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Noam Chomsky Einreise in die Westbank verwehrt

Von David Walsh
20. Mai 2010
aus dem Englischen (19. Mai 2010)

Die israelischen Behörden haben Professor Noam Chomsky, emeritierter Linguistik Professor am Massachusetts Institute of Technology, am Sonntag die Einreise in die besetzte Westbank verwehrt. Chomsky ist ein prominenter Kritiker der zionistischen Politik.

Nach stundenlangen Verhören wurden er und seine Tochter Avi zurückgeschickt. Chomsky sollte drei Vorlesungen an der führenden palästinensischen Birzeit-Universität halten, eine davon am Montag. Stattdessen nahm er über Videokonferenz an einem Seminar über amerikanische Außenpolitik teil, das von einhundert Studenten besucht wurde. Chomsky, der 1953 eine zeitlang in Israel in einem Kibbutz lebte, hat in der Vergangenheit schon häufig das Land besucht und dort Vorlesungen gehalten.

Im Anschluss an die Episode behauptete der israelische Innenminister, die Entscheidung, Chomsky nicht ins Land zu lassen, sei ein "Missverständnis" gewesen. Ein hoher Regierungsvertreter sagte gegenüber AFP, die ganze Situation sei "ein völliger Schlamassel". Das Innenministerium gab an, dass Chomsky die Einreise gewährt werde, wenn er noch einmal versuche, die Grenze von Jordanien aus zu überqueren. Der MIT-Professor erfuhr allerdings, dass die Regierung seine Einreise nicht "offiziell" garantiere und entschloss sich daher, seine Rede auf andere Weise zu übermitteln.

Später machte die Sprecherin des Innenministeriums Sabine Hadad den Regierungskoordinator des israelischen Militärs für Aktivitäten in den besetzten Gebieten für den Zwischenfall verantwortlich. Sie bestritt, dass Chomskys Name auf einer schwarzen Liste der israelischen Regierung stehe.

Als weitere Entschuldigung behauptete das Innenministerium, dass Grenzbeamte Chomsky die Einreise verwehrten, weil sie "fälschlicherweise der Annahme waren, er plane auch andere Orte in Israel außerhalb des palästinensischen Gebiets zu besuchen". (Boston Globe) Avi Chomsky sagte dem Globe : "Das ist Quatsch. Aus unseren Verhören war klar, dass sie genau wussten, dass wir nur nach Ramallah wollten. Tatsache ist, dass sie sich vor allem darüber aufgeregt haben, wie einer der Männer immer wieder sagte, warum wir nicht nach Tel Aviv gehen wollten?"

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte vor der Knesset, dass er nichts über eine Schwarze Liste wisse. Frech behauptete er: "Wir lesen darüber in der Zeitung."

Die New York Times erklärte in einem Nachrichtenartikel: "Regierungssprecher sind entsetzt über die Entwicklung." Netanjahus Sprecher Mark Regev sagte der T imes : "Unsere Politik hat sich nicht geändert... Die Vorstellung, dass Israel Leute an der Einreise hindert, die eine kritische Meinung von unserem Staat haben, ist lächerlich; so etwas gibt es nicht. Das war ein Fehler. Eine Grenzwache hat ihre Befugnisse überschritten."

Chomsky sagte in einem Interview mit Al Dschasira. "Nach mehreren Stunden des Wartens und vielfachen Befragungen wurden unsere beiden Freunde reingelassen und meiner Tochter und mir wurde nach langen indirekten Diskussionen mit dem Innenministerium die Einreise verweigert".

Chomsky erklärte, die Grenzbeamten seien "ausgesprochen höflich" gewesen, als sie "Nachfragen des Innenministeriums übermittelten".

Chomsky vermutete gegenüber Al Dschasira, dass zwei Gründe für die Verweigerung der Einreise maßgeblich seien.

"Die Regierung mag nicht, was ich öffentlich über sie sage, wie ich sie wie jede andere auch beurteile", sagte er. "Der zweite ist, dass sie erbost darüber waren, dass ich eine Einladung der Birzeit-Universität angenommen hatte, aber keine Pläne hatte, wie schon so oft, auch an israelischen Universitäten zu sprechen."

Zusammenfassend erklärte Chomsky gegenüber den Medien: "Die Fakten waren jedem klar und es gab keinen Grund für Missverständnisse. Es war die Entscheidung des Innenministeriums." (Boston Globe)

Otniel Schneller, einem Politiker der "gemäßigten" Kadima-Partei, rutschte allerdings etwas raus, was den wirklichen Ansichten des israelischen Establishments wohl näher kommt. Schneller verteidigte die Abweisung Chomskys mit "der Notwendigkeit, unsere Existenz zu verteidigen... Nehmen wir an, er wollte in Birzeit eine Vorlesung halten. Was würde er sagen? Dass Israel Araber tötet? Dass Israel ein Apartheidstaat ist?" Weiter sagte Schneller in den Medien: "Es ist gut, dass Israel einem seiner Kritiker die Einreise verweigert hat. Ich empfehle Chomsky einen der Tunnel zwischen Gaza und Ägypten zu benutzen."

