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Was ist der AFL-CIO?

Von Barry Grey
19. September 2009
aus dem Englischen (18. September 2009)

Der AFL-CIO wählte diese Woche auf seiner Jahresversammlung einen neuen Präsidenten, weil John Sweeney nach vierzehn Jahren an der Spitze der Organisation in den Ruhestand geht. Wie hinfällig der Gewerkschaftsbund ist, sieht man an der Tatsache, dass der Führungswechsel niemanden interessierte, am wenigsten die Arbeiter und nicht einmal die kleine Minderheit, die noch im AFL-CIO organisiert ist.

Bezeichnend ist auch die Person des Nachfolgers von Sweeney - Richard Trumka. Wie sein Vorgänger personifiziert Trumka die Kleinkrämer und Korporatisten im amerikanischen Gewerkschaftsapparat. Seine Qualifikation für den neuen Posten ist seine Präsidentschaft bei den United Mine Workers, der amerikanischen Bergarbeitergewerkschaft, von 1982 bis 1995. Als deren Präsident war er für große Niederlagen der Bergarbeiter, für Zugeständnisse an die Bergwerksbesitzer und für die praktische Zerstörung einer besonders militanten amerikanischen Gewerkschaft verantwortlich. Als er seinen Posten aufgab und Sweeneys rechte Hand wurde, hatte er die Mitgliedschaft seiner Gewerkschaft halbiert.

Allein schon die Tatsache, dass so jemand in diese Spitzenposition gehievt wird, belegt, dass der AFL-CIO nur noch eine lebende Leiche ist.

Ein weiterer Beleg dafür ist, dass Trumka erst der vierte Präsident in der fast 55-jährigen Geschichte der Organisation ist. Ein so seltener Führungswechsel gibt Anlass für einen Blick auf die Geschichte des AFL-CIO.

Der AFL-CIO wurde 1955 durch den Zusammenschluss bis dahin rivalisierender Gewerkschaftsverbände gebildet, und zwar aus der American Federation of Labor und dem Congress of Industrial Organizations. Zwei verschiedene Fraktionen der Gewerkschaftsbürokratie schlossen sich zusammen. Ihre Grundlage war Antikommunismus und die ausdrückliche Parteinahme für den amerikanischen Imperialismus im Kalten Krieg.

AFL-Präsident George Meany wurde zum ersten Präsidenten des vereinten Dachverbands gewählt. Er verkörperte das reaktionäre Erbe des alten Facharbeiter-Gewerkschaftertums. Kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft im Jahre 1979 prahlte er damit, er habe "nie in seinem Leben irgendwo Streikposten gestanden".

Meany verband Klassenzusammenarbeit im Inland mit Chauvinismus und Unterstützung für den amerikanischen Imperialismus in der Außenpolitik. Die außenpolitische Abteilung des AFL-CIO arbeitete mit der CIA und dem Außenministerium beim Aufbau anti-sozialistischer und pro-amerikanischer Gewerkschaften in aller Welt zusammen. Sie trug dazu bei, pro-amerikanische Diktaturen in Lateinamerika, Asien und anderswo zu stützen. Meany war ein fanatischer Verteidiger des Vietnamkriegs.

Den zweitgrößten Einfluss bei der Gründung des AFL-CIO übte Walter Reuther aus, Präsident der dem CIO angeschlossenen United Auto Workers. Er personifizierte jene CIO-Führer, die ihre frühere Militanz und Linksorientierung lange hinter sich gelassen, sich der Demokratischen Partei angepasst und jeden Kampf für Wirtschaftsdemokratie oder nennenswerte Reformen des kapitalistischen Systems aufgegeben hatten.

Reuther organisierte an führender Stelle die Säuberung des CIO von Sozialisten und militanten Kämpfern, die der Vereinigung mit der AFL vorausging und eine Bedingung für sie war. Diese Hexenjagd zielte darauf ab, jede prinzipielle Opposition gegen den Kapitalismus in der Arbeiterbewegung zu unterdrücken. Der AFL-CIO unterstützte die expansionistische Agenda des US-Imperialismus weltweit.

Als die Vereinigten Staaten in den Jahren des Nachkriegsbooms die Weltwirtschaft beherrschten, war der AFL-CIO eine kurze Zeit in der Lage, bei Löhnen und Sozialleistungen für Gewerkschaftsmitglieder einen gewissen Fortschritt zu erzielen. Im Kampf für diese Errungenschaften spielte die Militanz der amerikanischen Arbeiterklasse die wichtigste Rolle, obwohl das Bündnis der Bürokratie mit der Demokratischen Partei die Arbeiter der herrschenden Klasse unterordnete.

Schon wenige Jahre nach der Gründung des AFL-CIO setzte ihr Niedergang ein, weil die Automatisierung und andere Arbeitskraft sparende Technologien bereits im Vormarsch waren. Auf diese Errungenschaften der Wissenschaft hatte der Gewerkschaftsverband keine brauchbare Antwort, denn er verteidigte das Privateigentum an der Industrie und das Profitsystem.

Das Ende des Nachkriegsbooms, das die wirtschaftliche Vorherrschaft des US-Kapitalismus schwächte, warf den AFL-CIO in eine Krise, von der er sich nie wieder erholte.

Auf die tiefe Rezession Anfang der 1970er Jahre folgte eine Periode der "Stagflation". Der Marktanteil der amerikanischen Industrie ging nicht nur auf dem Weltmarkt, sondern sogar im eigenen Land zurück.

1979 trat Meany, schon vom Tod gezeichnet, zurück und machte Lane Kirkland Platz, einem Karriereapparatschik. Kirkland hatte seine Arbeit für die AFL nach dem Zweiten Weltkrieg in der Forschungsabteilung begonnen. Er hatte keinerlei Verbindungen zu den Kämpfen der Arbeiterklasse. Er konzentrierte sich voll auf die konterrevolutionären Aktivitäten des AFL-CIO im Ausland.

