Die historische Bedeutung der Weltrezession
Von Nick Beams
5. Dezember 2012
Die erhebliche Korrektur der Wirtschaftsvoraussage der 34 Mitglieder umfassenden Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist die jüngste einer ganzen Reihe von Warnungen globaler Wirtschaftsorganisationen vor einer weltweiten Rezession.
Die OECD hat ihre sechs Monate alte Wachstumsvoraussage für 2013 um 0,8 Prozentpunkte – von 2,2 Prozent auf 1,4 Prozent – revidiert und vor der Möglichkeit einer „tiefen Rezession und einer Deflation, verbunden mit zusätzlichen Risiken auf dem Arbeitsmarkt“ gewarnt.
Die Organisation stellt fest, dass „die größten Risiken für die Weltwirtschaft auch weiterhin von der Eurozone ausgehen“ und konstatiert, die Haushaltslage in einigen Ländern drohe, „eine Kettenreaktion auszulösen, die die Aktivitäten in der Währungsunion erheblich beeinträchtigen und die globale Rezession vorantreiben könnte.“
Die OECD bestätigt den hartnäckigen Charakter der Probleme der Weltwirtschaft und stellt fest, dass die „Anzeichen einer Erholung von der Krise in einigen Ländern einmal mehr einer erneuten Verlangsamung oder gar einer erneuten Rezession gewichen sind“ und „dass die Gefahr einer erneuten Kontraktion nicht ausgeschlossen werden kann.“
Nach der Korrektur der Voraussagen des Internationalen Währungsfonds für das weltweite Wachstum liegt die Bedeutung der OECD-Daten darin, dass sie die großen kapitalistischen Wirtschaften selbst betreffen, die einmal die Zugmaschine der globalen Expansion waren.
Die OECD sagt voraus, dass die Wirtschaft der Eurozone 2013 um 0,1 Prozent schrumpfen wird – nach einem Rückgang um 0,4 Prozent in diesem Jahr. In den USA wird lediglich ein Wachstum von 2 Prozent erwartet – das ist weniger als für einen Anstieg der Beschäftigungszahlen benötigt wird. Die bisherige Voraussage lag mit 2,6 Prozent um 0,6 Prozent höher.
Die Wachstumserwartungen für Japan wurden um 1,5 Prozent auf 0,7 Prozent korrigiert. Diese Zahl könnte sich allerdings noch verringern, da die japanische Wirtschaft in diesem Jahr für die letzten zwei Quartale ein negatives Wachstum erwartet.
Außer den Zahlen zur gesamten Weltwirtschaft deuten eine ganze Reihe von Zahlen aus einzelnen Ländern und Regionen in dieselbe Richtung.
Vergangenen Freitag wurde bekannt, dass die Arbeitslosigkeit in der Eurozone auf 11,7 Prozent angestiegen ist – gegenüber 10,4 Prozent vor einem Jahr. Spanien und Griechenland erleben bereits depressionsartige Arbeitslosenzahlen von 25 Prozent und mehr. Jetzt sind auch die stärkeren Wirtschaften betroffen.
Die Konsumausgaben in Frankreich sanken im Oktober, während die Verkäufe im Einzelhandel in Deutschland im selben Moment unerwartet fielen.
Die Behauptung, hohes Wachstum in den so genannten Schwellenländern könne der Weltwirtschaft als ganzer einen Anschub geben, sind bereits durch die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft infrage gestellt worden. Die Hoffnungen haben jetzt durch neue Zahlen aus Brasilien und Indien einen weiteren Dämpfer erhalten.
Brasiliens Bruttoinlandsprodukt wuchs im dritten Quartal nur um 0,6 Prozent und deutet darauf hin, dass die brasilianische Wirtschaft sich auf dem Weg in die niedrigste jährliche Wachstumsrate seit einem Jahrzehnt befindet. In ähnlicher Weise fiel Indiens jährliche Wachstumsrate im dritten Quartal von 5,5 auf 5,3 Prozent. Es wird erwartet, dass es in diesem Jahr zum niedrigsten Wachstum seit einem Jahrzehnt kommt.
