Südafrika 20 Jahre nach Mandelas Freilassung
Von Ann Talbot
19. Februar 2010
aus dem Englischen (15. Februar 2010)
Vor 20 Jahren kam Nelson Mandela aus dem Victor-Verster-Gefängnis frei. Seine Freilassung am 2. Februar 1990 kündigte das Ende des Apartheid-Systems an, das eine strikte Rassentrennung praktiziert und der schwarzen und farbigen Mehrheit in Südafrika das Wahlrecht vorenthalten hatte. Die darauf folgenden Wahlen im Jahr 1994 brachten Mandela als Präsident eines Landes an die Macht, das als "Regenbogen-Nation" bejubelt wurde.
Zwei Jahrzehnte später ist Südafrika trotz des Endes der Apartheid immer noch eine der Gesellschaften mit der größten Ungleichheit auf der Welt. Die beschränkten politischen Errungenschaften wurden nicht in größere gesellschaftliche und wirtschaftliche Gleichheit umgesetzt. Vielmehr hat sich die Kluft zwischen Arm und Reich noch vergrößert, und heute leben mehr Südafrikaner in Armut als 1990.
Zirka 70 Prozent der Bevölkerung leben nach neuesten Zahlen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent, wenn man eine realistische Schätzung zugrunde legt. Gleichzeitig haben die reichsten Mitglieder der Gesellschaft ihre jährlichen Einkünfte um sage und schreibe 50 Prozent gesteigert.
Die soziale Ungleichheit ist sowohl zwischen den ethnischen Gruppen als auch innerhalb der Gruppen gewachsen. Die Mehrheit der schwarzen Südafrikaner lebt immer noch in Armut, aber eine winzige Minderheit an der Spitze des herrschenden African National Congress (ANC) ist zu Milliardären geworden und hat sich mit der reichen Elite zusammengetan, die Südafrika unter dem Apartheid-Regime regiert hat.
Cyril Ramaphosa spielte eine bedeutende Rolle bei den Jubiläumsfeierlichkeiten. Als Führer der Nationalen Gewerkschaft der Bergarbeiter stand er an der Spitze des Komitees, das Mandela begrüßte, als er vor 20 Jahren das Gefängnis verließ. Heute ist er einer der reichsten Menschen in Südafrika. Es erstaunt wenig, dass er die Gelegenheit nutzte, die gegenwärtige Regierung zu loben, die ihm und Leuten wie ihm solch grandiosen Möglichkeiten der Bereicherung geboten hat.
"Heute wurde die Verantwortung an unseren Präsidenten Genosse Jacob Zuma übergeben", erklärte Ramaphosa vor der Menge, die sich vor dem Gefängnis versammelt hatte. "Er hat die Verantwortung übernommen und wird die Nation weiter voranführen."
Ramaphosa verkörpert die Veränderung, die stattgefunden hat. Er ist einer derjenigen, die von dem Programm zur Stärkung der schwarzen Wirtschaft (Black Economic Empowerment) profitiert hat, bei dem Aktien an führende Persönlichkeiten des ANC verteilt wurden. An seiner Seite war Trevor Manuel, der als Finanzminister die Leitung bei der Öffnung der südafrikanischen Wirtschaft für den globalen Markt innehatte. Er setzt jetzt als Vorsitzender der Planungskommission genau dieselbe Politik der freien Marktwirtschaft fort. Die neoliberale Wirtschaftspolitik des ANC hat zum Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen geführt. Man geht davon aus, dass die bevorstehende Erhöhung der Elektrizitätspreise als Vorbereitung auf die Privatisierung dieser Industrie zum Verlust von 200.000 Jobs im Verlauf der nächsten Monate führen wird.
Ramaphosa und Manuel widerspiegeln die Kluft, die sich zwischen dem ANC und der Mehrheit der Bevölkerung aufgetan hat, die ihn an die Macht gebracht hat. Selbst während der Feierlichkeiten gab es wegen mangelnder öffentlicher Dienstleistungen in den Townships wie z.B. Siyathemba in der Nähe von Johannesburg Proteste. Zuma ging nach Protesten im letzten Jahr nach Siyathemba und versprach die Infrastruktur auszubauen, Häuser zu bauen und die Armut zu lindern. Ein Jahr danach ist die Situation immer noch dieselbe.
Und dennoch war es der Kampf in den Townships, speziell der Kampf der schwarzen Jugend, der den ANC an die Macht gebracht hat. 1985 hatte die Apartheid-Regierung die Kontrolle über diese Arbeiterbezirke verloren und den Ausnahmezustand ausgerufen. Das Land schien am Rande eines Bürgerkriegs zu stehen. Elemente in der Regierung und führende Wirtschaftsleute nahmen Gespräche mit dem ANC auf, weil sie erkannten, dass er die einzige Organisation war, der einen revolutionären Aufstand verhindern konnte.
