Neue Kriegsdrohungen gegen Syrien
Obama-Regierung nutzt angebliche Chemiewaffen als Vorwand
Von Bill Van Auken
5. Dezember 2012
Die Obama-Regierung und die Mainstream-Medien nehmen unbestätigte Geheimdienstmeldungen zum Vorwand, um Syrien erneut mit direkter Militärintervention zu drohen. Laut dem amerikanischen Geheimdienst soll Syrien in letzter Zeit seine Chemiewaffen verlagert haben. Die Regierung in Washington und ihre Verbündeten unterstützen seit langem den Versuch der sogenannten „Rebellen“, das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu stürzen.
US-Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton drohten am Montag öffentlich mit militärischer Vergeltung, sollte Syrien Chemiewaffen einsetzen.
Obama erklärte in der National Defense University in Fort McNair vor einem Publikum aus Militärangehörigen: „Ich möchte Assad und allen, die unter seinem Befehl stehen, unmissverständlich sagen: (...) Wenn Sie den folgenschweren Fehler machen, diese Waffen einzusetzen, wird das Konsequenzen haben, und man wird Sie dafür zur Rechenschaft ziehen.“
Zuvor hatte Hillary Clinton am selben Tag bei einem Treffen mit dem tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg in Prag erklärt, dies sei „für die Vereinigten Staaten eine rote Linie“.
„Ich werde nicht näher darauf eingehen, was wir machen würden, wenn wir glaubwürdige Beweise dafür hätten, dass Assad und sein Regime Chemiewaffen gegen das eigene Volk einsetzt. Ich möchte es dabei belassen zu sagen, dass wir uns mit Sicherheit darauf vorbereiten, in diesem Falle einzuschreiten“, warnte Clinton.
Wie Schwarzenberg vor der Presse erklärte, sind tschechische Spezialeinheiten für Chemiewaffen nach Jordanien geschickt worden, um mit den dortigen Truppen zu „trainieren“.
Die New York Times, CNN und andere Medien unterstützen den Versuch der Obama-Regierung, die Chemiewaffen als Rechtfertigung für einen weiteren Angriffskrieg der USA zu propagieren. Sie berufen sich auf anonyme hochrangige Regierungskreise, die unbestätigte Geheimdienstinformationen gelesen haben wollen.
Wer diese Berichte und die Stellungnahmen der Regierung näher betrachtet, muss zum Schluss kommen, dass die angebliche Bedrohung durch Syriens „Massenvernichtungswaffen“ frei erfunden ist. Kein Politiker, keine Zeitung hat dafür einen einzigen glaubwürdigen Beweis erbracht.
Die Pentagon-Korrespondentin von CNN, Barbara Starr, berief sich am Montag in einer hektischen Reportage auf einen „hochrangigen Regierungsvertreter“. Dieser habe über „Besorgnis erregende Anzeichen“ angeblicher Aktivitäten an syrischen Chemiewaffenstandorten „in den letzten Tagen“ berichtet.
Starr sagte: „Dieser Regierungsvertreter wollte nicht namentlich genannt werden, da die übermittelten Informationen sehr wichtig seien. Er lehnte es ab, näher auf die Geheimdienstberichte einzugehen, welche die Vereinigten Staaten in den letzten Tagen zusammengetragen haben.“
Der CNN-Bericht zitiert einen Regierungsvertreter mit den Worten: „Damit tritt der Notfallplan in Kraft, mit dem wir uns auf ein mögliches Eingreifen vorbereiten.“
Die Chemiewaffen-Story erschien am Sonntagmorgen als erstes auf den Seiten der New York Times. Die Titelstory war vom Chefkorrespondenten für Washington, David Sanger, und dem Korrespondenten für nationale Sicherheit, Eric Schmitt, gemeinsam verfasst. Sie beriefen sich auf anonyme „Regierungsvertreter, die Geheimdienstinformationen aus Syrien gelesen haben“, und schrieben: „Noch ist nicht klar, was die syrischen Streitkräfte genau vorhaben.“
Das syrische Außenministerium stritt alle Vorwürfe ab, das Militär bereite den Einsatz von Chemiewaffen vor. Die Regierung in Damaskus veröffentlichte eine Stellungnahme, in der es heißt, Syrien „würde unter keinen Umständen Chemiewaffen gegen sein eigenes Volk einsetzen – wenn es denn welche besitzt“.
Offensichtlich stellt es für Obama und andere Regierungsmitglieder überhaupt kein Problem dar, dass die Chemiewaffen des syrischen Militärs auch ihren Freunden, den so genannten Rebellen, in die Hände fallen könnten.
Mittlerweile ist allgemein bekannt, dass die bewaffneten Kräfte, die gegen das Assad-Regime kämpfen, von islamistischen Milizen dominiert werden. Darunter gibt es auch Al Qaida-Gruppen, die sicherlich bereit wären, solche Waffen gegen die Zivilbevölkerung von Westeuropa oder den Vereinigten Staaten einzusetzen. Dass dies der US-Regierung offenbar gleichgültig ist, zeigt nur den enormen Widerspruch zwischen den öffentlich zur Schau getragenen Sorgenfalten und den wahren Motiven hinter der amerikanischen Intervention.
