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Trotz Arbeit arm

Von Elisabeth Zimmermann
7. Mai 2010

Der Niedriglohnsektor in Deutschland wächst rasant. Das belegen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit (BA), die die Süddeutsche Zeitung am 4. Mai veröffentlichte. Nach den Berechnungen der BA erhielten im Jahr 2009 im Jahresdurchschnitt 1,325 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II (Hartz-IV), obwohl sie einer Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung nachgingen. Die Bundesagentur für Arbeit zahlte damit im vergangen Jahr 10,9 Milliarden staatliche Zuschüsse, weil die Löhne so niedrig waren, dass sie selbst bei Vollzeitbeschäftigung nicht für das Existenzminimum reichten.

Der Anteil der Beschäftigten, die trotz Job auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, wächst seit 2005, als die damalige rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer mit den Hartz -Gesetzen die Voraussetzungen für drastische Einschränkungen bei Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe schuf.

Im Juni 2005, kurz nach ihrer Einführung, lag die Quote von Menschen, die trotz sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zusätzliche staatliche Unterstützung benötigten, noch bei 1,5 Prozent. Im September 2009 hatte sich diese Quote bereits auf 2,6 Prozent erhöht. In absoluten Zahlen waren im Jahr 2007 fast 1,22 Millionen Hartz-IV-Empfänger erwerbstätig. Im Jahr 2009 waren es über 100.000 mehr.

Stark betroffen von Niedriglöhnen sind Leiharbeiter sowie Beschäftigte in der Gastronomie und anderen Dienstleistungsbereichen. Nach den jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bezogen 300.000 Menschen, die im letzten Jahr zusätzliche Unterstützung erhielten, bei Vollzeitbeschäftigung einen Bruttolohn von nur 800 Euro. Das bedeutet, dass die niedrigen Löhne, die die Unternehmen ihren Beschäftigten zahlen, direkt vom Staat und aus der Arbeitslosenversicherung subventioniert werden.

Ebenfalls stark zugenommen hat die Zahl derjenigen, die Hartz-IV-Leistungen beziehen und einen Minijob ausüben. 2009 waren dies etwa 700.000 Menschen. Bei einem Minijob kann man bis 400 Euro im Monat verdienen. Hartz-IV-Empfänger dürfen davon aber nur 160 Euro behalten. Der Rest wird mit der Grundsicherung, also dem Hartz-IV-Satz, verrechnet.

Während Politiker aller Parteien immer öfter über die starke Zunahme von Leiharbeit und Niedriglöhnen, die nicht zum Leben reichen, lamentieren, sind alle im Bundestag vertretenen Parteien für die Einführung, Aufrechterhaltung und Ausdehnung des Niedriglohnsektors verantwortlich. Auch die Gewerkschaften, die auf Mai-Kundgebungen gegen Niedriglöhne bei Leiharbeitsfirmen wettern, haben durch ihre enge Zusammenarbeit mit Regierung und Konzernen die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse erst möglich gemacht.

Mit der Ausdehnung von Leiharbeit und des Niedriglohnbereichs wächst auch der Druck auf die so genannten Normalarbeitsverhältnisse. Leiharbeiter verdienen in der Regel rund 20 Prozent weniger als fest angestellte Beschäftigte. Sie haben praktisch keinen Kündigungsschutz. 2006 waren fast 72 Prozent der Arbeitsverhältnisse kürzer als sechs Monate.

Eine Umfrage von TNS Infratest ergab im April dieses Jahres, dass 84 Prozent der Befragten befürchten, Leiharbeit führe zu Lohndumping. In den letzten Jahren waren Leiharbeiter die Ersten, die wegen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise ihren Arbeitsplatz verloren. Im Februar dieses Jahres waren 560.000 Menschen bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt.

Laut einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen waren im Juli 2009 6,5 Millionen Menschen im Niedriglohnbereich beschäftigt. Das lässt vermuten, dass neben den 1,3 Millionen Geringverdienern, die zusätzliche Unterstützung aus Hartz-IV-Leistungen bezogen, noch zahlreiche weitere Menschen arbeiten und trotzdem weniger als das Existenzminimum verdienen.

Siehe auch:
6,5 Millionen arbeiten im Niedriglohnbereich
(28. Juli 2009)