Nach den Wahlen in Massachusetts: Obama schimpft auf die Wall Street
Von Patrick Martin
29. Januar 2010
aus dem Englischen (25. Januar 2010)
In einem durchsichtigen Manöver hat sich Präsident Barack Obama durch öffentliche Kritik an den Großbanken am Donnerstag, und mit einer Rede über Arbeitsplätze in der Industriestadt Elyria in Ohio am Freitag, als Verteidiger der Bevölkerung gegenüber der Wirtschaft aufgespielt.
Mit seiner "Wendung zum Populismus" - so nannten dies Medienexperten und Insider im Weißen Haus - reagierte Obama auf die katastrophale Niederlage der Demokratischen Partei bei den Wahlen zum US-Senat in Massachusetts mit massiver Kritik an der Wall Street.
Berater im Weißen Haus deuteten bei ihren Auftritten in den sonntäglichen Fernsehinterviews an, dass Obama in seine erste Rede zur Lage der Nation am Mittwochabend vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses und vor dem amerikanischen Fernsehpublikum populistische Motive einfließen lassen werde.
Der Spitzenberater des Weißen Hauses, David Axelrod, behauptete, die Niederlage der Demokraten sei keine Wahl gegen Obama gewesen. "Dieselben Kräfte, die sich in Massachusetts ausdrückten, haben ihn auch ins Amt gebracht", sagte er.
"Hier wird keinerlei neue Botschaft kreiert. Es ist die Bestätigung einer Botschaft. Unser Ziel ist, uns entschlossen für die Mittelklasse einzusetzen, und für die Menschen im ganzen Land, die auch vor der Rezession schon lange wirtschaftlich zu kämpfen hatten."
Diese Redensarten zeigen, wie sich die Demokratische Partei im Vorfeld der Kongresswahlen im November an die arbeitende Bevölkerung richten will, ein Jahr nachdem die Regierung Obama und die demokratische Mehrheit im Kongress alles getan haben, um die Gewinne der Wirtschaft zu steigern und die amerikanische Finanzelite zu begünstigen.
In seiner Rede am Donnerstag tadelte Obama die Wall Street, weil sie den Zusammenbruch vom September 2008 verursacht habe. "Diese Wirtschaftskrise begann als Finanzkrise, als Banken und Finanzinstitute in ihrem Streben nach dem schnellen Gewinn und enormen Boni riesige und gewagte Risiken eingingen", sagte er. "Märkte brachen ein, das Kreditwesen trocknete aus, Arbeitsplätze gingen jeden Monat zu Hunderttausenden verloren. Wir befanden uns am Rande einer zweiten Großen Depression."
Er fuhr dann fort: "Um diese Katastrophe zu vermeiden, war das amerikanische Volk, das schon ums eigene Überleben zu kämpfen hatte, gezwungen, Finanzgesellschaften zu retten, die mit größtenteils selbst verschuldeten Krisen konfrontiert waren. Und diese von der Vorgängerregierung unternommene Rettungsaktion war wirklich unerträglich. Dennoch war sie notwendig, konnte das Finanzsystem stabilisieren und zur Vermeidung der Depression beitragen.
Das ist eine äußert verkürzte Geschichte, mit der die entscheidende Rolle von Obama selbst und seiner wirtschaftspolitischen Spitzenberater beschönigt wird. Obama unterstützte die von der Regierung Bush eingeleiteten Rettungspakete und stimmte im Senat für sie. Als nominierter Präsidentschaftskandidat der Demokraten und klarer Favorit für die Novemberwahl war seine Unterstützung eine notwendige Voraussetzung für die Genehmigung. Und er gelobte damals, dass im Falle seiner Wahl seine Regierung das Programm fortsetzen werde.
