Obama verschärft Angriff auf staatliches Bildungssystem
Von Tom Eley
29. Juli 2009
aus dem Englischen (25. Juli 2009)
Am Freitag kündigte Präsident Obama eine Offensive gegen das staatliche Bildungssystem an, die weitergeht als das "No Child left Behind"-Programm der Bush-Regierung. Er stellte eine Bildungs-"Reform" vor, die die Bezahlung der Lehrer an die Noten der Schüler koppeln und die Regierungen der Bundesstaaten zwingen würde, die für anerkannte staatliche Schulen vorgesehenen Geldmittel in Zukunft an so genannte Charter-Schools (konzessionierte private Schulen mit teilweise öffentlicher Finanzierung) zu vergeben.
Obama sprach am Freitag im Bildungsministerium, und gab einen "Wettbewerb" zwischen den Bundesstaaten um 4,3 Mrd. Dollar an Regierungsgeldern mit dem Namen "Wettlauf an die Spitze" bekannt. Das Geld soll nur an eine Handvoll Bundesstaaten verteilt werden, die sich am entschlossensten für "Innovation" einsetzen - d.h. für Charter-Schulen und listungsorientiertes Gehalt für Lehrer. Bundesstaaten, deren Gesetze diese Politik untersagen, wie z.B. Kalifornien, New York und Wisconsin - die das Bildungssystem-Ranking der Bundesstaaten anführen - kämen gar nicht erst in Betracht.
Obama und Bildungsminister Arne Duncan stellten die Sache so dar, als seien die 4,3 Mrd. Dollar ein außerordentlich hoher Geldbetrag. Aber es sind Dutzende Milliarden weniger, als selbst einzelne Banken wie Goldman Sachs aus Obamas Rettungsprogramm für die Banken erhalten haben. Es ist auch, gemessen an der Forbes 400-Liste für 2008, weniger als das persönliche Vermögen von ca. 90 amerikanischen Bürgern. Und es reicht auch bei weitem nicht, um den drückendsten Problemen des unterfinanzierten staatlichen Bildungssystems zu begegnen. Allein in Detroit fehlen den öffentlichen Schulen 400 Millionen Dollar.
Selbst bei gleichmäßiger Verteilung würde dieses Almosen wenig helfen. Aber Obama machte deutlich, dass das gar nicht seine Absicht ist. "Statt das Geld aufzuteilen, sollen die Staaten und Verwaltungen darum wetteifern", sagte er. "So können wir Anreize für Spitzenleistungensetzen, Reformen anregen und im öffentlichen Schulsystem Amerikas einen Wettlauf um die Spitze eröffnen."
Wie ein Herrchen, das seinen ausgehungerten Hunden einen Knochen zuwirft, entfacht die Obama-Regierung einen erbitterten Wettkampf zwischen den Staaten und Schuldistrikten um viel zu geringe Geldmittel.
Obama erläuterte drei gleichermaßen reaktionäre "Strategien" für so genannte leistungsschwache Schulen. "Eine Strategie beinhaltet die Entlassung des Schulleiters und vieler Lehrer und gibt den Schulen eine zweite Chance", sagte er. "Eine zweite beinhaltet die Einschaltung einer großen gemeinnützigen Organisation, um bei der Verwaltung einer Problemschule zu helfen. Die dritte Strategie bedeutet, eine Schule, die lauter Schulabgänger produziert, in eine erfolgreiche Charter School zu verwandeln. Das sind konzessionierte Privatschulen, die von Eltern, Lehrern, Bürger- und Gemeindeorganisationen finanziert werden und großen Spielraum für Reformen haben." Die zweite und dritte Strategie mit Einbeziehung von "gemeinnützigen Gruppen" und "Gemeindeorganisationen" lassen vermuten, das Obama in der staatlichen Bildung einen Platz für religiöse Gruppen sieht.
Duncan, der vor Obama sprach, sagte, der Wettlauf an die Spitze solle Staaten und Schulbezirke ermutigen, Lehrer zu entlassen. Sie "müssen bereit sein, weitreichende Reformen in Angriff zu nehmen, Teile des Kollegiums zu ersetzen und die Schulkultur zu verändern", sagte er. Wir können nicht zulassen, dass schlimme Schulen weiter vor sich hin wursteln, in denen die Schüler Jahr für Jahr weiter zurückfallen.
Duncan erläuterte auch drei weitere Fonds mit einer Gesamtsumme von 4,8 Mrd. Dollar, die aber auch nur an Staaten und Schulbezirke vergben werden sollen, die bereit sind, ihre schwächsten Schulen herumzureißen", wie Duncan es ausdrückte.
Unausgesprochen machten Obama und Duncan "schlechte" Lehrer für die Probleme der staatlichen Bildung verantwortlich.