Dr. Mustafa Barghouti, Generalsekretär der Palästinensischen Nationalinitiative, der Chomskys Gastgeber gewesen wäre, gab am Montag gemeinsam mit Chomsky eine Pressekonferenz in Ramallah. Chomsky war von Amman in Jordanien aus zugeschaltet. Barghouti kommentierte: "Israel erklärt uns und der Welt, dass niemand ohne die Erlaubnis seiner Militärbehörden die Westbank besuchen oder hier arbeiten kann. Wir werden einen solchen Präzedenzfall nicht akzeptieren. Das ist ein schwerwiegender Rückschritt und wir werden dagegen mit allen Mitteln angehen."

Vertreter der Birzeit Universität "bedauerten" die Entscheidung, Chomsky die Einreise zu verweigern. Sie fuhren fort: "Die Birzeit Universität leidet jeden Tag unter den harten und systematischen Beschränkungen, die ihr von den israelischen Besatzern auferlegt werden. Ihren Studenten und Mitarbeitern werden Informationsquellen verweigert, ihre Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt und ihre akademischen Freiheiten regelmäßig verletzt. Studenten und Mitarbeiter werden immer wieder belästigt, willkürlich festgenommen und vom israelischen Militär eingesperrt."

Ein Vertreter der israelischen Bürgerrechtsvereinigung ACRI, der Rechtsanwalt Oded Feller, verurteilte das israelische Vorgehen. "Die Entscheidung, einer Person die Einreise zu verweigern, damit sie ihre Ansichten nicht vertreten kann, ist charakteristisch für ein totalitäres Regime", sagte Feller.

Die Zeitung Haaretz beklagte Israels "Kriegserklärung an die Intelligenz". Die Redakteure kommentierten die Tatsache, dass Chomsky an der Allanby-Brücke aufgehalten und daran gehindert wurde, nach Israel und in die palästinensischen Gebiete einzureisen, so: "Die empörende Behandlung der Regierung von Leuten, die die Kühnheit haben, ihre Politik zu kritisieren, hat neue Höhen erreicht. Israel sieht wie ein Muskelprotz aus, der von einem überlegenen Geist beleidigt wurde und jetzt alles daran setzt, ihn zu bekämpfen, zu verhaften und auszuweisen."

Die Behauptung von Netanjahus Sprecher Regev, dass Israel "niemanden an der Einreise hindert, der kritisch gegen den Staat eingestellt ist", ist eine Lüge. Israel tut das ständig. Rechtsanwalt Feller von ACRI wies in der Jerusalem Post darauf hin, dass "Dutzenden Leuten jede Woche die Einreise nach Israel verweigert wird....

Feller sagte, dass Fälle wie Chomskys wegen dessen Reputation und Bekanntheit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen. Aber Realität ist, dass Leuten mit ähnlichen Anschauungen und Überzeugungen häufig die Einreise verweigert wird.

‘Chomsky kommt in die Schlagzeilen, weil er berühmt ist, aber ausländische Menschenrechtsaktivisten, Friedensaktivisten und Politiker, ganz zu schweigen von Palästinensern und ihren Verwandten, werden regelmäßig abgewiesen’, sagte er."

Die New York Times führte einige der prominenteren Fälle der letzten Zeit an:

* Im April wurde einer der bekanntesten spanischen Clowns, Ivan Prado, "sechs Stunden lang am Ben Gurion-Flughafen in Tel Aviv festgehalten und dann nach Madrid zurückgeschickt." Israelische Vertreter beschuldigten ihn, "Verbindungen mit palästinensischen Terrorgruppen zu unterhalten".

* "Im Januar wurde Jared Malsin, ein junger amerikanischer Journalist, der für eine palästinensische Nachrichtenagentur in Bethlehem arbeitet, an der Wiedereinreise am Ben Gurion-Flughafen gehindert. Beamte erklärten, er habe Fragen nicht zur Zufriedenheit beantwortet."

* Im Dezember 2008 wurde der Amerikaner Richard Falk, ein UN-Ermittler für Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten "am Flughafen angehalten und an der Einreise gehindert", weil er "Israel feindlich gesinnt" sei.

* Im Mai 2008 wurde der bekannte antizionistische Gelehrte Norman Finkelstein aus Israel deportiert, nachdem er 24 Stunden lang vom israelischen Sicherheitsdienst verhört worden war. Begründung: "Sicherheitsbedenken". Finkelstein, Sohn eines Holocaust Überlebenden, ist ein entschiedener Kritiker der israelischen Politik. Er wurde für zehn Jahre aus Israel verbannt. Wie Chomsky ist Finkelstein ein Befürworter der "Zweistaatenlösung". Er sagt: "Ich bin kein Feind Israels."

Die Abweisung einer so bekannten Persönlichkeit wie Noam Chomsky ist ein Maßstab für den rechten Charakter der Regierung Netanjahu, aber auch für die Instabilität der politischen Situation in Israel.

Siehe auch:
Das zionistische Projekt und sein Ergebnis: eine wirtschaftliche
(23. Januar 2009)