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Finanznot der Kommunen:

Von der Kulturhauptstadt zur kulturellen Wüste

Von Fuchs Sybille
13. März 2010

An den massiven Kürzungen im Bereich der Kultur zeigt sich, welchen Stellenwert die bürgerliche Gesellschaft ihr heute noch zubilligt. Obwohl der Kulturetat bei den Kommunen nur einen geringen Teil der Gesamtausgaben ausmacht, gehört er zu den am meisten von Kürzungen betroffenen. Insgesamt machen die kulturellen Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen weniger als ein Prozent aller öffentlichen Ausgaben aus. Aber diese Ausgaben gehören zu den so genannten "freiwilligen Leistungen", die den Städten und Gemeinden nicht durch Gesetze vorgeschrieben sind. Zu anderen Ausgaben - etwa für Schulen oder für die Unterkunft von Hartz-IV-Empfängern - sind die Kommunen dagegen gesetzlich verpflichtet. Sie werden zwar ebenfalls gekürzt, dürfen aber (noch) nicht ganz gestrichen werden.

Die Ruhrgebietsstadt Essen fungiert zusammen mit den angrenzenden Kommunen in diesem Jahr als europäische Kulturhauptstadt. Verzweifelt versuchen sie, sich trotz der finanziellen Engpässe das Image pulsierender, kulturell vielseitiger Metropolen zu verleihen. Eine Vielzahl interessanter Veranstaltungen, Ausstellungen, Museumsneueröffnungen, Theaterinszenierungen vermitteln ein buntes Bild einer attraktiven Region im Umbruch. Aus verfallenden Gebäuden der aufgegebenen Schwerindustrie wurden Veranstaltungsorte für kulturelle Ereignisse.

Diese Umnutzung ist in vielen Fällen ein Verdienst der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (1989 bis 1999), eine der letzten größeren Anstrengungen, dem ausblutenden Revier ein Stück Lebensqualität zurückzubringen. Die Route der Industriekultur führt zu Fabrik- und Zechendenkmälern, die zu Museen, Kreativ- oder Umweltzentren umgewidmet wurden.

Zwar droht vielen der damals angestoßenen Projekte inzwischen das finanzielle Aus, aber stadteigene Marketingagenturen werben weiter mit der kulturellen Vielfalt der Region, um Investoren anzuziehen. Die Zeche Zollverein in Essen, in der die Kulturhauptstadt 2010 im Januar eröffnet wurde, ist jetzt Heimat des neuen Ruhrmuseums und zum Weltkulturerbe aufgestiegen. Das Museum Folkwang in Essen, seit den 1920er Jahren ein Zentrum der klassischen Moderne, erhielt einen Neubau von David Chipperfield und lockt mit einer grandiosen Ausstellung.

Anselm Weber, der Intendant des Essener Grillo-Theaters, sieht die Stadt als "Mittelpunkt allen sozialen Lebens". Aber sein Theater, das immer wieder gelobt wurde, weil es künstlerisch anspruchsvolle Stücke mit Jugendlichen, Alten und Stadtteilbewohnern auf die Bühne brachte, soll jetzt gerade an dieser Arbeit einsparen.

Essen ist Sitz großer Konzerne wie Eon Ruhrgas und RWE, die gelegentlich etwas für die Kultur springen lassen. Aus der Krupp-Stiftung kamen z. B. die 55 Millionen Euro für den Neubau des Museum Folkwang. Aber für die Folgekosten muss die Stadt selbst aufkommen. Das bedeutet, dass jetzt unter anderem am Grillo-Theater gespart wird.

So bröckelt es überall gewaltig hinter der bunten Fassade der Kulturhauptstadt und des kulturellen Wandels der Region mit ihren fast 300.000 offiziellen Arbeitslosen und einer düsteren Zukunft für die Jugend. Fast alle 53 Ruhr-Kommunen fahren einen Nothaushalt oder stehen kurz davor und haben für alle nur möglichen Bereiche - und gerade auch für die Kultur - massive Sparkonzepte vorgelegt.

