Tschechien: Gewerkschaften stoppen Streik der Transportarbeiter
Von Markus Salzmann
10. März 2010
Der tschechische Gewerkschaftsverband hat am Mittwoch vergangener Woche erneut einen Streik der Beschäftigen im Öffentlichen Nahverkehr abgesagt, der morgen beginnen sollte. Damit unterstützen die Gewerkschaften die Politik der so genannten "Expertenregierung" unter Leitung des parteilosen Technokraten Jan Fischer und die des rechtsgerichteten Präsidenten Vaclav Klaus.
Der bereits seit Wochen geplante Streik war schon einmal verschoben worden. Als Begründung gaben die Gewerkschaften an, sie wollten der Regierung Zeit für weitere Beratung geben. In Wirklichkeit reagieren die Gewerkschaften mit ihrer Streikabsage darauf, dass der Widerstand der Bevölkerung in ganz Europa zunimmt und sie eine gemeinsame europäische Streikbewegung nicht mehr so einfach unter Kontrolle halten und für ihre politischen Manöver einsetzen könnten.
Als es vergangene Woche neben dem Generalstreik in Griechenland auch in zahlreichen anderen europäischen Städten zu Streiks und Protesten kam und es abzusehen war, dass sich auch in Tschechien Tausende Beschäftigte beteiligen würden, beschlossen die Funktionäre der Verkehrsgewerkschaften den Streik zu unterbinden.
Die Streikbereitschaft unter den Beschäftigten war und ist groß. Sie richtet sich gegen eine, Anfang des Jahres in Kraft getretene Bestimmung, die starke Kürzungen bei Zulagen und Vergünstigungen beinhaltet. Diese Zulagen sind für die Beschäftigten dringend notwendig. Die durchschnittlichen Löhne in Tschechien betragen gerade einmal 625 Euro. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten etwa vergleichbar mit denen in Westeuropa.
Die Kürzungen sind Teil von umfangreichen Sparmaßnahmen, die unter Regierungschef Fischer und seinem Vorgänger Mirek Topolanek von der konservativen Bürgerpartei (ODS) eingeleitet wurden.
Diese Angriffe auf die sozialen Errungenschaften und den Lebensstandard der Bevölkerung haben in den letzten Jahren zu einem starken Anwachsen sozialer und politischer Spannungen geführt. 2008 protestierten Tausende öffentlich Bedienstete, Lehrer, LKW-Fahrer, Rentner, Ärzte und Krankenschwestern gegen die tief greifenden Sozialkürzungen der Prager Regierungskoalition, die immer beschönigend als "Reformen" bezeichnet werden.
Um die Absage des Streiks vor den Beschäftigten zu rechtfertigen inszenierten Regierung, Oppositionsparteien und Gewerkschaften ein übles Schmierentheater.
Die Sozialdemokraten der CSSD und die Kommunistische Partei (KSCM) stimmten im Abgeordnetenhaus einer Gesetzesnovelle zu, mit der die Kürzungen zurück genommen werden, wohl wissend, dass dieser Beschluss vom Senat wieder gekippt wird und keinen Bestand haben wird. Auch die letzte Instanz der Gesetzgebung, Staatspräsident Vaclav Klaus, hat bereits angekündigt, falls die Novelle doch den Senat passieren sollte, sein Veto einzulegen. In diesem Fall kehrt die Novelle ins Abgeordnetenhaus zurück und das Spiel beginnt von Vorne.
Die Gewerkschafter nehmen dies als Vorwand und erklärten solange nicht streiken zu wollen, wie in Senat und Abgeordnetenhaus über die Reform diskutiert werde. Nur wenige Stunden vor Streikbeginn erklärte der Chef der Eisenbahnergewerkschaft, Jaroslav Peja, "angesichts des bisher positiv verlaufenden Legislativprozesses habe die Koalition der Gewerkschaftsverbände für Verkehr beschlossen, den geplanten Streik am 4. März nicht auszurufen".
