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Steuerskandal um Milliardärin Bettencourt erschüttert französische Regierung

Von Alex Lantier
9. Juli 2010
aus dem Englischen (7.Juli 2010)

Enthüllungen, dass hohe französische Staatsbeamte, die von der arbeitenden Bevölkerung soziale Opfer fordern, von der Milliardärin Liliane Bettencourt Geld entgegengenommen und ihr bei der Steuerhinterziehung geholfen haben, lassen die Wellen der öffentlichen Empörung hochschlagen.

Die Nachrichtenwebsite Mediapart veröffentlichte Anfang der Woche Interviews, die Präsident Nicolas Sarkozy mit der Bettencourt-Affäre in Verbindung bringen. Befragt wurde Claire T., Bettencourts ehemalige Buchhalterin, gegen die derzeit ermittelt wird und die in der Nacht zuvor von der Polizei befragt worden war.

Die Aussagen der Buchhalterin legen nahe, dass Bettencourt Sarkozys Wahlkampagne illegal mitfinanziert hat. Dies droht Sarkozys politisches Ansehen in der herrschenden Klasse zu untergraben, da es ihm die Durchsetzung sozialer Einschnitte, die die Finanzmärkte und das politische Establishment von ihm fordern, erheblich erschwert. Kürzlich erreichten die Umfragewerte für Sarkozy ein Rekordtief von 26 Prozent.

Claire T. erklärte, sie habe 50.000 Euro pro Woche von Bettencourts Konten abgehoben. "Zum einen Teil ging das Geld an Ärzte, Frisöre, kleinere Angestellte etc. Zum anderen an Politiker... Im Haus gab es einen regelrechten Aufmarsch an Politikern. Sie erschienen meistens in Wahlkampfzeiten. "Dédé" (Lilianes verstorbener Ehemann André Bettencourt) vergab sein Geld recht großzügig. Jeder (Politiker) kam, um seinen Umschlag abzuholen. Einige erhielten 100.000 oder 200.000 Euro."

Eines Tages hätte Bettencourts Finanzberater Patrice de Maistre sie gebeten, die ungewöhnliche hohe Summe von 150.000 Euro abzuheben. Auf die Frage, warum dies notwendig sei, habe de Maistre geantwortet: "Es geht um Sarkozys Wahlkampagne! Ich werde es der Person geben, die mit der Finanzierung der Kampagne beauftragt ist, Eric Woerth. Und 50.000 Euro sind da nicht genug."

Das Geld wurde schließlich am 26. März 2007 abgehoben, kurz vor Sarkozys Wahl im Mai jenes Jahres. Bettencourt bekam, wofür sie bezahlte hatte: Nach Informationen, die Mediapart als erste veröffentlichte, führte eine von Sarkozy kurz nach seiner Wahl eingeführte Steuererleichterung für die Reichen im März 2008 zu einem Steuernachlass von 30 Millionen für Liliane Bettencourt.

Claire T. sagte aus, Sarkozy sei häufig zum Abendessen erschienen. "Nicolas Sarkozy erhielt ebenfalls seinen Umschlag, in einem der kleinen Wohnzimmer im Erdgeschoss neben dem Esszimmer. Üblicherweise nach dem Abendessen. Alle im Hause wussten davon. Da Monsieur und Madame Bettencourt beide an leichter Taubheit litten, sprachen sie sehr laut und wir hörten oft Dinge, die nicht für unsere Ohren bestimmt waren. Um es noch einmal klarzustellen: Alle im Hause wussten, dass auch Sarkozy sich bei den Bettencourts Geld abholte. Er war ein regelmäßiger Besucher."

Sie bestätigte, dass Bettencourt "zumindest seit 1995 keine einzige Steuerprüfung über sich ergehen lassen musste. Ich habe nie so etwas wie einen Steuerprüfer gesehen, das kann ich versichern. Man kann getrost sagen, dass wir uns wegen der Finanzbehörden keine Sorgen zu machen brauchten."

