Dresden: Tausende demonstrieren gegen Nazi-Aufmarsch
Von Johannes Stern
16. Februar 2010
Am Samstag demonstrierten mehr als 15.000 Menschen gegen einen geplanten Neonaziaufmarsch zum 65. Jahrestag des Bombardements von Dresden in der sächsischen Landeshauptstadt. Sie wollten sich die Provokation der Rechten, die durch das Oberverwaltungsgericht Bautzen erst möglich gemacht wurde, nicht bieten lassen. Dieses hatte den Rechten eine Route durch die links-alternative Dresdner Neustadt und als Sammelpunkt den Neustädter Bahnhof zugeteilt, von dem aus Dresdner Juden während des Nationalsozialismus deportiert worden waren.
Bereits am frühen morgen hatten Protestierende durch Sitzblockaden in der Nähe des Bahnhofs die Anreise der meisten Neonazis verzögert. Im Laufe des Vormittags entwickelten sich dann größere Menschenansammlungen, an denen sich zum Teil mehrere Tausend Protestierende beteiligten. Am Albertsplatz in der Neustadt kamen über 4.000 Menschen zusammen, um den Nazis den Weg zu versperren, und auch in der Hanse-Straße und auf der Marienbrücke versammelten sich jeweils über 2.000 Menschen. An der Menschenkette um die Dresdner Altstadt, die einen symbolischen Schutzwall gegen die Nazis darstellen sollte, beteiligten sich weit über 10.000 Menschen.
Die Polizei ging aggressiv gegen Demonstranten vor. Ungefähr 5.000 Hüter der öffentlichen Ordnung erschwerten es den Protestierenden, zu den offiziellen Kundgebungen zu gelangen, und umstellten diese immer wieder provokativ. Bereits im Vorfeld der Demonstrationen setzten Polizei und Staatsanwaltschaft alles daran, linke Gegendemonstranten zu kriminalisieren und deren Proteste zu verhindern. Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte bereits im Januar die Internetseite des Aktionsbündnis "Nazifrei! Dresden stellt sich quer" sperren lassen und Plakate beschlagnahmt. Während man die Nazis marschieren ließ, wurden Gegenkundgebungen bis zuletzt untersagt.
Neben Polizei und Staatsanwaltschaft waren die Gegendemonstranten in Dresden mit einer breiten Front aus Parteien und Gewerkschaften konfrontiert, die versuchten die Proteste für ihre eigenen Ziele zu instrumentalisieren.
Katja Kipping von der Linkspartei forderte auf der Kundgebung am Albertsplatz, dass vor allem Polizei und Staatsanwalt den Kampf gegen Rechts führen sollten. Nötig sei "nicht nur ein Aufstand der Anständigen, sondern auch der Zuständigen". Angesichts der ständigen Repressionen durch die staatlichen Organe vor und während der Demonstration musste diese Forderung den Protestierenden wie blanker Hohn vorkommen. Eine Studentin aus Dresden schüttelte entrüstet den Kopf und murmelte erbost: "Wir stehen hier eingekesselt von Polizisten, die den Rechten den Weg frei machen wollen, und Kipping ist der Meinung, man könne mit der Polizei gegen Rechts vorgehen. So ein Quatsch."
Kippings weitere Strategien gegen die Neonazis, die sie in ihrer Rede darlegte, wurden ebenfalls von vielen als nicht ausreichend oder unbrauchbar empfunden. Sie forderte "den Kampf gegen den Rassismus in den Köpfen" und mehr Gelder, die für "Präventionsangebote gegen Rechts" vom Bund zur Verfügung gestellt werden sollten. Daneben appellierte sie an die CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz und die schwarz-gelbe Landesregierung, sie möge doch die Antifaschisten, die nach Dresden kommen, freundlicher empfangen.
Ein Schüler aus Dresden zeigte sich zunächst verwundert darüber, dass eine Vertreterin der Linkspartei im Kampf gegen Rechts ihre Verbündeten bei der Polizei und rechten Parteien sah, ergänzte dann aber im Gespräch mit einem Reporter der WSWS: "Die Linkspartei ist eben doch eine ganz normale Partei und Teil des Staats. In Berlin und Brandenburg ist sie an der Macht und macht dieselbe rechte und unsoziale Politik wie alle anderen Parteien auch."
