Afghanische Aufständische halten US-Soldaten gefangen
Von David Walsh
25. Juli 2009
aus dem Englisch#en (22. Juli 2009#)
Im Rahmen der umfassenderen Tragödie der brutalen US-Besetzung von Afghanistan weist das Schicksal des Soldaten Bowe Bergdahl seine eigene tragische Dimension auf. Der 23-jährige Soldat aus Hailey, Idaho, wurde offensichtlich am 30. Juni von afghanischen Aufständischen gefangen genommen und ist weiterhin in ihren Händen.
Ein 28-minütiges Video, das letzten Samstag von den Aufständischen veröffentlicht wurde, zeigt Bergdahl, im Schneidersitz in afghanischer Kleidung, wie er mit einem seiner Geiselnehmer spricht. Er drückt sein Bedauern über die Rolle der USA in Afghanistan aus und erklärt: "Das ist überflüssig, wir sollten hier gar nicht sein."
Es gibt zahlreiche Unklarheiten darüber, wie Bergdahl in die Hände der Aufständischen geriet. Das Militär erklärte am 2. Juli gegenüber Associated Press (AP), ein US-Soldat sei verschwunden, nachdem er sich von seinem Stützpunkt in Ostafghanistan, laut Berichten in der Provinz Paktika, zusammen mit drei Afghanen entfernt hatte. Die Armee erklärt, Bergdahl sei zum letzten Mal gesehen worden, als er von seinem Wachdienst abgelöst wurde.
Am 6. Juli "behaupteten", laut AP, "die Taliban auf ihrer Internet-Seite, dass fünf Tage zuvor,ein betrunkener amerikanischer Soldat aus seiner Garnison gekommen sei und von Mudschaheddin gefangen genommen wurde".
P. J. Tobia, ein freischaffender Reporter in Afghanistan, versichert, dass Bergdahl, Mitglied des 1. Battalions, 501. Fallschirm-Infantrie-Regiment, stationiert in Fort Richardson, Alaska, "sich eigenmächtig unerlaubt von der Truppe entfernt habe, und einfach vom Stützpunkt weggegangen sei". Tobias behauptet, dass ihm jemand, der an der Suche beteiligt war, erzählt habe, Bergdahl habe eine Nachricht mit der Ankündigung hinterlassen, "er gehe in die Berge, um sich selbst zu finden. Er nahm ein Tagebuch und vier oder fünf Messer mit."
In dem Video, das seine Entführer gemacht haben, erklärt Bergdahl, er sei gefangen genommen worden, als er bei einem Patrouillengang "zurückgeblieben sei".
Was immer auch stimmt, man empfindet Mitgefühl mit dem jungen Mann und seiner Familie. Für ihr qualvolles Schicksal sind voll und ganz die amerikanische Regierung und das Militär verantwortlich, die einen neokolonialen Krieg führen, der zum Ziel hat, die gesamte Region unter die Kontrolle der USA zu bringen.
Das Militär, das Bergdahls Familie schon vor Wochen von seinem Verschwinden unterrichtete, hat offensichtlich versucht, die Geschichte zu verschweigen. Die Veröffentlichung des Videos dieses Wochenende hat das zunichte gemacht.
Bergdahls Familie hat eine Erklärung herausgegeben: "Wir sind überwältigt von der Unterstützung und Teilnahme für Bowe und unsere Familie. Wie Sie wissen, ist die Situation für alle Beteiligten extrem schwierig. Wir möchten Sie alle daran erinnern, dass unser einziges Interesse darin besteht, unseren geliebten Sohn Bowe wieder wohlbehalten zu Hause zu haben."
Verwandte und Freunde beschrieben Bergdahl als abenteuerlustig. Die Washington Post vermerkt, dass diejenigen, die ihm nahe stehen, ihn "abwechselnd als Balletttänzer, Fechter, unersättlichen Bücherwurm und jungen Waffennarr" beschreiben. "Er wurde zu Hause unterrichtet, und Freunde erzählen, er wollte immer schon,Teil dieser Welt der Krieger sein. Sue Martin, Besitzerin eines Cafés in Hailey, wo Bergdahl gearbeitet hat, erklärte gegenüber den Medien: "Er hat eine starke Ausstrahlung, ist sehr interessant, sehr vielgestaltig."