Die Bettencourt-Affäre kam ans Tageslicht, als Lilianes Tochter, Francoise Bettencourt-Meyers, wegen des Zugriffes auf ein Guthaben von etwa einer Milliarde Euro gegen ihre Mutter und deren Liebhaber, Francois-Marie Banier, vor Gericht zog. Bettencourt-Meyers warf Banier, einem 53 Jahre alten Gesellschaftsfotografen, vor, von "der Altersschwäche ihrer Mutter zu profitieren", um ihre Familie finanziell zu übervorteilen. Nach einer 18-monatigen rechtlichen Auseinandersetzung begann der Prozess im letzten Juli.

Am 16. Juni veröffentlichte Mediapart kurze Auszüge aus Ton-Mitschnitten, die heimlich von Bettencourts Butler gemacht worden waren und mit denen er sich gegen potentielle juristische Schritte durch Banier und Bettencourt absichern wollte. Sie legen nahe, dass Bettencourt ohne Wissen der französischen Steuerbehörden Übersee-Bankkonten in der Schweiz, in Singapur und auf der Insel D’Arros auf den Seychellen unterhielt.

Dies führte zu Vorwürfen um einen Interessenskonflikt gegen Woerth. Er verhandelt derzeit mit den Gewerkschaften über die Unterschrift unter einen Eckpfeiler von Sarkozys Sozialpolitik - eine höchst unpopuläre Rentenkürzung, einschließlich einer Heraufsetzung des Rentenalters um zwei Jahre. Woerths Ehefrau Florence wurde im November 2007 von Clymène angestellt, der Gesellschaft, die Bettencourts Finanzholdings verwaltet. Dort verdiente sie in etwa 13.000 Euro pro Monat plus einem jährlichen Bonus in Höhe von 50.000 Euro.

In einer der Tonaufnahmen des Butlers sagt de Maistre zu Bettencourt: "Als ich sie einstellte, habe ich einen Fehler gemacht... Die Frau eines Ministers einzustellen, ist kein Plus, sondern ein Minus... Dass Sie als reichste Frau Europas die Frau eines Ministers auf Ihren Lohnlisten haben, bedeutet, dass alle Zeitungen sagen werden, dass es Interessensvermischungen gibt. Ich gebe zu, dass ihr Mann, als ich sie einstellte, bereits Finanzminister war, aber er bat mich, es zu tun und ich tat es, um ihm einen Dienst zu erweisen."

Die Enthüllung dieser inzestuösen Verbindung zwischen Regierung und Ultrareichen belegt auf eindrucksvolle Weise den Klassencharakter des Staates und entlarvt schonungslos die Politik, die er verfolgt. Die sozialen Kürzungen, die Sarkozy verlangt, dienen dazu, die Privilegien und den ausschweifenden Lebensstil der kapitalistischen Elite zu verteidigen - einer Finanzaristokratie, die auf die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung mit Verachtung herabsieht.

Die Einschnitte, für die Woerth verantwortlich ist, gelten der internationalen Bourgeoise als überaus wichtig für die Senkung von Staatsdefiziten und die Stabilität des Euro. Um die Haushaltsdefizite auf das Maastricht-Limit von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken, Bettencourt und ihren Milliardärsfreunden aber gleichzeitig auch weiterhin steuerliche Straffreiheit zu garantieren, muss der französische Staat 100 Milliarden an Sozialausgaben einsparen - durch Maßnahmen, die sich direkt gegen die Arbeiterklasse richten.

Die internationalen Großbanken und die Ratingagenturen drohen damit, Frankreichs Kreditwürdigkeit herabzustufen, indem sie dem Land den AAA-Kreditstatus entziehen, wenn es ihm nicht gelingt, diese Kürzungen durchzusetzen.

Derzeit steht die Regierung hinter Woerth. Sarkozy wies die Anschuldigungen als "vollkommen unrealistisch" und als Beweis für die "Verkommenheit unserer Zeit" zurück. Er versprach, mit den Kürzungen fortzufahren.

