Neonazi-Aufmarsch in Duisburg: Wer sind die politisch Verantwortlichen?
Von Dietmar Henning
27. März 2010
An diesem Wochenende demonstrieren Neonazis und Rechte in Duisburg gegen Ausländer. Die Demonstrationszüge von NPD und Pro NRW sollen im nördlichen Duisburger Stadtteil Marxloh direkt an der Merkez-Moschee vorbeiführen. Gegen diese offene Provokation in einer Stadt, in der jeder Dritte Einwohner einen Migrationshintergrund aufweist, hat sich ein breites Bündnis unter dem Titel "Duisburg stellt sich quer" gebildet.
Um es vorweg zu sagen: Wir begrüßen eine breite Mobilisierung gegen den Aufmarsch der Neonazis. Aber einige Tatsachen müssen beim Namen genannt werden.
Zu allererst: Der Kampf gegen Rechts erfordert den Aufbau einer Partei, die konsequent gegen den Kapitalismus kämpft und die Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms mobilisiert. Denn der Nährboden der rechtsradikalen Brut ist der soziale und kulturelle Niedergang einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung beruht und immer größere Teile der Bevölkerung in soziales Elend treibt.
Es sind gerade die Organisationen und Parteien, die nun Empörung gegen die Nazis heucheln, die mit ihrer kapitalistischen und unsozialen Politik ermöglichen, dass die Neonazis selbstbewusst ihr Haupt erheben: Die Berliner Parteien und die Gewerkschaften.
Die Neonazis in Deutschland und in Europa sind weitgehend eine Kreation von oben. Das heißt, sie werden von Teilen des Staats und der Medien gezielt gefördert, um den wachsenden Widerstand gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau in rassistische und rechte Bahnen zu lenken. Das Bundesverfassungsgericht stellte 2003 fest, dass jeder siebte Funktionär der NPD auf den Gehaltslisten des Verfassungsschutzes steht. Es lehnte ein Verbot der Partei mit der Begründung ab, es handle sich "der Sache nach um eine Veranstaltung des Staates". Die NPD erhält Millionen an Wahlunterstützung aus Steuergeldern. Die Polizei schützt ihre Demonstrationen und geht gezielt gegen ihre Gegner vor.
Auch der Rechtspopulist Geert Wilders in den Niederlanden kommt aus der liberalen Partei VVD, die jahrelang mit den Christ- und Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung Sozialkürzungen und die Abschaffung demokratischer Rechte insbesondere für Flüchtlinge und Ausländer durchgesetzt hat. Die Hetze Wilders wird bereitwillig von den Medien verbreitet, die Regierung gewährt ihm rund um die Uhr Polizeischutz.
Im Aufruf des Bündnisses "Duisburg stellt sich quer" heißt es, hinter der "scheinbaren bürgerlichen Fassade" von Pro NRW verstecke sich "eine tiefe Verachtung, die sich in Wirklichkeit gleichermaßen gegen Muslime, MigrantInnen und Hartz-IV-Betroffene" richte. Als stehe Verachtung gegen Ausländer und Arme im Widerspruch zur "bürgerlichen Fassade".
Es ist der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), der seit Monaten die Trommel der Ultrarechten rührt und abwechselnd gegen Immigranten und Langzeitarbeitslose hetzt. Mal wirft er Türken und Arabern vor, sie hätten "keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel", speziell die Türken, würden ständig nur neue "Kopftuchmädchen" produzieren, "und Deutschland durch eine hohe Geburtenrate erobern". Dann empfiehlt er Hartz-IV-Empfängern "kalt zu duschen" und so zu sparen.
Die Berliner Landesschiedskommission der SPD hat nun entschieden, dass seine Ausfälle gegenüber Immigranten "nicht beharrlich gegen Beschlüsse des Parteitages oder der Parteiorganisation" stehen. Im Gegenteil, seine Hetze könne "zugleich auch nützlich sein, indem sie die Diskussionen voranbringt". Im Klartext: die Hetze Sarrazins ist mit dem Programm der SPD vereinbar.
Die rassistische Kampagne von Sarrazin und vielen anderen Vertretern der herrschenden Klasse wird gezielt eingesetzt, um die soziale Krise in reaktionäre Kanäle zu lenken. Das ist in den Niederlanden und Frankreich mit der Kampagne gegen den Islam genauso der Fall wie in Deutschland.
Wenn diese Parteien und die Gewerkschaften jetzt über Integration und ein "vereintes Miteinander" schwadronieren, um von ihrer eigenen Rolle abzulenken, sollten sie mit der gebührenden Verachtung zurückgewiesen werden. Moralische Entrüstung, Menschenketten und Friedensgebete werden dem rechten Spuk ebenso wenig ein Ende bereiten wie Appelle an den Staat, die NPD zu verbieten. Letzteres stärkt nur die autoritäre Macht des Staatsapparats, der diese unweigerlich gegen seine linken Gegner einsetzen wird. Auch Sitzblockaden, der Bau von Barrikaden und das Werfen von Molotowcocktails geht am Kern des Problems vorbei: der politischen Lähmung der Arbeiterklasse durch die politischen und gewerkschaftlichen Apparate.
Die Rechten wagen sich vor allem deshalb aus ihren Löchern, weil die arbeitende Bevölkerung derzeit keine Stimme hat. Seit Jahren werden Arbeitsplätze vernichtet, Löhne gesenkt und soziale Rechte abgebaut, während sich am anderen Ende der Gesellschaft Banker und Spekulanten schamlos bereichern.
