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Zentrale Mai-Kundgebung des DGB:

DGB-Chef Sommer warnt vor Radikalisierung

Von unseren Korrespondenten
4. Mai 2010

Nur zwei- bis dreitausend Teilnehmer kamen zur zentralen Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds am 1. Mai in Essen - und das in der heißen Phase des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfs! Diese Zahl sagt viel über den Zustand einer Organisation, die in den siebziger Jahren noch Zehntausende auf die Beine brachte.

DGB-Versammlung in Essen DGB-Versammlung in Essen

Die große Mehrheit der Arbeiter und Angestellten und der 6,3 Millionen DGB-Mitglieder erwartet offensichtlich nichts mehr von einer Gewerkschaft, die in den vergangenen Jahren bei der Durchsetzung der Hartz-Gesetze, dem Abbau von Arbeitsplätzen und der Senkung der Reallöhne eine Schlüsselrolle spielte. Seit 1990 hat die Hälfte der damals noch 11,8 Millionen Mitglieder den DGB-Gewerkschaften den Rücken gekehrt.

Das Publikum der zentralen Maikundgebung bestand denn auch mehrheitlich aus älteren Teilnehmern, Gewerkschaftsfunktionären und Vertretern jener Parteien, die bei der nächsten Runde des Sozialabbaus auf eine enge Zusammenarbeit mit dem DGB setzen. Davon zeugten die zahlreichen Fahnen von SPD, Grünen und Linkspartei.

DGB-Chef Sommer DGB-Chef Sommer

Die Rede des DGB-Vorsitzende Michael Sommer war ganz auf dieses Publikum abgestimmt. Während viele Arbeiter und Hartz-IV-Empfänger die Faust in der Tasche ballen und vor Wut über die Bereicherungsorgie der Banken kochen, war Sommers Beitrag eine Mischung aus ohnmächtigem Gejammer und flehentlichen Appellen an die herrschende Klasse, der er seine Dienste bei der Unterdrückung sozialer Konflikte anbot.

Der Aufruf des DGB zu den diesjährigen 1. Mai-Kundgebungen stand unter dem Titel: "Wir gehen vor! Gute Arbeit, Gerechte Löhne, Starker Sozialstaat". Er strotzt von Allgemeinplätzen und Demagogie, erwähnt aber mit keinem Wort die Schuldenkrise Griechenlands und anderer EU-Staaten und die drastischen Angriffe, mit denen die EU-Kommission, der IWF und die Bundesregierung gegen die griechischen Arbeiter vorgehen.

Auch Sommer ging in seiner Rede nur beiläufig auf Griechenland ein. In der vorab verbreiteten schriftlichen Fassung der Rede kam Griechenland überhaupt nicht vor. In der mündlichen Fassung erwähnte er dann kurz, dass es auch Demonstrationen in Athen und im türkischen Istanbul gebe, äußerte aber kein Wort der Solidarität mit den griechischen Arbeitern, die mit dem jüngsten Sparpaket auf einen Schlag bis zu 30 Prozent ihres Einkommens verlieren.

Tatsächlich steht der DGB uneingeschränkt hinter diesem Sparpaket, das nicht zuletzt auf massiven Druck der deutschen Regierung zustande kam. Auch die SPD, die Grünen und die Linkspartei haben bereits angekündigt, dass sie die Regierung Merkel bei der Abstimmung über das Griechenlandpaket im Bundestag unterstützen werden.

Sommer weiß auch, dass das griechische Sparpaket nur der Auftakt zu ähnlichen Maßnahmen in ganz Europa - einschließlich Deutschland - ist, mit denen die gewaltigen Löcher, die die Bankenrettungspakete in die öffentlichen Haushalte gerissen haben, auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung gestopft werden sollen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die Krise noch nicht vorbei sei und weiterhin Hunderttausende von Arbeitsplätzen bedrohe: "Machen wir uns nichts vor, diese Krise ist noch lange nicht vorbei. Und die nächste guckt schon um die Ecke. Und die werden wir nicht mehr mit Bankenrettungspaketen, Konjunkturprogrammen, Abwrackprämien und arbeitsmarktpolitischen Mitteln in den Griff bekommen."

Sommers Antwort auf die Verschärfung der Krise lautet: Noch engerer Schulterschluss mit Regierung und Wirtschaftsverbänden. Immer wieder beschwor er in seiner Rede die Sozialpartnerschaft und betriebliche Mitbestimmung. Gerade in den vergangenen zwei Jahren habe das deutsche Mitbestimmungssystem bewiesen, dass es bei der Bewältigung der Krise hilfreich gewesen sei.

Das war ein Hinweis auf die entscheidende Rolle der Gewerkschaften, die maßgeblich dazu beigetragen haben, die Lasten der Krise auf die Bevölkerung abzuwälzen und eine unabhängige politische Offensive der Arbeiter zu verhindern. Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte haben Hunderte betriebliche Vereinbarungen unterzeichnet, die den Abbau von Arbeitsplätzen und massive Lohneinbussen zur Folge hatten. IG Metall und IG Bergbau und Chemie haben in diesem Jahr Nullrunden vereinbart und damit den Reallohnabbau beschleunigt, der bereits seit Jahren durch niedrige Tariferhöhungen, lange Laufzeiten und den immer stärker wachsenden Anteil von Leiharbeit, Zeitverträgen und Niedriglohnsektor vorangetrieben wird. Bei Opel organisieren IG Metall und Betriebsrat in enger Zusammenarbeit mit dem General Motors-Konzern den europaweiten Abbau von 10.000 Arbeitsplätzen und Lohneinbussen von 265 Millionen Euro.

Sommer warnte Politik und Wirtschaft aber auch, dass die Gewerkschaften bei einer weiteren Runde sozialer Angriffe die Kontrolle verlieren könnten. "Und weil wir uns eine neue Krise nicht leisten können, weil wir eine zweite Krise dieser Art nicht beherrschen könnten, weil sie letztendlich Frieden und Demokratie bedrohen würde, dürfen wir nicht schweigen", sagte er.

Während Sommer in seiner Rede wortradikal gegen Zocker und Spekulanten wetterte und die Notwendigkeit eines starken Sozialstaats beschwor, lautete seine wirkliche Botschaft, dass DGB und Regierung eng zusammenarbeiten müssen, um Widerstand in der Arbeiterklasse zu unterdrücken und gegen sie vorzugehen.

Dabei ist Sommer bereit, mit jeder politischen Koalition zusammenzuarbeiten, die sich nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl vom 9. Mai ergibt. Weder in seiner Mairede noch in einem Interview mit der WAZ (Westdeutsche Allgemein Zeitung) vom gleichen Tag machte er eine eindeutige Wahlaussage. Er bemerkte lediglich, dass es für ihn viele denkbare Optionen gebe: "Denken Sie nur an Rot-Grün oder Schwarz-Grün oder eine große Koalition."

Siehe auch:
NRW-Landtagswahlkampf: Eine Allparteien-Koalition gegen die Bevölkerung
(29. April 2010)