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Internet-Diskussion in China über die Ausbeutung von Arbeitern

Von John Chan
15. Juni 2010
aus dem Englischen (9. Juni 2010)

Der jüngste Streik der chinesischen Honda-Arbeiter und die Selbstmordwelle in dem riesigen Ausbeuterbetrieb, den Foxconn Electronics in Südchina betreibt, haben in China zu online Diskussionen geführt. Sie drehen sich um die Suche nach Alternativen zu der brutalen kapitalistischen Ausbeutung, die die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) durchgesetzt hat.

Die überwiegend jungen Arbeitnehmer bei Honda und Foxconn gehören zu den Millionen von Internetnutzern in China. Dem China Internet Network Information Center zu Folge sind 61,5 Prozent der 384 Millionen Internetnutzer des Landes unter 29 Jahre alt und nur 12,1 Prozent haben einen Hochschulabschluss. Um die 42,5 Prozent haben ein monatliches Einkommen von 146 US-Dollar oder weniger.

Eine zufällige Internet-Suche mit Stichworten wie "Arbeiterklasse", "Streik" und "Foxconn" förderte eine weit verbreitete Stimmung von Klassensolidarität mit den Arbeitern von Foxconn und Honda sowie mit streikenden Arbeitern in Europa und anderswo zutage. Kommentare, die augenscheinlich Arbeiter gepostet hatten, waren in der Regel kurz, aber wütend. Einige forderten, "die Arbeiter zu vereinen, oder wir könnten die nächsten sein", die Selbstmord begehen. Andere erklärten, für chinesische Arbeiter gäbe es nur drei Wege: "Revolution, Selbstmord oder sich dahinschleppen". Viele Kommentare sind gelöscht worden, in einigen Fällen durch Zensoren der Internet-Polizei.

Besonders weit verbreitet ist der Ärger über die Rolle der staatlichen Gewerkschaften, "die unterwürfige Lakaien der Kapitalisten" oder"gelbe Gewerkschaften" im Dienst ihrer Arbeitgeber sind. Einige Bemerkungen brachten Foxconns Aufstieg von einer kleinen Firma zu einem gigantischen Unternehmen mit Pekings korrupten Absprachen mit den Kapitalisten in Verbindung. Bürokraten würden "Villen, US-Dollar, guten Wein und schöne Frauen" genießen, während junge Menschen "ununterbrochen wie Roboter in einem Vogelkäfig für einen Hungerlohn arbeiten" müssen.

Ein Teilnehmer eines Blogs vom 25. May auf der Sina Website [chinesisches Internetunternehmen] über die Selbstmorde bei Foxconn berichtete über die kürzlich in dem US Time Magazin erfolgte Nominierung der "chinesischen Arbeiter" als Kandidaten für die "Person des Jahres", dessen billige Arbeitskraft entscheidend dabei half, die Ausweitung der globalen Krise des Kapitalismus zu verhindern. Der Blogger sagte, Arbeiter aus den kapitalistischen Ländern seien vom Time Magazin nicht erwähnt worden, weil sie an Kämpfen gegen die Kapitalisten teilnähmen, wie z.B. an den Streiks in Griechenland oder an dem Streik der Arbeiter von British Airways.

Chinesische Arbeiter seien wegen ihrer Unterstützung des Weltkapitalismus von der Time als "ehrenhaft" ausgewählt worden, schrieb der Blogger, weil die chinesische Regierung Kämpfe von Arbeitern zur Verteidigung ihrer Rechte verboten hätte. Der Blogger fügte hinzu, dass der private kapitalistische Sektor in den vergangenen drei Jahrzehnten zunehmend die chinesische Wirtschaft dominiert habe, was Ausbeuterbetrieben wie Foxconn zu ihrem Boom verholfen habe. "Selbst in den staatlichen und kollektiven Sektoren gibt es Aktienbesitz, der dem Geschäftsführer, dem Vorstand und den Bossen unternehmerische Macht verleiht und die Rolle der Arbeiter auf eine Position völliger Unterwerfung und Unterordnung reduziert."

