Afghanistan-Konferenz in London:
Das Land wird noch jahrelang besetzt bleiben
Von Chris Marsden
30. Januar 2010
aus dem Englischen (29. Januar 2010)
Die Londoner Konferenz sieht für Afghanistan vor, dass das Land noch mindestens fünf weitere Jahre militärisch besetzt bleibt. Der afghanische Präsident Hamid Karsai geht sogar eher von zehn bis fünfzehn Jahren aus.
Vergessen ist Präsident Barack Obamas Behauptung, der Abzug amerikanischer Truppen werde schon 2011 beginnen. In einer Region nach der anderen sollen afghanische Kräfte die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen, was je nachdem, wie das Militär die Lage einschätzt, noch viele Jahre dauern kann.
Mehrere afghanische Warlords, die heute noch mit aufständischen Taliban zusammenarbeiten, sollen in eine gemeinsame Regierung mit Karsai gelockt werden. Bis zu 12.000 afghanische Kämpfer sollen mit einem Schmiergeldfond von über 460 Millionen Euro gekauft und den Aufständischen abspenstig gemacht werden. Das Geld wird von den USA, Japan, Großbritannien, Deutschland und anderen Ländern bereitgestellt. Allerdings sind bisher erst 105 Millionen Dollar zugesagt worden. Am Anfang wird jedoch eine neue militärische Großoffensive stehen, die die Taliban davon überzeugen soll, dass Widerstand zwecklos sei.
Der britische Premierminister Gordon Brown sagte, der internationale Fond solle "jenen eine wirtschaftliche Alternative bieten, die sonst keine andere hätten" außer der, für die Aufständischen zu kämpfen.
Präsident Karzai sagte: "Damit unser Programm erfolgreich sein kann, hoffen wir, dass Seine Majestät König Abdullah bin Abdul-Aziz von Saudi-Arabien so gütig sein wird, den Friedensprozess hilfreich zu begleiten und anzuleiten."
Er forderte "unsere Nachbarn, vor allem Pakistan" auf, "unsere Friedens- und Aussöhnungsbemühungen zu unterstützen".
Karzai sagte, auf die Bildung eines Nationalen Friedens-, Versöhnungs- und Reintegrationsrats werde eine "Friedens-Jirga" [Ratsversammlung der Stammesvertreter] folgen, bei der König Abdullah eine "wichtige Rolle" spielen solle.
Diese Politik richte sich vor allem an verschiedene Warlords, denen eine Rolle in der Regierung angeboten werden soll. Der Zynismus dieses Plans ist wirklich atemberaubend. Schließlich war der Krieg 2001 unter dem Vorwand begonnen worden, dass das Taliban-Regime gestürzt werden müsse, weil es Osama bin Laden verstecke und Verbindungen zu al-Qaida unterhalte.
Bin Laden wird heute kaum noch erwähnt, und die USA unterhalten Kontakt zu mehreren Taliban-Führern, zum Beispiel zu Mullah Mohammad Omar. US-Verteidigungsminister Robert Gates nennt diese Kräfte heute Teil des "politischen Lebens" in Afghanistan.
US-Kommandeur Stanley McChrystal sagte der Financial Times vor der Londoner Konferenz: "Ich denke, jeder Afghane kann eine Rolle spielen, wenn er in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit blickt."
Um dieses Manöver zu ermöglichen, sind schon fünf hohe Taliban-Vertreter von der Sanktionsliste der Vereinten Nationen gestrichen worden.
Langfristig wird angestrebt, Afghanistan in ein von den USA kontrolliertes Protektorat zu verwandeln, das von einem Marionettenregime regiert wird. Zunächst wird der Schwerpunkt allerdings auf einer verstärkten militärischen Offensive der USA liegen, gestützt auf die 110.000 amerikanischen Soldaten, die nach Obamas Truppenaufstockung im Land sein werden. Brown drohte: "Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Aufständischen, die nicht einsichtig sind, militärisch zu jagen."
Generalmajor Nick Carter, Kommandeur der 45.000 Nato-Soldaten in der Provinz Helmand, kündigte eine große Offensive an, um "die Kontrolle der afghanischen Regierung in Gebieten wiederherzustellen", die gegenwärtig von den Taliban kontrolliert werden. An der Operation werden die 10.000 britischen Soldaten in Helmand und 13.000 neu angekommene US-Marines beteiligt sein.
Ein ungenannter Londoner Diplomat bezeichnete diese Herangehensweise als Anwendung von "Zuckerbrot und Peitsche". Er erläuterte: "Vor Ort werden dieses Jahr 40.000 zusätzliche Soldaten die Lage für die Taliban ungemütlich machen. Das Zuckerbrot ist das Geld und ein Platz in der Machtstruktur Afghanistans."
In Wirklichkeit wird das Zuckerbrot den Warlords angeboten, während die Peitsche den aufständischen Kämpfern und der afghanischen Zivilbevölkerung zugedacht ist.
Für diese Kampagne, die Taliban zu demoralisieren und Teile von ihnen in die Regierung einzubinden, sind mindestens drei Jahre vorgesehen. Die afghanischen Kräfte werden aber erst "in fünf Jahren die tatsächliche Verantwortung für die Sicherheit übernehmen". Dennoch lehnte Brown ab, einen Zeitplan für den Abzug zu nennen. Er betonte, erst müsse sichergestellt sein, dass "die Afghanen in den Provinzen, in denen wir operieren, die Sicherheit übernehmen können".
