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Streik der Einwanderer in Italien

Von Marianne Arens
4. März 2010

"Erster März 2010 - 24 Stunden ohne uns". Unter diesem Motto beteiligten sich mehrere Zehntausend Einwanderer in sechzig italienischen Städten an Streiks und Kundgebungen, um gegen die rassistische Politik der Regierung Berlusconi und für gleiche Rechte für alle zu demonstrieren.

Allein in Neapel waren es über zwanzigtausend, in Bologna über zehntausend und in Mailand rund zweitausend Teilnehmer. Weitere Schwerpunkte waren Rom, Florenz, Turin, Triest, Varese und auch das sizilianische Palermo. Die Fotos zeigen viele handgeschriebene Plakate und Transparente mit Texten wie "Einwanderung ist kein Verbrechen", "Schluss mit dem Schweigen - gleiches Recht für alle", "Jeder Mensch ist Ausländer - fast überall".

In Italien leben und arbeiten fast fünf Millionen Nicht-Italiener, das sind rund acht Prozent der Bevölkerung. In der Landwirtschaft ist jeder zehnte Arbeitnehmer ausländischer Herkunft. Etwa die Hälfte der Einwanderer sind Europäer, etwa 25 Prozent Afrikaner, und viele Arbeiter stammen auch aus China oder Indien. Sie arbeiten vor allem in der Landwirtschaft, bei der Obsternte, für den Tourismus, in der Textilindustrie und im Bauwesen.

Seit der Verschärfung ausländerfeindlicher Maßnahmen durch die Regierung Berlusconi sind die Bedingungen für Immigranten schwieriger geworden: So kostet eine Aufenthaltsgenehmigung und ihre Verlängerung bis zu 200 Euro. Illegale Einwanderung wird als Straftat mit bis zu 10.000 Euro bestraft. Einwanderer ohne gültige Papiere können bis zu sechs Monate lang im Abschiebelager festgehalten werden. Die Kommunen dürfen private Bürgerpatrouillen unterhalten, und Lehrer, Krankenschwestern und Vermieter sind verpflichtet, illegale Immigranten zu melden.

Einwanderer ohne Papiere sind zunehmend unmenschlichen Arbeitsbedingungen unterworfen, von denen auch die Mafia profitiert. Im Januar protestierten in der süditalienischen Stadt Rosarno mehrere Tausend afrikanische Wanderarbeiter gegen Arbeitsbedingungen, die an Sklaverei erinnern. Sie schufteten in der Orangenernte, die von der ’Nndragheta kontrolliert wird, und waren lebensbedrohenden Schikanen ausgesetzt.

Mitte Februar löste der Tod eines jungen Ägypters in Mailand Straßenkämpfe zwischen ägyptischen und lateinamerikanischen Jugendlichen aus. Die Unruhen wurden rasch von Polizei und Militär niedergeschlagen, doch sie zeigten, wie explosiv die Lage ist.

Nicht bloß ausländische Arbeiter sind betroffen, auch italienische Arbeiter sind einem immer stärkeren Druck ausgesetzt. Anfang des Jahres gab Fiat-Chef Sergio Marchionne die Schließung des sizilianischen Werks Termini Imerese und den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen bekannt. Darauf kam es auf Sizilien zu verzweifelten Aktionen von entlassenen Arbeitern der Zulieferindustrie, die zwei Wochen lang ein Fabrikdach besetzten. Die Metallgewerkschaften reagierten Anfang Februar mit einem vierstündigen, nationalen Streik bei Fiat, um Dampf abzulassen.

Von der Aktion der Einwanderer distanzierten sich die Gewerkschaften scharf. Guglielmo Epifani, Generalsekretär der GCIL, des größten Gewerkschaftsverbands Italiens, erklärte einen "bloßen Einwanderer-Streik" für falsch: "Ich glaube nicht, dass der beste Weg darin besteht, ein Instrument anzuwenden, das isoliert und spaltet."