Die Behörden würden rücksichtslos jeden Protest gegen diese sozialen Ungerechtigkeiten unterdrücken, erklärte der Schreiber, so dass der einzige Ausweg sei, zu kämpfen. Steht auf, wenn ihr keine Sklaven sein wollt... Die Rechte der Arbeiter auf der ganzen Welt wurden durch Streiks, Blutvergießen und Opfer der Arbeiter gewonnen! Nicht aus schlechtem Gewissen von den Kapitalisten gewährt."

Ein online Kommentar mit dem Titel "Wenn Foxconn Arbeiter auch streiken können", der in Blogs und Diskussionsseiten zirkulierte, warf dem staatlichen Gewerkschaftsverband All China Federation of Trade Unions (ACFTU) vor, sich auf ausländische Unternehmen auszudehnen, um dort unabhängige Arbeitskämpfe zu unterdrücken. Die Foxconn Selbstmorde seien das Produkt dieser Politik. Der Autor, ein ehemaliger Journalist, behauptet, im Jahr 2001 mit dem Chef des ACFTU in der Provinz Guangdong gesprochen zu haben. Der Funktionär hätte erklärt, dass verbotene politische und religiöse Organisationen versuchten, die Arbeiter im Privatsektor des Regimes zu gewinnen. Er sagte: "Wenn wir die Massen nicht organisieren, wird jemand anders es tun, und die Arbeiter werden sich selber organisieren, und das wird die Position der regierenden Partei bedrohen".

Der Blog sagte, das wirkliche Ziel der Ausweitung der ACFTU in den nicht-staatlichen Sektor sei, die politische Stabilität aufrechtzuerhalten. "Außerdem beugen sich die lokalen Behörden, die nach einem größeren BIP streben, dem Kapital und machen die benachteiligten Arbeiter dem mächtigen Kapital gegenüber völlig wehrlos. Die Gewerkschaften stehen nicht nur nicht auf der Seite der Arbeiter, sondern helfen den Firmenchefs die Produktion besser zu organisieren", schrieb der Autor.

Ein weiteres online Forum postete Lenins Artikel von 1899 "Über Streiks". Der Blog verwies auf die jüngsten Streiks der chinesischen Arbeiter, einschließlich der bei Honda, und erklärte, dass die Lehren des "großen revolutionären Lehrers Lenin wichtige praktische Konsequenzen" für die Arbeiterklasse heute hätten. Lenins weitsichtiger Artikel erklärt, dass von den russischen Streiks gegen einzelne Kapitalisten zur Schaffung von sozialistischem politischem Bewusstsein vorwärts gegangen werden müsse, um das autokratische Regime des Zaren zu stürzen.

In den Kommentaren, die auf Lenins Artikel folgten, bemerkte ein Blogger: "Überall gibt es trockenen Zunder in China. Was fehlt, ist jemand, der es anzündet" und fügte hinzu, dass China die Kommunistische Partei neu gründen muss, so wie es das im Jahre 1921 getan hat. Ein anderer Teilnehmer schrieb: "In den Kämpfen, die sich vor unseren Augen entfalten, erwachen chinesische Proletarier erneut in einer brutalen Realität. Es ist an der Zeit, als erstes die Errichtung unabhängiger Gewerkschaften zu erwägen, dann eine neue geheime politische Organisation aufzubauen, die die Interessen des Proletariats vertritt" mit dem Ziel das Regime der KPCh zu stürzen. "Egal, wie komplex der Kampf ist und trotz der Unterdrückung durch Chinas privilegierte Bürokraten und die Bourgeoisie, wird sich dies wahrscheinlich und sogar unvermeidlich so entwickeln."

Solche Stimmungen haben Bedenken in den herrschenden Kreisen ausgelöst. In einer Rede am Tag der Arbeit, nur wenige Wochen vor dem Honda Streik, versuchte Präsident Hu Jintao die Arbeiter zu beruhigen. Er nannte die Arbeiterklasse die "führende Klasse" des Landes - ein Begriff der in China seit vielen Jahren nicht mehr verwendet wurde. Seine Rede löste eine Welle von Kommentaren in den staatlichen Medien aus, mit Lippenbekenntnissen zur Rolle der Arbeiterklasse in Chinas Entwicklung hin zu einer wirtschaftlichen Weltmacht. Die Medienkampagne malte die privilegierten Parteibürokraten, die China in den Ausbeuterbetrieb der kapitalistischen Welt verwandelt haben - in lächerlichen Farben als die "proletarischen Avantgarde".

