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"Obamas Krieg": Ein Einblick in das US-Debakel in Afghanistan

Von Bill Van Auken
21. Oktober 2009
aus dem Englischen (15. Oktober 2009)

"Täuscht Euch da nicht, wir sind Experten bei der Anwendung von Gewalt." Diese Äußerung von einem US-Marine-Kommandeur gegenüber Soldaten, die auf dem Weg in die afghanische Provinz Helmand sind, ist als zutreffende Einleitung zu der einstündigen Dokumentation, "Obamas Krieg" ernst zu nehmen. Die Sendung wurde am13. Oktober in der Sendung "Frontline" von dem TV-Sender Public Broadcasting System ausgestrahlt.

In seinem ersten Dokumentarfilm dieser Spielzeit setzte sich das "Frontline"-Programm zum Ziel, die Krise zu untersuchen, in die die US-Intervention in Afghanistan geraten ist.

Die Wahl des Zeitpunkts durch den Fernsehsender hätte nicht besser sein können. Das Programm wurde am Vorabend eines weiteren Treffens im Weißen Haus ausgestrahlt, das über eine Strategie diskutierte, wie die seit acht Jahren bestehende US-Besatzung gegen den wachsenden Widerstand des Volks zu retten ist, und entscheiden sollte, wie viele weitere Zehntausende US-Soldaten und Marineangehörige dafür aufgewandt werden sollten.

Was den politischen Standpunkt angeht, so ist der Ansatz des Programms und seines Produzenten wie auch Korrespondenten Martin Smith konventionell, d. h. er weicht wenig von der offiziellen Version der beiden Parteien des Kapitals ab, die den Krieg vorangetrieben haben.

In einer Diskussion mit Lesern auf der Internet-Seite der Washington Post, umreißt Smith die offizielle Diskussion in Washington über Afghanistan: "Sind wir dort zur,Nationenbildung’, um zu verhindern, dass Afghanistan wieder den Taliban anheim fällt und eine Zufluchtsstätte für Al Quaida wird? Oder sind wir dort, um einen weiteren 9-11-Angriff zu verhindern, und muss man Afghanistan besetzen, um das zu erreichen?"

Nicht berücksichtigt werden in diesem Film die zugrunde liegenden strategischen Ziele: "Sind wir dort" - in einem Krieg der lange vor 9/11 vorbereitet wurde -, weil wir die Hegemonie der USA über Zentralasien anstreben, eine der Hauptenergiequellen auf diesem Planeten.

Außerdem hat der Film nicht viel übrig für Geschichte. Unerwähnt bleibt die Tatsache, dass das militärische Engagement der USA in Afghanistan vor 30 Jahren begann. Damals stellte Washington Waffen und finanzielle Förderung im Wert von mehreren Milliarden Dollar zur Verfügung, um einen langwierigen Krieg gegen die von den Sowjets unterstützte Regierung in Kabul zu provozieren und aufrecht zu erhalten.

Und die Geschichte wird nicht nur ignoriert, sondern auch gefälscht. Obamas Sondergesandter in der Region, Richard Holbrooke, der als eine Art außenpolitischer "Superstar" dargestellt wird, wird an einer Stelle gefragt, ob die USA in Afghanistan "Nationenbildung" betrieben.

Nein, antwortet er, die USA betreibe "Nationen-Wiederaufbau". Afghanistan, betont er, "war ein armes, aber stolzes und funktionierendes Land, bis es 1978 von der sowjetischen Invasion zerstört wurde".

Die sowjetischen Truppen sind nicht vor Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert. Moskau reagierte auf eine steigende Angriffswelle auf die Regierung in Kabul durch Verbände der Mujaheddin, die von der US-Regierung finanziert, bewaffnet und ausgebildet wurden. Der damalige Nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzezinski, hat inzwischen zugegeben, dass Washington beabsichtigte, die Invasion zu provozieren, um den Sowjets "ihr Vietnam" zu bescheren.

Die Geschichte ist entscheidend, um den wirklichen Inhalt der heutigen US-Politik zu verstehen. Aber das passt nicht in den Rahmen des "Frontline"-Beitrags, der von einer vollkommen pragmatischen Frage beherrscht wird: Kann die US-Strategie, kann Amerika in Afghanistan "gewinnen".

