüßte mit Begeisterung den Vorschlag, eine internationale Kampagne gegen die postsowjetische Schule der historischen Fälschung zu führen. Mit Unterstützung des Internationalen Komitees stellte Rogowin, der bereits schwer an Krebs erkrankt war, vor seinem Tod im September 1998 sechs weitere Bände von Gab es eine Alternative? fertig.
228. Auf der Grundlage seiner Analyse auf dem März-Plenum von 1992 über die Probleme, mit der die Entwicklung von sozialistischem Bewusstsein in der Arbeiterklasse konfrontiert ist, weitete das Internationale Komitee seine Arbeit an kulturellen Fragen aus. Dabei versuchte es, die intellektuellen Traditionen der Linken Opposition wiederzubeleben, die diesen eine enorme Bedeutung beigemessen hatte. Diese Anschauung fand ihren vollendeten Ausdruck in Werken wie Leo Trotzkis Probleme des Alltagslebens und Literatur und Revolution und in Alexander Woronskis Die Kunst, die Welt zu sehen. Im Rahmen und auf Grundlage dieser Tradition erkannte das Internationale Komitee, dass die Entwicklung von revolutionärem Bewusstsein nicht in einem intellektuellen Vakuum vonstatten geht und dass sie kulturelle Nahrung braucht. Die marxistische Bewegung muss eine wichtige Rolle dabei spielen, ein fortschrittlicheres, intellektuell kritischeres und sozial empfindsameres Umfeld zu schaffen. In einem Vortrag im Januar 1998 erklärte David Walsh:
"Die Marxisten stehen vor der großen Herausforderung, ein Publikum zu schaffen, das ihr politisches Programm und ihre Perspektiven versteht und darauf reagiert. Unter den heutigen Bedingungen die Notwendigkeit einer Bereicherung des Bewusstseins der Volksmassen herabzumindern - das erscheint mir äußerst verantwortungslos.
Wie kommt es zu einer Revolution? Ist sie lediglich das Ergebnis sozialistischer Agitation und Propaganda, die unter günstigen objektiven Umständen zum Tragen kommt? Kam es so zur Oktoberrevolution? Über diesem Problem hat unsere Partei in den letzten Jahren viel Zeit verbracht. Eine unserer Schlussfolgerungen lautete, dass die Revolution von 1917 nicht einfach das Ergebnis eines nationalen oder auch internationalen politischen und gesellschaftlichen Prozesses war, sondern auch das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen um die Schaffung einer internationalen sozialistischen Kultur, die die wichtigsten Leistungen des bürgerlichen politischen und gesellschaftlichen Denkens, der bürgerlichen Kunst und Wissenschaft in sich aufnahm und verarbeitete. Die wesentlichen geistigen Grundlagen für die Revolution von 1917 wurden natürlich von jenen politischen Theoretikern und Revolutionären gelegt, die sich bewusst die Abschaffung der kapitalistischen Herrschaft zum Ziel gesetzt hatten. Aber die zahllosen Strömungen und Nebenflüsse, die in die revolutionäre Sturmflut eingingen und sie ermöglichten, bilden ein komplexes Geflecht wechselseitiger Einflüsse, die sich gegenseitig verändern, einander entgegenwirken oder verstärken.
Die Schaffung eines Umfelds, in dem es plötzlich möglich wird, dass eine große Anzahl Menschen sich erheben und bewusst an die Abschaffung der alten Gesellschaft schreiten, indem sie die über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte angehäuften Vorurteile, Gewohnheiten und erlernten Verhaltensweisen abschütteln, die ja immer ein scheinbar unerschütterliches, festgefahrenes Eigenleben annehmen - die Überwindung dieser historischen Trägheit und die Schaffung eines aufrührerischen Klimas kann unmöglich als nur politische Aufgabe aufgefasst werden.
Wir wissen, dass der ganzheitliche sozialistische Mensch erst in der Zukunft - der nicht allzufernen, wie wir meinen - geschaffen werden kann. Aber das heißt nicht, dass sich die Herzen und das Denken der Bevölkerungsmassen nicht ändern müssten, bevor die soziale Revolution Wirklichkeit werden kann. Wir leben in einem Zeitalter der kulturellen Stagnation und des kulturellen Niedergangs, in dem die Wunder der Technik vor allem eingesetzt werden, um die Masse der Bevölkerung zu benebeln und zu betäuben und sie für die rückständigsten Auffassungen und Stimmungen empfänglich zu machen.
Die Schärfung des kritischen Verstandes der Bevölkerung - ihrer kollektiven Fähigkeit, die Lüge von der Wahrheit, das Wesentliche vom Unwesentlichen, ihre eigenen elementaren Interessen von den Interessen ihrer Todfeinde zu unterscheiden - und die Hebung ihres geistigen Niveaus auf eine solche Ebene, dass viele Menschen Großmut und Opferbereitschaft für ihre Mitmenschen zeigen - all dies geht aus einer geistigen und moralischen Höherentwicklung hervor, die sich aus dem Fortschritt der menschlichen Kultur als Ganzer ergeben muss."[141]
Globalisierung und die nationale Frage
229. Nach der Auflösung der Sowjetunion begannen nationalistische und separatistische Bewegungen ins Kraut zu schießen, und sie verlangten die Schaffung neuer Staaten. Unter den geopolitischen Verhältnissen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten multinationale Staaten bestehen können, doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren sie mit dem Wiederaufleben der unterschiedlichsten nationalen, ethnischen und religiös begründeten kommunalistischen Spannungen konfrontiert. In den meisten Fällen wurden diese Spannungen noch verschärft, da die Vereinigten Staaten und die europäischen imperialistischen Mächte ihre eigenen geopolitischen Ziele damit verfolgten. Die Auflösung Jugoslawiens in den frühen 1990er Jahren mit all ihren entsetzlichen Folgen war das Ergebnis der strategischen Ziele des amerikanischen und des deutschen Imperialismus'. Speziell für die Vereinigten Staaten bedeuteten das Auseinanderfallen der alten Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Entstehung neuer, "unabhängiger" Staaten außergewöhnliche Möglichkeiten für die Ausdehnung der amerikanischen Macht im Kaukasus und in Zentralasien. Und selbst innerhalb der Grenzen Russlands betrachtete das US-Außenministerium separatistische Bewegungen wie die in Tschetschenien als potentielle Aktivposten bei seinem Streben nach globaler Vorherrschaft.
230. Es waren allerdings nicht nur politische Überlegungen, die der Intensivierung der kommunalistischen Agitation zugrunde lagen. Die Entwicklung der Globalisierung legte, wie das IKVI erklärte, die Grundlage für "den objektiven Anstoß zur Entstehung eines neuen Typs von nationalistischen Bewegungen ..., welche die Zerstückelung existierender Staaten anstreben. Das global mobile Kapital hat kleineren Regionen die Möglichkeit verschafft, sich direkt an den Weltmarkt anzubinden. Hongkong, Singapur und Taiwan sind zu einem neuen Entwicklungsmodell geworden. Eine kleine Küstenenklave, die über die entsprechenden Transportverbindungen, die Infrastruktur und ein Angebot an billigen Arbeitskräften verfügt, kann sich als attraktiver für das multinationale Kapital erweisen als ein großes Land mit einem weniger attraktiven Hinterland."[142]
231. Das Internationale Komitee betonte, es sei notwendig, im Interesse der internationalen Einheit der Arbeiterklasse eine äußerst kritische und sogar feindliche Haltung gegenüber den separatistischen Bewegungen einzunehmen. Die dogmatische Wiederholung der Losung "Für das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung" ist kein Ersatz für eine konkrete historische, sozioökonomische und politische Analyse nationaler Forderungen. Das war umso wichtiger zu einer Zeit, als die zeitgenössischen national-separatistischen Bewegungen sich im Allgemeinen durch unverhohlen reaktionäre sozioökonomische und politische Perspektiven auszeichneten. Das IKVI verglich nationale Bewegungen in verschiedenen historischen Perioden und schrieb:
"In Indien und China stellte sich den nationalen Bewegungen die fortschrittliche Aufgabe, grundverschiedene Völker in einem gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus zu vereinen - eine Aufgabe, die unter der Führung der nationalen Bourgeoisie nicht gelöst werden konnte. Die neue Form des Nationalismus macht sich stark für einen Separatismus nach ethnischen, sprachlichen und religiösen Kriterien, mit dem Ziel existierende Staaten im Interesse lokaler Ausbeuter aufzuspalten. Solche Bewegungen haben nichts mit dem Kampf gegen den Imperialismus zu tun und genausowenig verkörpern sie in irgendeiner Weise die demokratischen Bestrebungen der unterdrückten Massen. Sie dienen dazu, die Arbeiterklasse zu spalten und den Klassenkampf in einen ethnischen Bürgerkrieg umzulenken."[143]
232. Wie vorherzusehen, passten sich die kleinbürgerlichen Radikalen der Spartacist League opportunistisch an eine Vielzahl separatistischer Tendenzen an und erklärten: "David North 'schafft' das Recht auf Selbstbestimmung 'ab'."[144] Abgesehen von der offensichtlich absurden Formulierung dieser Verleumdung, basierte der Angriff von Spartacist auf einer Verfälschung der Haltung sowohl von Lenin als auch von Trotzki in der Frage der Selbstbestimmung. Zu keiner Zeit haben sie die Forderung nach Selbstbestimmung als eine Art Schuldschein bezeichnet, den Marxisten verpflichtet sind, zu jeder Zeit und unter allen Umständen einzulösen. Obendrein haben sie diese Forderung nie über die Interessen des Proletariats als internationaler revolutionärer Klasse gestellt. So wie Lenin 1913 sorgfältig die verschiedenen historisch bedingten Arten von nationalen Bewegungen definierte, so sind Marxisten verpflichtet, in ihrer Abwägung des objektiven Inhalts der Forderungen nach Selbstbestimmung der einen oder anderen politischen Organisation nicht weniger anspruchsvoll zu sein. Das IKVI erklärte dazu:
"In der Geschichte der marxistischen Bewegung ist es schon oft vorgekommen, dass Formulierungen und Losungen, die in einer Periode einen fortschrittlichen und revolutionären Inhalt hatten, in einer anderen Epoche eine völlig andere Bedeutung bekamen. Die nationale Selbstbestimmung ist genau so ein Fall.
