Haushaltskrise der US-Bundesstaaten führt zur sozialen Katastrophe
Von Joe Kishore
4. Juli 2009
aus dem Englischen (3. Juli 2009)
Als New York City 1975 vor einer Finanzkrise stand, lehnte der damalige Präsident Gerald Ford das Hilfeersuchen der Stadt ab. Die New York Daily News fasste das in die berühmte Schlagzeile "Ford to City: Drop Dead" (Ford an die City: Rutscht mir den Buckel runter). Die Schlagzeile gab ein wenig dem Zorn Ausdruck, den die Bürger der Stadt gegenüber der Bundesregierung empfanden, die sich weigerte, Hilfestellung zu leisten, und massive Ausgabenkürzungen erzwang.
Heute nimmt die Obama-Regierung eine ähnliche Haltung gegenüber dem ganzen Land ein. Sie schaut mit verschränkten Armen zu, wie Bundesstaaten auf die rezessionsbedingte Krise ihrer Staatshaushalte mit massiven Kürzungen wichtiger Sozialprogramme reagieren. Eine ähnliche Schlagzeile wäre auch heute angemessen, allerdings mit dem Unterschied, dass diverse Staatsregierungen aktiv an dem Angriff auf die gesamte amerikanische Bevölkerung beteiligt sind.
Obama verlangt immer wieder, dass die Staaten ihre "Kreditwürdigkeit" wiederherstellen, indem sie die Ausgaben kürzen und "strukturelle Probleme" lösen. Die Folgen dieser Politik werden jetzt sichtbar.
Am Dienstag ging das Haushaltsjahr fast aller Bundesstaaten zu Ende. Die meisten sind rechtlich verpflichtet, ihren Haushalt auszugleichen. Weil die Wirtschaftskrise aber zu sinkenden Steuereinnahmen und gleichzeitig zu stärkerer Inanspruchnahme der Sozialprogramme führt, beginnen viele Staaten, die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und andere Sozialleistungen scharf zu kürzen. Aufgrund des besonderen politischen Systems der Vereinigten Staaten werden diese Programme entweder von den einzelnen Bundesstaaten oder von den Staaten und der Bundesregierung zusammen finanziert.
Die Krise hat das ganze Land erfasst. Sieben Staaten haben noch keinen Haushalt verabschiedet: Kalifornien (Haushaltsdefizit 24 Mrd. Dollar), Illinois (9,2 Mrd.), Pennsylvania (4,8 Mrd.), North Carolina (4,6 Mrd.), Connecticut (4,1 Mrd.), Ohio (3,3 Mrd.) und Mississippi ($480 Millionen).
Die Haushaltskrise nimmt die schärfste Form an der Westküste, der Ostküste (Norden und Süden) und im Mittleren Westen an, wo die Arbeitslosigkeit und die Zwangsversteigerungen am höchsten sind. Aber fast jeder Staat ist betroffen. Colorado, Kansas, Missouri, Kentucky und Tennessee haben Haushaltsdefizite von fast einer Mrd. Dollar oder mehr. Das Gesamthaushaltsdefizit aller Bundesstaaten beträgt ca. 121 Mrd. Dollar.
Einige Staaten, die noch keinen Haushalt verabschiedet haben, drohen jetzt, die Arbeit der öffentlichen Verwaltung gänzlich einzustellen, wenn nicht bald Entscheidungen getroffen werden. Der Gouverneur von Illinois, der Demokrat Pat Quinn, legte sein Veto gegen einen von der Demokratischen Mehrheit verabschiedeten Haushalt ein, der große Angriffe auf Sozialprogramme beinhaltet. Quinn setzt sich für etwas geringere Kürzungen ein und will dafür die unsoziale Einkommenssteuer nach dem Prinzip der Flattax erhöhen. Betreuungseinrichtungen für psychisch Kranke und Behinderte haben als Folge der Haushaltskrise schon Personal entlassen.
Kalifornien ist der wirtschaftlich stärkste Staat der USA. Wenn Kalifornien ein unabhängiger Staat wäre, dann wäre es der wirtschaftlich achtstärkste Staat der Welt. In Kalifornien wird die Regierung diese Woche beginnen, Firmen und Lieferanten in Form von Gutscheinen zu bezahlen. Auch Bürger, denen Steuergutschriften zustehen, und Empfänger von staatlichen Hilfsprogrammen, wie Alte, Behinderte oder College-Studenten, werden kein Geld, sondern ebenfalls Gutscheine bekommen.