Ein Kommentar betitelt mit "Der Status der chinesischen Arbeiter: die unüberbrückbare Kluft zwischen Theorie und Wirklichkeit", der am 4. Juni auf der halb-offiziellen China Election and Governance Website gepostet wurde, veranschaulicht die Schwierigkeiten, die der Parteiapparat bei der Wahl seiner ideologischen Mittel hat, um der sozialen und politischen Unzufriedenheit die Spitze zu nehmen.

Der Artikel wies darauf hin, dass der chinesischen Bevölkerung von Kindheit an kontinuierlich erzählt worden sei, dass in China die "Arbeiterklasse die Staatsmacht kontrolliert", aber nichtsdestotrotz habe sie die Wirklichkeit kapitalistischer Ausbeutung kennen gelernt. Die Tatsache, dass Arbeiter Selbstmord und noch andere Verzweiflungstaten begingen, zeige, dass es für die arbeitende Bevölkerung nur ein "unwirklicher Traum" war, Herr über ihr eigenes Lebens zu werden.

Der Kommentar fuhr fort: "Harte Arbeit, ständige Überstunden, einfache, aber sich wiederholende Arbeiten, rudimentäre Behausungen, das Ausgeliefert sein an militarisierte Managementmethoden, kaum Freizeit und das Fehlen menschlicher Fürsorge - das ist das Leben der Arbeiter. So ein Leben ist nicht ein besonderer Umstand in einem einzelnen Ausbeuterbetrieb oder einem einzelnen in ausländischem Besitz befindlichen Unternehmen. Stellt euch vor, wenn Waren 'Made in China' die Welt überschwemmen, wie viele solcher Ausbeuterbetriebe muss es geben, damit China die 'Ehre' gebührt, die 'Werkbank der Welt' zu sein?"

Der Autor Qing Wuyu (was ein Pseudonym zu sein scheint) diskutierte auch den Honda Streik. Weil das Recht auf Streik im Jahre 1982 aus der Verfassung gestrichen wurde, schrieb er, müssen alle Streiks von der ACFTU genehmigt werden; das bedeutet, dass sie nicht die Arbeiter repräsentieren, sondern "ein Stadium erreicht haben, in dem sie mit ihnen im Konflikt" liegen.

Qing zitiert Studien, die schätzen, dass sich die staatliche Bürokratie 40 Prozent und das Unternehmenskapital 40-50 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aneignen, so dass für die arbeitende Bevölkerung nur 15-20 Prozent übrig bleiben. "Wer würde angesichts einer solchen Verteilung glauben, dass die Arbeiterklasse den Staatsapparat kontrolliert, und die führende Kraft des Landes ist?"

Letztendlich drückte der Artikel jedoch die Hoffnung aus, dass die soziale Ungerechtigkeit das "Gewissen" der chinesischen Regierung und der Unternehmer erwachen lassen werde, so dass diese Streiks legalisieren würden, damit die Arbeitnehmer ihre grundlegenden Rechte verteidigen könnten. Qing argumentierte, dass dann Gewerkschaften eine moderierende Rolle spielen könnten.

In Wirklichkeit sind die widerstreitenden Klasseninteressen, die die KPCh repräsentiert und die der chinesischen Arbeiter und Bauern unlösbar. Früher war schon einmal ein Streit im Internet ausgebrochen, nachdem die chinesischen Medien berichtet hatten, dass 91 Prozent der reichsten Millionäre Chinas - diejenigen, die Vermögenswerte von 100 Millionen Yuan (14,6 Millionen US-Dollar) oder mehr besitzen - Kinder von hochrangigen KPCh Funktionären sind. Chinas 450.000 Dollar-Millionäre, zusammengenommen nur 0,4 Prozent der Bevölkerung, kontrollieren 70 Prozent des nationalen Reichtums.

Diese enorme soziale Ungleichheit, die noch durch die weit verbreitete Kriminalität und Korruption innerhalb des Regimes der KPCh verschärft wird, facht die Unzufriedenheit und Wut an, die der Zensur Pekings zum Trotz ihren Ausdruck in Internet Diskussionen finden. Das erste Ziel einer wirklich marxistischen Partei muss sein, den Polizeistaat zu stürzen.

Siehe auch:
Die chinesische Arbeiterklasse regt sich
(8. Juni 2010)