Rot-rot-grüner Protest ist keine Alternative zur schwarz-gelben Bildungspolitik
Von Johannes Stern
28. Oktober 2009
In der Bildungspolitik scheinen sich alle Parteien einig zu sein. Man redet oft und gerne von der zentralen Wichtigkeit von Bildung und Forschung, streicht aber in der Praxis regelmäßig Gelder zusammen und baut Stellen ab. Oder man greift - wie gegenwärtig die schwarz-gelbe Regierung - zu rechnerischen Taschenspielertricks.
Wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung davon spricht, die Ausgaben für Bildung und Forschung zu erhöhen, ist das nichts als eine große Mogelpackung. Beliebig werden die unterschiedlichsten Ausgaben einfach als Bildungsausgaben deklariert. Aus einer Vorlage der Finanzministerkonferenz geht hervor, dass geplant ist, das Kindergeld Volljähriger neuerdings als Ausgabe für Bildung zu verbuchen. Auf diese Weise können 4,4 Milliarden Euro als zusätzliche Bildungsausgaben deklariert werden, obwohl real kein einziger Euro mehr fließt. Nach diesem Muster sollen ebenso Pensionen von Lehrern und Professoren und sogar Steuergutschriften für Unternehmen, die in Forschung investieren, als Bildungsausgaben verbucht werden.
Werden wirklich einige zusätzliche Euro zur Verfügung gestellt, dann für ein so genanntes "nationales Stipendiensystem", dass je zur Hälfte von Bund und Ländern sowie der Wirtschaft getragen werden soll. Wenige der besten Studierenden sollen 300 Euro monatlich erhalten. Dabei ist vorgesehen, dass Universitäten selbst auf Firmen zugehen und Stipendien einwerben. Durch die schwarz-gelben Pläne wird es der Wirtschaft also ermöglicht, ihre Forschungsinteressen an den Universitäten noch direkter durchzusetzen.
Auf Grund des in hohem Maße selektiven Bildungssystems in Deutschland werden die Stipendien vor allem Studierenden aus reicheren Familien zu Gute kommen, da Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten strukturell benachteiligt sind. In Deutschland ist die soziale Herkunft so ausschlaggebend für den weiteren Bildungsweg, wie in keiner anderen Industrienation. Im Jahre 2006 lag der Anteil der Studierenden mit Eltern, die einen Hauptschulabschluss haben, lediglich bei 14 Prozent.
Wenn die schwarz-gelbe Regierung nun die Ökonomisierung und Liberalisierung der Bildung vorantreibt und die Selektivität des Bildungssystems weiter verstärkt, kann sie an die verheerende Vorarbeit von SPD, Grünen und Linkspartei anknüpfen.
Die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland, der sinnbildlich für die Etablierung marktwirtschaftlicher Kriterien im Bildungsbereich und die Transformation von Bildung zu einer Ware steht, wurde 1999 unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeleitet. Die Schaffung von Bachelor- und Masterstudiengängen wurde dabei genauso beschlossen wie die Einführung von so genannten Bildungskrediten.
Trotz der damaligen Wahlkampfversprechen für ein gerechteres Bildungssystem und gegen Studiengebühren wurde unter der rot-grünen Bundesregierung die schrittweise Einführung von Studiengebühren in den verschiedenen Bundesländern vorbereitet. Bereits im Oktober 1998 (also wenige Tage nach den Wahlen) forderte der SPD-Wissenschaftsminister Niedersachsens Thomas Oppermann offen die Einführung von Studiengebühren. In der Folge sprachen sich dann immer mehr Politiker von SPD und Grünen für Studiengebühren aus. Mittlerweile hat die SPD aktiv die Einführung von Langzeitstudiengebühren (z.B. in Niedersachsen) und von Studienkonten (NRW) vorangetrieben. Die Grünen haben in Hamburg mit der CDU sogar Gebühren für das Erststudium in Höhe von 375 Euro beschlossen und sind bereit, auch im Saarland Studiengebühren für das Erststudium mit zu tragen.
Im Rückblick war die rot-grüne Regierungszeit von den schärfsten Angriffen auf Bildung und Soziales seit Bestehen der Bundesrepublik geprägt. SPD und Grüne rechtfertigten die Einführung von Studiengebühren dabei genauso wie alle anderen "Reformen" der Agenda 2010 mit Sachzwängen und knappen Kassen - nachdem sie selbst Steuergeschenke an die Wirtschaft und die Reichen verteilt und den Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt hatten.
Doch niemand hat die Argumentation mit Sachzwängen in Kombination mit anschließenden Kürzungen im Bildungsbereich so perfektioniert wie die Linkspartei. In Zusammenarbeit mit der SPD hat sie in den letzten Jahren im Berliner Senat eine beispiellose Kürzungsorgie organisiert.