Das Recht auf Selbstbestimmung hat eine völlig neue Bedeutung bekommen im Vergleich zu der Definition, die Lenin ihm vor mehr als achtzig Jahren gab. Nicht nur die Marxisten fordern nun das Recht auf Selbstbestimmung, sondern auch die nationale Bourgeoisie in den rückständigen Ländern und die Imperialisten selbst. Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs berief sich so manche imperialistische Macht auf dieses "Recht", um ihr Ziel zu rechtfertigen, ein bestehendes Land zu zerstückeln."[145]
233. Gerade in jenen national-separatistischen Bewegungen, welche die Spartacist League mit offenen Armen begrüßte, - in Bosnien, in den indischen Staaten Kaschmir und Pundschab, in Quebec und in Sri Lanka -, erwies sich die Forderung nach Selbstbestimmung als besonders reaktionär. Was Bosnien angeht, so diente die imperialistische Manipulation des religiös begründeten Nationalismus' eines Teils der Bevölkerung, nämlich der Moslems, den Interessen einer umfassenderen Kampagne zur Zerstückelung Jugoslawiens. Als Spartacist den nationalen Separatismus' im Pundschab und in Kaschmir unterstützte, zog sie es vor, über den durch und durch reaktionären Charakter dieser auf Religion basierenden Bewegungen hinwegzusehen. Speziell im Fall von Kaschmir ignorierte sie die Verbindungen zu den geo-strategischen Konflikten zwischen den großen Nationalstaaten in dieser Region. Was Quebec angeht, so diente die nationale Bewegung dort jahrzehntelang als Mittel, mit dem die konkurrierenden Interessen der verschiedenen Teile der kanadischen Bourgeoisie ausgekämpft wurden. Gegen die Arbeiterklasse war die herrschende Klasse von Quebec nicht weniger skrupellos als die anglophone Bourgeoisie in Ontario oder Saskatchewan.
Schließlich bedeutete die Unterstützung von Spartacist für den tamilischen Nationalismus eine politische Kapitulation vor der separatistischen Perspektive der LTTE (der "Tamil Tigers") und eine Zurückweisung des jahrzehntelangen Kampfs der trotzkistischen Bewegung, die singhalesischsprachige und die tamilischsprachige Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf gegen die srilankische Bourgeoisie zu vereinen. Wenn kleinbürgerliche Tendenzen wie Spartacist nationale Bewegungen mit einem mythischen und über der Geschichte stehenden Charakter ausstatten, ignorieren sie die Auswirkungen des politischen Verrats, den opportunistische Organisationen an der Arbeiterklasse verüben, indem sie bei den unterdrückten Minderheiten nationale Gefühle schüren. Im Fall der tamilischen Bevölkerung hing das Anwachsen nationalistischer Tendenzen in den 1960er und 1970er Jahren mit dem politischen Verrat der LSSP zusammen - in erster Linie ihr Eintritt in die bürgerliche Koalitionsregierung 1964 und danach ihre Teilnahme an der Ausarbeitung einer Verfassung, die 1972 verabschiedet wurde und die Diskriminierung der tamilischen Sprache festschrieb.
234. Das Internationale Komitee stellte die Bedeutung der Forderung nach Selbstbestimmung klar und nahm den Kampf gegen den bürgerlichen Nationalismus und seine kleinbürgerlichen Apologeten auf. Damit trug es ungemein zur Stärkung der revolutionären, internationalistischen Grundlagen der Vierten Internationale bei. Nach der Auflösung der UdSSR und der gewaltigen politischen Verwirrung, die dieses Ereignis auslöste, bestätigte die Analyse des IKVI, dass ein wirklich internationalistisches Programm für die Arbeiterklasse nur auf der Grundlage der Theorie der permanenten Revolution entwickelt werden kann.
Globalisierung und die Gewerkschaften
235. Zur gleichen Zeit, als die stalinistischen Bürokraten sich in kapitalistische Oligarchen verwandelten, entledigten sich die ehemaligen Labour- und sozialdemokratischen Parteien in Europa und Australien ihres formellen Bekenntnisses zum Sozialismus und wurden zum Instrument der schärfsten Angriffe auf die Lebensbedingungen und die Sozialprogramme. Bürgerlich-nationalistische Parteien, die früher einmal in gewisser Hinsicht mit Sozialismus oder nationalen Reformen identifiziert worden waren - wie z. B. die Kongress-Partei Indiens - begannen nun, aktiv mit dem globalen Finanzkapital zusammenzuarbeiten und Sparmaßnahmen durchsetzten, sowie die verstaatlichte Industrie zu privatisieren.
236. Die Degeneration der Gewerkschaftsbürokratien einschließlich des AFL-CIO in den Vereinigten Staaten ist ein Beispiel für diesen internationalen Prozess. Obwohl viele der Gewerkschaften, aus denen der AFL-CIO besteht, in Massenkämpfen entstanden sind, die zu wirklichen Errungenschaften geführt haben, akzeptierten die Gewerkschaften die politische Hegemonie der Demokratischen Partei und des Profitsystems. In einer Zeit der Überlegenheit des amerikanischen Kapitalismus' waren die Gewerkschaften noch in der Lage, auf der Grundlage einer Politik nationaler Reformen den Lebensstandard ihrer Mitglieder zu erhöhen. Als infolge der Globalisierung der amerikanische Kapitalismus immer tiefer in die Krise geriet, hat sich diese Perspektive jedoch überlebt. Die Politik der Gewerkschaften nahm einen immer offener korporatistischen Charakter an. Selbst der Anschein der Unabhängigkeit von Unternehmensinteressen wurde aufgegeben. Während der gesamten 1980er Jahre arbeitete der AFL-CIO in den USA systematisch daran, einen Streik nach dem anderen zu isolieren und in die Niederlage zu führen. Die Bürokratie trennte in wachsendem Maße ihre eigenen Einkommensquellen von denen der Arbeiter, die sie angeblich vertrat. In diesem Prozess nahm die Bürokratie eine soziale Identität an, die sie deutlich von der Arbeiterklasse unterschied. Ritualisierte Hinweise auf die Gewerkschaften als "Organisationen der Arbeiterklasse", die nicht den veränderten sozialen Charakter ihres herrschenden Apparats beachteten, wurden immer hohler. In Wirklichkeit waren die Gewerkschaften keine "Arbeiterorganisationen", sondern Organisationen, die von einer eindeutig kleinbürgerlichen Klientel kontrolliert wurden und deren Interessen dienten. Sie sind der Arbeiterklasse völlig entfremdet und ihr gegenüber zutiefst feindlich.