Er erklärte: "Wir können uns nicht damit begnügen, zu sagen: ‘Oh mein Gott, es wird eine Wahl geben, wir können keine Reformen durchsetzen.’ Ich bin für 5 Jahre gewählt und ich werde bis zur letzten Sekunde an dieser Sache arbeiten."

Woerth sagte: "Nicolas Sarkozy hat Recht, mir zu vertrauen. Es ist ausgeschlossen, dass ich zurücktrete und damit denen Recht gebe, die mich angreifen."

Dennoch gibt es Anzeichen für wachsenden Rücktrittsdruck auf Regierungsbeamte. Zwei Staatssekretäre - Alain Joyandet, zuständig für internationale Zusammenarbeit, und Christian Blanc, mit der Planung des Ausbaus des Großraums Paris betraut - traten vorgestern zurück, nachdem vergleichsweise geringe finanzielle Fehltritte bekannt geworden waren. Es hieß, Joyandet habe 116.500 Euro an öffentlichen Mitteln benutzt, um ein Privatflugzeug zu mieten und damit nach Martinique zu fliegen, um an einer Konferenz über Haiti teilzunehmen. Blanc hatte seiner eigenen Behörde 12.000 Euro für Zigarren in Rechnung gestellt.

Alain Joannès kommentierte in der Zeitung Le Télégramme : "Der erzwungene Rücktritt zweier Staatssekretäre zeigt nur, dass die Regierung nach einem Sündenbock sucht, um Eric Woerth zu schützen. Zwei Leute zu opfern, um einen dritten zu retten, der erheblich stärker gefährdet erscheint, deutet allerdings auf eine ziemliche Panik an der Spitze."

Die Parti Socialiste (PS), die größte bürgerliche Oppositionspartei, verlangt eine Kabinettsumbildung, damit die Regierung ihr Kürzungsprogramm mit einer weniger kompromittierten Mannschaft fortsetzen kann. Dies spiegelt das allgemeine Einverständnis innerhalb der herrschenden Klasse wider, die Staatsausgaben zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung zu kürzen.

Der ehemalige Sekretär der PS, François Hollande, sagte: "Eine Kabinettsneubildung ist nötig. Es ist nicht meine Aufgabe, sie vorzunehmen, aber es ist meine Aufgabe zu sagen, dass die gegenwärtige Mannschaft diskreditiert ist."

Der Sprecher der PS, Benoît Hamon, sagte: "Ich sage und ich wiederhole, dass Monsieur Woerth die Aufgabe hat, eine Reform durchzuführen, die in unser aller Interesse liegt - die Rentenreform - und dass er heute weder fähig, noch in der Lage, noch legitimiert ist, diese Mission zu vollenden."

Was auch immer die gegenwärtige Position der PS-Vertreter ist, es besteht kein Zweifel, dass mächtige Teile der herrschenden Klasse sich für ein drastischeres Vorgehen gegen Sarkozy einsetzen werden, wenn er sich als unfähig erweist, die sozialen Kürzungen durchzusetzen. Es gibt zunehmende Spekulationen, dass Sarkozy kein zweites Mal in das Präsidentenamt gewählt werden wird.

Die Enthüllungen im Fall Bettencourt kommen von hochrangigen Vertretern der Justiz, die gegen sie ermitteln. Sie lassen regelmäßig Informationen an Mediapart durchsickern, das seinerserseits ein unbestrittener Teil des Establishments ist.

Mediapart wurde von einem Journalistenteam unter der Führung von Edwy Plenel, einem ehemaligen Redakteur der französischen Tageszeitung Le Monde und ehemaligen Mitglied der Ligue Communiste Révolutionnaire, gegründet. Mediapart erhielt kurz nach seiner Einführung öffentliche Unterstützung durch die Präsidentschaftskandidatin der PS, Ségolène Royal.