Der ehemalige Präsident F. W. De Klerk, der Mandela aus dem Gefängnis entlassen hatte, erklärte bei einer Pressekonferenz aus Anlass des Jahrestags: "Es ist angemessen, dass wir den 20. Jahrestag des 2. Februar 1990 feiern - nicht um meine Rolle oder die Rolle irgendeines anderen Individuums oder einer Partei zu honorieren, sondern weil er eine Katastrophe verhindert hat."
Hätte er Mandela damals nicht entlassen, erklärte de Klerk, hätten sich "die Aussichten auf eine zufrieden stellende Regelung mit jeder weiteren Phase von Revolution und Unterdrückung weiter verschlechtert".
Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der zunehmend unpopulären Zuma-Regierung und Mandela selbst. Beide Männer hatten das Ziel, den Kapitalismus in Südafrika zu erhalten. Der 91-jährige Mandela war bei der gemeinsamen Sitzung des Parlaments anwesend, um Zumas Rede zur Lage der Nation beizuwohnen und der wirtschaftsfreundlichen Agenda seines Nachfolgers den Segen zu erteilen.
Mandela hatte immer behauptet, eine ANC-Regierung werde "der Entwicklung einer florierenden nicht-europäischen bürgerlichen Klasse neue Wege eröffnen". Schon 1956 versprach er, wenn der ANC an die Macht käme, "wird zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes die nicht-europäische Bourgeoisie die Gelegenheit haben, rechtmäßig und eigenständig Stahlwerke und Fabriken zu besitzen, und Handel sowie private Unternehmen werden blühen und gedeihen wie niemals zuvor".
Gegen Ende der 1970er Jahre gab es eine erbitterte ideologische Debatte zwischen den Häftlingen auf Robben Island über das Wesen der Freiheits-Charta des ANC. Mandela wandte sich gegen die Häftlinge, die argumentierten, es sei ein sozialistisches Dokument. Er bestand darauf seine Zielsetzung sei die Errichtung einer bürgerlichen Demokratie und die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems. Genau das hat seine Regierung erreicht und Zuma fortgesetzt.
Die Jubiläumsfeierlichkeiten waren eine Gelegenheit für die mittlerweile reichen ANC-Führer, die radikalen Phrasen der Vergangenheit zu wiederholen und ihren Anhängern zu versprechen, dass die Regierung sich um die soziale Ungleichheit kümmern werde. Die gegenwärtigen sozialen Zustände in Südafrika bezeugen jedoch die völlige Unfähigkeit der Bourgeoisie, ob schwarz oder weiß, die demokratischen Probleme zu lösen, mit denen das Land 1990 konfrontiert war und heute noch ist. Die Bürgerrechte gelten jetzt für alle, aber das bedeutet nicht viel mehr als eine formale Demokratiehülle. Die wirkliche politische Macht ist in den Händen einer Elite konzentriert, zu der jetzt auch führende Mitglieder des ANC gehören. Diese Schicht handelt als lokaler Vertreter der globalen Oligarchie und der großen Banken und Konzerne, die ihre Macht benutzen, um diese Interessen gegen die Bedrohung von unten abzusichern.
Alle nationalen Bewegungen sind diesen Weg gegangen. Sie haben ihren Frieden mit dem Weltimperialismus und seinen politischen Vertretern geschlossen. Überall in Afrika bietet sich dasselbe Bild: Die nationalen Führer agieren als die lokalen Weichensteller für die Ölkonzerne, Bergbaugesellschaften und die Banken. Dasselbe gilt für den Nahen Osten und Lateinamerika.
Was dieser Jahrestag vor allem aufzeigt, ist die Notwendigkeit einer wirklich sozialistischen Bewegung in Südafrika, die für ein internationalistisches Programm eintritt und eine über den Klassen stehende Einheit im nationalen Interesse ablehnt. Die Interessen der Arbeiter und der armen ländlichen Bevölkerung sind nicht vereinbar mit denen des Profitsystems.
Die politische Lehre aus den letzten 20 Jahren besteht darin, dass die Arbeiterklasse ihre eigene unabhängige politische Bewegung aufbauen muss, die darauf verpflichtet ist, das kapitalistische System zu stürzen und wirkliche soziale Gleichheit zu schaffen, basierend auf einer geplanten Produktion für die Bedürfnisse der Gesellschaft und nicht für den Profit.
Ihr Ausgangspunkt muss Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution sein: die Anerkennung der Tatsache, dass in der imperialistischen Epoche die demokratischen Aufgaben, mit denen Länder wie Südafrika konfrontiert sind, nur durch eine sozialistische Revolution gelöst werden können; die sozialistische Revolution kann letztendlich nur auf Weltebene erfolgreich sein und erfordert eine gemeinsame politische Bewegung mit der Arbeiterklasse in den entwickelten imperialistischen Zentren.