Das Pentagon hat die Veröffentlichung des Videos, das Bergdahl in Geiselhaft zeigt, verurteilt. "Wir verurteilen die Verwendung dieses Videos und die öffentliche Erniedrigung von Gefangenen. Das verletzt internationales Recht", erklärte der US-Militärsprecher Col. Greg Julian.
Das ist eine Riesen-Heuchelei. Die US-Regierung hat es zum Prinzip erklärt, dass ihre Streitkräfte bei der Behandlung von afghanischen und irakischen Gefangenen nicht verpflichtet sind, sich an internationales Recht zu halten, und inhaftieren, misshandeln und foltern sie nach Belieben. Etwa 600 Gefangene protestieren gegenwärtig gegen ihre unbefristete Internierung im US-Gefängnis auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram, eine Einrichtung, die berüchtigt für ihre barbarischen Zustände ist.
In der Early Show des Senders CBS vom 20. Juli wies der "Terrorismus-Experte" Jere Van Dyk darauf hin, dass die Aufständischen "den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten eine Botschaft senden und genauso ist das eine Botschaft an die afghanische Öffentlichkeit: Wir können Soldaten, wir können Gefangene besser behandeln, als die Amerikaner uns behandeln." Van Dyk führte mehrere Berichte über Misshandlungen in US-geführten Gefängnissen an.
"Sie erklären der afghanischen Öffentlichkeit, dass sie es besser können", bemerkte Van Dyk. "Habt keine Angst vor uns."
Ein Taliban-Sprecher, Zabihullah Mujahid, erklärte gegenüber Reuters: "Wie Sie in dem Video sehen, geht es ihm gut und er ist gesund. Wir werden demnächst entscheiden, was mit ihm geschehen soll."
Das US-Militär und die Medien verurteilen das Bergdahl-Video als "Propaganda" und argumentieren, seine Äußerungen über den Krieg seien "erzwungen". Zweifellos sind das Zwangs-Umstände - Bergdahl ist Gefangener, seine Entführer sitzen am längeren Hebel. Dennoch wirkt die halbstündige Unterhaltung, obwohl etwas unbeholfen, nicht wie abgelesen. Bergdahl gibt Antworten, die sein englischsprachiger Befrager hören will, aber das heißt nicht, dass alles, was er sagt, entweder erzwungen wurde oder nicht wahr ist.
In dem Video fragt der Interviewer Bergdahl, nachdem dieser sich vorgestellt und seine Version der Entführung gegeben hat: "Was haben Deine Vorgesetzten Dir erzählt? Gegen wen [haben sie erklärt] würdest Du kämpfen?"
Bergdahl erwidert: "Unsere Vorgesetzten haben uns erklärt, dass wir gegen die Taliban kämpfen werden. Sie haben uns keine weiteren Informationen darüber gegeben, als dass wir gegen die terroristische Gruppe Taliban kämpfen." Etwas später erklärt er, die Aufständischen in Afghanistan würden als "böse Menschen" dargestellt, "die jeden töten und ermorden würden".
Als er gefragt wird, ob er glaube, der Konflikt in Afghanistan sei "einfach oder schwierig", antwortet der amerikanische Soldat: "Ich denke, die Geschichte Afghanistans ist Beweis genug, dass der Krieg extrem hart werden wird."
Bergdahl versichert, dass die US-Militärbefehlshaber ihre Soldaten anweisen, alles zu tun, was sie tun müssen, um den Feind zu besiegen. "Es gibt keine Vorschriften, was wir tun sollen."
Was die amerikanischen Soldaten angeht, erklärt er. "Sie wollen nach Hause. Sie wollen nicht hier sein", und dass die Stimmung "schlecht ist.. Sie möchten nach Hause zu ihren Familien."