Jegliche Unterstützung der Bettencourt-Untersuchung durch irgendeinen Teil der französischen herrschenden Klasse ist durch und durch heuchlerisch. Man ist sich nicht nur über die Notwendigkeit der Sarkozy-Woerth-Rentenkürzungen einig, sondern auch darüber, dass es notwendig ist, eine Veröffentlichung der politischen Biografie der Liliane Bettencourt zu verhindern und Informationen über die Herkunft ihres Vermögen und ihre Verbindungen innerhalb des gesamten politischen Establishments zu vertuschen. Obwohl weithin bekannt, sind diese Einzelheiten von den Medien im Verlauf des gegenwärtigen Skandals weitgehend ignoriert worden.

Lilianes Vater, Eugène Schueller, gründete L’Oréal und finanzierte die faschistische Gruppe La Cagoule in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre. La Cagoule war weithin gefürchtet und verhasst wegen ihrer gewaltsamen Angriffe auf jüdische und kommunistische Ziele in Frankreich, einschließlich des Brandbombeneinsatzes gegen Synagogen und der Ermordung sowjetischer Beamter und italienischer Staatsangehöriger, die vor der faschistischen Diktatur Benito Mussolinis flohen. Sie versorgte außerdem die faschistischen Rebellen des General Franco während des Spanischen Bürgerkrieges mit Waffen.

Während des Zweiten Weltkrieges unterstützte La Cagoule weitgehend die nationalsozialistische Besetzung Frankreichs, obwohl einige ihrer Mitglieder das Lager wechselten, als klar wurde, dass Nazi-Deutschland den Krieg verlieren würde. La Cagoule half mit, die Légion des Volontaires Français zu gründen, eine Freiwilligenorganisation, die an der Ostfront mit den Nazis gegen die UdSSR kämpfte.

Diverse junge Männer, die Schueller in den Dreißiger Jahren, in denen er im Umfeld von La Cagoule eine aktive Rolle spielte, begegneten, spielten später in der französischen Politik eine Rolle. Unter diesen befand sich sein späterer Schwiegersohn André Bettencourt, der im November 2007 starb und - vor allem - François Mitterrand, der zukünftige Führer der PS und französische Präsident von 1981 bis 1995.

Während der Nazibesetzung schrieb André Bettencourt für die Nazi-finanzierte Zeitung La Terre Française ("Die französische Erde"). In der Ausgabe, die Ostern 1941 erschien, denunzierte er Juden als "heuchlerische Pharisäer", deren "Rasse in alle Ewigkeit mit Jesus’ Blut befleckt ist". Als diese Schriften vom L´Oréal-Aufsichtsratsmitglied Jean Frydman 1994 ans Licht gebracht wurden, gab Bettencourt offen zu, diese Sätze geschrieben zu haben und führte ihren Inhalt auf "jugendliche Irrtümer" zurück.

Er behauptete, sich der französischen Résistance 1943 angeschlossen zu haben - insbesondere der Zelle, die von Mitterrand geführt wurde, damals Vichy-Beamter. Bettencourt behauptete, er habe Mitterrand geholfen, im November 1943 mit einem Flugzeug nach London zu entkommen.

Bettencourt arbeitete am Ende des Zweiten Weltkrieges unter de Gaulle und begann danach eine prominente Karriere in der Politik. Er hatte von den 50er Jahren bis in die 70er hohe Ämter unter diversen konservativen und sozialdemokratischen Regierungen inne und war bis 1995 als Senator der Normandie in der Gesetzgebung aktiv.

Es war vor allem Bettencourts Aussage - zusammen mit der von Mitterrand und Jacques Sadoul, einem Mitglied der französischen kommunistischen Partei - die Schueller nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Besetzung half, einer Verurteilung wegen Kollaboration mit den Nazis zu entgehen, was mit Sicherheit zur Konfiszierung seiner Anteile an der L’Oréal-Holding geführt hätte. Bis zum heutigen Tag wird dieses Geld eingesetzt, um die gegen die Arbeiterklasse gerichtete Politik der herrschenden französischen Elite zu finanzieren.