Die Aktion vom ersten März war im Wesentlichen über das Internet vorbereitet worden. Auch in Frankreich, Spanien und Griechenland fanden an diesem Tag Protestaktionen und Streiks der Einwanderer statt. Die Facebook-Seite "Erster März - 24 Stunden ohne uns" hatte innerhalb kürzester Zeit über 50.000 Einträge erhalten, was zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist.

Die Organisatoren hatten jedoch keine weiter führende Perspektive: Sie wollten mit der Aktion die in Italien lebenden Immigranten "sichtbar" machen. Mehrere kirchliche und soziale Initiativen, landwirtschaftliche Interessengemeinschaften und der Umweltbund Legambiente unterstützten die Aktion. Die Confederazione italiana agricoltori (CIA) forderte in diesem Zusammenhang die Revision des so genannten Legge Bossi-Fini, weil dieses Gesetz den Zustrom dringend benötigter ausländischer Arbeitskräfte kontingentiert.

Rifondazione Comunista

Fausto Bertinotti, der frühere Sekretär von Rifondazione Comunista, hat unter dem Titel "Erster März 2010: Rosarno und die Linke, die es nicht gibt" einen vollkommen demoralisierten Kommentar veröffentlicht. Über eine politische Alternative drückte er sich nur im Konjunktiv aus. Er schrieb: "Die Wirtschafts-, Struktur- und Systemkrise des globalisierten Kapitalismus würde ... große Themen auf die Tagesordnung setzen, wenn es denn in Europa noch irgendeine alternative Kraft gäbe." Er jammerte, die Ereignisse von Rosarno verlangten "eine grundlegende Änderung der Politik der sozialen und politischen Linken", jedoch: "Es ist nichts passiert."

In Wirklichkeit trägt Rifondazione Comunista selbst die zentrale Verantwortung für die heutige Lage. Alle Nachfolgeparteien der Kommunistischen Partei Italiens, sei es Rifondazione Comunista (PRC), die Partei italienischer Kommunisten (PDCI) oder die heutige Demokratische Partei (PD), haben sich von der Arbeiterklasse verabschiedet und sich dem Nationalismus und der bürgerlichen Politik zugewandt.

Paolo Ferrero, der heutige Rifondazione-Vorsitzende, war von 2006-08 Sozialminister in der Regierung von Romano Prodi. Er stimmte in dieser Funktion dem Militäreinsatz in Afghanistan zu, unterzeichnete die Angriffe auf Renten und soziale Rechte und verteidigte die ersten Abschiebelisten für Ausländer. Zwei Jahre Prodi-Regierung mit Beteiligung von Rifondazione Comunista reichten aus, um den verhassten Silvio Berlusconi ins Regierungsamt zurück zu bringen.

Seit ihrem Fiasko von 2008, als Rifondazione alle Parlamentssitze verlor, ist die Partei weiter nach rechts gegangen. Unter dem Vorwand des Kampfs gegen Berlusconi verzichtet sie auf ein eigenes Programm und eigene Kandidaten. In den bevorstehenden Regionalwahlen vom 28. März kandidiert Rifondazione unter dem Namen "Federazione della sinistra" (Linksbündnis) gemeinsam mit der Demokratischen Partei und der PDCI. In einigen Regionen unterstützt sie sogar Kandidaten der Radikalen Partei und der christdemokratischen UDC.

So ruft Parteichef Paolo Ferrero zum Beispiel in der Lombardei dazu auf, die Senatorin Emma Bonino von der Radikalen Partei zu wählen. Bonino ist ehemalige Europa-Parlamentarierin und war unter Prodi Handelsministerin. "Eine Stimme für Emma Bonino ist eine Stimme gegen das Verbrechen", schreibt Ferrero.

