Die Linkspartei im Verteidigungsausschuss
Von Marius Heuser
16. Januar 2010
Der Verteidigungsausschuss des Bundestags ist ein parlamentarisches Gremium, das demokratische Kontrolle vortäuschen soll, wo keine existiert. Offiziell hat er die Aufgabe, die Streitkräfte zu kontrollieren. Doch seine Mitglieder sind auf strikte Geheimhaltung verpflichtet. Selbst ihren Parlamentskollegen dürfen sie nicht über gewonnene Erkenntnisse berichten. Das macht jede wirkliche Kontrolle unmöglich.
"Seine Beratungen sind oftmals von hoher Brisanz, deshalb tagt der Verteidigungsausschuss hinter verschlossenen Türen", heißt es dazu auf der offiziellen Website des Bundestags. "Es geht schließlich um die Sicherheit des Landes, der Verbündeten und nicht zuletzt um die der Bundeswehrsoldaten im Einsatz." Und um jeden Zweifel auszuräumen, dass der Ausschuss dazu da ist, die militärischen Einsätze im Ausland zu unterstützen, heißt es im nächsten Satz: "In der internationalen Sicherheitspolitik hat sich die Rolle Deutschlands und der Auftrag der Bundeswehr verändert, zumal vor dem Hintergrund des globalen Terrorismus."
Die eigentliche Rolle des Verteidigungsausschusses besteht also darin, den Einsätzen der Bundeswehr in Afghanistan und anderen Weltregionen die notwendige Rückendeckung im Bundestag und über diesen in der Bevölkerung zu verschaffen. Er sorgt dafür, dass Verteidigungshaushalt und Rüstungsausgaben reibungslos die parlamentarischen Hürden passieren, ohne das Parlament und Öffentlichkeit wirklich wissen, worum es geht. Er ist kein Kontroll-, sondern ein Vertuschungsausschuss.
Als die Grünen 1983 zum ersten Mal in den Bundestag einzogen, entbrannte unter den alten Parteien eine heftige Debatte. Konnte man den damaligen Pazifisten und Spontis trauen? Würden sie geheim halten, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde? Konnte man es wagen, den Ausschuss zu vergrößern und den Grünen zwei Plätze einzuräumen? Die Bedenken erwiesen sich als überflüssig. Die Grünen hielten sich an die Geheimhaltungspflicht und wurden schließlich zu konsequenten Kriegbefürwortern. Sie veränderten nicht den Ausschuss, der Ausschuss veränderte sie.
Im Gegensatz zu den Grünen kamen bei der PDS oder der Linkspartei solche Bedenken gar nicht erst auf, auch dann nicht, als im Herbst letzten Jahres mit Christine Buchholz ein aktives Mitglied der International Socialist Tendency (IST - in Deutschland bis 2007 bekannt als Gruppe Linksruck) für die Linkspartei einen Sitz im Verteidigungsausschuss einnahm. Die Unterstützung der Ausschussarbeit durch die Linkspartei wirft ein Schlaglicht auf den Charakter dieser Partei und insbesondere auf die Rolle der IST, die sich als linke Strömung darstellt.
Wie wichtig die Rolle ist, die der Verteidigungsausschusses bei der Unterstützung der Bundeswehr spielt, hat in jüngster Zeit wieder das Massaker von Kundus gezeigt. Als Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung behauptete, der von einem deutschen Obersten angeordnete Luftangriff auf zwei entführte Tanklaster habe keine zivilen Opfer gefordert und der Abwehr einer unmittelbaren Gefahr gedient, wussten die Obleute des Ausschusses bereits, dass er log. Ihnen lagen Berichte vor, die belegten, dass Dutzende Zivilisten zu Tode gekommen und das primäre Ziel des Angriffes Aufständische gewesen waren, die in der Nähe der Tanklaster vermutet wurden.
Kein Mitglied des Verteidigungsausschusses informierte darüber die Öffentlichkeit, als sich Bundeskanzlerin Angela Merkel hinter Jung stellte und sich jede Kritik an Oberst Kleins Entscheidung im In- wie Ausland ausdrücklich verbat. Auch der Obmann der Linkspartei im Ausschuss, Paul Schäfer, hielt sich an das Gesetz des Schweigens, nicht aber rechte und Militärkreise. Durch gezielte Informationen an die Bild -Zeitung entfachten sie eine Kampagne mit dem Ziel, die Bundeswehr der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen und ihr das Recht zum Töten zu verschaffen.
Nun soll der der Verteidigungsausschuss, der sich selbst als Untersuchungsausschuss konstituiert hat, die Hintergründe des Massakers von Kundus aufklären, die er selbst mit vertuscht hat - selbstverständlich hinter verschlossenen Türen.
Dass die Linkspartei dieses Spiel mitmacht, ist nicht überraschend. Sie tritt im Wahlkampf zwar gern als Friedenspartei auf, ist aber immer bereit einzulenken, wenn es auf ihre Unterstützung tatsächlich ankommt. So rückten zahlreiche Vertreter der Partei von der Forderung nach einem sofortigen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan ab, als vor der letzten Bundestagswahl eine Koalitionsregierung mit der SPD möglich erschien. Der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Paul Schäfer, der sie auch als Obmann im Verteidigungsausschuss vertritt, verlangte stattdessen eine "Exit-Strategie" - ein Begriff, den auch US-Präsident Obama benutzt.
