Home » Geschichte » Film » Russland

Tsar to Lenin erstmals in Berlin gezeigt

Von Elisabeth Zimmermann
19. Dezember 2012

VeranstaltungDie Veranstaltung zu Tsar to Lenin

Über hundert Besucher nahmen am Samstag an der ersten öffentlichen Vorführung des Films Tsar to Lenin in Berlin teil. Der Film dokumentiert auf einzigartige Weise die Oktoberrevolution von 1917. Er besteht aus historischem Archivmaterial, das der legendäre Filmproduzent Herman Axelbank (1900-1979) zusammengetragen hat.

1937 wurde der Film erstmals öffentlich in New York gezeigt und von einem Kritiker der New York Post mit den Worten kommentiert, dies sei „der wichtigste Film, den ich in meinem Leben je gesehen habe. (...) Meiner Meinung nach der wichtigste und fesselndste Film der Filmgeschichte“. Schon kurz danach geriet er jedoch in Vergessenheit. Weitere öffentliche Kinoaufführungen wurden zunächst auf Druck der Stalinisten und später durch den Antikommunismus des Kalten Kriegs und die Unterdrückungsmaßnahmen der McCarthy-Ära verhindert.

Christoph Dreier von der IYSSE (International Youth and Students for Social Equality) eröffnete die Veranstaltung in Berlin. Die IYSSE, die Jugend- und Studentenorganisation des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), hatte zur Filmvorführung eingeladen.

David North, Chefredakteur der World Socialist Web Site und Vorsitzender der Socialist Equality Party in den USA, leitete den Film ein.

Er begann seine Ausführungen mit den tragischen Ereignissen, die sich am Tag zuvor an einer Grundschule im amerikanischen Newtown (Connecticut) abgespielt hatten. Bei diesem Amoklauf waren 28 Menschen, einschließlich des Attentäters, getötet worden. Zwanzig von ihnen waren Kinder im Alter von fünf bis zehn Jahren.

North machte deutlich, dass eine Gesellschaft, in dem Massaker wie das von Newtown regelmäßig passieren, schwer krank ist. Er verwies auf die tiefe soziale Spaltung und die enormen Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft, die im offiziellen Zwei-Parteien-System keinen politischen Ausdruck finden.

Mit Obama habe erstmals in der Geschichte ein amerikanischer Präsident bei der Widerwahl weniger Stimmen erhalten als bei der ersten Wahl vor vier Jahren. Noch nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten sei zur Urne gegangen.

North sprach auch über den politischen Niedergang in den USA. Obama persönlich sei für den Drohnenkrieg verantwortlich, der Tausende getötet habe, darunter viele Frauen und Kinder. Nie zuvor habe ein amerikanischer Präsident die Ermordung von Menschen, einschließlich amerikanischer Staatsbürger, so offen befohlen, ohne in irgendeiner Form dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Der politische Niedergang sei aber nicht nur in den USA zu finden, fuhr North fort. Er ging auf den Aufruf „Freiheit braucht Beistand“ ein, mit dem Prominente aus Kultur und Politik, darunter führende Vertreter der Linkspartei, der Grünen, der SPD und der CDU, unter Hinweis auf die „Verteidigung von Menschenrechten“ eine imperialistische Intervention in Syrien unterstützen.

„Das Niveau des politischen Lebens in Deutschland muss sehr niedrig sein, wenn angesichts der deutschen Geschichte so etwas möglich ist“, sagte North. Auch Hitler habe seinen Überfall auf die Tschechoslowakei mit der Unterdrückung der sudetendeutschen Bevölkerung gerechtfertigt. „Alle, die sich als Linke bezeichnen, müssen sich der Frage stellen, wie viele Kriege im Namen der Menschenrechte sie noch unterstützen wollen? Als nächstes den Krieg gegen den Iran? Dann den Krieg gegen China?“

Angesichts dieser Entwicklungen sei es sehr zeitgemäß, den Film Tsar to Lenin zu zeigen.

