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Der griechische Generalstreik und die Rechtswende der Gewerkschaften

Von Ulrich Rippert
3. März 2010

Die vergangene Woche war von zwei bedeutenden Entwicklungen gekennzeichnet. Eine massive Streikbewegung erschütterte Europa. Wie ein Lauffeuer bereitete sich der Widerstand gegen die von der EU diktierten Sparmaßnahmen und Sozialkürzungen aus, mit denen die europäischen Regierungen die Last der Wirtschaftskrise auf die Bevölkerung abwälzen wollen. In immer mehr Ländern weigern sich die Arbeiter, die Zeche für die milliardenschwere Rettung der Banken zu bezahlen.

Die Gewerkschaften reagieren auf diesen wachsenden Widerstand, indem sie noch enger an die Regierungen heranrücken und sich dem europäischen Geldadel als Erfüllungsgehilfe anbieten. Sie setzen ihren gesamten bürokratischen Apparat ein, um die Mobilisierung der Arbeiter zu beschränken, zu blockieren und unter Kontrolle zu halten. Vor allem wollen sie einen gemeinsamen Kampf der arbeitenden Bevölkerung in Europa gegen die Europäische Union und die hinter ihr stehenden Regierungen verhindern.

Am Montag vergangener Woche streikten in Deutschland 4.500 Piloten der Lufthansa. Am selben Tag traten in Frankreich Fluglotsen und Arbeiter in sechs Raffinerien gleichzeitig in den Ausstand. In Großbritannien stimmten die Flugbegleiter bei British Airways mit über achtzig Prozent für Streik.

Am Dienstag fanden in Madrid, Barcelona und Valencia Protestmärsche gegen die Sparmaßnahmen der Regierung der Sozialistischen Partei (PSOE) von Jose Zapatero statt. Alleine in der spanischen Hauptstadt beteiligten sich 60.000 Menschen.

Am Mittwoch beteiligten sich in Griechenland etwa zwei Millionen Arbeiter an einem Generalstreik, der das Land für 24 Stunden zum Stillstand brachte. Alle Flüge von und nach Griechenland wurden gestrichen, weil sich auch die Fluglotsen am Ausstand beteiligten. Der öffentliche Nahverkehr stand weitgehend still. Die Schulen und Universitäten, die öffentliche Verwaltung, die Krankenhäuser und selbst die Regierungsgebäude blieben landesweit geschlossen.

In der Tschechischen Republik kündigten Gewerkschaften an, in der darauffolgenden Woche das öffentliche Transportwesen lahmzulegen. Und in Portugal ist für den 4. März ein eintägiger Generalstreik gegen den anhaltenden Lohnstopp im öffentlichen Dienst geplant.

Der britische Independent warnte, der Widerstand speise sich aus einer weit verbreiteten Unzufriedenheit. Es zeichne sich die größte Aufstandsbewegung ab, "die der Kontinent seit den revolutionären Stürmen von 1968 erlebt hat".

Die Gewerkschaften reagierten prompt. Als die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit merkte, dass sie an der Spitze einer massiven europäischen Bewegung stand und dass sie sich auf eine Konfrontation mit der Bundesregierung und der EU zubewegte, brach sie den auf vier Tage angesetzten Streik am ersten Tag ab.

Die beiden größten deutschen Gewerkschaften IG Metall und Verdi unterschrieben zur selben Zeit Tarifverträge für nahezu fünf Millionen Beschäftigte, die auf eine Reallohnsenkung hinauslaufen. Die Verträge haben eine außerordentlich lange Laufzeit von 23, bzw. 26 Monaten. Die Gewerkschaften versuchen so zu verhindern, dass es in diesen beiden wichtigen Branchen in den nächsten zwei Jahren zu Tarifauseinandersetzungen kommt.

Die französische Gewerkschaft CGT blies den Streik gegen den Ölgiganten Total in Frankreich ab, ohne eine einzig Forderung der Streikenden durchgesetzt zu haben. In Großbritannien reagierten die Funktionäre der Gewerkschaft Unite auf den Streikbeschluss bei British Airways, indem sie dem Unternehmen versicherten, sie würden keinesfalls über die Osterfeiertage streiken und sich ansonsten auf Schwerpunktstreiks beschränken. Auf diese Weise halten sie den Druck auf die Fluggesellschaft möglichst gering und zermürben die Kampfbereitschaft der Belegschaft.

Auch den griechischen Gewerkschaften diente der Generalstreik der vergangenen Woche als Ventil, um Druck abzulassen und den Widerstand gegen die drastischen Sparmaßnahmen der Papandreou-Regierung unter Kontrolle zu halten. Beide großen Gewerkschaften in Griechenland, die GSSE für die Beschäftigten in der Privatwirtschaft und die ADEDY für den öffentlichen Dienst, unterstützen die PASOK-Regierung und bemühen sich, ihr den Rücken frei zu halten. Der Vorstandssprecher der GSSE, Statis Anesti, versicherte der World Socialist Web Site letzte Woche: "Es ist nicht so, dass wir uns Streiks wünschen." Seine Gewerkschaft sei bereit, auch harte Maßnahmen zu akzeptieren, aber diese müssten gerecht verteilt sein.

Drei Tage nach dem griechischen Generalstreik sagten die Gewerkschaften in Tschechien den für Montag angekündigten Streik der Transportarbeiter ab.