Viele Projekte der Kulturhauptstadt 2010 mussten schon während der Vorbereitungszeit zurückgefahren, abgespeckt oder ganz gestrichen werden, weil kein Geld dafür da war. Etliche Sponsoren hielten ihre Finanzzusagen nicht ein. Statt der anvisierten 80 Millionen Euro musste der Etat auf 62,5 Millionen Euro zusammengestrichen werden. Was den geschäftsführenden Vorstand Fritz Pleitgen zu dem Seufzer veranlasste, so schwer habe er sich die Aufgabe nicht vorgestellt.

Noch schlimmer aber sieht es jenseits des Kulturhauptstadtbetriebs aus. Zahlreichen kleineren Kulturprojekten, die seit Jahren oder Jahrzehnten mit viel Eigeninitiative, ehrenamtlicher Arbeit, Selbstausbeutung und wenig öffentlicher Förderung auf die Beine gestellt wurden, droht jetzt das Aus, weil die letzen öffentlichen Mittel gestrichen werden. Das gilt besonders für Einrichtungen freier Träger, in denen z. B. attraktive Konzerte und Kurse für Jugendliche oder Theaterarbeit gerade auch in den weniger privilegierten Stadtvierteln stattfinden.

So warnen die Fördervereine der freien Träger in Duisburg davor, dass durch die von der Stadt geplanten Sparmaßnahmen im Jugendbereich (10 Prozent 2010 und 30 Prozent 2011) jede dritte Einrichtung schließen müsse. Auch kommunale Kinos, die mit moderaten Eintrittspreisen und einem Filmangebot, das über die Blockbuster des Mainstreams hinausgeht, einen hohen Bildungsauftrag erfüllen, können die drohenden Sparorgien kaum überleben.

Ein Aufruf der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultureller Zentren in Nordrhein-Westfalen warnt davor, eine Neiddebatte zu erzeugen, indem Angebote "für Kinder- und Jugendliche, für Hartz IV-EmpfängerInnen, für Opern- und KonzerthausbesucherInnen, Volkshoch- und Musikschulen oder die Angebote der soziokulturellen Zentren und freien Gruppen" gegeneinander ausgespielt werden. Durch die "sparende Stadt" drohe die Rückkehr der "segregierten Stadt, wie im 19. Jahrhundert: die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen und die Abbruchbuden außerhalb."

Neben der Schließung von Bibliotheken, der Mittelstreichung für den Erwerb neuer Bücher und Medien, der Austrocknung der Etats für Museen, die entweder an Ausstellungen, an Katalogen, Restaurationen oder am museumspädagogischen Dienst oder allem zugleich sparen müssen, werden ganz besonders die Bühnen von den Sparzwängen heimgesucht.

Theater auf der Abschussliste

Der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow ist der Auffassung, die Städte an Rhein und Ruhr hätten ihr Sparpotential längst nicht ausgeschöpft. Neben der Zusammenlegung von Verwaltungen oder ganzen Städten machte er in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung Vorschläge, wie weiter an der Kultur gespart werden könne. So monierte er, dass in Oberhausen jede Theaterkarte mit 146 Euro bezuschusst werde: "Warum können die Oberhausener nicht ins Grillo-Theater nach Essen fahren?" meinte er, wo doch dort die Eintrittskarte nur mit 93 Euro bezuschusst werde. Schon mit Kooperationen der Theater ließe sich viel sparen. Ausdrücklich lobte er "den Mut der Wuppertaler, ihr Schauspielhaus zu schließen".

Dass die Vielzahl der Theater im stark von der Industrie und schwerer Arbeit geprägten Ruhrgebiet und seiner Umgebung eine von den Einwohnern in vielen Jahrzehnten mit ihren Steuer und Eintrittsgeldern bezahlte kulturelle Errungenschaft ist, die auch in zahlreiche freie Theatergruppen, Laien- und Jugendtheater ausstrahlt, spielt bei diesen Sparvorschlägen offenbar keine Rolle.

Von besonders hohem Wert sind die Kinder- und Jugendtheater und die theaterpädagogische Arbeit, die einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung eines kritischen Bewusstseins der Jugend leisten. Abgesehen davon, dass auch an den Theatern und Orchestern viele Arbeitsplätze hängen, haben solche künstlerischen Einrichtungen gerade in wirtschaftlich schlechten und von sozialer Deprivation gekennzeichneten Zeiten eine wichtige Funktion. Sie sind durch die Auswahl der Stücke und die Art der Inszenierung in der Lage, das Bewusstsein auf die wunden Punkte der Gesellschaft zu lenken.