237. In dem Perspektivdokument der Workers League von 1993, mit dem Titel Die Globalisierung der kapitalistischen Produktion und die internationalen Aufgaben der Arbeiterklasse, hieß es:
"Die Orientierung der alten Arbeiterorganisationen - Schutz der nationalen Industrie und des nationalen Arbeitsmarktes - wird von der global integrierten Produktion und der nie da gewesenen Mobilität des Kapitals unterlaufen. Die Rolle dieser bürokratischen Apparate, unter anderem des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO in den Vereinigten Staaten, hat sich vollständig gewandelt: Während sie früher Druck auf die Unternehmer und die Regierung ausübten, um Zugeständnisse für die Arbeiter zu erlangen, setzen sie heute die Arbeiter unter Druck, um Zugeständnisse für die Unternehmer herauszuholen und somit Kapital anzulocken."[146]
238. Auf der Grundlage einer historischen Analyse der Rolle der Gewerkschaften und ihrer jüngsten Entwicklung folgerte die Workers League:
"Die Workers League weist taktischen Opportunismus und gewerkschaftlichen Fetischismus zurück und stellt dem Verrat der AFL-CIO-Bürokratie keine syndikalistische Perspektive entgegen. Sie richtet sich in erster Linie an die fortschrittlichsten Elemente der Arbeiteravantgarde. Ihr Ziel besteht in der Ausbildung einer neuen Generation von Arbeitern, die von den Traditionen des Marxismus abgeschnitten wurden. Deshalb besteht sie darauf, der Arbeiterklasse direkt und offen den politischen Charakter ihrer alten Organisationen zu erläutern und aufzudecken, welchen sozialen Kräften sie dienen.
Keineswegs ignoriert die Workers League die Gewerkschaften oder die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Wir machen die Arbeiter nicht für das reaktionäre Wesen dieser Organisationen verantwortlich, in denen sie gefangen sind. Wo immer es möglich ist, interveniert die Partei in diesen Gewerkschaften (was sie selbst in Gewerkschaften tun würde, die von Faschisten kontrolliert wären). Sie verfolgt dabei das Ziel, die Arbeiter auf der Grundlage eines revolutionären Programms zu mobilisieren. Aber die wesentliche Voraussetzung für revolutionäre Tätigkeit in diesen Organisationen ist die theoretische Klarheit über das Wesen der AFL-CIO (und die mit ihr verbündeten Gewerkschaften).
Die Workers League weist die Vorstellung weit von sich, der AFL-CIO, dieser organisatorische Ausdruck der Interessen der Arbeiterbürokratie, könne 'gekapert' und in ein Instrument für den revolutionären Kampf verwandelt werden."[147]
239. Die Workers League nahm ihre Forderung nach einer Labor Party gestützt auf die Gewerkschaften zurück. Diese taktische Forderung war während einer Periode angebracht, als die Gewerkschaften die Unterstützung von Massen von Arbeitern hatten und immer noch, wenn auch in begrenztem Umfang, als Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse fungierten. Dies war in den 1990er Jahren nicht mehr der Fall.
Die Gründung der Socialist Equality Party
240. Im Juni 1995 leitete die Workers League einen Prozess zu ihrer Umwandlung in die Socialist Equality Party ein. Wir gingen davon aus, dass diese Umwandlung sich über einen längeren Zeitraum erstrecken würde; denn dieser Prozess beinhaltet nicht nur eine Namensänderung, sondern eine Änderung langjähriger Arbeitsformen. Es änderte sich auch das Verhältnis der revolutionären sozialistischen Bewegung zur Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten und international. Der Übergang von einem Bund zu einer Partei wurde in engster Zusammenarbeit mit den Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale begonnnen und entwickelt, die anfingen, denselben Übergangsprozess in den Ländern umzusetzen, in denen sie arbeiten. Der Übergang von einem Bund in eine politische Partei wurde von grundlegenden Veränderungen nicht nur in den unmittelbaren objektiven Bedingungen, sondern auch in dem historischen Umfeld, in dem das IKVI tätig ist, bestimmt. Die Entscheidung gründete sich auf die Einschätzung der Workers League und des IKVI, dass die alten Massenorganisationen der Arbeiterklasse diskreditiert waren und zusammenbrachen, weil auch das Nachkriegsgleichgewicht seit dem Zweiten Weltkrieg zusammenbrach. Dieser Prozess hat eine politische Neuorientierung der Arbeiterklasse im Weltmaßstab in Gang gesetzt:
"Die organisatorischen Formen, in denen sich unsere Aktivitäten entwickeln, werden von der Entwicklung der Widersprüche des Weltkapitalismus und des Klassenkampfs als objektiver historischer Prozess bestimmt. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass diese Formen, und die Beziehung zur Arbeiterklasse, die sich in ihnen ausdrückt, nicht in einem ganz konkreten Zusammenhang zu den historischen Bedingungen stehen würden, unter denen sie ursprünglich entstanden sind und entwickelt wurden. Ich behaupte, dass die Gründung von Bünden, von der Socialist Labour League in Großbritannien 1959, von der Workers League 1966, die Revolutionary Communist League 1968 bis zum Bund Sozialistischer Arbeiter 1971 und der Socialist Labour League 1972, mit ganz bestimmten historischen Bedingungen und strategischen Konzeptionen der Entwicklung der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse verbunden war.
Das zentrale strategische Problem, mit dem die trotzkistische Bewegung in dieser frühen Periode bei der Entwicklung des IKVI konfrontiert war, war die aktive und militante Unterstützung der fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse für die stalinistischen und sozialdemokratischen Massenparteien und Gewerkschaften.
Die politische Aktivität unserer Sektionen ging daher trotz Unterschieden in der Taktik davon aus, dass eine große neue Umorientierung der Arbeiterklasse in der Form einer Radikalisierung der klassenbewusstesten und politisch aktivsten Elemente in den Reihen dieser Organisationen vor sich gehen werde. Aus dieser Bewegung, in der die Sektionen des Internationalen Komitees eine katalytische Rolle als die kompromisslosesten Gegner der Sozialdemokratie und des Stalinismus spielen würden, könnte sich dann die wirkliche Möglichkeit entwickeln, revolutionäre Massenparteien aufzubauen."[148]
241. Die Gründung der SEP nahm die Veränderung in der Beziehung zwischen der marxistischen Bewegung und der Arbeiterklasse vorweg:
"Wir müssen die entsprechenden Schlussfolgerungen aus dem Zusammenbruch der AFL-CIO ziehen und die neuen Aufgaben der Partei korrekt formulieren. Wenn es in der Arbeiterklasse eine Führung geben soll, dann muss sie von unserer Partei kommen. Wenn ein neuer Weg für die arbeitenden Massen eröffnet werden soll, dann muss er von unserer Organisation eröffnet werden. Das Problem der Führung kann nicht auf der Grundlage einer cleveren Taktik gelöst werden. Wir können die Krise der Führung der Arbeiterklasse nicht dadurch lösen, dass wir 'fordern', dass andere diese Führung geben sollen. Wenn es eine neue Partei geben muss, dann müssen wir sie aufbauen."[149]
Die Bedeutung der Gleichheit
242. Die Wahl des Namens "Socialist Equality Party" (Partei für Soziale Gleichheit) drückt zweierlei aus: das Konzept der grundlegenden Vision des Sozialismus - die Verwirklichung einer wirklich menschlichen Gleichheit - und eine Haltung kompromissloser Opposition gegen die Bedingungen des modernen Kapitalismus. In seinem Aufruf zum Aufbau der Socialist Equality Party erklärte North:
"Die objektiven Bedingungen weisen in Richtung Revolution. Aber die Entwicklung von revolutionärem Bewusstsein ist, wie wir aus der Geschichte wissen, kein automatischer Prozess. Die Impulse, die von den unter der Oberfläche wirkenden Widersprüchen des Kapitalismus ausgehen, schlagen sich nicht unmittelbar in sozialistischen Denkformen nieder. Die Reaktion der Arbeiterklasse auf eine gegebene objektive Situation ist mit einem umfassenden Komplex historischer Bedingungen verbunden. Diese können sich von Land zu Land unterscheiden. Aber in jedem Fall müssen die Marxisten den Weg in die Köpfe und, so möchte ich hinzufügen, die Herzen der Arbeiterklasse finden.
Wenn wir den Bund in eine Partei umwandeln, müssen wir bedenken, in welcher Form sich die Krise des kapitalistischen Systems der breiten Masse der arbeitenden Menschen darstellt. Um es ganz einfach auszudrücken: Millionen von Arbeitern haben einen langen Niedergang ihres Lebensstandards erfahren, der sich immer noch fortsetzt. Sie leben in permanenter Angst um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und kämpfen angesichts sinkender Löhne und steigender Preise darum, mit ihrem Geld auszukommen.
Das auffälligste Merkmal des amerikanischen Alltags ist ein klaffender Abgrund zwischen dem winzigen Teil der Bevölkerung, der sich eines ungeheuren Reichtums erfreut, und der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung, die mehr oder weniger in wirtschaftlicher Unsicherheit lebt....
Die Verschlechterung der ökonomischen Position und der sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse steht in direkter Beziehung zur technologischen Revolution und der Globalisierung der Produktion, die sie angeheizt hat. Unter Bedingungen von Privateigentum an den Produktionsmitteln ist die Technologie für die Arbeiterklasse eine Strafe....