Selten zuvor haben sich die Gewerkschaften derart offenkundig bemüht, den Klassenkampf zu unterdrücken. Die Offensive gegen die Kürzungsmaßnahmen der Regierungen, die in mehreren europäischen Ländern begonnen hat, kann nur in einem systematischen Kampf gegen die gewerkschaftliche Bevormundung und Unterdrückung fortgesetzt und weiterentwickelt werden.

Der Rechtsdrall der Gewerkschaften, ihre systematische Spaltung der Arbeiter, ist direkt mit ihrer politischen Orientierung verbunden, in deren Mittelpunkt die Verteidigung der bürgerlichen Ordnung und kapitalistischen Eigentumsverhältnisse steht. In den Nachkriegsjahren des vergangenen Jahrhunderts konnten die Gewerkschaften ihre Verteidigung des Kapitalismus hinter einem ausgeprägten System von Sozialpartnerschaft und Mitbestimmung verbergen. Sie waren in der Lage, einige soziale Verbesserungen zu erreichen, die aber längst der Vergangenheit angehören.

Bereits vor dem Ausbruch der jüngsten Wirtschaftskrise haben die Gewerkschaften die Europäische Union und die Einführung des Euro unterstützt. Sie haben die Restauration des Kapitalismus in Osteuropa begrüßt und ihre Funktionäre in den Osten geschickt, um Niedriglöhne einzuführen, die dann als Hebel zur Senkung der Löhne im Westen dienten. Sie versprachen Aufschwung und Prosperität, stattdessen kamen wirtschaftlicher und sozialer Niedergang.

Die internationale Wirtschaftskrise hat ein neues Stadium der Krise eingeläutet. Die internationalen Banken, die die Krise durch hemmungslose Spekulationsgeschäfte ausgelöst haben, sind entschlossen, ihre Folgen auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Die Ereignisse der vergangenen Woche zeigen, dass sie dabei auf heftigen Widerstand stoßen. Unter diesen Bedingungen stellen sich die Gewerkschaften auf die Seite der Banken und versuchen mit allen Mitteln, einen internationalen Zusammenschluss und eine sozialistische Entwicklung der Arbeiterklasse zu verhindern.

Diese Haltung der Gewerkschaften hat eine lange Tradition. Schon vor hundert Jahren standen sie auf dem rechten Flügel der Arbeiterbewegung und stellten sich in Zeiten revolutionärer Klassenkämpfe offen auf die Seite der Reaktion.

Rosa Luxemburg, die herausragendste Vertreterin des marxistischen Flügels der SPD, hatte auf Gewerkschaftskongressen jahrelang Redeverbot. Während der Massenstreikdebatte vor dem Ersten Weltkrieg nahm der Hass der Gewerkschaftsführer gegen den revolutionären Flügel der SPD hysterische Formen an. Im September 1906 legten die Gewerkschaftsführer auf dem Mannheimer SPD-Parteitag in einer Resolution fest, dass der Parteivorstand in allen wichtigen Fragen mit der Generalkommission der Gewerkschaften zusammenarbeiten müsse.

Heute weiß man, dass damals die Weichen in eine verheerende Richtung gestellt wurden: Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, Burgfrieden während des Ersten Weltkriegs und schließlich, im April 1933, das Angebot des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) zur Zusammenarbeit mit dem Hitlerregime.

Dieser Rechtsruck der Gewerkschaften ist nicht nur ein Ergebnis des korrupten gewerkschaftlichen Milieus, er ist eine Folge des Charakters der Gewerkschaften selbst. "Da sie sich auf den Boden der kapitalistischen Produktionsverhältnisse stellen, sind die Gewerkschaften von ihrem ganzen Charakter her dazu gezwungen, gegenüber dem Klassenkampf eine feindliche Haltung einzunehmen", wie David North, der Chefredakteur der World Socialist Web Site, in einem Vortrag über die historischen Erfahrungen mit den Gewerkschaften erklärte.

"Da ihre Anstrengungen darauf gerichtet sind, sich mit den Arbeitgebern über den Preis der Arbeitskraft und die allgemeinen Bedingungen der Mehrwerterzeugung zu einigen, müssen die Gewerkschaften auch sicherstellen, dass ihre Mitglieder ihre Arbeitskraft entsprechend der ausgehandelten Verträge zur Verfügung stellen. Wie Gramsci bemerkte: ‚Die Gewerkschaften vertreten die Legalität und müssen ihre Mitglieder zur Beachtung dieser Legalität veranlassen.‘ Die Verteidigung der Legalität bedeutet die Unterdrückung des Klassenkampfs. Das führt naturgemäß dazu, dass sich die Gewerkschaften langfristig selbst das Wasser abgraben. Sie unterhöhlen selbst ihre Fähigkeit, auch nur jene beschränkten Ziele zu erreichen, die sie sich offiziell gesetzt hatten. Hier liegt der Widerspruch, an dem das Gewerkschaftertum krankt."

Die Sprengung der bürokratischen Zwangsjacke der Gewerkschaften erfordert einen Bruch mit ihren beschränkten, nationalistischen Konzeptionen. Die drakonischen Sparmaßnahmen, die die internationalen Banken der griechischen Regierungen diktieren, bilden den Auftakt zu einer "Schock-Therapie" in allen europäischen Ländern und auf der ganzen Welt. Der Kampf dagegen erfordert eine neue Partei und ein internationales sozialistisches Programm, in dessen Mittelpunk die Enteignung der Banken, die Errichtung von Arbeiterkontrolle über die Produktion und die Bildung einer Arbeiterregierung stehen.

Der Autor empfielt: David North: Marxismus und Gewerkschaften (Januar 1998) (http://www.wsws.org/de/sydney/gewerk.htm)