Bergdahl erklärt, er habe während seiner Gefangenschaft festgestellt, dass die Aufständischen "normale Menschen" sind ohne schlagkräftige Waffen oder Mittel, "genau wie wir Amerikaner, als wir für unser Land gekämpft haben." Er erklärt, dass "nichts Positives" bei dem US-Einsatz herausgekommen sei. "Wir haben unser Geld und unser Leben vergeudet." Er fährt fort und betont, dass die Amerikaner über die afghanische Wirklichkeit und den Charakter der Karzai-Regierung in Kabul "von unserer Regierung falsch informiert und belogen wurden".
"Am besten würden wir gehen", bemerkt Bergdahl. Die "Sicherheitslage" sei sehr schlecht, "die amerikanischen Truppen haben außerhalb ihrer Stützpunkte keinerlei Kontrolle.. Sobald wir die Grüne Zone verlassen, sind wir in Gefahr."
Als Antwort auf eine Frage über Barack Obama erklärt der Kriegsgefangene, dass der neue Präsident "nichts Neues" zu bieten habe, als noch mehr Truppen zu schicken, was nur den "Hass... die Gewalt" verstärkt. Er erklärt: "Ich bin einer der neuen Soldaten, die er [Obama] hierher geschickt hat."
Bergdahl sagt seinem Befrager: "Ich habe Angst, ich habe Angst, dass ich nicht wieder nach Hause komme. Es ist sehr Nerven zermürbend, gefangen zu sein. Ich habe eine Freundin, die ich heiraten möchte. Ich habe eine Großmutter und Großväter. Ich habe eine sehr, sehr gute Familie in Amerika, die ich liebe."
Er fährt den Tränen nahe fort: "Und ich vermisse sie jeden Tag, den ich fort bin. Ich vermisse sie und ich habe Angst, dass ich sie vielleicht nicht wieder sehen werde und Ihnen nie wieder sagen kann, dass ich sie liebe, ich sie nie wieder umarmen kann."
Als er gefragt wird, ob er eine Botschaft an das amerikanische Volk habe, sagt Bergdahl: "Ja. An meine amerikanischen Landsleute, die Angehörige hier drüben haben, die wissen, was es bedeutet, sie zu vermissen: Ihr habt die Macht, Eure Regierung dazu zu bringen, sie nach Hause zu holen."
Militärsprecher Col. Julian antwortete darauf mit typischer Arroganz: "Im Grunde genommen wollen sie [die Aufständischen], dass wir nach Hause gehen. Das wird ganz einfach nicht passieren. Wir sind hier, um die afghanische Regierung zu unterstützen, um die Sicherheit zu verbessern und wir werden so lange hier bleiben, wie das afghanische Volk uns hier haben will."
Rechte Kräfte brandmarken Bergdahl wegen seiner Bemerkungen als Verräter. In der Sendung "Fox News Sunday" regte der pensionierte Oberstleutnant der US-Armee, Ralph Peters, der häufig mit blutrünstigen Kommentaren hervortritt, an, die Taliban sollten Bergdahl hinrichten.
Peters erklärte: "Niemand in der Armee, von dem ich gehört habe, verteidigt diesen Burschen. Er ist offenbar ein Deserteur.. Auf diesem Video arbeitet er mit dem Feind zusammen. Unter Zwang oder nicht - das ist nicht wirklich maßgeblich - er erhebt Anschuldigungen gegen die Armee in Afghanistan, die unbegründet sind, wenn er erklärt, es gäbe keine Vorschriften."
Später fuhr der Analyst von Fox fort: "Wenn wir herausfinden, sobald wir die Umstände kennen, dass er aufgrund von verwickelten Ereignissen tatsächlich von den Taliban entführt wurde, bin ich auf seiner Seite. Wenn er aber seinen Posten und seine Kameraden im Krieg verlassen hat... ist es mir egal, wie hart das klingt, was mich angeht, können uns die Taliban eine Menge juristischen Ärger und Geld ersparen."
Der Fall macht Peters und die anderen Kriegshetzer bei Fox nervös. Es kann sehr wohl individuelle Besonderheiten im Fall des Soldaten Bergdahl geben und auch Details, von denen wir noch nichts wissen. Dennoch sagt sein Weggehen, sei es aus Enttäuschung, sei es aus Desorientierung etwas über den allgemeinen Zustand der US-Truppen in Afghanistan aus.