Zwar trifft es zu, dass die USA eines der schlechtesten Bildungsysteme aller Industrieländer mit hohen Abbruchquoten und schlechten Leistungen in Schlüsselfächern haben, aber das ist sicher nicht die Schuld der Lehrer. Es ist das Ergebnis Jahrzehnte langer Unterfinanzierung, während derer der Reichum des Landes immer unverhüllter auf die Konten der Superreichen gelenkt wurde.
Leistungslohn für Lehrer wird höchstens dazu führen, dass Pädagogen sich um Stellen an benachteiligten Schulen mit Schülern, die am dringendsten Hilfe brauchen, nicht mehr bewerben. Praktisch wird das, wie beim No Child Left Behind-Programm, dazu führen, dass die Schulen am wenigsten Geld bekomen, die am stärksten darauf angewiesen sind. Es wäre ein gewaltiger Schritt in Richtung Privatisierung des staatlichen Schulsystems in Amerika und der Schaffung eines zweigliedrigen, auf Klassenzugehörigkeit gegründeten Schulsystems.
Schon heute hängt die Qualität der schulischen Bildung amerikanischer Kinder weitgehend davon ab, wie wohlhabend die Gegend ist, in der die Schule liegt. Ein wesentlicher Teil der Finanzierung amerikanischer Schulen hängt von der Vermögenssteuer und anderen lokalen Einnahmequellen ab, und manche Staaten geben deutlich mehr Geld pro Schüler aus als andere. Unter diesen Bedingungen schneiden die öffentlichen Schulen in wohlhabenden Stadtteilen und Vorstädten wesentlich besser ab als die Schulen in den Innenstädten, in Kleinstädten, in Reservaten und anderen finanziell benachteiligten Gegenden. Reiche Familien und Familien der oberen Mittelschicht gehen gegebenenfalls der staatlichen Bildung ganz aus dem Weg und schicken ihre Kinder auf teuere Privat- oder Konfessionsschulen. Obamas Politik wird diese Ungleichgewichte vertiefen und offiziell machen.
In einem Interview mit der Washington Post behauptete Obama, dass Qualitätsbeurteilungen so gestaltet werden könnten, dass dies vermieden werden könnte. Die Tests könnten so angelegt sein, dass sie Verbesserungen überprüfen und nicht Schüler in armen und reichen Schulen vergleichen, sagte er. Aber in einer Gesellschaft, in der die soziale Misere zunimmt und mehr und mehr Schulkinder obdachlos sind und hungrig in die Schule kommen, werden immer mehr von ihnen keine Verbesserungen bei standardisierten Tests zeigen. Die Aussagekraft solcher Tests wird von zahllosen Pädagogen und Lehrern ohnehin schon lange in Frage gestellt.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Obama einem auf Klassenzugehörigkeit gegründeten Bildungssystem das Wort redet. Für die Kinder von Arbeitern und Armen - ihre Ergebnisse in standardisierten Tests werden nicht so gut ausfallen wie die des Nachwuchses der Reichen - wird es demnach finanziell ausgetrocknete Schulen sowie überlastete und unterbezahlte Lehrer geben. Dies kann die Ausbildung der Schüler nur verschlechtern, was sich dann wiederum in verschlechtertn Testergebnissen niederschlagen wird. Diese Kinder und ihre Lehrer werden den Preis zu zahlen haben: durch die Zuweisung der Mittel an die leistungsstärkeren Charter-Schulen, die wie Privatschulen nicht verpflichtet sind, Bewerber aufzunehmen, und bei denen es gang und gäbe ist, seit langem geltende, mit den Gewerkschaften vereinbarte Arbeitszeitregelungen sowie Entlassungsregelungen für Lehrer über Bord zu werfen.
Obama hat immer die staatlichen Schulen von Chicago als Beispiel hingestellt und pries besonders Duncans Leistung als "wichtigster Mann" des Systems seit 2001. Dies muss als Drohung begriffen werden: Tatsächlich schränkte Duncan die staatliche Ausbildung in Chicago ein und schloss Dutzende Schulen und entließ viele Lehrer und Bedienstete. Was waren die Folgen? Im Jahr 2008 erreichten nur 55 Prozent der Studenten an den weiterführenden Bildungseinrichtungen Chicagos der Abschluss. Nach einer anderen aufschlussreichen Statistik wurden in Chicago 2008 26 Studenten ermordet, meist weil sie sich in einem verfehdetem Bandengebiet weit entfernt von den durch Duncan wegrationalisierten Schulen aufhielten.
Der Angriff auf Lehrer und öffentliche Ausbildung ist eine weitere Front im rücksichtslosen Klassenkrieg der Obama-Regierung gegen den Lebensstandard, die soziale Stellung und die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse; ein Klassenkrieg, den sie jetzt schon heftiger und weitreichender führt als die Reagan-Regierung und deren Vorgängerregierungen. Bis jetzt haben Obamas Bildungspläne in den Medien weniger Erwähnung gefunden als seine Rettungsaktion für die Wall Street, die von ihm erzwungene Insolvenz der Autoindustrie und seine so genannte Gesundheits-"Reform", die in Wirklichkeit die Schaffung eines unverhohlenen Klassensystems im Gesundheitswesen ansteuert. Für Arbeiter und ihre Kinder werden sich seine Pläne für das Bildungswesen jedoch als genauso kostspielig erweisen.