Das Ziel der Partei sollte klar in ihrem Namen genannt werden, und zwar in einer Weise, dass die Arbeiter es wohl verstehen, als auch sich mit ihm identifizieren können....
Wenn wir diese Partei der Arbeiterklasse vorstellen, müssen wir erklären, dass ihr Ziel in der Schaffung einer Arbeiterregierung besteht: Und damit meinen wir eine Regierung für die Arbeiter, von Arbeitern und durch die Arbeiter. Eine solche Regierung wird die politische Macht, die sie wenn möglich mit demokratischen Mitteln erringen will, dazu benutzen, das wirtschaftliche Leben im Interesse der Arbeiterklasse zu reorganisieren, die gesellschaftlich zerstörerischen Marktkräfte des Kapitalismus durch demokratisch-gesellschaftliche Planung zu überwinden und zu ersetzen, und die Produktion radikal zu reorganisieren, um die dringenden sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Menschen zu befriedigen, und um eine radikale und sozial gerechte Umverteilung des Reichtums zugunsten der arbeitenden Bevölkerung zu erreichen und dadurch die Grundlage für den Sozialismus zu legen.
Wir werden betonen, dass diese Ziele der 'Social Equality Party' nur im Bündnis mit und als integraler Teil einer bewusst internationalistischen Bewegung der Arbeiterklasse verwirklicht werden können. Es kann keine soziale Gleichheit und soziale Gerechtigkeit für die amerikanischen Arbeiter geben, solange multinationale und transnationale Konzerne ihre Klassenbrüder und -Schwestern in andern Ländern unterdrücken. Es gibt außerdem keine funktionierende nationale Strategie, auf die der Klassenkampf gegründet werden kann. Die Arbeiterklasse muss der internationalen Strategie der transnationalen Konzerne konsequent und systematisch ihre eigene internationale Strategie entgegensetzen. In dieser entscheidenden Frage, die den Härtetest für ein sozialistisches Programm darstellt, kann es keinen Kompromiss geben.
...Die Forderung nach sozialer Gleichheit fasst nicht nur das grundlegende Ziel der sozialistischen Bewegung zusammen. Sie belebt auch die egalitären Traditionen, die so tief in den echt demokratischen und revolutionären Traditionen der amerikanischen Arbeiter verwurzelt sind. Alle großen sozialen Kräfte der amerikanischen Geschichte trugen auf ihrem Banner die Forderung nach sozialer Gleichheit geschrieben. Es ist kein Zufall, dass heute, unter den vorherrschenden Bedingungen politischer Reaktion, dieses Ideal gnadenlos angegriffen wird."[150]
Die World Socialist Web Site
243. Der Start der World Socialist Web Site im Januar 1998 markierte einen Meilenstein in der Geschichte des IKVI und der internationalen Arbeiterbewegung. Sie war das Ergebnis der Entwicklung des Internationalen Komitees nach der Spaltung von der Workers Revolutionary Party 1985-86 in eine politisch vereinigte Weltpartei. Darüber hinaus leitete sich das zugrunde liegende Konzept der WSWS - die Auffassung, dass das IKVI die entscheidende Rolle bei der politischen Neuorientierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage des Marxismus spielen wird - von der gleichen Perspektive ab, welche die Verwandlung der Bünde in Parteien motivierte. Die technologischen Voraussetzungen für den Start der WSWS entwickelten sich in der Form revolutionärer Fortschritte in der Kommunikation, die das IKVI als Teil ihrer Analyse der Bedeutung der Globalisierung sorgfältig verfolgt hatte. Es suchte bewusst nach Wegen, um die Sektionen der Bewegung in der alltäglichen gemeinsamen Arbeit näher zusammenzubringen (dazu gehörte auch der frühe Gebrauch von Modems, um Dateien über Ozeane und Kontinente zu verschicken). Es schenkte der Entwicklung des Internets größte Aufmerksamkeit.
Dieser revolutionäre Fortschritt in der globalen Kommunikation schuf günstige Bedingungen sowohl für die Verbreitung revolutionärer Ideen als auch für die Organisierung der revolutionären Arbeit. Viele Jahrzehnte lang hatte die Produktion von Zeitungen eine zentrale und entscheidende Rolle beim Aufbau der revolutionären Bewegung gespielt. Lenin hat einen erheblichen Teil seines Bahn brechenden Werks Was tun? der Erläuterung der Rolle der allrussischen Zeitung gewidmet. Seit ihrer Gründung im Jahr 1966 hatte die Workers League eine Zeitung herausgegeben. Aber ihre Verbreitung hing von der Zahl der Parteimitglieder ab, die physisch an einem bestimmten Ort zur Verfügung standen, um ihre Verbreitung zu organisieren. Solange es keine brauchbare Alternative zur Zeitung als Mittel der Verbreitung ihrer Ideen gab, mussten die Workers League und die Sektionen des IKVI, so gut sie konnten, mit dieser Beschränkung fertig werden. Die Entwicklung des Internets schuf neue Bedingungen, um die alten Beschränkungen zu überwinden und den Leserkreis der SEP und des Internationalen Komitees zu erweitern.
244. Die WSWS war nicht bloß das Produkt technologischer Entwicklungen. Sie gründete sich auf das angesammelte theoretische Kapital der marxistischen Weltbewegung. Beim Start der WSWS erklärte die Redaktionsleitung:
"Die World Socialist Web Site, die gemeinsam von Mitgliedern des IKVI in Asien, Australien, Europa und Nordamerika herausgegeben wird, geht vom internationalen Charakter des Klassenkampfs aus. Sie schätzt politische Entwicklungen in jedem Land vom Standpunkt der Weltkrise des Kapitalismus und der politischen Aufgaben ein, vor denen die internationale Arbeiterklasse steht. Von diesem Standpunkt aus kämpft sie gegen alle Formen von Chauvinismus und nationaler Beschränktheit.
Wir sind zuversichtlich, dass die WSWS zu einem einmaligen Hilfsmittel für die politische Ausbildung und Vereinigung der Arbeiterklasse in internationalem Maßstab werden wird. Sie wird der arbeitenden Bevölkerung verschiedener Länder helfen, ihre Kämpfe gegen das Kapital zu koordinieren, genauso wie die transnationalen Konzerne ihren Krieg gegen die Arbeiter über nationale Grenzen hinweg führen. Sie wird die Diskussion zwischen Arbeitern aller Länder erleichtern und ihnen ermöglichen, ihre Erfahrungen zu vergleichen und eine gemeinsame Strategie auszuarbeiten.
Das IKVI geht davon aus, dass die weltweite Leserschaft der Word Socialist Web Site mit der Ausbreitung des Internets wachsen wird. Als schnelle und globale Kommunikationsplattform hat das Internet eine außerordentlich demokratische und revolutionäre Bedeutung. Es erlaubt einem Massenpublikum, auf die intellektuellen Ressourcen der Welt in Bibliotheken, Archiven und Museen zuzugreifen.
Im fünfzehnten Jahrhundert spielte Gutenbergs Erfindung der Druckerpresse eine wichtige Rolle bei der Überwindung der Kontrolle der Kirche über das Geistesleben. Sie unterhöhlte damit feudale Institutionen und trug zur Aufklärung und zur Französischen Revolution bei. Auch heute kann das Internet für die Erneuerung revolutionären Denkens hilfreich sein. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale beabsichtigt, dieses Werkzeug für die Befreiung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten in aller Welt zu nutzen." (Aus dem Englischen)
Im ersten Jahrzehnt ihres Auftritts veröffentlichte die WSWS mehr als 20.000 Artikel und behandelte darin ein breites Spektrum an politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und historischen Fragen. Eine Arbeit in diesem Umfang war nur möglich, weil das IKVI über viele Jahrzehnte hinweg ein enormes Kapital an historischer Erfahrung angesammelt hatte. Darüber hinaus war ihre theoretische Arbeit tief in den Traditionen des klassischen Marxismus verankert, der bestrebt ist, auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus eine möglichst präzise und fehlerfreie Übereinstimmung zwischen dem subjektiven Bewusstsein und der objektiven Wirklichkeit herzustellen - nicht bloß um die Ereignisse zu interpretieren, sondern mit dem Ziel, die Arbeiterklasse auf den revolutionären Kampf vorzubereiten.