Diese Zahlen zeigen nicht nur, dass keine Erholung der Wirtschaft „unmittelbar bevorsteht“, sondern dass die Weltwirtschaft sich weiter auf eine Rezession zubewegt. Darüber hinaus haben sie eine tiefe historische Bedeutung. Die Zahlen unterstreichen die Analyse der World Socialist Web Site, dass es sich bei der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise nicht um eine konjunkturelle Krise, sondern um den Beginn eines Zusammenbruchs der kapitalistischen Weltwirtschaft handelt, der weitreichende wirtschaftliche, soziale und politische Folgen haben wird.
Es handelt sich um einen Wendepunkt in dem, was Leo Trotzki die Kurve der kapitalistischen Entwicklung genannt hat. Die kapitalistische Wirtschaft, so erklärte er, wird durch zwei grundlegende Prozesse charakterisiert: die Fluktuationen im Konjunkturverlauf, die den Kapitalismus von seiner Geburt bis zu seinem Tod begleiten, und die längerfristigen Veränderungen in der Struktur der Weltwirtschaft, die den Charakter ganzer historischer Perioden bestimmen.
Trotzki entwickelte seine Analyse Anfang der 1920er Jahre Jahre, indem er die Bedeutung des Zusammenbruchs analysierte, der mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges stattfand. Während sich der Konjunkturzyklus fortsetzte, so erklärte er, konnte der Kapitalismus sein Vorkriegs-Gleichgewicht nicht wieder herstellen.
Diese Analyse wurde durch alle folgenden Ereignisse bestätigt. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Krieg zeichnete sich der Kapitalismus durch Massenarbeitslosigkeit, Depression, die Verarmung von Millionen, durch Faschismus und die Verschärfung inter-imperialistischer Konflikte aus, die zum Ausbruch eines noch destruktiveren Krieges führten.
Das kapitalistische Gleichgewicht wurde schließlich wieder hergestellt, aber nur auf der Grundlage des Verrats der revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse durch ihre stalinistischen und sozialdemokratischen Führungen und, wie Trotzki vorausgesagt hatte, auf dem Blut und den Knochen von Millionen von Menschen.
Jetzt stehen wir vor einem erneuten Zusammenbruch, der genauso bedeutend ist wie der von 1914. Diesmal begann er nicht mit einem Krieg, sondern mit dem Beinahe-Zusammenbruch des gesamten weltweiten Finanzsystems. Aber die Folgen werden dieselben sein, so lange das Profitsystem nicht beseitigt wird.
Der Zusammenbruch von 2008 wurde durch zunehmend fieberhafte Spekulationen vorbereitet und war Zeuge eines wachsenden Parasitentums und unverhüllter Kriminalität bei der Anhäufung von Reichtum. Aber der Zusammenbruch des finanziellen Kartenhauses bedeutete keine Rückkehr zu den vorherigen „normalen“ Bedingungen. Im Gegenteil eröffnete er eine neue Periode der Geschichte, die – in Trotzkis Worten – „von den größten Erschütterungen in den Beziehungen zwischen Klassen und Staaten charakterisiert sein wird.“
Die USA versuchen sich der Krise auf Kosten ihrer Konkurrenten zu entziehen und greifen in ihren internationalen Beziehungen zu unverhüllten Gangster-Methoden, die man in solchem Ausmaß seit den Nazis in den dreißiger Jahren nicht gesehen hat.
Vier Jahre nach dem Zusammenbruch zeigen die jüngsten Zahlen, dass die Bourgeoisie über keinerlei politische Vorstellungen verfügt, wie sie ihre historische Krise bewältigen könnte. Sie kennt nur eine Antwort: neues Leben in die sklerotischen Adern des Profitsystems zu pumpen, indem sie alle sozialen Errungenschaften zerstört, die die Arbeiterklasse in der Nachkriegsperiode erkämpft hat, und sie auf den Stand der Bedingungen der dreißiger Jahre oder sogar darunter zurückzustoßen, indem sie in aller Welt ihre Sparprogramme durchsetzt.
Die Antwort der Arbeiterklasse auf diese soziale Konterrevolution muss in der Entwicklung einer unabhängigen Strategie bestehen: Dem Programm der sozialistischen Weltrevolution zum Sturz des reaktionären Profitsystems und seiner Ersetzung durch eine geplante sozialistische Wirtschaft.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist die einzige Partei auf der Welt, die für diese Perspektive kämpft.