Die Kampagne um Chemiewaffen wird unmittelbar vor einem Treffen der Nato-Außenminister in Brüssel am Dienstag und Mittwoch lanciert. Auf dem Treffen wird über den Antrag der Türkei entschieden, an der 900 Kilometer langen Grenze zu Syrien Patriot-Luftabwehrraketensysteme aufzustellen.
Die türkische Regierung behauptet, die Raketen seien zur Abwehr notwendig, weil die syrischen Streitkräfte Raketen mit Chemiewaffensprengköpfen abfeuern könnten.
Die Türkei unterstützt den Aufstand in Syrien. Sie liefert den „Rebellen“ Waffen und Ausrüstung und soll auch türkische Offiziere als „Berater“ geschickt haben. Sie erlaubt den Assad-Gegnern, von türkischem Staatsgebiet aus zu operieren, und beherbergt einen CIA-Stützpunkt, von dem aus amerikanische Geheimdienstler die Verteilung von Waffen, Geld und Geheimdienstinformationen an die „Rebellen“ kontrollieren.
Wie amerikanische und Nato-Vertreter angedeutet haben, wird der Einsatz von Patriot-Raketen voraussichtlich diese Woche auf dem Treffen genehmigt. Dies wird ein wichtiger Schritt in der imperialistischen Intervention in Syrien sein. Die Soldaten der USA und der NATO werden in eine direkte Konfrontation mit dem syrischen Militär geraten, was den Weg für eine offene Intervention freimacht.
Die Raketenbatterien sollen angeblich die Bedrohung durch syrische Boden-Boden-Raketen abwehren, aber viel wahrscheinlicher ist, dass sie verhindern sollen, dass syrische Militärflugzeuge im Norden Syriens operieren. Damit wäre eine „Flugverbotszone“ geschaffen, in der die „Rebellen“ relativ ungestraft vorgehen können. Wie bei der Intervention der USA und der Nato im letzten Jahr in Libyen wäre dies vermutlich der erste Schritt in einem direkten Krieg zum Regimewechsel.
Die Lügen über eine mögliche Bedrohung durch syrische Chemiewaffen dienen außerdem als Vorwand für eine direkte Invasion mit Bodentruppen. In dem Artikel der New York Times ist zu lesen, dass die USA und ihre Verbündeten „schon lange Notfallpläne für den Fall vorbereiten, dass sie eingreifen müssen, um die Chemiewaffen zu neutralisieren. Nach Schätzungen des Pentagons wären dafür bis zu 75.000 Soldaten notwendig.“
Weiter ist zu lesen, dass das Pentagon „in aller Stille eine Task Force von mehr als hundertfünfzig Planern und Spezialisten nach Jordanien geschickt hat, unter anderem, um sich gemeinsam mit den dortigen Streitkräften auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass Syrien die Kontrolle über seine Chemiewaffen verliert“. Hinter der Phrase „unter anderem“ verbirgt sich die eigentliche Mission dieser amerikanischen Spezialkräfte: Sie unterstützen die „Rebellen“ bei ihren Operationen in Syrien und dienen als Vorhut einer direkten Intervention der USA und der Nato.
Wie die Webseite Debka.com, die enge Verbindungen zum israelischen Geheimdienst hat, letzte Woche meldete, haben die „Rebellen“ im Süden Syriens eine Radar-Frühwarnstation aus russischer Fertigung angegriffen und zerstört. Somit wäre das Regime nicht mehr in der Lage, auf einen Angriff des israelischen Militärs zu reagieren. Laut einem Bericht in der Montagausgabe des Atlantic ist Israel mit Plänen für Luftangriffe auf die syrischen Chemiewaffenstandorte an die jordanische Regierung herangetreten. Debka nannte die Stationierung von Patriot-Raketen und die Angriffe auf das syrische Radarsystem ein „koordiniertes militärisches Vorgehen“.
Nur wenige Wochen nach der Wahl in den USA werden die Vorbereitungen auf einen weiteren Angriffskrieg im Nahen Osten beschleunigt. Die Warnungen vor einer angeblichen Bedrohung durch „Massenvernichtungswaffen“ erinnern deutlich an die Lügen, mit denen vor zehn Jahren der katastrophale Irakkrieg gerechtfertigt wurde. Die New York Times, die führende Stimme der amerikanischen Bourgeoisie, erwies sich damals als unverzichtbarer Verbündeter der Regierung bei ihrer Desinformationskampagne. Obwohl die irakischen Massenvernichtungswaffen gar nicht existierten, verlieh die Times der Kampagne Glaubwürdigkeit, mit der die Regierung ihren Angriffskrieg auf den Irak rechtfertigte. Heute wird dasselbe Vorgehen gegen Syrien wiederholt.
Der Krieg, der heute droht, wird noch weitaus verheerendere Folgen haben als die achtjährige Intervention im Irak oder der über zehn Jahre andauernde Krieg in Afghanistan. Mit dem Angriff auf Syrien bereitet der US-Imperialismus einen Angriff auf den Iran vor, um die ganze Region nach seinen ureigenen Interessen umzugestalten.