Die Explosion des Militarismus und die Krise der amerikanischen Gesellschaft
245. Die WSWS bewies in ihrer Analyse der fortschreitenden Krise des amerikanischen und globalen Kapitalismus ein Niveau an Scharfsinn, das von keiner anderen Veröffentlichung erreicht wurde. Was die Analyse der WSWS auszeichnete, war ihr historischer Charakter, ihre Fähigkeit, Ereignisse in einen umfassenderen Kontext zu stellen und durch ihre oberflächliche Erscheinung hindurch auf ihren Grund zu blicken. Mit dieser Methode spürte die SEP mitten in der Zurschaustellung amerikanischer Militärmacht die Widersprüche auf, welche die Grundlagen der gesamten imperialistischen Ordnung unterhöhlen. Sie betonte, dass der ständige Einsatz des Militärs durch die Vereinigten Staaten ein Zeichen von Schwäche ist:
"Die Vereinigten Staaten verfügen gegenwärtig über einen 'Wettbewerbsvorteil' in der Waffenbranche. Doch weder dieser Vorteil noch die Produkte dieser Industrie können ihnen die Weltherrschaft sichern. Ungeachtet ihres ausgefeilten Waffenarsenals basiert die vorherrschende Rolle der USA im Weltkapitalismus heute auf einer weitaus dürftigeren finanziellen und industriellen Grundlage, als vor fünfzig Jahren. Ihr Anteil an der Weltproduktion ist dramatisch zurückgegangen. Ihr internationales Handelsdefizit wächst jeden Monat um Milliarden Dollar. Die Vorstellung hinter dem Kult um die computergesteuerten Präzisionswaffen - dass Meisterschaft auf dem Gebiet der Waffentechnologie diese grundlegenderen wirtschaftlichen Indikatoren nationaler Stärke außer Kraft setzen könne - ist eine gefährliche Täuschung.....
Immerhin ist die Befriedigung über die 'Wunder' der Waffentechnologie weit verbreitet unter den herrschenden Eliten, die, ob sie es wissen oder nicht, in einer historischen Sackgasse angelangt sind. Angesichts eines komplexen Knäuels internationaler und innerer sozioökonomischer Widersprüche, die sie schwerlich begreifen und für die es keine konventionellen Lösungen gibt, halten sie Waffen und Krieg für das Mittel, mit dem sie ihre Probleme einfach aus dem Weg sprengen können."[151]
246. Die Analyse, die die SEP vorlegte, brachte den Ausbruch der imperialistischen Gewalt in Zusammenhang mit den immer tieferen sozialen Widersprüchen der amerikanischen Gesellschaft:
"Die wachsende Kluft zwischen der privilegierten Schicht, aus der sich die herrschende Elite des Kapitalismus rekrutiert, und der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung spricht für ein objektiv hohes Maß an sozialen und klassenbedingten Spannungen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, diese Einschätzung werde durch das Fehlen militanter Arbeiterkämpfe in den Vereinigten Staaten widerlegt. Doch das geringe Niveau an Streikaktivitäten und anderen Formen sozialer Massenproteste ist kein Anzeichen gesellschaftlicher Stabilität. Der geringe Umfang offener Klassenkonflikte trotz rasch zunehmender sozialer Ungleichheit deutet vielmehr darauf hin, dass die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Institutionen der USA die Fähigkeit eingebüßt haben, auf die angestaute Unzufriedenheit der Arbeiterklasse zu reagieren.
...Was die Arbeiterklasse jetzt braucht, ist eine neue, revolutionäre internationale Organisation, deren Strategie, Perspektiven und Programm den objektiven Tendenzen der Weltwirtschaft und der historischen Entwicklung entspricht.
Es gibt, wie wir sehr wohl wissen, natürlich Legionen von Pessimisten, die fest davon überzeugt sind, dass der Aufbau einer solchen internationalen revolutionären Bewegung vollkommen ausgeschlossen ist. Es fällt auf, dass besonders unverbesserliche Pessimisten gerade unter jenen Kreisen zu finden sind, die vor nicht allzu langer Zeit uneingeschränktes Vertrauen in die Gewerkschaften setzten und treu an die Unerschütterlichkeit der Sowjetunion glaubten. Gestern waren sie davon überzeugt, dass der bürokratisch verwaltete Reformismus ewig währen werde. Heute glauben sie mit nicht weniger Hingabe an den ewigen Triumph der kapitalistischen Reaktion. Hinter dem flatterhaften Optimismus von gestern und dem demoralisierten Pessimismus von heute steht geistige und politische Oberflächlichkeit. Ihre Träger zeichnen sich dadurch aus, dass sie weder fähig noch willens sind, die Ereignisse in ihrem gegebenen historischen Rahmen zu untersuchen, und über die Widersprüche hinwegsehen, die hinter der höchst irreführenden äußeren Stabilität der Gesellschaft am Werk sind.
Zuversicht hinsichtlich der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse und der objektiven Möglichkeit des Sozialismus ist keine Glaubensfrage, sondern stützt sich auf theoretische Einsicht in die objektiven Gesetze der kapitalistischen Entwicklung und auf die Kenntnis der Geschichte, insbesondere jener des zwanzigsten Jahrhunderts."[152]
247. Die darauf folgenden Entwicklungen, speziell jene, die auf die undurchsichtigen und ungeklärten Ereignisse des 11. September 2001 folgten, haben die Warnungen der SEP vor dem globalen Ausbruch des amerikanischen Imperialismus untermauert. Weder die Invasion in Afghanistan 2001 noch die Invasion des Iraks im März 2003 haben die WSWS überrascht. Ihre Analysen haben die Zeit überdauert. Innerhalb von 24 Stunden nach dem Angriff auf den Irak sah die SEP die voraussichtlichen Folgen der Invasion voraus:
"Das zwanzigste Jahrhundert war nicht umsonst. Seine Triumphe und Tragödien haben der Arbeiterklasse unschätzbare politische Lehren hinterlassen, darunter als eine der wichtigsten das Verständnis der Bedeutung und der Auswirkungen von imperialistischen Kriegen. Diese sind vor allem ein Ausdruck von nationalen und internationalen Widersprüchen, die auf 'normalem' Weg nicht mehr gelöst werden können. Unabhängig davon, wie die ersten Stadien dieses Konflikts ausgehen werden, steuert der amerikanische Imperialismus auf eine Katastrophe zu. Er kann die Welt nicht erobern. Er kann den Massen des Nahen Ostens keine neuen, kolonialen Fesseln anlegen. Er kann seine inneren Krankheiten nicht mit dem Mittel des Kriegs heilen. Im Gegenteil, vom Krieg hervorgerufene unerwartete Schwierigkeiten und wachsender Widerstand werden alle inneren Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft verschärfen."[153]
Die Krise des Weltkapitalismus und die Aufgaben der Socialist Equality Party
248. Die Krise des amerikanischen Kapitalismus ist nur ein Ausdruck der allgemeinen Krise des kapitalistischen Weltsystems, ein Prozess, den die WSWS in allen Einzelheiten analysiert hat. Der Ausbruch der so genannten Asienkrise im Juli 1997 und das Platzen der dot.com-Blase in den USA enthüllten die explosiven Widersprüche, die sich aus der Schaffung eines globalen Finanzsystems und der ständig wachsenden Abhängigkeit der amerikanischen Wirtschaft von den Finanzmärkten ergeben. Nick Beams, der nationale Sekretär der SEP in Australien, erklärte auf einer Konferenz in Sydney im Januar 2000:
"Im Verlauf der letzten zehn Jahre haben wir eine Serie von immer tieferen Krisen auf den globalen Finanzmärkten erlebt. Zunächst war da die Rezession Anfang der 1990er Jahre, mit der eine Periode der Zerstörung von Arbeitsplätzen durch die Unternehmen eingeleitet wurde, die unvermindert andauert, obwohl behauptet wird, die Arbeitslosenzahlen würden sinken. 1992 haben wir die Krise des englischen Pfunds und des europäischen Wechselkursmechanismus, sowie die Krise des skandinavischen Bankensystems erlebt. Dann kam die Krise auf dem Rentenmarkt 1994, gefolgt von der mexikanischen Krise von 1994-95 und der Notrettungsaktion in Höhe von fünfzig Milliarden Dollar, welche die Clinton-Regierung für die US-Banken organisierte. Kaum war die mexikanische Krise 'beigelegt', folgte die so genannte asiatische Finanzkrise von 1997-98, die zur Zahlungsunfähigkeit Russlands, zum Bankrott des US-Hedge-Fonds 'Long Term Capital Management' im September 1998 und zur Intervention der US-Notenbank führte, um eine drohende Systemkrise des US-amerikanischen und globalen Finanzsystems abzuwenden. Natürlich ist die Bezeichnung dieser Ereignisse als mexikanische Krise, asiatische Krise und russische Zahlungsunfähigkeit etwas irreführend. Was wir miterleben, sind verschiedene Erscheinungsformen einer Krise des globalen Finanzsystems. So wie die Gicht erst die Extremitäten des Körpers befällt, bevor sie bis zum Herzen vordringt, so drückt sich die globale Finanzkrise in den Ereignissen aus, die sich jetzt in den USA entwickeln."