Die deutsche weitestgehend von der öffentlichen Hand getragene Theaterkultur ist weltweit ziemlich einzigartig und eine Errungenschaft des deutschen Bürgertums und nicht zuletzt der Arbeiterbewegung des 19. und frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Solche historisch gewachsenen Kulturtraditionen lassen sich nicht einfach abschalten und in wirtschaftlich besseren Zeiten in ferner Zukunft plötzlich wiederbeleben. Jedes gute Theater hat seine künstlerischen Traditionen und schöpft aus seiner unmittelbaren Umgebung und der Reaktion seines Publikums neue Anregungen, mit denen es dann mehr oder weniger direkt wieder auf die Gesellschaft einwirken kann. Theaterschließungen wären ein Schritt hin zur Barbarei - abgesehen davon, dass die Schließung eines Theaters einen defizitären Kommunalhaushalt nicht sanieren könnte.

Die Kürzungen bei den Theatern gehen bereits seit Jahrzehnten vor sich, erreichen jedoch mit den jüngsten Vorschlägen neue Dimensionen. Betriebsräte der großen deutschen Theater beklagen, dass seit den 1990er Jahren kontinuierlich Geld für die Theater gestrichen wird und Haustarife abgeschlossen werden, durch die das Lohnniveau gedrückt wird.

"Gegen Trostlosigkeit"

"Protest gegen Trostlosigkeit" hatte ein Demonstrant in Wuppertal auf sein Transparent geschrieben, als sich zahlreiche Einwohner vor dem Rathaus versammelten. Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) hatte vorher einen Sparkatalog verkündet, der nicht nur Gebühren- und Steuererhöhungen, sondern unter anderem auch die Schließung von Schwimmbädern und Bibliotheken umfasst. Der Etat für die Städtischen Bühnen soll um ein Fünftel gekürzt werden, was unweigerlich die vollständige Schließung einer Sparte, aller Voraussicht nach die des Schauspielhauses, zur Folge hat, dessen Bau zur Zeit saniert werden soll.

Jung bedauert seinen Katalog, begründet ihn aber damit, dass allein das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der Bundesregierung die Stadt zwischen sechs und acht Millionen Euro koste und seine Stadt jedes Jahr 20 bis 25 Millionen neue Schulden aufnehmen müsse, um ihren gesetzlich vorgeschriebenen Anteil am Aufbau Ost zu finanzieren.

Der Wuppertaler Stadtkämmerer Johannes Slawig geht davon aus, dass die bisher von den Kommunen angekündigten Kürzungen erst die Spitze des Eisbergs sind und erst nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl die ernsthaften Sparkataloge präsentiert werden. Viele Kommunalpolitiker halten mit dem vollen Umfang ihrer Sparpläne noch hinter dem Berg, weil sie ihren jeweiligen politischen Parteien im Wahlkampf nicht die Chancen verschlechtern wollen.

In einem Theater-Marathon über 24 Stunden traten Ende Januar in Wuppertal Künstler aus mehr als 20 Theatern und Opernhäusern, u. a. aus Essen, Bochum, Bielefeld und Köln, im Foyer des Wuppertaler Schauspielhaus auf. Sie kämpften dort nicht nur aus Solidarität mit den Wuppertalern, sondern gleichzeitig auch für ihre ebenfalls bedrohten Spielstätten. Der erst in dieser Spielzeit nach Wuppertal berufene Schauspieldirektor Christian von Treskow sieht sich und sein Ensemble zu recht auf "vorgeschobenem Posten in einem Kampf um die Zukunft des Theaters in Deutschland".