McChrystal sagte der Financial Times auch: "Ich glaube, es wird noch stärker von bestimmten Bedingungen abhängen. Erst müssen besondere Bedingungen für den Übergang erfüllt sein."
In einem BBC-Interview vor der Konferenz war Karzai sogar noch pessimistischer. Er erklärte: "Für die Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte sollten fünf bis zehn Jahre ausreichen. Bis sie sich selbst erhalten können ... sind eher zehn bis fünfzehn Jahre zu veranschlagen."
Die Londoner Konferenz zeigte, dass die internationalen Großmächte ganz scharf darauf sind, die amerikanische Intervention in Afghanistan zu unterstützen. Obwohl die Sorge wächst, die Besatzung könnte im Schlamassel enden und viele Soldaten und Unsummen Geldes kosten, will niemand es sich mit den USA verderben. Keiner will ausgeschlossen sein, wenn es um Einfluss in den angrenzenden öl- und gasreichen Regionen geht.
An der Konferenz nahmen etwa sechzig Länder, wie auch Vertreter der Nato, der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Weltbank teil.
Brown prahlte, seit Obamas Ankündigung der Truppenverstärkung seien mehr als 8.000 zusätzliche Nato-Soldaten zugesagt worden. Vier weitere Länder sind der UN-Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) beigetreten: Armenien, die Mongolei, Montenegro und Südkorea. Keines von ihnen ist Nato-Mitglied. Sie haben zusammen 800 Soldaten zugesagt, die meisten davon aus Südkorea. Das bedeutet, dass inzwischen 47 Länder in Afghanistan aktiv sind. Am Tag vor der Konferenz sagte Deutschland zusätzlich 850 Soldaten zu.
Das alles kann die wachsenden Probleme nicht lösen, mit denen die USA in Afghanistan konfrontiert sind. Die Regierung in Washington wird Karzai nicht los. Dessen korruptes Regime ist äußerst unpopulär und kann sich nur an der Macht halten, weil der Westen seinen Wahlbetrug deckt.
Die Taliban sind weit davon entfernt, den militärischen Kampf zu verlieren, und sehen keinen Grund, sich als Marionetten der USA herzugeben. Eine Erklärung der Taliban nannte die Londoner Konferenz "Zeitverschwendung". Sie versuche nur, die ausländische Besetzung zu rechtfertigen. In der Erklärung heißt es: "Die jüngsten Angriffe in Kabul waren eine Botschaft an die Londoner Konferenz: Die Taliban sind nicht zu Verhandlungen bereit und haben nicht die Absicht, mit jenen zusammenzuarbeiten, die sich zu Sklaven der Besatzer machen."
Von den regionalen Mächten nahm der Iran, der mit immer stärkeren Drohungen Washingtons konfrontiert ist, nicht an der Konferenz teil, weil sie zu sehr auf eine Verschärfung des militärischen Vorgehens in Afghanistan ausgerichtet sei. Pakistan nahm zwar teil, aber sein Geheimdienst ISI unterhält solide Verbindungen zu den Taliban. Islamabad ist selbst mit einer immer feindseligeren Haltung Washingtons konfrontiert.
Im Vorfeld der Konferenz veröffentlichte die New York Times zwei geheime Memos von Karl Eikenberry, dem amerikanischen Botschafter in Kabul, der die Lage Amerikas in Afghanistan in den schwärzesten Farben malte. Als Generalleutnant der Armee im Ruhestand hat Eikenberry selbst im Ganzen drei Jahre lang in Afghanistan gedient. Von 2002-2003 war er für den Neuaufbau der afghanischen Sicherheitskräfte verantwortlich. Dann diente er achtzehn Monate lang (2005-2007) als Kommandeur der US-Kräfte in Afghanistan.
Eikenberry hatte in seinen Memos im November gegen den Vorschlag McChrystals Stellung bezogen, die Truppen zu verstärken. Er warnte, eine massive amerikanische Aufrüstung würde noch einmal Dutzende Milliarden Dollar kosten und die Abhängigkeit der Karzai-Regierung von den USA verstärken. Dadurch werde es erst recht "schwierig, wenn nicht unmöglich, unsere Leute in einem annehmbaren Zeitraum nach Hause zu holen".
Er nannte Karzai "keinen adäquaten strategischen Partner", weil er unfähig sei, Verantwortung zu übernehmen und Souveränität auszuüben. "Er und sein Machtzirkel wollen nicht, dass die USA abziehen. Ihnen ist es nur Recht, wenn wir weiter investieren", schrieb er. "Sie gehen davon aus, dass wir ihr Territorium für einen endlosen Krieg gegen den Terror benötigen, und auch für Militärstutzpunkte, die sich gegen benachbarte Mächte richten."
Seine Warnung ist bezeichnend: "Pakistan bleibt die größte Quelle der Instabilität für Afghanistan, solange die Rückzugsgebiete jenseits der Grenze in Takt bleiben." Und weiter: "Wenn wir tatsächlich unsere Präsenz in Afghanistan stark ausweiten, dann könnte die bessere Antwort auf unsere Probleme sein, unser Engagement in Pakistan zu verstärken." Das würde ganz klar die Ausweitung der militärischen Feindseligkeiten bedeuten.
Obamas, Browns und Merkels Pläne sind jedoch gefährdet. Die afghanische Bevölkerung lehnt die Besatzung zutiefst ab. Gleichzeitig ist dieser Krieg in der arbeitenden Bevölkerung der USA und Europas völlig unpopulär.