249. Nach der Rezession von 2000-2001 erlebte die US-amerikanische und die Weltwirtschaft eine Zeit der Expansion mit einigen der höchsten globalen Wachstumsraten seit dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit. Aber dieser kapitalistische Aufschwung basierte auf einer zunehmend labileren Grundlage, was sich vor allem in dem Anstieg der Schulden in den USA offenbarte und der Entstehung einer Reihe von Blasen - Aktienmarkt, dot.com, Immobilien. Die Widersprüche des Kapitalismus brachen in offener Form erneut in der Finanzkrise von 2007-08 aus. Ein Bericht von Nick Beams erklärte im Januar 2008:
"Die Finanzkrise in den USA und das gesteigerte Wachstum der Weltwirtschaft, besonders in den vergangenen sieben Jahren in den weniger entwickelten Ländern, sind nicht voneinander getrennte Ereignisse, sondern zwei Seiten ein und desselben Prozesses. ...Das gesteigerte Wachstum Chinas (und anderer Länder) wäre nicht möglich gewesen ohne das gewaltige Anwachsen der Verschuldung in den USA. Aber das Anwachsen der Verschuldung, durch das die US-Wirtschaft und die weltweite Nachfrage gestützt wurden, ist jetzt in eine Krise gemündet. Gleichzeitig haben die Billigproduktion in China und anderen Regionen und die Integration dieser Regionen in die Weltwirtschaft den Inflationsdruck niedrig gehalten. Dieser Prozess schuf die Bedingungen für niedrigere Zinsen, was die Kreditexpansion förderte, die eine entscheidende Rolle dabei spielte, die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft als Ganze zu stützen."[154]
250. Sechzehn Jahre nach dem Zusammenbruch der UdSSR befindet sich der Weltkapitalismus in einem Stadium der Krise, die sich vor allem im Zentrum des Imperialismus, den Vereinigten Staaten, konzentriert. Zu Beginn des Jahres 2008 zog die SEP eine Bilanz der objektiven Krise und der Aufgaben der Partei. Es wurde festgestellt, dass das außerordentliche Anwachsen der sozialen Ungleichheit im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte "sich sehr schnell dem Punkt eines offenen und gewaltsamen Klassenkonflikts nähert".
"Das verknöcherte politische System, das von zwei politischen Parteien verwaltet wird, die als Instrumente zur Durchsetzung der Interessen der herrschenden Plutokratie dienen, ist organisch unfähig, auf glaubhafte, geschweige denn progressive Art und Weise auf die Forderungen der Bevölkerung zu reagieren und eine spürbare soziale Veränderung herbeizuführen. Letzten Endes prallen die Forderungen nach sozialer Veränderung, selbst reformistischer Natur, an der unbeugsamen Entschlossenheit der herrschenden Elite ab, ihren Reichtum und ihre sozialen Privilegien mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.
Unabhängig davon, welche bürgerliche Partei am Schluss den Präsidenten stellen wird, führt die Logik der sozialen und politischen Entwicklung unaufhaltsam zu einer Verschärfung des Klassenkonflikts. Der lang anhaltende Niedergang der sozialen Stellung und des Lebensstandards der Arbeiterklasse, ihr ständig abnehmender Anteil am Reichtum der Gesellschaft und die unablässige Verschärfung ihrer Ausbeutung durch jene, die die Produktionsmittel besitzen und kontrollieren, haben die Voraussetzungen für eine gründliche Veränderung ihrer politischen Orientierung und ihrer Loyalität geschaffen. Wer nicht sehen kann oder sogar leugnet, dass die tief gehenden Veränderungen im Wirtschaftsleben im Verlauf der letzten dreißig Jahre tiefe Spuren im gesellschaftlichen Bewusstsein der amerikanischen Arbeiterklasse hinterlassen haben, der entlarvt nicht nur seine demoralisierte Skepsis, sondern auch seine Unkenntnis der Geschichte. Die Tatsache, dass es im letzten Vierteljahrhundert keine offenen sozialen und Klassenkonflikte gab, steht in scharfem Widerspruch zum allgemeinen Muster der amerikanischen Geschichte. Aber diese lange Periode sozialer Ruhe, deren Ursache ein komplexes und außergewöhnliches Wechselspiel nationaler und vor allem internationaler wirtschaftlicher und politischer Prozesse ist, nähert sich jetzt ihrem Ende. So besteht die wichtigste Aufgabe der Socialist Equality Party im Jahr 2008 darin, sich in allen Arbeitsbereichen - in der theoretischen, der politischen und der organisatorischen Arbeit - auf die Herausforderungen vorzubereiten, die der Ausbruch des Klassenkonflikts an sie stellen wird.
Die Socialist Equality Party, die in politischer Solidarität mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale steht, ist zuversichtlich, dass die Kämpfe der Arbeiterklasse einen Aufschwung erleben werden. Wir sind überzeugt, dass die objektive Krise des kapitalistischen Systems den Anstoß für das Voranschreiten der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse geben wird. Doch wird dieser kommende Aufschwung die Probleme in der Entwicklung sozialistischen Bewusstseins nicht von alleine lösen.
Wie das erste Aufflackern der Kämpfe der Arbeiterklasse in den vergangenen Monaten klar vor Augen führt, besteht immer noch eine gewaltige Kluft zwischen der objektiv revolutionären Bedeutung der Krise und dem gegenwärtigen Niveau des politischen Bewusstseins. Objektive Bedingungen werden die Arbeiterklasse in den Kampf treiben und die Voraussetzungen für einen großen Sprung im Bewusstsein schaffen. Es wäre jedoch ein Fehler, zu unterschätzen, welche Anstrengungen die Partei leisten muss, um das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse anzuheben und den reaktionären Einfluss der Bürokratien zu überwinden, die, obwohl geschwächt, immer noch eine gefährliche und entscheidende Stütze der kapitalistischen Herrschaft sind. Ebenso wenig dürfen wir die Rolle der zahllosen 'radikalen' kleinbürgerlichen Tendenzen ignorieren, die immer wieder versuchen, die Arbeiterklasse in die Irre zu führen und ihre Unterordnung unter 'fortschrittliche' Teile der Bourgeoisie aufrechtzuerhalten. Der Einfluss dieser verschiedenen politischen Agenturen der herrschenden Klassen kann nur überwunden werden, indem man sich die strategischen Erfahrungen vergangener revolutionärer Kämpfe aneignet und die Auswirkungen der sich entwickelnden Krise des Weltkapitalismus versteht."[155]
Die SEP, das IKVI und das Wiederaufleben des Marxismus
251. Die Instabilität der Weltwirtschaft, das Anwachsen globaler geo-politischer Spannungen, der Ausbruch militärischer Gewalt, die Verschlechterung der sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse in sämtlichen Ländern, die Zunahme von Klassenkonflikten und die Entfremdung breiter Schichten der Bevölkerung von den etablierten politischen Organisationen, sind das Anzeichen für eine herannahende revolutionäre Krise. Letzten Endes liegt die Ursache für dieses wachsende Ungleichgewicht darin, dass die Gesellschaftsverhältnisse und politischen Formen, die der Kapitalismus entwickelt hat, mit der neuen globalen Ausweitung und Integration der Produktivkräfte nicht vereinbar sind. Diese Unvereinbarkeit kann nur durch die Eroberung der politischen Macht durch die internationale Arbeiterklasse und die sozialistische Reorganisation der Weltwirtschaft aufgelöst und überwunden werden. Die Alternative ist die Barbarei.
252. Im Zentrum dieser globalen Krise steht der Verlust der internationalen Position des amerikanischen Kapitalismus. Der gewaltige Reichtum und die dominante Weltposition, die der "Einzigartigkeit" Amerikas - d. h. dem Fehlen einer politischen Massenbewegung der Arbeiterklasse - zugrunde lagen, wurden deutlich untergraben. Die amerikanische Gesellschaft ist in einem Ausmaß in Klassen polarisiert, wie es das seit den sozialen Konflikten der 1930er Jahr nicht mehr gegeben hat. Gleichzeitig ist der amerikanische Kapitalismus nicht mehr in der Lage, die Reformen zu bieten, die das System vor 75 Jahren gerettet haben. Die endlose Folge von Finanzskandalen und Firmenzusammenbrüchen haben das öffentliche Vertrauen in die "freie Marktwirtschaft" zutiefst untergraben. Der Diebstahl der Wahlen im Jahr 2000, die Lügen der Regierung, mit der sie die Invasion im Irak rechtfertigte, und die Gräuel von Abu Ghraib und Guantánamo haben das Vertrauen der Arbeiterklasse in die Institutionen der amerikanischen Demokratie erschüttert. Die Bedingungen für die Radikalisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins der Arbeiterklasse und für eine Veränderung ihrer politischen Orientierung sind schon weit fortgeschritten. Die Vereinigten Staaten sind von den Gesetzen der historischen Entwicklung nicht ausgenommen. Sie treten in eine Periode revolutionärer Klassenkonflikte ein.
