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Italien: Spannungen in Berlusconis Regierung

Von Marianne Arens
28. Juli 2010

In Italien reißt seit Wochen der Protest gegen die manovra nicht ab. Es geht um das Sparpaket der Berlusconi-Regierung, das in drei Jahren 25 Milliarden Euro einsparen soll. Noch vor den Sommerferien im August soll es vom Parlament, in dem die Rechten die Mehrheit haben, abgesegnet werden.

Allein in der öffentlichen Verwaltung will die Regierung 60.000 Arbeitsplätze streichen. Von den befristet Beschäftigten soll kein einziger mehr übernommen werden. Neueinstellungen gibt es nur noch eine für fünf unbesetzte Stellen. Im Gesundheitswesen stehen 156.000 Stellen auf der Kippe, und so geht es weiter durch den gesamten öffentlichen Dienst.

Demo Rom Demonstration gegen Berlusconis Maulkorberlass am 3. Oktober 2009 in Rom
(Foto: Silvia Marinelli)

Seit einem eintägigen Generalstreik am 25. Juni folgt ein Aktionstag dem andern. Die Gewerkschaften achten allerdings sorgfältig darauf, dass die einzelnen Berufsgruppen voneinander getrennt bleiben und es zu keiner Massenbewegung kommt, die die Regierung in Gefahr bringen könnte: Nacheinander streikten die öffentlichen Bediensteten und Sozialarbeiter, die Lehrer, Dozenten, Studenten, die Eisenbahner, Bus- und Tramfahrer, die Ärzte und Krankenschwestern, die Fährbediensteten, die Bauern, ja selbst die Polizisten, Richter und Staatsanwälte.

Die Kürzungen schüren die Unzufriedenheit umso mehr, als sie zu einem andern, heiß umkämpften Gesetz hinzukommen. Der so genannte bavaglio (Knebel), Berlusconis Dekret über das Abhören, sorgt schon seit Monaten für öffentlichen Unmut. An den Aktionen auf der Straße, in den Medien und im Internet beteiligen sich prominente Verleger, Intendanten, Journalisten und Künstler, wie z.B. der Dramaturg und Nobelpreisträger Dario Fo.

Das Gesetz über das Abhören greift tief in die Presse- und Meinungsfreiheit ein: Es verbietet Journalisten und Verlegern, Ermittlungsakten oder mitgeschnittene Gespräche zu veröffentlichen. Gleichzeitig schränkt es die Möglichkeit der Ermittlungsrichter ein, Telefongespräche abzuhören. Am 29. Juli soll der Erlass, der wie die manovra im Senat schon angenommen wurde, die Abgeordnetenkammer passieren.

Konflikt in der Regierung

Der Maulkorberlass hat in der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit einen offenen Konflikt zwischen Berlusconi und Gianfranco Fini, dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer, hervorgerufen. Ausgerechnet Fini, früher langjähriger Chef der postfaschistischen Alleanza Nazionale, hat sich gegen Berlusconi zum Verteidiger der Verfassung aufgeschwungen und damit gedroht, das Gesetz im Parlament zu boykottieren.

Berlusconi gab zurück, er werde Fini aus der Partei ausschließen, und kündigte vorgezogene Neuwahlen an. "Fini ist für mich inexistent", erklärte Berlusconi. Damit steht das Volk der Freiheit in einer harten Zerreißprobe. Erst 2009 hatten Fini und Berlusconi ihre bisherigen Parteien fusioniert und das Volk der Freiheit als Massenpartei gegründet.

Seit einigen Tagen sieht es so aus, als habe sich Fini durchgesetzt. Berlusconi hat einer Modifizierung seines Gesetzesentwurfs zugestimmt. Am 20. Juli wurde der Maulkorberlass durch einen Zusatzantrag entschärft. Demnach soll nicht komplett verboten werden, aus Ermittlungsakten und Abhörprotokollen zu zitieren, sofern es sich um "wichtige Informationen" handelt. Doch wer anderes als die Regierung wird entscheiden, was "wichtige" und was "unwichtige" Informationen sind?

Die jüngste Wendung hat die Zustimmung von Pierluigi Bersani gefunden, dem Oppositionsführer und Chef der KPI-Nachfolgepartei Partito Democratico (PD). Bersani erklärte der Presse, er stimme zu, denn der neue Zusatzantrag "enthält die Empfehlungen der Demokraten".

Gefahr für die Arbeiterklasse

Auch das abgeänderte Gesetz stellt für die arbeitende Bevölkerung eine große Gefahr dar. Sie ist in Wirklichkeit heute noch größer als bisher, da der Fini-Flügel aus dem Konflikt gestärkt hervorgeht.

Die Gruppe um Gianfranco Fini, die ehemalige Alleanza Nazionale, Nachfolgepartei der faschistischen MSI, ist nicht der Verteidigung demokratischer Grundrechte verpflichtet. Sie kritisiert das Abhörgesetz von rechts, mit dem Ziel, die staatliche Kontrolle über die Bürger zu erhalten und auszuweiten. Sie verteidigt in erster Linie das Recht von Staatsanwälten und Richtern auf den uneingeschränkten Lauschangriff.

Die Richter bestehen darauf, abhören zu dürfen, und begründen es mit ihrem Kampf gegen die Mafia. Wie zur Bekräftigung hat der Kampf der Staatsanwälte, Richter und Polizisten gegen die Mafia in den letzten Wochen ein neues Ausmaß erreicht. Hunderte Mafiosi sind aufgespürt und dingfest gemacht worden.