Bei den Lehrergewerkschaften traf er auf keinerlei Widerstand. Diese hatten sich jahrelang gegen die Pläne der Bush-Regierung und republikanischer Gouverneure zur Einführung von leistungsorientierter Entlohnung und charter schools ausgesprochen und für die Wahl demokratischer Kandidaten, auch für Obama, Dutzende Millionen gespendet.
"Das ist ein Schlag ins Gesicht der Lehrergewerkschaften," so Mike Petrilli von der Gruppe Bildungspolitik des Thomas B. Fordham Instituts zur New York Times.
Ganz anders die Reaktion der Gewerkschaften. In den zwei größten Lehrergewerkschaften NEA (National Education Association) und AFT (American Federation of Teachers) gab es keinen Widerspruch gegen Obamas Pläne; schon kurz nach ihrer förmlichen Bekanntgabe äußerten sie ihre Zustimmung.
Die Vorsitzende der AFT, Randy Weingarten, erklärte: "Die Ära, in der auf die Lehrergewerkschaft eingedroschen wurde, ist mit dem heutigen Tag zu Ende," und der NEA-Vorsitzende meinte, dass Obama und Duncan "mit uns, und nicht gegen uns arbeiten wollen."
Die umgehende Kapitulation vor Obama enthüllt den Kern der früheren "Opposition" der Gewerkschaftsrepräsentanten gegenüber Bush. Dass sie bei der Abwicklung der staatlichen Bildung "mitreden" dürfen, hat sie zufrieden gestellt. Sie ahnen, dass sie und ihresgleichen so ans große Geld, an gesellschaftliches Prestige und in die Ideenschmieden der Eliten gelangen können. Tatsächlich haben sie keinerlei Interesse, die Löhne und Sicherheit der Arbeitsplätze der Lehrer, die zu vertreten sie vorgeben, zu verteidigen, noch viel weniger geht es ihnen darum, das öffentliche Bildungssystem insgesamt zu bewahren.
Obamas Bildungspläne demonstrieren, dass die soziale Ungleichheit in Amerika derart weit fortgeschritten, die Macht der Finanzaristokratie so ungeheuer ist, dass keine öffentliche Dienstleistung und kein öffentliches Programm - auch das Bildungssystem -, das mit Klassenprivilegien und Klassenpositionen nicht kompatibel ist, längerfristig Bestand haben kann.
Historisch war das Ideal einer egalitären öffentlichen Bildung ein zentraler Bestandteil der demokratischen Bestrebungen in den USA. Seit dem frühen 19. Jahrhundert begriff der weitsichtigere Teil der amerikanischen Eliten in Politik und Wirtschaft den Wert eines kostenlosen öffentlichen Bildungssystems. Herausragender Anwalt dieser Perspektive war der Bildungsreformers Horace Mann (1796-1859) aus Massachusett, der Bildung als "die große Nivelliererin menschlicher Verhältnisse, die das gesellschaftliche Lebens" und "unsere politische Sicherheit" stabilisiert, ohne die "alles verloren ist."
Hinzu kommt, dass bisher jede soziale Bewegung für Gleichheit für die Forderung nach Chancengleichheit eingetreten ist. Immer wieder stoßen Historiker darauf, wie sehr eine zentrale Triebkraft für die großen Arbeiterkämpfe im späten 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Wunsch der Arbeiter war, ihren Kindern durch Bildung ein erfüllteres und reicheres Leben zu ermöglichen. Ihre Kinder sollten nicht schon in jungen Jahren zum Arbeiten gezwungen sein. In der Tat waren Arbeiter bereit, Entbehrungen auf sich zu nehmen, wenn sie dachten, dass es ihre Kinder dadurch eines Tages besser haben würden.
Nach dem Bürgerkrieg berichteten Zeitgenossen über den unstillbaren Bildungshunger der befreiten Sklaven, denen jede Ausbildung versagt worden war. Es ist kein Zufall, dass die Bürgerrechtsbewegung in den 1950ern zuerst die "separate but equal"-Doktrin (Gleichheit trotz Trennung der Rassen) im öffentlichen Schulsystem im Süden aufs Korn nahm, die die Afroamerikaner zum Besuch minderwertiger Schulen verdonnerte.
Jetzt organisiert die Regierung Obama eine Bildungs-"Reform", die die Spaltung im Bildungsbereich nur vertiefen kann - diesmal nach dem Kriterium der Klassen- statt Rassenzugehörigkeit.