253. Nur eine Partei, die eindeutig auf die Arbeiterklasse ausgerichtet ist und sich auf sie stützt, sich von der fortgeschrittensten politischen Theorie leiten lässt, die Lehren der vergangenen Kämpfe der internationalen Arbeiterklasse aufgenommen hat und ein Programm entwickelt hat, das von einer wissenschaftlich gestützten Einschätzung der objektiven Tendenzen der sozioökonomischen Entwicklung ausgeht, kann den Anforderungen einer revolutionären Epoche entsprechen. Die Socialist Equality Party und das Internationale Komitee verkörpern eine gewaltige historische Tradition und setzen sie fort. Es gibt keine andere politische Bewegung, die ihre eigene Geschichte vorweisen kann, oder das auch nur will. Die opportunistischen Organisationen - die Sozialdemokraten, Stalinisten, die Gewerkschaften und die pablistischen Tendenzen - vermeiden es tunlichst, an ihre Vergangenheit zu rühren, die voller Fehler und Verbrechen ist. Außerdem lehnen sie es rundheraus ab, sich durch die Erinnerung an Geschichte und Prinzipien bei ihren opportunistischen Manövern stören zu lassen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist die einzige Partei, die ihre politische Arbeit bewusst auf große Prinzipien gründet und deshalb der Arbeiterklasse ihre Geschichte lückenlos präsentieren kann. Sie wird die entschlossensten, mutigsten und ehrlichsten Elemente der Arbeiter und der Jugend unter ihr Banner gewinnen.
254. Bei der Feier zur Gründung der Vierten Internationale erklärte Trotzki 1938:
"Wir sind keine Partei wie andere Parteien...Unser Ziel ist die umfassende materielle und geistige Befreiung der Arbeitenden und Ausgebeuteten durch die sozialistische Revolution. Niemand außer uns wird sie vorbereiten und anleiten."[156]
255. Siebzig Jahre später gibt die Arbeit der Socialist Equality Party und des Internationalen Komitees diesen Worten eine neue Bedeutung.
Anmerkungen
1 Marx-Engels-Werke Band 20, Friedrich Engels: "Anti-Dühring", Dietz-Verlag, Berlin 1975, S. 248-249
2 Lenin, Werke Band 5, "Was tun?", Dietz-Verlag, Berlin 1978, S. 395
3 Ebenda, S. 396
4 Lenin, Werke Band 7, "Ein Schritt vorwärts, zwei zurück", Dietz Verlag, Berlin 1976, S. 402
5 Ebenda, S. 399
6 Ebenda, S. 419-20
7 The Challenge of the Left Opposition (1923-25), "Our Differences", New York, Pathfinder Press 2002, p. 299 (aus dem Englischen)
8 Leo Trotzki, Die permanente Revolution, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1993, S. 267-268
9 Lenin, Ausgewählte Werke, "Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus", Verlag Progress, Moskau 1986, S. 18
10 Ebenda
11 Marx-Engels-Werke, Band 20, Engels: "Anti-Dühring", Dietz Verlag, Berlin 1990, S. 22
12 Lenin, Werke Band 21, "Die Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie im europäischen Krieg", Dietz Verlag Berlin 1977, S. 2
13 Ebenda
14 Ebenda, S. 2-3
15 Ebenda, "Der Zusammenbruch der Zweiten Internationale", S. 246
16 Leo Trotzki, Europa im Krieg, "Der Krieg und die Internationale", Arbeiterpresse-Verlag, Essen 1998, S. 377-78
17 Ebenda, S. 382-383
18 Lenin, Werke Band 23, "Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus", Dietz Verlag, Berlin 1978, S. 102
19 Lenin, Werke Band 22, "Der Imperialismus, das höchste Stadium des Kapitalismus", Dietz Verlag, Berlin 1988, S. 274
20 Lenin, Werke Band 25, "Staat und Revolution", Dietz Verlag, Berlin 1981, S. 423
21 Siehe dazu: Alexander Rabinowitch, The Bolsheviks in Power, Bloomfield, Indiana University Press, 2007
22 Leo Trotzki, "Die Lehren des Oktober" aus Oktoberrevolution 1917, Verlag Intarlit 1978, S. 80
23 How the Revolution Armed: The Military Writings and Speeches of Leon Trotsky, Volume 1: 1918, London, New Park Publications 1979, S. 58 (aus dem Englischen)
24 Rosa Luxemburg, Werke Band 4, "Zur russischen Revolution", Berlin 1979, S. 365
25 Die Kommunistische Internationale, Band 1, Verlag Intarlit 1984, S. 162-63
26 The First Five Years of the Communist International, Volume Two, London, New Park 1974, p. 7
27 Lenin, Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus, Dietz Verlag, Berlin 1973, S. 17
28 Leo Trotzki, "Die Lehren des Oktober" aus Oktoberrevolution 1917, Verlag Intarlit 1978, S. 18
29 Leo Trotzki, Mein Leben, Fischer Taschenbuch Verlag, Berlin 1974, S. 434
30 Trotzki Schriften, Band 2.1, "Die chinesische Revolution und die Thesen des Genossen Stalin", Rasch und Röhring, Hamburg 1990, S. 178
31 Leo Trotzki, Die permanente Revolution, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1993, S. 39
32 Ebenda, S. 185-86
33 James P. Cannon, The Left Opposition in the United States 1928-31, New York, Monad Press 1981, S. 32 (Aus d. Engl.)
34 Leo Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1993, S. 29
35 Writings of Leon Trotsky 1930, New York, Pathfinder Press 1975, S. 28 (Aus dem Englischen)
36 Leo Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus, "Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?", Arbeiterpresse Verlag, Essen 1999, S. 65-66
37 Ebenda, "Man muss von neuem kommunistische Parteien und eine Internationale aufbauen", S. 311-12
38 Ebenda, "Der Zentrismus und die Vierte Internationale", S. 330-31
39 Leo Trotzki, Wohin geht Frankreich, Essen 2009, S. 13-14
40 Leo Trotzki, Verratene Revolution: Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie?, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1997, S. 278-279
41 Ebenda, S. 273
42 Ebenda, S. 274
43 Leo Trotzki, Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale. Das Übergangsprogramm, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1997, S. 84
44 Ebenda, S. 131-32
45 Ebenda, S. 86
46 Ebenda, S. 139-40
47 Die SWP wurde im Januar 1938 gegründet, fast zehn Jahre nachdem Cannon den Kampf für den Trotzkismus in den Vereinigten Staaten aufgenommen hatte. In diesen zehn Jahren verschafften sich die amerikanischen Trotzkisten beachtliche Geltung in der Arbeiterklasse. Ihre Führung des Generalstreiks von Minneapolis 1934 erregte nationale und internationale Aufmerksamkeit.
48 Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus, Arbeiterpresse Verlag, Essen 2006, S. 14
49 Ebenda, S. 15
50 "the century dead arch-muddler of human thought" (In Defense of Marxism, London, New Park 1971, p. 236)
51 Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus, Arbeiterpresse Verlag, Essen 2006, S. 60-62
52 Ebenda, S. 135
53 Ebenda, S. 52
54 James P. Cannon, Der Kampf für eine proletarische Partei, isp-Verlag 1982, S. 18
55 Ebenda, S. 24
56 Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus, Arbeiterpresse Verlag, Essen 2006, S. 194
57 "Manifest der Vierten Internationale (1940). Der imperialistische Krieg und die proletarische Weltrevolution", in: Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Arbeiterpresse Verlag 1997
58 Ebenda, S. 224-25
59 Ebenda, S. 217
60 Ebenda, S. 218
61 Ebenda, S. 219-20
62 Ebenda, S. 222
63 Ebenda, S. 230-231
64 Ebenda, S. 230-31
65 Ebenda, S. 259
66 Writings of Leon Trotsky 1938-39, "Once Again on the 'Crisis of Marxism'", New York, Pathfinder 2002, pp. 238-39 (aus dem Englischen)
67 Leo Trotzki, Schriften über China 1928-1940, "Der Bauernkrieg in China und das Proletariat", Rasch und Röhring, Hamburg 1990, S.766
68 David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Arbeiterpresse Verlag 1988, Seite 138-139
69 ebenda, Seite 59-60
70 Fourth International, November 1946, S. 345
71 David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Essen, Arbeiterpresse Verlag 1988, Seite 162-163
72 ebenda, S. 187
73 ebenda, S. 195
74 ebenda, S. 190-93
75 ebenda, S. 205-06
76 ebenda, S. 231-232
77 ebenda, S. 233
78 Die amerikanischen Trotzkisten dürfen seit den 1940er Jahren aufgrund reaktionärer gesetzlicher Bestimmungen (Voorhis Act) der Vierten Internationale formal nicht angehören.