Noch weiter als Kipping ging in ihrer Rede die Vorsitzende des DGB Sachsen, Iris Kloppich. Sie forderte von den Protestierenden am Albertsplatz den offenen Schulterschluss mit Oberbürgermeisterin Orosz und dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislav Tillich (ebenfalls CDU). Für ihren Vorschlag, die Blockade am Albertsplatz aufzugeben und sich in die von Orosz im Rahmen ihres Bündnisses "Erinnern und Handeln. Für mein Dresden" initiierte Menschenkette in der Innenstadt einzureihen, erntete sie laute Buhrufe.
Das Orosz-Bündnis, das hauptsächlich von CDU und FDP-Politikern geführt wird, gibt an, "in würdiger Weise" den Opfern des Bombardements von Dresden gedenken zu wollen. Dabei darf man nicht vergessen, dass gerade die Landesverbände dieser Parteien immer wieder durch Verbindungen ins rechtsradikale Lager aufgefallen sind. Der langjährige Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag, Fritz Hähle, steht ebenso wie der FDP-Landesvorsitzende Holger Zastrow gern bereit, um der rechtsextremen Zeitschrift Junge Freiheit Interviews zu geben.
Ein älterer Demonstrationsteilnehmer betonte: "Diese Nazis darf man dieses Gedenken nicht für sich instrumentalisieren lassen. Das hat die Politik aber". Die Tatsache, dass in diesem Jahr das erste Mal auch die Fraktion der Linkspartei im Dresdner Stadtrat offen das Bündnis von Orosz und ihren Aufruf unterstützte, zeigt, wie weit rechts diese Partei steht.
Hinter den moralisierenden Worten dieses breiten Bündnisses gegen Rechts verbirgt sich nichts weiter als die Vorbereitung weiterer sozialer Angriffe und der Abbau demokratischer Rechte. Erst vor kurzem haben CDU und FDP im sächsischen Landtag das sächsische Versammlungsgesetz verschärft. Demonstrationen können nun noch leichter verboten werden. CDU, FDP und SPD stützten sich auf dieses Verbot, um die Frauenkirche in Dresden sowie Teile der Altstadt zur demofreien Zone zu erklären. Wie zur Zeiten der Weimarer Republik werden solche Verbote in erster Linie benutzt, um linke Kundgebungen zu verbieten, während die Rechten in den meisten Fällen unbehelligt marschieren dürfen.
Die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Dresden haben zweierlei gezeigt. Erstens hat die breite Beteiligung an den Protesten deutlich gemacht, dass die Nazis keine Unterstützung in der Bevölkerung haben. Dass die Ultrarechten es trotzdem immer wieder versuchen, so dreist durch Dresden und andere Städte zu marschieren, hängt mit der allgemeinen Rechtsentwicklung des politischen Establishments zusammen. SPD, Gewerkschaften und Linkspartei tragen die Hauptverantwortung, jede unabhängige Bewegung der Arbeiter zu unterdrücken, die allein in der Lage wäre, dem rechten Spuk ein Ende zu breiten.
Die offiziellen Parteien haben den Rechten nicht nur durch rigorosen Sozialabbau und Kürzungsorgien den Boden für ihre soziale Demagogie bereitet, sondern schüren selbst Fremdenfeindlichkeit und bereiten autoritäre Formen der Herrschaft vor.
Zweitens sind die von den offiziellen Parteien initiierten breiten Bündnissen aller Demokraten gegen Rechts nichts weiter als ein Versuch, die Spuren der eigenen rechten Politik zu verwischen und neue Angriffe auf soziale und demokratische Rechte vorzubereiten.
Unterstützer der WSWS, die ein Flugblatt auf der Demo verteilten, traten für eine unabhängige Bewegung der Arbeiter und eine sozialistische Perspektive ein. In dem Flugblatt wird festgestellt, dass die Neonazis von Staat und Politik aufgebaut werden und sich nur deshalb aus ihren Löchern trauen, weil die Arbeiter keine Stimme haben: "Der Kampf gegen Rechts ist untrennbar mit dem Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse verbunden. Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Klassenspaltung der Gesellschaft enorm zugespitzt. In allen Ländern - allen voran in Griechenland - gehen die Regierungen dazu über, die Milliardenbeträge, die sie an die Banken verschleudert haben, von der arbeitenden Bevölkerung wieder hereinzuholen. (...) Eine unabhängige Bewegung muss damit beginnen, alle Arbeiter, Jugendlichen und sozial Abhängigen über sämtliche nationalen, ethischen und kulturellen Grenzen hinweg zusammen zu schließen. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Deutschen und Ausländern, sondern zwischen Arbeitern und Kapitalisten."