Davon abgesehen, liefern die Interviews und Bilder, die mit und von den US-Soldaten gemacht wurden, eine verheerende Enthüllung des Debakels, vor dem der US-Imperialismus steht.

Smith und das Kamerateam begleiteten letztes Jahr die Echo-Kompanie. Sie ist Teil des Marine-Expeditionskorps, das im Zuge der ersten von Obama im letzten März angeordneten Eskalation in die Provinz Helmand geschickt wurde.

Die Kompanie erhält aufmunternde Worte von einem Offizier, der ihnen erzählt, eines Tages würden sie ihren Enkelkindern von ihrer Teilnahme am "Sommer der Entscheidung" in Afghanistan berichten. Er fügt hinzu, dass sie "ab morgen früh die Geschichte verändern werden" und zwar in dem Moment, wo sie ihre Position im südlichsten Gebiet einnehmen, das von der Marineinfanterie besetzt gehalten wird.

Am nächsten Morgen wird ein Mitglied der Kompanie, Seth Sharp, ein 20-jähriger Gefreiter aus Georgia, durch einen Schuss ins Genick getötet. Der Vorfall wird durch einen der begleitenden Kameramänner gefilmt. Nach den makabren Filmaufnahmen von der Schießerei und ihren Folgen stellt der Sprecher fest, dass der Marineinfanterist, "es nicht geschafft hat". Am Tag zuvor hatte er einen Brief nach Hause geschrieben, um seiner Familie mitzuteilen, dass eines Tages seine Enkelkinder in Schule von der Schlacht lesen werden, in der er kämpfen werde.

Die Mission der Marineinfanteristen besteht laut dem Kommandeur der Echo-Kompanie darin, "mit den Menschen und nahe bei ihnen zu sein, damit ihr mit ihnen arbeiten könnt". Das ist eine Übersetzung der neuen Aufstandsbekämpfungspolitik, die unter General Stanley McChrystal eingeführt wurde. Entsprechend dieser Politik sollen die US-Streitkräfte das afghanische Volk gewaltsam vom Widerstand losreißen.

Zu diesem Zweck errichteten die Marineinfanteristen ihren Stützpunkt in einer aufgegebenen Schule in der Nähe eines Marktes. Als Reaktion darauf geben die Anwohner jedoch den Markt auf und ziehen aus den Häusern in der Nähe des Stützpunkts aus. Die Marineinfanteristen, die Streife gehen, marschieren an leeren Marktständen vorbei, auf einem Markt, auf dem nichts passiert, außer dass der Wind den Staub aufwirbelt.

Die Kontakte, die sie herstellen können, sind gehen einher mit hochgradiger Frustration und gegenseitigem Misstrauen. Wie sich herausstellt, spricht ihr Übersetzer weder Englisch noch den lokalen Dialekt fließend, was die Kommunikation stockend und absolut unpräzise macht.

An einer Stelle hält ein Feldwebel einem unfreiwilligen Publikum afghanischer Dorfbewohner eine Standpauke und erklärt ihnen: "Ihr kooperiert alle nicht". Außerdem warnt er sie, wenn sie seine Fragen nicht beantworten, wird man sie für Verbündete der Taliban halten. In einer anderen Szene unterziehen zwei schwer bewaffnete Marinesoldaten zwei afghanische Männer einer eingehenden Leibesvisitation und verwarnen sie dann, nicht vor den US Patrouillen wegzulaufen oder sich "Sachen in die Taschen zu stecken", weil "das verdächtig aussieht".

Angriffe der Widerstandsbewegung gibt es täglich. Die Marinesoldaten und das "Frontline"-Team sind gezwungen, ein Treffen mit Anwohnern zu beenden und Deckung zu suchen, weil sie unter Beschuss durch kleinkalibriges Feuer geraten.

Die Marinesoldaten reagieren darauf mit einer Kanonade aus ihren automatischen Waffen, aber die Widerstandskämpfer sind faktisch unsichtbar, sie werden selten entdeckt, ganz zu schweigen davon, sie in Aktion zu sehen. Heckenschützen sind allgegenwärtig und nach jedem Angriff lösen sie sich wieder in der Menge auf. Minen und improvisierte Sprengvorrichtungen stellen ebenfalls eine ständige Gefahr dar und treiben die Todesfälle auf die höchste Zahl seit die USA vor acht Jahren in das Land einmarschiert sind.