79 David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Essen, Arbeiterpresse Verlag 1988, S. 240
80 ebenda, S. 248-49
81 ebenda, S. 369-70
82 ebenda, S. 371-72
83 ebenda, S. 372-73
84 ebenda, S. 395
85 ebenda, Seite 396
86 Trotskyism versus Revisionism, Volume 5, "Resolution of the Third World Conference, April 8, 1966", London, New Park Publications 1975, S. 25-27 (Aus dem Englischen)
87 Marxist Internet Archive, "Spartacist Statement to the International Conference, http://www.marxistsfr.org/history/etol/document/icl-spartacists/1986/1966conf.html, (Aus dem Englischen)
88 Hugo Gonzalez Moscoso, "The Cuban Revolution and its Lessons", in: Fifty Years of World Revolution, ed. Ernest Mandel, New York, Pathfinder Press 1970, S. 194-95 (Aus dem Englischen)
89 Trotskyism Versus Revisionism, Volume Five, "Reply to the OCI by the Central Committee of the SLL, June 19, 1967", London, New Park 1975, S. 111 (Aus dem Englischen)
90 ebenda, S. 113-14
91 The Fourth International and the Renegade Wohlforth, New York, Labor Publications, 1984, S. 209 (Aus dem Englischen)
92 M. McLaughlin, Vietnam and the World Revolution, Detroit, Labor Publications 1985, S. 96 (Aus dem Englischen)
93 Trotskyism Versus Revisionism, Volume Six, "Statement by the International Committee (Majority)", March 1, 1972, London, New Park 1975, S. 72 und 78 (Aus dem Englischen)
94 ebenda, S. 83
95 Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen, Arbeiterpresse Verlag 1997, S. 165
96 Der Bericht des IKVI stellte fest, dass "Nancy Fields seit dem 12. Lebensjahr bis zu ihrem Universitätsabschluss von ihrem Onkel und ihrer Tante, Albert und Gigs Morris aufgezogen, unterrichtet und finanziell unterstützt wurde. Albert Morris leitet die EDV-Abteilung der CIA in Washington und ist Großaktionär von IBM. Er gehörte der OSS an, dem Vorläufer der CIA, und arbeitete in Polen als Agent des Imperialismus. In den 1960er Jahren hatten sie in ihrem Haus oft Richard Helms zu Besuch, Ex-Direktor der CIA und jetzt amerikanischer Botschafter in Iran." [Documents of Security and the Fourth International, New York, Labor Publications 1985, S. 15 (Aus dem Englischen)]
97 The World Economic-Political Crisis of Capitalism and the Death Agony of US Imperialism, New York, Labor Publications 1979, S. 30 (Aus dem Englischen)
98 ebenda, S. 36
99 The Secret of Healy's Dialectics, Intercontinental Press, March 31, 1975 (Aus dem Englischen)
100 James P. Cannon, Writings and Speeches, 1940-43, "The Socialist Workers Party in World War II", New York, Pathfinder Press 1975, S. 81-82 (Aus dem Englischen)
101 Documents of Security and the Fourth International, S. 115 (Aus dem Englischen)
102 James P. Cannon As We Knew Him, New York, Pathfinder Press 1976, S. 233 (Aus dem Englischen)
103 The Gelfand Case, Volume II, New York, Labor Publications 1985, S. 635 (Aus dem Englischen)
104 Intercontinental Press, 20. Juni 1977 (Aus dem Englischen)
105 David North, Leo Trotzki und die Entwicklung des Marxismus, Neue Arbeiterpresse Nr. 455-60, Februar-März 1986
106 Vierte Internationale, Band 13, Nr. 2, Essen, Herbst 1986, S. 16, 18
107 Ebenda, S. 23-24
108 Ebenda, S. 35
109 Ebenda, S. 39
110 Ebenda, S. 43
111 Ebenda, S. 50
112 Ebenda, S. 74-75
113 Ebenda
114 Ebenda, S. 102
115 Trotskyism versus Revisionism, Volume Seven: "The Fourth International and the Renegade Wohlforth", Labor Publications, Detroit 1984, p. 228 (Aus dem Englischen).
116 Vierte Internationale, Jahrgang 13, Nr. 2, Essen, Herbst 1986, S. 38
117 Die kapitalistische Weltkrise und die Aufgaben der Vierten Internationale: Perspektiven des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1988, S.23
118 Ebenda
119 Ebenda, S. 7
120 Ebenda
121 David North, Bericht vom Dreizehnten Kongress der Workers League, in Vierte Internationale, Juli bis Dezember 1988, Jahrgang 15, Nr. 3-4, S. 42
122 Die kapitalistische Weltkrise und die Aufgaben der Vierten Internationale: Perspektiven des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1988, S. 7
123 Leo Trotzki, Verratene Revolution, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1990, S. 277
124 Trotzki Schriften, Bd. 1.1 Sowjetgesellschaft 1929-36, "Arbeiterstaat, Thermidor und Bonapartismus", Rasch und Röhring, Hamburg 1988, S. 588
125 Beyond Perestroika: The Future of Gorbachev's USSR, Verso, London 1989, p. xi (Aus dem Englischen)
126 Tariq Ali, Revolution from above, Hutchinson, London 1988, p. vi (Aus dem Englischen)
127 Ebenda, p. xi
128 Ebenda, p. xii
129 Ebenda, p. xiii
130 zitiert nach: David North, Das Erbe, das wir verteidigen, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1988, S. 484
131 Die kapitalistische Weltkrise und die Aufgaben der Vierten Internationale: Perspektiven des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1988, S. 16
132 David North, Nach dem August-Putsch: Die Sowjetunion am Scheidewege, in: Vierte Internationale, Jg. 19, Nr. 1, Herbst 1992, S. 114
133 David North, Das Ende der UdSSR, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1992, S. 9
134 Ebenda, S. 25f
135 Martin Malia, Vollstreckter Wahn: Russland 1917 - 1991, Stuttgart 1994, S. 38
136 Eric Hobsbawm, Können wir die Geschichte der Russischen Revolution schreiben? in: Wieviel Geschichte braucht die Zukunft, Hanser,München 1998, S. 311
137 Ebenda, S. 313
138 Marxismus und Grundprobleme des 20. Jahrhunderts. David North zur historischen Bedeutung Leo Trotzkis, in: gleichheit, Nr. 3, März 1998, S. 37
139 Dmitri Wolkogonow: Lenin, Düsseldorf, 1994
140 David North, Der Kampf für den Marxismus und die Aufgaben der Vierten Internationale, in : Vierte Internationale, Jg. 19, Nr. 1, Herbst 1992, S. 78-79
141 David Walsh, Die ästhetische Komponente des Sozialismus, in: gleichheit., Mai-Juni 1998 / Nr. 5/6, S.48
142 Globalisierung und internationale Arbeiterklasse. Eine marxistische Einschätzung, Erklärung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, 7. Nov. 1998, http://www.wsws.org/de/1998/nov1998/glob-n07.shtml, S.72
143 Ebenda
144 Ebenda
145 Ebenda, S. 74
146 The Globalization of Capitalist Production and the International Tasks of the Working Class, Labor Publications, Southfield MI 1993, p. 8 (Zitiert in: "Sozialistische Kandidatur in den US-Präsidentschaftswahlen" http://web.archive.org/web/20040 203110017/www.wsws.org/de/2004/jan2004/sepw-j31.shtml)
147 Ebenda, p. 51 (Aus dem Englischen)
148 David North, Die Gründung einer neuen Partei in den USA, 1995, Seite 26-27
149 Ebenda, S. 32
150 Ebenda, 33-35
151 David North: Nach der Schlächterei: Politische Lehren aus dem Balkankrieg. 16. Juni 1999 http://web.archive.org/web/20010201162500/www.wsws.org/de/1999/jun1999/bila-j16.shtml
152 Ebenda
153 David North: Die Krise des amerikanischen Kapitalismus und der Irakkrieg, 25. März 2004 http://www.wsws.org/de/2003/apr2003/nort-a03.shtml
154 Nick Beams: Die Weltkrise des Kapitalismus und die Perspektive des Sozialismus, Teil 2, http://www.wsws.org/de/2008/feb2008/nb2-f12.shtml
155 David North, Anmerkungen zur politischen und ökonomischen Krise des kapitalistischen Weltsystems und die Perspektiven und Aufgaben der Socialist Equality Party, 16. Januar 2008, http://www.wsws.org/de/2008/jan2008/noti-j16_prn.html
156 Writings of Leon Trotsky [1938-39], "The Founding of the Fourth International", Pathfinder, New York 2002, p. 93 (Aus dem Englischen)