Die CDU von Angela Merkel ist dafür ebenso verantwortlich, wie die SPD und die Grünen, die Hartz IV erfunden haben. Auch die Linkspartei organisiert überall dort, wo sie in Regierungsverantwortung sitzt, den sozialen Kahlschlag. Die Gewerkschaften unternehmen ihrerseits alles, um jeden sozialen Protest im Keim zu ersticken.
Duisburg mit seinen rund 500.000 Einwohnern ist ein grelles Beispiel für die Folgen dieser gemeinsamen Politik. Die soziale Misere ist hier mit Händen zu greifen: 70.000 Menschen sind von Hartz-IV abhängig, mit offiziell 13,5 Prozent weist Duisburg die höchste Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet auf. Die Armut konzentriert sich dabei in einigen Stadtteilen, insbesondere in den ehemaligen Stahl- und Kohlearbeitergebieten im Norden. Hier wohnen verhältnismäßig viele Duisburger ausländischer Herkunft, da sie weitaus stärker vom sozialen Niedergang betroffen sind. Im ehemaligen Bergarbeiter-Stadtteil Walsum lebt fast jeder Dritte Ausländer von Hartz-IV, im Walsumer Ortsteil Aldenrade und in Marxloh, dem Aufmarsch-Ort der Neonazis, sogar jeder Zweite. Im Ortsteil Bruckhausen, mit seinen fast 6.000 überwiegend türkischen Bewohnern sind mehr als 80 Prozent der unter 25jährigen von Hartz-IV abhängig. Es ist übrigens auch dieses Elend und die Enttäuschung, die Immigranten Zuflucht in der Religion suchen lässt.
Auch in Duisburg stehen alle Parteien zusammen, wenn es um Kürzungen geht. Erst am Dienstag verabschiedete der Rat der Stadt einen drastischen Kürzungshaushalt mit den Stimmen der SPD, den Grünen und der Linkspartei, die ihn auch gemeinsam ausgearbeitet haben. Auf der DGB-Kundgebung am Sonntag spricht neben Sozialdemokraten und einem Kirchenvertreter auch der CDU-Bürgermeister Adolf Sauerland. Die Parteien und die Gewerkschaften, die eng mit SPD und Linkspartei verbunden sind, haben für die Bevölkerung und deren Bedürfnisse nur Verachtung übrig.
Daher findet sich im Aufruf des Bündnisses "Duisburg stellt sich quer", in dem Linkspartei und Gewerkschaften den Ton angeben, die Behauptung, die Rechten und Neonazis könnten sich auf eine antiislamische Debatte stützen, "welche aus der Mitte der Gesellschaft angestoßen wird". Wer soll das sein, die "Mitte der Gesellschaft"? Die Bevölkerung?
Überall suchen Arbeiter und Jugendliche nach Mitteln und Wegen, gegen Sozialabbau, Militarismus und die Beseitigung demokratischer Rechte anzukämpfen. Doch sie werden dabei von der SPD, der Linkspartei und den Gewerkschaften systematisch blockiert.
Das eigentliche Problem sind heute nicht die Neonazis, die Gehör unter verwirrten Schichten finden, sondern die Parteien und Gewerkschaften, die den sozialen Kahlschlag organisieren und jeden Widerstand dagegen ersticken.
Man sollte nicht vergessen, dass Hitler seinen Erfolg 1933 weniger der Stärke der eigenen Bewegung, als der Lähmung der Arbeiterbewegung verdankte. Die SPD paralysierte damals ihre Anhänger, indem sie sklavisch auf den Staat und Präsident Hindenburg vertraute, die KPD, indem sie den Kampf für eine Einheitsfront gegen die Nazis durch ultralinkes Geschrei ersetzte.
Doch 2010 ist nicht 1933. Eine politische und soziale Offensive der Arbeiterklasse würde sofort das rechte Gesindel wie Spreu auseinander treiben und all jenen Mut einflößen, die durch den sozialen Niedergang deprimiert sind.
Der Kampf gegen Rechts ist deshalb untrennbar mit dem Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse verbunden. Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Klassenspaltung der Gesellschaft enorm zugespitzt. In allen Ländern - allen voran in Griechenland - gehen die Regierungen dazu über, die Milliardenbeträge, die sie an die Banken verschleudert haben, von der arbeitenden Bevölkerung wieder hereinzuholen.
Eine unabhängige Bewegung muss damit beginnen, alle Arbeiter, Jugendlichen und sozial Abhängigen über sämtliche nationalen, ethnischen und kulturellen Grenzen hinweg zusammen zu schließen. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Deutschen und Ausländern, sondern zwischen Arbeitern und Kapitalisten.
Sie muss allen Kürzungen und Entlassungen kompromisslos entgegentreten und für ein sozialistisches Programm kämpfen. Die großen Banken und Konzerne müssen vergesellschaftet, die Produktion nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen und nicht nach den Profitinteressen der Kapitalbesitzer ausgerichtet werden. Sie muss Arbeiterkomitees errichten, die den Widerstand organisieren, und eine neue Arbeiterpartei aufbauen.
Die Partei für Soziale Gleichheit kämpft für den Aufbau einer neuen internationalen, sozialistischen Arbeiterpartei. Als deutsche Sektion der Vierten Internationale stehen wir in der trotzkistischen Tradition, die den Marxismus gegen Sozialdemokratie und Stalinismus verteidigt hat. Wir rufen alle Teilnehmer der heutigen Demonstration auf, mit der PSG und ihrer Jugendorganisation, den International Students for Social Equality (ISSE), Kontakt aufzunehmen und unsere tägliche Publikation im Internet, die World Socialist Web Site, zu lesen.