Wegen des Defizits von 24 Mrd. Dollar fordert Gouverneur Arnold Schwarzenegger praktisch die Zerstörung des sozialen Netzes in dem Bundesstaat. Die Demokraten, die die Mehrheit im Staatsparlament haben, treten für geringere Kürzungen, kombiniert mit Steuererhöhungen ein. Am Mittwoch verordnete der Gouverneur allen Staatsbediensteten einen dritten unbezahlten freien Tag pro Monat. Das entspricht einer Lohnkürzung von ungefähr fünf Prozent.
Die Krise in den Staaten wirkt sich besonders dramatisch auf die Bildung aus, weil der größte Teil der Finanzen für das Bildungswesen von den Staaten und von kommunalen Grundsteuern getragen wird. Zahlreiche Staaten im ganzen Land kürzen schon die Sommerschulprogramme oder streichen sie ganz. Diese Programme sind für Schüler und Eltern sehr wichtig, weil letztere ihre Kinder während der Arbeitszeit sonst nirgendwo unterbringen können. Sommerschulprogramme sind u. a. in Florida und Kalifornien praktisch abgeschafft.
Die Zukunft der öffentlichen Schulbildung in den Vereinigten Staaten ist eine offene Frage. In Detroit, dem Zentrum der industriellen Krise in Amerika, bereiten die Stadtverantwortlichen schon eine Bankrotterklärung des öffentlichen Schulsystems vor. Sie ziehen in Betracht, die öffentlichen Schulen insgesamt aufzulösen.
Mit aktiver Zustimmung der Obama-Regierung beginnen Staats- und Kommunalregierungen im ganzen Land, darüber nachzudenken, ob sie die öffentliche Bildung durch alle möglichen konzessionierten Privatschulen ersetzen sollen.
An der Politik der Obama-Regierung zeigt sich, wie sehr die Finanzoligarchie die Bundesregierung im Würgegriff hält. Die Summen, um die es bei Haushaltskrise der Bundesstaaten geht, sind im Vergleich zu den Mitteln, die für die Banken bereit gestellt wurden, verschwindend gering. Die 700 Mrd. Dollar des Bankenrettungsprogramms TARP vom letzten Jahr machen ungefähr das Sechsfache des Geldes aus, das benötigt würde, um die Defizite aller Bundesstaaten auszugleichen.
Insgesamt hat die Regierung den Banken Billionen Dollar an direkten Subventionen, Kreditgarantien und praktisch zinslosen Darlehen überlassen. Aber niemand kommt auf die Idee, den Staaten die Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um eine soziale Katastrophe abzuwenden. Genauso wenig wird erwogen, Banken und große Kreditgeber, die selbst öffentliche Unterstützung erhalten haben, zu verpflichten, den Staaten günstigere Konditionen bei laufenden oder künftigen Krediten einzuräumen.
Die Regierung hat das ganze Land ausgeplündert, um die Finanzelite zu retten, lässt aber die Bundesstaaten mit der massiven Wirtschaftskrise allein.
In diesem Sinn hat sich die Rolle der Regierung und ihr Verhältnis zu den Bundesstaaten verändert. In der Periode des New Deal in den 1930ern wurde die Bundesregierung durch die Ausweitung der Sozialprogramme auf Bundesebene ziemlich gestärkt.
Jetzt spielt die Bundesregierung die entgegen gesetzte Rolle. Sie fordert die Kürzung von Sozialprogrammen auf Staatsebene, weil sie sich auf die Kürzung bei den Sozialsystemen auf nationaler Ebene vorbereitet, wo es um die Renten und die Krankenversicherung für Arme und Alte geht.
Der Widerstand gegen diese Angriffe erfordert eine gemeinsame Bewegung der ganzen Arbeiterklasse. Es gibt keine Lösung dieser Krise auf Staatsebene oder regionaler Ebene. Die Krise in den Bundesstaaten ist vielmehr ein Ausdruck der nationalen und globalen Wirtschaftskrise.
Um die Bedürfnisse der heutigen Massengesellschaft zu befriedigen, ist ein mit Billionen Dollar ausgestattetes öffentliches Arbeitsprogramm erforderlich. Es würde die Infrastruktur, Schulen und Wohngebiete auf Vordermann bringen und Millionen anständig bezahlte Arbeitsplätze schaffen.
Das wichtigste Hindernis für ein solches Programm ist die Unterordnung des ganzen wirtschaftlichen und politischen Lebens unter die Profitinteressen der Finanzoligarchie. Die Enteignung der großen Konzerne, Banken und Finanzinstitute und die Einführung einer wirklich demokratischen Kontrolle über die kollektiven Reichtümer der Gesellschaft ist die wichtigste Voraussetzung für die Lösung der Krise der Bundesstaaten.