Wie die Wuppertaler Künstler stehen Theaterleute in der ganzen Bundesrepublik vor existenziellen Problemen. Der kulturelle Stolz der Rhein-Main-Region, das Nationaltheater Mannheim, das älteste Deutschlands, verkommt. Das Dach ist undicht, bei heftigem Regen müssen im Bühnenbereich Eimer aufgestellt werden. Der Bühnenboden verrottet, so dass aus Sicherheitsgründen eine Schließung droht. An der Fassade bröckeln Steinplatten ab. Foyer und Treppenhäuser entsprechen nicht mehr den heutigen Brandvorschriften. Die Haustechnik ist restlos veraltet, vielfach gibt es dafür kaum noch Ersatzteile. Aber die Stadt Mannheim, die sich für 2020 zur Kulturhauptstadt bewerben möchte, kann die fälligen 25 Millionen Euro für eine Sanierung nicht aufbringen, weil sie mit fast einer Milliarde verschuldet ist.

Die Intendantin Regula Gerber hat zwar einen Fünf-Jahres-Vertrag mit der Stadt über 29 Millionen Euro an Zuschüssen. Aber der hindert die Stadt nicht, weitere Einsparungen zu fordern. Das Personal wurde schon in den letzten Jahren ständig verringert, und man versuchte, mit viel weniger Leuten die Leistungen aufrecht zu erhalten. Eine Erhöhung der Kartenpreise hält Gerber für unausweichlich. Auch eine Verringerung der Neuinszenierungen ist angedacht, was natürlich Auswirkungen auf die Struktur der Abonnements und damit auf die Einnahmen hätte. Dabei merken die Theater jetzt schon, dass sich die Wirtschaftskrise auf die Ausgabenfreudigkeit der Theaterbesucher auswirkt. Sie gehen weniger ins Theater und greifen eher zu den billigen Plätzen.

Die geplanten finanziellen Kürzungen in vielen deutschen Theatern gehen an die Substanz. Das trifft große wie kleine Häuser. So soll auch das kleinste kommunale Theater in Erlangen in diesem Jahr 48.000 Euro einsparen, obwohl sich die Bühne des wunderschönen Rokokotheaters großen Zuspruchs erfreut und mit ausverkauften Vorstellungen aufwarten kann.

Oberhausen muss sich jede Ausgabe von Düsseldorf genehmigen lassen. Die Stadt hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung Deutschlands, fast 14 Prozent Arbeitslosigkeit und ein Drittel aller Kinder leben unter der Armutsgrenze, weil der industrielle Schwerpunkt der Stadt, die Kohle- und Stahlindustrie vollständig weggebrochen ist, Auch das Oberhausener Theater, dessen Inszenierungen nicht nur in der regionalen Presse gelobt werden, ist bedroht. Es drohen Kürzungen von zwei Millionen Euro im Jahr. Das heißt, dass etliche Produktionen im Großen Haus wegfallen müssen.

Das Musiktheater Gelsenkirchen und die Dortmunder Bühnen müssen 2010 mit je einer Million Euro weniger auskommen. Das Schlosstheater Moers ist durch die Sparvorschläge des Kämmerers ebenfalls existenziell gefährdet. Der Intendant Ulrich Greb befürchtet, bereits im Sommer den Spielbetrieb einstellen zu müssen. In fünf Jahren stünde die Bühne nach diesen Plänen nur noch mit einem Schauspieler und ohne Bühnenbild da. Diese Liste der betroffenen Bühnen ließe sich beliebig verlängern.

Einen besonderen Schildbürgerstreich leistet sich die Stadt Köln. Das dortige denkmalgeschützte Schauspielhaus sollte abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Weil der sich aber als zu teuer herausstellte, wurde eine abgespeckte Version beschlossen, die nach Ansicht der Fachleute einen ordentlichen Schauspielbetrieb nicht gewährleisten würde. Die Schauspieldirektorin, Ensemble und zahlreicher Künstler und an der Kultur interessierte Kölner haben sich zusammengeschlossen und kämpfen jetzt mit fantasievollen Aktionen für eine wesentlich billigere Sanierung des alten Schauspielhauses.

Wie in Köln und Wuppertal beginnt sich gegen diese Kürzungsorgien Widerstand zu regen. Die Protestierenden wollen nicht zulassen, dass die Kultur geopfert wird, während ein riesiger Teil der Steuermilliarden an die Banken und Finanzinstitute verschleudert wurde.

Siehe auch:
Sozialer Kahlschlag in den Kommunen
(12. März 2010)