Es gibt heute selbst in der herrschenden Klasse Italiens starke Tendenzen, Berlusconi los zu werden. Unter Silvio Berlusconi blühen nicht nur Rassismus und Faschismus, sondern auch ein bisher unbekanntes Ausmaß an Korruption. Täglich kommen neue Fälle ans Licht, die den Staat hohe Geldsummen kosten Es sind so viele Politiker des Regierungslagers in Korruptionsfälle verwickelt, dass Berlusconi ein "Antikorruptionspaket" angekündigt hat, um den Imageschaden kurz vor den Regionalwahlen einzugrenzen.

Umweltnotstand

Am selben Tag, an dem die Immigranten auf die Straße gingen, wurde in Norditalien der Umweltnotstand ausgerufen, begründet durch das "Einleiten von giftigen Materialien in den Fluss Lambro". Unbekannte Täter hatten in der alten Raffinerie von Villasanta, oberhalb von Mailand, vorsätzlich drei Tanks geöffnet und bis zu dreieinhalb Millionen Liter Industrieöl (3.500 Kubikmeter) ins Wasser geleitet. Das Öl gelangte in den Po und von dort in die Adria. Es bedroht Fisch- und Vogelbestände und vergiftet das Wasser, das die Bauern für die Landwirtschaft brauchen. Außerdem hat es mehrere Kläranlagen verstopft, so dass die Abwässer ungereinigt in den Fluss gelangen.

Der Staatsanwalt ermittelt, denn ohne Zweifel war Sabotage am Werk. Man musste nicht bloß die Hähne öffnen, sondern auch Ölpumpen in Betrieb setzen, außerdem wurde der Katastrophenalarm absichtlich verzögert. Noch steht nicht fest, ob das Altöl der stillgelegten Raffinerie Villasanta auf diese Weise billig entsorgt werden sollte. Das Gelände ist teures Spekulationsgebiet in der Nähe von Arcore, dem Familienwohnsitz von Reierungschef Berlusconi. Villasanta wird gerade in eine moderne "Ecocity" mit Radwegen, Erholungsflächen, Passivhäusern und teuren Appartements umgebaut.

Die jüngste Ölpest von Norditalien hat sofort Erinnerungen an den Müllskandal von Neapel wachgerufen. In Italien sind Korruption, Vetternwirtschaft und mafiöse Praktiken mittlerweile weit verbreitet. Solche Zustände sind Symptom einer kranken Gesellschaft, in der alle Beziehungen auf das Schärfste angespannt sind.

Dabei würde ein Sturz der Berlusconi-Regierung allein für die Arbeiterklasse nichts ändern. Unter Bedingungen der aktuellen kapitalistischen Wirtschaftskrise ist jede Regierung, auch wenn sie aus dem Mitte-Links-Lager stammt, entschlossen, ein aggressives Sparprogramm gegen die arbeitende Bevölkerung durchzusetzen. Europaweit stehen sozialdemokratische Regierungen an vorderster Stelle, wenn es um scharfe Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung geht. Bekannteste Beispiele sind Papandreou in Griechenland, Socrates in Portugal oder Zapatero in Spanien.

Italien hat ein staatliches Defizit, das sich kaum von dem Griechenlands unterscheidet. Schon bei seinem Eintritt in die Eurozone hatte Italien seine wahren Zahlen geschönt, wie später bekannt wurde. Heute warnen die Medien davor, dass die Krise auf Italien überspringen könnte. Dann hätte "plötzlich die gesamte Euro-Zone ein gravierendes Problem: Dann droht ein Auseinanderbrechen der Währungsunion und damit ... die ’Mutter aller Finanzkrisen’", schreibt Claus Hulverscheidt in der Süddeutschen Zeitung vom 2. März .

Es reicht nicht - wie Rifondazione sagt - die Berlusconi-Regierung loszuwerden. Notwendig ist der Aufbau einer neuen Partei, die die italienischen Arbeiter unabhängig von der bürgerlichen Politik, auf einer sozialistischen Grundlage organisiert, und sie mit der internationalen Arbeiterklasse vereint.

Siehe auch:
Aufruhr schwarzer Wanderarbeiter in Kalabrien
(12. Januar 2010)
Wende in Europa
( 27. Februar 2010)