Schäfer war zwischen 1970 und 1988 Mitglied der stalinistischen DKP. 1993 schloss er sich der SPD und im Jahr 2000 der PDS an. Neben Schäfer sitzen noch drei weitere Abgeordnete der Linken im Verteidigungsausschuss: Die Gewerkschafterin Inge Höger, das längjährige SED-Mitglied Harald Koch und Christine Buchholz.
Buchholz ist seit über 15 Jahren Mitglied der deutschen Sektion der IST, die sich bis 2007 Linksruck nannte. Sie gehört zu dem kleinen Führungskreis der Gruppe. Im Rahmen dieser Arbeit machte sie bei der SPD, den Gewerkschaften, in Antifas und beim Sozialforum mit. Als 2004 die WASG gegründet wurde, trat Buchholz zusammen mit ihrer Organisation in die neue Partei ein.
Hier bewies sie sich schnell als verlässliche Stütze der Parteispitze. Als die Verhandlungen über den Zusammenschluss von PDS und WASG zur Linkspartei auf Probleme stießen, wandte sich Linksruck gegen jede, noch so milde Kritik von links.
Das zeigte sich vor allem in Berlin, wo die PDS durch ihre jahrelange Regierungszusammenarbeit mit der SPD derart diskreditiert war, dass die Berliner WASG 2006 mit einer eigenen Liste zur Senatswahl antrat. Die Berliner WASG, in der eine andere ex-radikale Gruppe, die Sozialistische Alternative Voran, den Ton angab, ließ sich dabei nicht von grundsätzlichen Erwägungen leiten. Sie war lediglich der Ansicht, die Linkspartei habe keine Chance Einfluss zu gewinnen, wenn sie sich von Anfang an mit der rechten Politik des Berliner Senats identifiziere. Mittlerweile hat sie sich der Linkspartei wieder angeschlossen.
Doch Linksruck ging selbst das zu weit. Am 3. Mai 2006 griff Buchholz als Mitglied des Bundesvorstands der WASG die Kritiker des Berliner Senats öffentlich an. Anstatt die WASG in Berlin zu unterstützen, schrieb sie, "sollten die Mitglieder und Sympathisanten der WASG alle Energie in den gemeinsamen Aufbau einer neuen Partei aus Linkspartei.PDS, WASG und anderen stecken." Diese Partei müsse, schrieb sie an anderer Stelle, "eine pluralistische Linke sein", die das gemeinsame und nicht das Trennende betone.
Als die Fusion 2007 geglückt war, löste sich Linksruck vollständig in der Linkspartei auf. Die ehemaligen Mitglieder gründeten das Netzwerk marx21 innerhalb der Linkspartei und wurden für ihre Dienste reich belohnt. Viele Mitglieder erhielten gut dotierte Anstellungen in Abgeordnetenbüros, einige sogar Parlamentsmandate. Neben Buchholz, die in den Bundestag einzog, ist das etwa Janine Wissler, die im hessischen Landesparlament sitzt, oder Luigi Wolf, der den Bundesvorsitz des Studentenverbands der Linken innehat.
Das Aufgehen von Linksruck in der Linkspartei entspricht der politischen Tradition dieser Gruppe. Sie war 1993 aus einem ähnlichen Manöver entstanden, als sich die damalige SAG (Sozialistische Arbeitergruppe) in den Jusos auflöste. Bei allen Namens- und Orientierungswechseln blieb sie immer deutsche Sektion der IST und stand in enger Verbindung zur britischen Socialist Workers Party (SWP).
Deren Geschichte geht bis auf das Jahr 1951 zurück, als Tony Cliff die Socialist Review Group gründete. Cliff war zur Auffassung gelangt, die Stabilisierung des Kapitalismus und die Konsolidierung der stalinistischen Regimes nach dem Zweite Weltkrieg habe der Vierten Internationale den Boden entzogen, und hatte sich vom Trotzkismus abgewandt. Die Sowjetunion bezeichnete Cliff als staatskapitalistisch. Er weigerte sich, sie gegen imperialistische Angriffe zu verteidigen.
Seither besteht die Geschichte dieser Tendenz in einer endlosen Kette der Anpassung an die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Bürokratie. In Deutschland rief sie 1998 sogar zur Wahl Gerhard Schröders auf, dessen Regierung bekanntlich die heftigsten Angriffe auf die Rechte der Arbeiter seit Bestehen der Bundesrepublik durchgeführt hat. Mit Buchholz Eintritt in den Verteidigungsausschuss, gewissermaßen das Allerheiligste des staatlichen Sicherheitsapparats, hat die Integration dieser Strömung in die bürgerlichen Herrschaftsstrukturen eine neue Qualität erreicht. Das ist selbst ein Ausdruck der extrem zugespitzten politischen Lage. Der Spielraum auf der linken Flanke der Bürokratie wird immer geringer.