Linkspartei und SPD haben an den Berliner Universitäten 75 Millionen Euro gekürzt, was zur Folge hatte, dass 216 Professuren (nahezu ein Viertel) dem Rotstift zum Opfer fielen, fast 500 Mitarbeiter entlassen wurden, ganze Fakultäten schließen mussten und 10.000 Studienplätze abgebaut wurden.
An den Schulen in Berlin, die sich genauso wie die Universitäten in einem maroden Zustand befinden, schaffte der rot-rote Senat die Lehrmittelfreiheit ab. Das bedeutet für Eltern eine Mehrbelastung von bis zu 100 Euro pro Jahr und Kind. Weiterhin hat die rot-rote Regierung in Berlin in den Jahren 2005 und 2006 400 Referendariatstellen gestrichen und damit die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse von angehenden Lehrerinnen und Lehrern weiter verschärft. Die Arbeitszeit der bereits eingestellten Lehrkräfte wurde parallel dazu um zwei Stunden pro Woche erhöht. Das hat eine enorme Mehrbelastung zur Folge und hat dazu geführt, dass qualitativ hochwertiger Unterricht immer weniger möglich ist und keine Zeit für wichtige pädagogische Projekte außerhalb der Unterrichtszeit bleibt.
Ein weiteres Beispiel für rot-rote Bildungspolitik ist die Erhöhung der Kita-Gebühren um bis zu 40 Prozent. Durch die Einführung eines neuen Zeittarifs ist so für viele Familien eine Ganztagsbetreuung nahezu unmöglich geworden. Sie können ihre Kinder lediglich halbtags betreuen lassen.
Dass die Linkspartei in Zukunft sogar verstärkt bereit ist, aktiv an der Umsetzung rechter und unsozialer Politik mitzuwirken, steht völlig außer Zweifel. In der neuen rot-roten Regierung in Brandenburg trägt sie den vom SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck angekündigten radikalen Sparkurs mit und hat bereits dem Abbau von 11.000 Stellen in der Landesverwaltung zugestimmt.
Überall wo Linkspartei, SPD oder Grüne Regierungsverantwortung übernehmen, führen sie soziale Angriffe und drastische Kürzungen im Bildungsbereich durch. Wenn der Studentenverband der Linkspartei, Linke.SDS, nun davon spricht, gegen die schwarz-gelbe Regierung den rot-rot-grünen Bildungsprotest organisieren zu wollen, ist das blanker Hohn. Eine rot-rot-grüne Regierung wäre keine Alternative. Das hat die unsoziale Politik dieser Parteien in den letzten Jahren mehr als gezeigt.
Will man das Recht auf Bildung verteidigen, sowie ein solidarisches und gerechtes Bildungssystem erkämpfen, gilt es deshalb Bilanz zu ziehen. Eine neue politische Perspektive ist notwendig.
Die Angriffe auf das Bildungssystem in den letzten Jahren können nicht losgelöst von den immer heftigeren Angriffen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung im Allgemeinen betrachtet werden. Diese Angriffe, die von allen etablierten Parteien mitgetragen werden, haben ihre Ursache in der historischen Krise des Kapitalismus. Während sich eine schmale Schicht an der Spitze der Gesellschaft unermesslich bereichert, lebt eine immer größere Zahl in prekären Lebensverhältnissen und in Armut. Während gute Bildung zunehmend einer kleinen Elite vorbehalten bleibt, muss sich die Mehrheit mit unterfinanzierten Schulen und Universitäten sowie zu wenig und schlecht bezahltem Lehrpersonal zufrieden geben.
Es ist nicht mehr möglich, wie in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, den Herrschenden allein durch Protest Reformen abzuzwingen. Die relative Stabilität des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg und die vergleichsweise starke Stellung des Nationalstaats bildeten damals die ökonomische Grundlage für die sozialen Zugeständnisse an Arbeiter und Studenten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Globalisierung der Produktion und die historische Weltkrise des kapitalistischen Systems haben die Politik der sozialen Reformen unmöglich gemacht. Dies ist der Grund für den Zusammenbruch der Sozialdemokratie und die rechte Politik der Linkspartei überall dort wo sie Regierungsverantwortung übernimmt.
Will der Protest für ein Recht auf Bildung und ein solidarisches und gerechtes Bildungssystem erfolgreich sein, muss er sich gegen diese politischen Kräfte richten und braucht er eine politische Perspektive, die der kapitalistischen Gesellschaftsordnung den Kampf erklärt. Es ist notwendig eine unabhängige politische Bewegung aufzubauen, die sich zum Ziel setzt, den vorhandenen gesellschaftlichen Reichtum umzuverteilen und die Wirtschaft unter die demokratische Kontrolle der Bevölkerung zu stellen. Nur durch einen solchen Kampf, der auf Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms geführt werden muss, ist es möglich, das Recht auf Bildung und den freien Zugang zu allen Bildungseinrichtungen zu verteidigen.
Die International Students for Social Equality (ISSE) rufen alle Studierenden und Schüler dazu auf, unser Programm zu studieren und sich an diesem Kampf aktiv zu beteiligen.