North berichtete, sein Leben sei seit fast vierzig Jahren mit diesem Film verbunden. Er habe ihn erstmals 1974 in einem kleinen Raum mit nur wenigen Zuschauern gesehen und sei seither immer in Sorge um den Film und die darin gezeigten, unersetzlichen Dokumentaraufnahmen gewesen. „Es ist ein großartiger Film, weil er ein großartiges Ereignis dokumentiert. Axelbank zeigt darin das bedeutendste Ereignis der Weltgeschichte.“

Herman Axelbank habe fast zwanzig Jahre lang, von 1919 bis 1937, an dem Film gearbeitet. Er habe ihm nie erzählt, wo und wie er alle in dem Film enthalten Dokumentaraufnahmen bekommen habe. Sicherlich sei dies teilweise nur unter sehr schwierigen Umständen möglich gewesen. „Doch was immer Axelbank unternahm, er war Zeit seines Lebens davon überzeugt, dass Lenin und Trotzki die bedeutendsten Persönlichkeiten und wichtigsten Führer der russischen Revolution waren“, sagte North.

Max Eastman habe dann den großartigen Kommentar zu dem Film geschrieben und gesprochen. Der berühmte amerikanische Revolutionär und Sozialist war eng mit Trotzki befreundet. Er hatte ihn 1922 in Russland getroffen, ihn als einer der ersten gegen die stalinistischen Angriffe und Verleumdungen verteidigt und mehrere seiner Werke ins Amerikanische übersetzt.

Der Film, erläuterte North, schlage den Bogen von der scheinbar unerschütterlichen dreihundertjährigen Herrschaft der Romanow-Dynastie, über die Leiden und Entbehrungen des ersten imperialistischen Weltkriegs und die Entstehung einer proletarischen Massenbewegung gegen Krieg, bis hin zur Februarrevolution 1917 mit ihren Forderungen nach Frieden, Brot und Land.

Er zeige, wie die Massen erneut auf die Straße strömten und sich schließlich Lenin und der Bolschewistischen Partei zuwandten, als sich die provisorische Regierung unter Kerenski als unfähig erwies, ihre Forderungen zu erfüllen. Im Nebeneinander der ersten und der letzten Szenen des Films zeige sich die umfassendste gesellschaftliche Umwälzung, die je in der Geschichte stattgefunden habe.

Der Film dokumentiert auch die herausragende Rolle von Leo Trotzki als revolutionärer Führer der Massen, seine Rolle während der Friedensverhandlungen von Brest Litowsk und als Gründer und Führer der Roten Armee im Bürgerkrieg. Dieser Krieg wurde dem jungen Arbeiterstaat unmittelbar nach seiner Gründung durch die imperialistischen Länder aufgezwungen. Der Film spart in diesem Zusammenhang auch die enorme Brutalität der Weißen gegen die Soldaten der Roten Armee und die Zivilbevölkerung nicht aus.

„Es gibt viele wichtige Szenen in diesem Film“, sagte North. „Bisher existiert kein anderer Film, der das wesentliche Merkmal einer Revolution so deutlich zeigt wie dieser.“ Trotzki habe der Einleitung zu seiner Geschichte der russischen Revolution geschrieben: „Der unbestreitbarste Charakterzug der Revolution ist die direkte Einmischung der Massen in die historischen Ereignisse.“

„Die Revolution“, sagte North, „war the Real Thing (das Echte), wie man in Amerika sagt. Es war eine wirkliche gesellschaftliche Explosion, die alle fortschrittlichen Elemente der Gesellschaft unter der weitsichtigen marxistischen Führung der bolschewistischen Partei vereinte. Diese Verbindung ermöglichte den Erfolg der russischen Revolution.“

Abschließend erinnerte North daran, dass vor knapp hundert Jahren eine dreißigjährige Periode, von 1914 bis 1945, begann, die von Krieg, Revolution, Konterrevolution, Faschismus und ungeheuerem menschlichen Leid geprägt war. „Heute bewegen wir uns erneut in eine solche Periode hinein, und diesmal muss sie anders ausgehen!“

Nach der Filmvorführung entwickelte sich eine lebhafte Diskussion mit mehreren Besuchern. Viele deckten sich mit weiterführender Literatur zur Geschichte der russischen Revolution ein, wie auch zum Stalinismus und zur Verteidigung von Leo Trotzki, oder kauften sich eine Kopie des Films Tsar to Lenin auf DVD.

Mehrere Besucher drückten ihre Unterstützung für den Film aus. Einer sagte: „Gut, dass der Film gezeigt wird, damit Leute erfahren, was wirklich passiert ist. Viele Leute denken, eine Revolution sei nicht möglich, aber der Grund dafür sind Geschichtsfälschungen. Die tatsächlichen Ereignisse sind in Vergessenheit geraten.“

Siehe auch: „Mehring-Verlag präsentiert Neuerscheinung des Films ‚Vom Zar zu Lenin’“