Doch wo steht die Arbeiterklasse in diesem Konflikt? Sie darf den "starken Staat" nicht unterstützen, denn schon morgen könnten sich die gleichen Staatorgane gegen Streiks und Kampfaktionen der Arbeiter wenden. Dann wird sich die staatliche Bespitzelung gegen die bewussten Arbeiter und ihre Führer richten.

Am 22. Juli brachte die Tageszeitung Repubblica, die dem Anti-Berlusconi-Lager zuzurechnen ist, ein Interview mit dem Schauspieler und Fini-Anhänger Luca Barbareschi. Dieser verharmloste darin das Abhören: "Ich zum Beispiel wäre zufrieden, wenn man mich abhören würde, denn ich habe nichts Schlechtes getan."

An Berlusconi ließ er kein gutes Haar: "Er hat mich und die Italiener für dumm verkauft." Den Staat habe er in ein Bordell verwandelt. Von Fini sagte Barbareschi, dieser sei "ein wahrer Staatsmann, der einzig wertvolle". Repubblica veröffentlichte das Interview kommentarlos und ohne ein Wort der Kritik.

Für die Rechten und Postfaschisten in der Regierung ist Silvio Berlusconi heute eine Belastung, weil er nur sein persönliches Interesse im Auge hat. Seine Skandale und Korruptionsfälle untergraben die Autorität des Staats und bringen die Bevölkerung gegen ihn auf. Der Staat aber wird in der Krise gebraucht, um im Interesse der Wirtschaft der arbeitenden Bevölkerung die nötigen Opfer abzupressen.

Für Berlusconi war die politische Karriere von Anfang an der Weg, sein Unternehmen vor dem Bankrott und sich selbst vor gerichtlicher Verfolgung zu schützen. Der Regierungschef ist der reichste Mann Italiens und nennt gleichzeitig drei Fernsehkanäle, ein Verlagshaus, eine Bank und eine Versicherung sein eigen.

Das Maulkorbgesetz des Regierungschefs ist stark auf ihn persönlich zugeschnitten. Liebend gern möchte er den Zeitungen verbieten, kompromittierende Einzelheiten nicht nur über sein Privatleben, sondern auch über seine Vergangenheit, seine Geschäftsbeziehungen und seine Verbindungen zur Unterwelt preiszugeben. Selbst die rechtsbürgerliche Neue Zürcher Zeitung schreibt, es sei "fraglich, ob es der ... Regierung bei ihrem neuen Gesetzesvorstoß ... wirklich in erster Linie - wie sie behauptet - um den Schutz der Privatsphäre der Normalbürger geht".

Die Korruptionsskandale übersteigen heute bei weitem das Ausmaß des Tangentopoli-Sumpfs von 1991, und Berlusconi ist tief darin verstrickt. Fast täglich muss ein neuer Minister oder Staatssekretär zurücktreten. Industrieminister Claudio Scajola stolperte im Mai über einen privaten Immobilienskandal. Die zwei Unterstaatssekretäre Nicola Cosentino und Giacomo Caliendo sowie ein Koordinator der Berlusconi-Partei PdL, Denis Verdini, sind in den Aufbau einer neuen, kriminellen Parallelstruktur ("Loge P3") verstrickt, deren Ziel es sein soll, juristische und wirtschaftliche Entscheidungen zu beeinflussen.

Berlusconi machte Aldo Brancher, einen Manager seines eigenen Konzern Fininvest, zum Föderalismusminister - aus dem einzigen Grund, um ihn vor einem Gerichtsverfahren wegen Veruntreuung zu schützen. Ein Misstrauensantrag der Opposition, dem auch die Lega Nord zustimmte, zwang Brancher schon nach zwei Wochen wieder zum Rücktritt.

Vor wenigen Wochen wurde der langjährige Berlusconi-Vertraute, Senator Marcello Dell’Utri, wegen Mafia-Zugehörigkeit in zweiter Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt. Dell’Utri hatte Anfang der 1990er Jahre mit Berlusconi zusammen seine erste Partei Forza Italia gegründet, als Sozialisten und Christdemokraten im Mani pulite -Strudel untergingen. Offenbar haben damals Leute wie Dell’Utri Verbindungen zu einflussreichen Wirtschaftsbossen geknüpft und selbst die Cosa Nostra davon überzeugt, in Berlusconi "ihren Mann" zu sehen und seinen Aufstieg mit Geld und Wählerstimmen zu unterstützen.

Mit der jüngsten Niederlage gegen Gianfranco Fini sieht es für Berlusconi schlechter aus denn je. Müsste er tatsächlich gehen, wäre Fini sein wahrscheinlicher Nachfolger. Die parlamentarische Opposition des Mitte-Links-Lagers, das aus Demokraten (PD), Italien der Werte (IdV) und den Rifondazione-Nachfolgeparteien besteht, ist zurzeit keine ernst zu nehmende Konkurrenz.

Das Mitte-Links-Lager unterstützt und verteidigt den Staat, es akzeptiert die Notwendigkeit von Kürzungen und entwaffnet die Arbeiter durch die Beschränkung der Gewerkschaften auf isolierte, eintägige Kampfmaßnahmen. Wenn es gegen Berlusconi geht, arbeitet es sogar mit Fini zusammen und verwirrt die politischen Fragen, um die es geht.

Die jüngste Entwicklung im Kampf um das Abhörgesetz stellt eine gefährliche weitere Rechtswende dar. Die Arbeiterklasse steht vor der Herausforderung, sich der Fessel der Gewerkschaften und "Links"-Parteien zu entledigen und einen unabhängigen Kampf aufzunehmen.