Die rechten Kräfte im tschechischen Parlament überhäuften die Gewerkschaftsfunktionäre mit lobenden Worten. Die christdemokratische Vizevorsitzende, Michaela ojdrová, äußerte am Mittwoch: "Den Gewerkschaften geht es doch um das Gesetz und nicht darum, um jeden Preis zu streiken. Ich glaube, die Gewerkschaften müssen auch ihr Ansehen in der Öffentlichkeit wahren".
Das Einknicken der Gewerkschaften hat die regierende ODS und die rechte TOP 09 darin bestärkt, die Kürzungen durchzusetzen. Der Vorsitzende der ODS, Mirek Topolanek bekräftigte demonstrativ, das ein Streik "Erpressung" sei und sie ihre Position nicht ändern werde. Dabei befürchtet er besonders, dass sich Streiks und Proteste ausdehnen. "Wir fürchten hier einen Präzedenzfall für weitere Streiks. Die Regierung lässt sich so nicht unter Druck setzen", sagte Topolanek.
Präsident Klaus schloss ebenso kategorisch aus die Kürzungen zurück zu nehmen, da diese das Staatsdefizit erhöhen würden. Wirtschaftsvertreter, Politiker und Kommentatoren haben bereits klar gemacht, dass nach den Parlamentswahlen im Mai der jetzige Sparkurs verschärft werden wird.
Das die Gesetzesnovelle für die Rücknahme der Kürzungen überhaupt durch das Abgeordnetenhaus gekommen war ist nur dem Umstand zu verdanken, dass in zwei Monaten Wahlen sind. Gerade die CSSD hat in den letzten 20 Jahren die schärfsten Kürzungen durchgesetzt. Dabei waren, wie in diesem Fall auch, die Gewerkschaften wichtige Erfüllungsgehilfen.
Die Assoziation der selbständigen Gewerkschaften (ASO) in der die Beschäftigten des Transportwesens und die Eisenbahner organisiert sind, ist ein rechter Gewerkschaftsverband, der seit seinem Bestehen eng mit den Regierungen zusammen arbeitet. Die ASO entstand im 1995 aus den Einzelgewerkschaften für Landwirtschaft und Ernährung,
dem Verband der Beschäftigten in nicht-staatlichen Unternehmen und der Tschechischen Gewerkschaft der Beschäftigten in der Energiewirtschaft in Nord- Westböhmen.
Nach dem Beitritt weiterer Einzelgewerkschaften wurde sie nach der CMKOS zum zweitgrößten Gewerkschaftsverband. ASO wurde gezielt als Alternative zur CMKOS gegründet, die vielen Gewerkschaftsfunktionären und Politikern als zu weit links stehend empfunden wurde. Wie die CMKOS auch, beteiligt sich die ASO seit 2000 an den Verhandlungen im Rat für den dreiseitigen Sozialdialog.
Dort schmieden Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften ihre Pläne und wie diese gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden können.
Diese Nähe zu Unternehmern und der Politik ist fest verwurzelt. Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Bürokratie setzte sich die CMKOS sie sich für rasche marktwirtschaftliche Reformen ein, wohl wissend, dass dies Tausenden von Arbeitern die Existenz zerstören würde. Ausdrücklich unterstützten sie alle Maßnahmen, die dem Beitritt zur Europäischen Union vorausgingen - also Lohnsenkungen, Sozialabbau und Privatisierungen.
Da sie dabei rasch an Mitgliedern und Unterstützung verlor, wurde die ASO gegründet, um die unzufriedenen Beschäftigten aufzufangen. Noch stärker als die CMKOS, die in den Nachwendejahren im Schatten der so genannten Demokratiebewegung entstanden ist, basiert die ASO auf zwei ideologischen Pfeilern: Marktwirtschaft und Antikommunismus.
Angesichts der Wirtschaftskrise rücken Regierung und Gewerkschaften noch enger zusammen und spielen eine wichtige Rolle, um die Kosten der Krise auf die Beschäftigten abzuwälzen. In Tschechien steigt die Arbeitslosigkeit steil an. Während die offizielle Arbeitslosenquote im Januar 2009 noch bei 6,8 Prozent lag, stieg sie ein Jahr später auf 9,8 Prozent.