Aus diesen Szenen ergibt sich das Bild eines schmutzigen Kriegs einer kolonialen Besatzungsmacht.

"Frontline" macht einen effektvollen Schnitt von der grauenvollen Lage der Marinesoldaten in Helmand zu einer Konferenz des Center for a New American Security [Zentrum für eine neue amerikanische Sicherheit] in Washington, einer so genannten "gemäßigten" militärischen Expertenkommission mit engen Verbindungen zur Obama-Regierung. Die Teilnehmer sind hochrangige Militärs und so genannte Experten für die "Aufstandsbekämpfung", die auf fette Beraterverträge aus sind. Smith beschreibt sie als "die besten und intelligentesten" aus dem "Beraterstab für Aufstandsbekämpfung". Diese Umschreibung wurde schon benutzt, um die Architekten des Vietnam-Kriegs zu bezeichnen.

General David Petraeus, der Vorsitzende des Zentralkommandos der US-Streitkräfte, benutzt einen Overhead-Projektor, um seine Vorschläge für eine "Operation in voller Bandbreite" in Afghanistan zu illustrieren.

Die Sendung zeigt auch die Korruption und Ohnmacht der afghanischen Regierung von Präsident Hamid Karzai. Eine der wirkungsvollsten Szenen ist die, in der eine Gruppe von Karzais Ministern in einem schwer bewaffneten US-Militärhubschrauber in eine entlegene nordöstliche Provinz befördert wird. "Hier geht es darum, die Regierung mit dem Volk zu verbinden", erklärt ein US-General, der die Minister begleitet. "Das werden sie heute sehen." Was die lokale Bevölkerung tatsächlich sieht, das sind die korrupten Mitglieder eines Marionettenregimes, weit abgehoben vom Leben der Bevölkerung und für ihr eigenes Überleben vollständig abhängig von fremden Besatzungstruppen.

"Frontline" schließt mit einem Abschnitt über Pakistan, von dem es behauptet, es sei das wirkliche Problem in der Region. Die Schlussfolgerung daraus ist klar - der Krieg in Afghanistan muss in zunehmendem Maße über die Grenze hinaus ausgedehnt werden.

Die Sendung lässt nur eine Person zu Wort kommen, die auch nur annähernd beginnt, die zentralen Aspekte, die durch den Krieg aufgeworfen werden, zu hinterfragen - und das ist Oberst Andrew Bacevich (ret.), Vietnam-Veteran and Professor für internationale Beziehungen an der Universität von Boston.

"Was mich stört, ist ein Volk, das den Plan eines unbefristeten Kriegs akzeptiert", erklärt Bacevich, und weist auf die Folgen eines unkontrollierten Wachstums des amerikanischen Militarismus hin.

Das letzte Wort hat jedoch einer der Aufstandsbekämpfungs-"Experten", Oberstleutnant. John Nagl (ret.), der die Angriffe vom 11. September heraufbeschwört und erklärt, Afghanistan ist "ein notwendiger Krieg ... ein Krieg, den Amerika gewinnen muss."

Der Titel der Sendung ist etwas irreführend. Obama taucht in der ganzen Geschichte sehr selten auf - er wird kein einziges Mal gezeigt, und sein Name wird nur viermal in der gesamten Stunde erwähnt. Vom Übergang von der Bush-Regierung oder der grundlegenden Kontinuität bei der Weiterführung der militärischen Aggression verlautet nichts.

Es gibt einen Begleitkommentar von Obama aus seiner Rede vom März, in der er die Eskalation des Kriegs ankündigt. Das amerikanische Volk, erklärt er, "verdient eine ehrliche Antwort" darauf, warum US-Soldaten auch weiterhin in Afghanistan "kämpfen und sterben". Er gab aber keine Antwort darauf, und letztendlich tut das der "Frontline"-Dokumentarfilm genauso wenig.

(Die Sendung "Obamas Krieg" ist online auf der Internetseite von PBS zu sehen.)