Die Hälfte der anfänglich 700 Milliarden Dollar Rettungsgelder und der Großteil der Zinsgarantien und anderen Hilfen für die Wall Street wurden unter Federführung von Finanzminister Timothy Geithner von der Regierung Obama bereitgestellt. Für das sogenannte Konjunkturprogramm für das ganze übrige Amerika wurde gerade einmal ein Dreißigstel der Summe aufgebracht, wie für die Bankenrettung. Das zeigte, dass die Vertretung der Interessen der Finanzaristokratie für Obama erste Priorität besitzt. Das gilt auch für Bush und jeden anderen demokratischen oder republikanischen Politiker.
Zu Obamas absolut zynischer Bezugnahme auf "das amerikanische Volk" ist anzumerken, dass das Volk bei der ganzen Bankenrettung überhaupt nichts zu melden hatte. Die Rettungsaktion war äußerst unpopulär, und wurde immer verhasster, als Profite und Aktienwerte der Banken wieder nach oben schnellten und die Banker wie in den Jahren zuvor ihre unersättliche Spekulation und ihr eigennütziges Gewinnspiel mit den Boni wieder aufnahmen.
Seine geradezu groteske Verdrehung des Ablaufs der Rettungsaktionen verband Obama mit der Behauptung, seine Regierung werde nun umfassende Maßnahmen zur Verhinderung einer Wiederholung des finanziellen Zusammenbruchs ergreifen. Warum das nach dem größten Finanzcrash seit der Großen Depression erst mit einem ganzen Jahr Verspätung kommt, konnte er nicht erklären. Er machte nur wenige detaillierte Aussagen und legte anstatt dessen ein Gelöbnis ab: "Nie wieder wird der amerikanische Steuerzahler von einer Bank, die zum Scheitern zu groß ist in Geiselhaft genommen werden."
Obama sagte, er werde ein Verbot des Eigenhandels für kontoführende Geschäftsbanken vorschlagen, weiter solle diesen Banken untersagt werden, in Hedge Fonds und Private Equity Fonds zu investieren oder diese zu besitzen. Die ohne Präzisierung gemachte Ankündigung kam für europäische und asiatische Regierungen und Märkte völlig überraschend und löste Irritationen, ja, fast Panik aus, was am Donnerstag und Freitag in den USA und international zu scharfen Kurseinbrüchen führte.
Zum Schluss nahm Obama noch "das Heer von Industrielobbyisten, das aus der Wall Street über den Capitol Hill herfällt", aufs Korn und erklärte, "wenn diese Leute den Kampf wollen, finden sie mich bereit." Da sich das Personal der Regierung Obama zum großen Teil aus der Finanzindustrie rekrutiert - auch Geithner, sowie der führende Wirtschaftsberater Lawrence Summers und Stabschef Rahm Emanuel sind dazuzuzählen - ist dies die krasseste aller trügerischen Maskeraden.
Die wirkliche Klassenorientierung der Regierung Obama wird durch die Person charakterisiert, die Obama als Schwergewicht bei seinem "Angriff" auf die Banken nach vorn schiebt - Paul Volcker, ehemaliger Chef des Federal Reserve Board zur Zeit der Regierungen Jimmy Carters und Ronald Reagans. Bei großen Teilen der amerikanischen Arbeiterklasse war Volcker in den 1980er Jahren wegen seiner Hochzinspolitik verhasst. Sie hatte verheerende Auswirkungen auf die industrielle Produktion und führte zur höchsten Arbeitslosigkeit seit der Großen Depression, bis sie beim gegenwärtigen Absturz noch übertroffen wurde.
Vor seiner Zuhörerschaft am letzten Freitag in Elyria in Ohio, die hauptsächlich aus Arbeitern bestand, steigerte Obama seine populistische Rhetorik noch einmal. Das Wort "Kampf" wiederholte er bestimmt zwanzig Mal. Er versuchte sein reaktionäres Gesundheitsprogramm schmackhaft zu machen, welches im Kern die Ausgaben von Medicare einschränkt und die Gesundheitsleistungen für besser bezahlte Arbeiter besteuert, als wäre es ein wirtschaftlicher Segen nicht für die amerikanische Wirtschaft, sondern für die arbeitende Bevölkerung.
