Das Öl und der "Rückzug" aus dem Irak
Von James Cogan
1. Juli 2009
aus dem Englischen (30. Juni 2009)
Passenderweise fällt der Stichtag für den Rückzug der US-Truppen aus den irakischen Städten mit einem Bietertreffen in Bagdad zusammen: Einige besonders große Ölfelder des Landes werden zur Erschließung durch Gesellschaften wie ExxonMobil, Chevron und British Petroleum ausgeschrieben. Das erinnert an die wahren Motive für die Invasion von 2003 und wirft ein Licht auf jene, in deren Interessen über eine Million Iraker und 4.634 Amerikaner und andere Soldaten ihr Leben lassen mussten. Der Irak-Krieg war - und ist auch heute noch - ein imperialistischer Krieg der amerikanischen herrschenden Elite um die Kontrolle über das Öl und um geostrategische Vorteile.
Die Verträge werden die großflächige Ausbeutung der Öl- und Gasvorräte im Irak durch amerikanische und andere transnationale Konzerne erleichtern. Das ist zum ersten Mal wieder möglich, seit die Ölindustrie des Landes 1972 verstaatlicht wurde. Im Angebot sind zwanzig Jahre währende Rechte für sechs Felder, die mehr als fünf Milliarden Barrel an leicht und billig zugänglichem Öl enthalten. In der autonomen Kurden-Region im Nordirak, wo ausländische Gesellschaften schon heute operieren, gewinnt die norwegische Firma DNO zurzeit so genanntes "Süß-Öl" aus einem relativ kleinen Feld bei Tawke, was sie weniger als zwei Dollar pro Barrel kostet.
Larry Goldstein von der US-finanzierten Forschungsstiftung für Energiepolitik griff im Gespräch mit der New York Times letzte Woche zu einem passenden Vergleich: "Wer fragt, warum Ölgesellschaften am Irak interessiert seien, kann auch fragen, warum Räuber Banken ausrauben: Dort ist schließlich das Geld." Die gesamten Ölreserven des Irak werden auf mindestens 115 Milliarden Barrel geschätzt. Seine Erdgasreserven belaufen sich auf mindestens 3,36 Milliarden Kubikmeter.
Im Jahr 2003 verstanden Millionen Menschen auf der ganzen Welt, dass das Gerede der Bush-Regierung und ihrer internationalen Verbündeten über irakische Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zum Terrorismus nichts als Lüge war. Diese Lügen dienten nur dazu, einen Raubzug auf den Ölreichtum des Landes zu rechtfertigen. Die spätere Behauptung aus Obamas Weißem Haus, die Besatzung müsse fortgesetzt werden, um die "irakische Demokratie" zu stabilisieren, ist ebenfalls eine Lüge.
Der Niedergang der amerikanischen Weltmacht und wachsende Klassenspannungen im Innern der Vereinigten Staaten heizten den Krieg weiter an. Die kapitalistische Elite Amerikas glaubte, wenn sie die militärische Herrschaft über den Persischen Golf ausübte, hätte sie Zugang zu den lukrativen Bodenschätzen und außerdem einen mächtigen Trumpf gegen ihre europäischen und asiatischen Rivalen in der Hand, weil jene stark von den Energiereserven der Region abhängig sind. Die martialische Agitation, die den Krieg begleitete, diente dazu, das Misstrauen in der Öffentlichkeit zu dämpfen und von der ökonomischen Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft abzulenken.
Die Schlächterei musste über sechs Jahre andauern - viel länger, als jeder Kriegsbefürworter vorausgesagt hatte - um Bedingungen herzustellen, unter denen große Konzerne ausreichend Vertrauen schöpfen und ernsthaft beginnen, in die irakische Ölindustrie zu investieren. Zuerst musste der irakische Widerstand gegen die US-Invasion im Blut ertränkt und die Bevölkerung in einen Zustand des Terrors und der Unsicherheit versetzt werden.
Der Krieg hat eine endlose Kette von Verbrechen ausgelöst. Sie reichen von der Folterpraxis in Abu Ghraib und anderen Gefängnissen über die Zerstörung von Städten wie Falludscha bis hin zu den Angriffen auf dicht besiedelte Vorstädte wie Sadr-City; von der Entfesselung der schiitischen Todesschwadronen bis zur Entvölkerung der Zentren sunnitischen Widerstands in Bagdad.
Das Land ist wirtschaftlich ruiniert. Dreißig bis fünfzig Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos oder unterbeschäftigt. Mindestens sieben Millionen Menschen leben von weniger als zwei Dollar am Tag, und Unterernährung und Krankheiten grassieren.
