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Die Grünen bekennen sich zum Bürgertum

Von Peter Schwarz
11. Juni 2009

Die deutschen Grünen, die sich einst als Alternative zum bürgerlichen Politikbetrieb verstanden, bekennen sich jetzt offen zum bürgerlichen Lager.

Die ehemalige grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast kommentierte das relativ gute Abschneiden ihrer Partei bei der Europawahl vom vergangenen Sonntag mit den Worten: "Das neue Bürgertum wählt grün." Ähnlich äußerte sich Boris Palmer, der grüne Bürgermeister der Universitätsstadt Tübingen. Er sagte: "Die Wählerschaft der Grünen wird immer bürgerlicher."

Der Begriff "bürgerlich" ist ein unmissverständliches Signal an CDU und CSU, die im gängigen Sprachgebrauch als bürgerliche Parteien bezeichnet werden. Einer Koalition mit der Union auf Bundesebene steht damit von Seiten der Grünen nichts mehr im Wege.

Würde das Ergebnis der Europawahl auf die Bundestagswahl vom 26. September übertragen, hätte ein solches Bündnis eine parlamentarische Mehrheit. Die Grünen haben mit 12,1 Prozent ihr bisher bestes bundesweites Ergebnis erzielt. Sie liegen vor der FDP (11%) und der Linkspartei (7,5%) und kommen zusammen mit CDU und CSU (37,9%) auf exakt 50 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Boris Palmer sprach sich deshalb offen für eine schwarz-grüne Bundesregierung aus. "Wir müssen stärker werden als die FDP, um uns für die Union zur einzigen Alternative zur großen Koalition zu machen", sagte er. "Die Union wird uns dann ein Angebot machen, das wir annehmen können." Die Grünen hätten eine "ähnliche Orientierung in Wertefragen" wie die Union und "solide Vorstellungen von Haushaltspolitik", fügte er hinzu.

Auch Daniel Cohn-Bendit, Spitzenkandidat der französischen und gleichzeitig Mitglied der deutschen Grünen, sprach sich in SpiegelOnline für ein Zusammengehen mit der Union aus. Auf das Stichwort: "Und wenn eine Verbindung mit Angela Merkel inhaltlich Sinn macht..." antwortete er: "...dann wird sie gemacht. Alles andere wäre Unsinn."

Auf den Einwand des Spiegel, dies wäre für viele Grüne ein Tabubruch, erwiderte Cohn-Bendit: "Ach was. Nach der Wahl im September wird nichts mehr sein wie vorher. Da hat es sich ausgeträumt. Der Spuk der Linken von der dritten Kraft, zum Beispiel, wird vorbei sein, und manch anderes wird auch abgewickelt..."

Andere führende Grüne sind etwas vorsichtiger, sich offen auf ein Zusammengehen mit der Union festzulegen. Sie fürchten, das könnte Wähler abschrecken. Außerdem werden die Grünen bei der Bundestagswahl kaum ein ähnlich hohes Ergebnis erzielen, wie bei der Europawahl mit ihrer extrem niedrigen Wahlbeteiligung. Aber falls sich die Gelegenheit ergibt, werden sie nicht zögern, einer rechten bürgerlichen Regierung beizutreten.

Künasts Charakterisierung der Grünen als Partei des neuen Bürgertums ist nicht aus der Luft gegriffen. Es gibt keine andere Bundestagspartei, die sich derart offenkundig und ausschließlich auf ein eng begrenztes soziales Milieu stützt. Während die Grünen bundesweit nur jeden zehnten Wähler erreichen, sind sie in innerstädtischen Bezirken, in denen die gut verdienende und gebildete Mittelschicht lebt, zur größten Partei geworden.

In Berlin erhielten die Grünen bei der Europawahl fast ein Viertel der abgegebenen Stimmen. Sie lagen nur knapp hinter der führenden CDU, während die Senatsparteien SPD und Linkspartei weit zurückfielen. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erreichten sie einen Stimmenanteil von 43 Prozent. In anderen Großstädten sah es ähnlich aus. So wurden die Grünen in sechs Stadtbezirken Münchens mit Ergebnissen zwischen 25 und 35 Prozent stärkste Partei.

In Universitätsstädten wie Tübingen und Freiburg stellen die Grünen schon länger den Bürgermeister. Bei der Kommunalwahl vom vergangenen Sonntag wurden sie nun erstmals auch in einer Großstadt zur stärksten Partei. Mit 25 Prozent der abgegebenen Stimmen übertrafen sie in Stuttgart die CDU um einen Prozentpunkt. Bei dem Ergebnis spielte allerdings der Streit um den milliardenschweren Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, den die Grünen ablehnen, eine große Rolle.

Die Grünen haben sich zur Partei der wohlhabenden städtischen Mittelschicht entwickelt. Über ein eigenes politisches Programm verfügen sie nicht. Ihre Markenzeichen - Umweltschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit - sind längst Allgemeingut aller Parteien geworden, seit sich mit Öko-Läden, alternativen Energien und Sparautos gutes Geld verdienen lässt. Und wenn der Umweltschutz mit wirtschaftlichen Interessen in Konflikt gerät, geben die Grünen in der Regel als erste nach. Ihren Antimilitarismus und ihr Eintreten für Basisdemokratie haben die Grünen schon vor zehn Jahren an der Garderobe des Außenministeriums abgegeben.

Was die Grünen heute noch von anderen bürgerlichen Parteien unterscheidet, ist nicht ihr Programm, sondern bestenfalls ihr Lebensstil. Man könnte sie als bürgerliche Lifestyle-Partei bezeichnen. Ihre Politik opportunistisch zu nennen, wäre eine Untertreibung. Sie sind der Partei gewordene Opportunismus.

Keiner beherrscht diesen Opportunismus vollendeter als die einstige Diva der 68er Proteste, Daniel Cohn-Bendit. Seine Liste "Europe Ecologie" erzielte in Frankreich mit 16 Prozent einen Überraschungserfolg. Sie lag nur äußerst knapp hinter der zweitplatzierten Sozialistischen Partei. Cohn-Bendit hatte auf seiner Liste Leute gesammelt, die außer einem bekanntem Namen nichts gemeinsam haben. Der Anti-EU-Aktivist José Bové stand an der Seite des glühenden EU-Befürworters Cohn-Bendit und der Staatsanwältin Eva Joly, die durch die Aufdeckung des Elf-Aquitaine-Skandals Berühmtheit erlangte.

Eine solche Koalition mag erfolgreich Stimmen sammeln, zur Durchsetzung politischer Ziele ist sie untauglich, da sie in keiner Frage übereinstimmt. Sie dient höchstens dazu, Wähler zu manipulieren und diffuse Stimmungen für reaktionäre Zwecke auszunutzen, wie dies die Grünen taten, als sie das Entsetzen über die Gräuel im Jugoslawienkrieg ausschlachteten, um Auslandseinsätze der Bundeswehr zu ermöglichen.

Viele Wähler der Grünen sind politisch und sozial liberal eingestellt. Sie sind gebildet, kultiviert, politisch informiert und empfinden nicht selten echte Sympathie für Arme und sozial Benachteiligte. Deshalb schließen sie sich nicht der CDU oder der FDP an. Aber die Unterdrückung offener Klassenkämpfe durch SPD, Linkspartei und Gewerkschaften desorientiert sie und macht sie empfänglich für die Politik der grünen Zyniker, die sie benutzen, um eine rechte Regierung zu unterstützen.