Kirkland stand bis 1995, also auch während der gesamten 1980er Jahre, an der Spitze der Organisation. In jenen zehn entscheidenden Jahren verfolgte der AFL-CIO das ausschließliche Ziel, die Kämpfe der Arbeiterklasse gegen die Regierungen von Ronald Reagan und Bush Senior zu sabotieren. Am Anfang stand der Verrat an den Fluglotsen und ihrer Gewerkschaft PATCO, die im August 1981 in den Streik traten. Reagan entließ alle 11.300 Fluglotsen, setzte sie auf eine schwarze Liste und löste die Gewerkschaft auf. Er konnte das tun, weil Kirkland und die ganze AFL-CIO-Führung die streikenden PATCO-Mitglieder isolierten und jede ernsthafte Solidaritätsaktion unterbanden.

In der darauf folgenden Zeit trug der AFL-CIO immer wieder zur Zerstörung von Gewerkschaften und Zerschlagung von Streiks bei. Es folgten drei Jahrzehnte der Verschlechterungen und Zugeständnisse, die bis heute andauern. Die Angriffe der Obama-Regierung auf die Autoarbeiter sind gewissermaßen die jüngste Steigerung dieser Entwicklung. Durch die Niederschlagung militanter und erbitterter Kämpfe in den 1980er Jahren gelang es der Bürokratie, alle Spuren früherer Klassenkämpfe und ihrer Traditionen zu tilgen. Auf allen Ebenen der Organisation etablierte sie ein korporatistisches Programm der Zusammenarbeit zwischen Management und Gewerkschaften.

Das bedeutet, dass der AFL-CIO während mehr als der Hälfte seines Bestehens damit beschäftigt war, Löhne und Sozialleistungen zu senken, Arbeitsplätze abzubauen und die Ausbeutung seiner Mitglieder zu verschärfen. Eine ganze Generation von Arbeitern hat in ihrem gesamten Arbeitsleben nicht einen einzigen Streik erlebt, - es seien denn Streiks, die in Niederlagen endeten. Das ist eine Realität, die die kleinbürgerlichen "linken" Anhängsel der Gewerkschaftsbürokratie geflissentlichen ignorieren.

Anfang der 1990er Jahre erkannte die Workers League, die Vorläuferin der Socialist Equality Party, dass die massiven Verrätereien, die Unterdrückung von Streiks und der Übergang zum Korporatismus einen langen Degenerationsprozess zum Abschluss brachten. Der Gewerkschaftsapparat integrierte sich in die Managementstruktur der Konzerne. Die Mitgliedschaft ging besonders im letzten Jahrzehnt dramatisch zurück. Der AFL-CIO und seine angeschlossenen Gewerkschaften konnten nicht länger als Arbeiterorganisationen definiert oder reformiert, geschweige denn durch Druck der Mitglieder von unten revolutioniert werden.

Diese Analyse ist seither vollständig bestätigt worden. 1995 wurde von liberalen Medien und den kleinbürgerlichen Linken viel Aufhebens gemacht, als John Sweeney auf Kirkland folgte. Man erwartete von ihm, dass er den AFL-CIO wiederbelebe und erneut zu Wachstum und Fortschritt führe - ohne die grundlegende politische Orientierung der Organisation zu ändern.

Natürlich passierte nichts dergleichen. 2005 trennten sich mehrere große Gewerkschaften unter Führung von Sweeneys eigener Service Employees International Union vom AFL-CIO und bildeten die "Change to Win" Koalition. Aber auch Change to Win hat seither Lohnsenkungen ausgehandelt und ihre Energie auf die Unterdrückung des Klassenkampfs konzentriert. In den letzten Jahren ist Change to Win von mehreren Spaltungen und juristischen Streitereien erschüttert worden.

Sweeneys Abgang markiert mit 7,6 Prozent einen historischen Tiefstand des gewerkschaftlichen Organisationsgrads in der Privatwirtschaft, der niedrigste seit 1900.

Der Niedergang des AFL-CIO ist Teil eines umfassenden globalen Phänomens. Überall auf der Welt haben Gewerkschaften eine ähnliche Degeneration erlebt. Die Globalisierung der Produktion in den letzten 25 Jahren hat die Totenglocke für alle Arbeiterorganisationen geläutet, die mit einer nationalistischen Perspektive arbeiten. Aber die amerikanischen Gewerkschaften mit ihrem fanatischen Anti-Sozialismus und ihrer Identifikation mit dem mächtigsten Imperialismus des Planeten sind am stärksten degeneriert. Ihre führenden Vertreter, wie Richard Trumka, besitzen nicht eine Spur von Klassenbewusstsein.

Die tiefste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression schafft Bedingungen für eine Periode neuer Klassenkämpfe. Die amerikanische Arbeiterklasse muss sich von diesem stinkenden Leichnam namens AFL-CIO losreißen und neue, von den Arbeitern demokratisch kontrollierte Kampforganisationen aufbauen. Diese müssen vom alten Gewerkschaftsapparat völlig unabhängig sein und ihn bekämpfen.

Der Aufbau von solchen Organisationen muss mit einer neuen Strategie verbunden sein: Es ist notwendig, mit beiden Parteien der Wirtschaft zu brechen und die Socialist Equality Party als Massenpartei der Arbeiterklasse aufzubauen, um für Arbeitermacht und Sozialismus kämpfen zu können.

Siehe auch:
UAW akzeptiert Streikverbot der Regierung
(16. Januar 2009)
Autoarbeiter brauchen eine internationale Strategie
( 25. November 2008)