Die Rede wurde zwar live vom Kabelfernsehen übertragen und von den übrigen Medien ausgiebig verbreitet, aber Obamas Bemerkung, die Banken könnten eher zuviel Regulierung unterworfen werden, als zu wenig, erfuhr wenig Beachtung. "Die Banken fassen den prüfenden Blick des Regulators über ihre Schulter als Beengung bei der Kreditvergabe auf", teilte er der Bürgerversammlung mit. Er habe Finanzminister Geithner angewiesen "das Pendel nicht zu weit ausschlagen" zu lassen, bemerkte er dazu.
Bei seiner Bankenschelte fand Obama aber auch Gelegenheit, dem Vorsitzenden der Federal Reserve, Ben Bernanke, sein Vertrauen auszusprechen und schwankende Demokraten zu ermahnen, diese Woche Bernankes Ernennung für eine zweite Amtsperiode zu bestätigen. Nachdem verschiedene demokratische Senatoren nach der Wahl in Massachusetts populistische Töne anschlugen, und ihre Ablehnung der Nominierung Bernankes ankündigten, unternahmen Lobbyisten der Regierung eine Gegenoffensive im Kapitol. Am Samstag konnten dann die Einpeitscher des Weißen Hauses bestätigen, dass die notwendigen 60 Stimmen zur Verhinderung eines Filibusters gegen die Nominierung Bernankes gesichert seien.
Obamas Unterstützung für den Chefarchitekten der Bankenrettung unterstreicht die Unehrlichkeit und die politische Berechnung, die hinter seiner populistischen Rhetorik stecken. Die etablierte Presse spricht unverblümt von politischen Kalkulationen, die Obamas Show mit dem Titel "Verärgerung über die Banken" zugrunde liegen.
In einer Analyse auf der Titelseite legte die Washington Post am Sonntag dar, dass in Folge des Debakels von Massachusetts, "die Rhetorik des Präsidenten in der letzten Woche vermuten lässt, er versuche Wut mit Wut zu bekämpfen. Wenn die Amerikaner Bankenrettung und Boni für Spitzenmanager satt haben, will Obama sie glauben machen, er ärgere sich genauso darüber."
Ziemlich untertrieben meinte die Post : "Seine Kampf-, Kampf- und nochmalige Kampfrhetorik markiert eine bedeutende Veränderung in seinem Auftreten", und fügte hinzu: "Ohne Frage verheißt eine Dosis populistischer Rhetorik Obama die Chance auf politische Vorteile. Wenn die Wähler denken, die Regierung habe mehr für Banker, Autofirmen und große Gesellschaften getan als für sie, muss der Präsident gegen diesen Eindruck angehen."
Das Weiße Haus gab auch bekannt, dass David Plouffe und andere Werbespezialisten aus der Wahlkampagne von 2008 zur Schärfung der Botschaft in die derzeitige Kampagne mit einbezogen werden. Das unterstreicht nur den Showcharakter und die Substanzlosigkeit der populistischen Rhetorik. Obama und seine Spitzenberater wollen sich als Gegner der Wall Street in Szene setzen, während sie den Finanzkreisen hinter vorgehaltener Hand versichern, dass in Wirklichkeit wenig oder gar nichts zur Beschränkung ihrer Spekulationen und Riesenboni unternommen wird.
Sie glauben einen politischen Vorteil herausschlagen zu können, wenn sie scheinbar Strafmaßnahmen gegen die Wall Street vorschlagen, die durch einen Filibuster im Senat oder durch ein Bündnis mit konservativen Demokraten in beiden Häusern sicher zu Fall gebracht werden, weil die Republikaner im Kongress prinzipiell gegen alle Vorschläge aus dem Weißen Haus stimmen.