Die irakische Regierung von Premierminister Nouri al-Maliki, in der die schiitischen Fundamentalisten dominieren, verwaltet das Elend der Bevölkerung um den Preis amerikanischer Unterstützung. Ihm steht ein aufgeblähter Militär- und Polizeiapparat mit über 630.000 Bewaffneten zur Seite, die von den USA ausgerüstet werden.
Die Unterdrückung der irakischen Massen war Bedingung für den Rückzugszeitplan, dem schon die Bush-Regierung in ihrem SOFA-Abkommen (Status of Forces Agreement) letztes Jahr zugestimmt hat. Um die letzten Aufständischen gegen die US-Besatzung nieder zu halten, sind amerikanische Soldaten in vorderster Front offenbar nicht mehr notwendig. Diese Aufgaben müssen jetzt Einheiten der irakischen Armee übernehmen.
Der Großteil der 130.000 amerikanischen Soldaten im Irak hat sich in schwer bewaffnete Lager in den Außenbereichen der Städte zurück gezogen, oder er ist auf den großen Flugplätzen stationiert, die zum Beispiel in Balad und in Tallil errichtet wurden. Das SOFA-Abkommen erlaubt ihnen, bis Dezember 2011 zu bleiben, und bis dahin werden neue Abkommen für eine Langzeitpräsenz von US-Kräften ausgearbeitet sein.
Amerikanische Kommandanten, die sich äußerlich optimistisch geben, können ihre Befürchtungen über den Rückzug aus den Städten nicht verbergen. Um die irakische Armee zu stabilisieren, sind zurzeit etwa 10.000 US-Soldaten als "Ausbilder" in ihr eingebettet. Diese Zahl wird in den kommenden Monaten noch auf über 50.000 anwachsen. Bagdads westliche Vorstädte hat man in einem kreativen Akt als "außerstädtisches Gebiet" eingestuft. Luftwaffe, Kampfhelikopter, Artillerie und schnelle Eingreiftruppen sind ständig in Bereitschaft, um im Notfall irakischen Soldaten zur Seite zu springen.
Es wird nicht nur befürchtet, dass aufständische Gruppen den amerikanischen Rückzug nutzen könnten, um sich in irakischen Städten neu zu formieren. Sie könnten sowohl gegen die Maliki-Regierung, als auch gegen das amerikanische Militär erneut wirkungsvoll Widerstand leisten. Auch befürchten Washington und seine Marionettenregierung, dass die katastrophale soziale Lage der irakischen Arbeiterklasse und die Ablehnung der Konzessionen, die Maliki dem US-Imperialismus macht, in der Bevölkerung dazu führen, dass sich Proteste und Unruhen ausbreiten.
Die Obama-Regierung ist sich sehr bewusst, dass eine große Mehrheit der Iraker eine US-Präsenz im Land erbittert ablehnt. Wie berichtet wird, übt sie hinter den Kulissen Druck auf Maliki aus, auf sein Versprechen zu verzichten und ein Referendum über das Status of Forces Agreement wieder abzusagen. Obama weiß, dass ein solches Referendum eine überwältigende Niederlage erbringen würde.
Auch gibt es scharfe Meinungsverschiedenheiten zwischen den rivalisierenden Fraktionen der Schiiten, Sunniten und Kurden in der herrschenden Elite. Es geht um die Verteilung der Öleinkünfte und anderer Reichtümer. Besonders explosiv sind die Spannungen, wenn es um die Forderung der kurdisch autonomen Region geht, die Kontrolle über die Ölfelder bei Kirkuk im Norden zugesprochen zu bekommen. Zwei dieser Ölfelder werden auf der Auktion diese Woche ausgeschrieben.
Die Kurdische Regionalregierung (KRG) beschwerte sich vorige Woche, die Auktion sei "verfassungswidrig", und drohte, die Gesellschaften seien "schlecht beraten", Verträge über Felder bei Kirkuk abzuschließen, an denen die KRG nicht ebenfalls beteiligt sei. Ein ethnischer Bürgerkrieg im Norden ist nicht auszuschließen, und auch nicht ein erneutes Eingreifen der USA, um eine solche Entwicklung zu verhindern.
Der US-Imperialismus steht im Irak vor einem Scherbenhaufen, und er ist selbst dafür verantwortlich. Mitten im weltweiten Wirtschaftszusammenbruch, und während sich sein Krieg in Afghanistan und sein Stellvertreterkrieg in Pakistan noch ausweiten, ist die amerikanische Armee immer noch durch den Konflikt im Irak gebunden, und kein Ende ist abzusehen. Dennoch hält die Obama-Regierung an der Besatzung ebenso fest, wie auch an den räuberischen Zielen der Invasion - bei denen Öl immer eine große Rolle gespielt hat.