Ground Zero: Die Auswirkung der DHL-Schließung auf Wilmington
Von Hiram Lee
28. Januar 2009
aus dem Englischen (27. Januar 2009)
Unter dem Thema "Unser Winter der großen Probleme" brachte CBS am Sonntagabend in seiner Sendung "60 Minutes" einen Bericht über Wilmington, Ohio. Die kleine Stadt wird von der Schließung ihres größten Arbeitgebers, des internationalen Logistik Dienstleisters DHL Express, [Logistiksparte der Deutschen Post] aufs schwerste getroffen.
Wegen des Wirtschaftszusammenbruchs von 2008 verzeichnete die DHL in den Vereinigten Staaten plötzlich täglich Verluste von sechs Millionen Dollar. Infolgedessen beschloss das Logistikunternehmen im November, seine Aktivitäten im Land einzustellen. Das Unternehmen beabsichtigt weiterhin, Pakete in die USA und von den USA in andere Länder zu transportieren, will aber keine Boden- oder Luftdienste im Inlandsverkehr der Vereinigten Staaten mehr anbieten. DHL ist momentan mit UPS im Gespräch und hofft, mit der Firma zu einer Vereinbarung zu kommen, dass sie die inländische Luftfracht von DHL abwickelt.
Das DHL-Drehkreuz in Wilmington, im Südwesten von Ohio, war im Airpark von Wilmington angesiedelt, dem mit 890 ha größten privaten Flugplatz des Landes. Früher war hier der Air-Force-Stützpunkt Clinton County. In der Anlage waren bisher 8.000 Arbeiter beschäftigt. Wilmington hat 12.000 Einwohner.
"60 Minutes"-Moderator Scott Pelley leitete das Thema mit dem Hinweis ein, es seien gerade die DHL-Arbeiter von Wilmington, "die gemeint sind, wenn diese Woche über so viele neue Arbeitslose berichtet wird, wie seit 26 Jahren nicht mehr". Er fügte hinzu: "Seit dem Wirtschaftskrach von 2008 haben die Steuerzahler mehr als eine Billion Dollar für mehrere Rettungsprogramme für die Wall Street aufgebracht, aber bei von der Krise betroffenen Familien kommt davon nicht viel an."
In dem Bericht über Wilmington kam unter anderem Mike O'Machearley zu Wort. Sein Sohn wurde am 2. November 2003 im Irak getötet, als sein Hubschrauber über Falludscha abgeschossen wurde. Sechzehn weitere Soldaten starben ebenfalls. Nach diesem tragischen Ereignis nahm O'Machearley eine Arbeit als Busfahrer bei DHL an. Vorher war er bei einer Autozulieferfirma am Band beschäftigt. Dort wälzte er den ganzen Tag über seine Gedanken über den Verlust seines Sohnes. Der neue Job bei DHL, sagte O'Machearley, "verschaffte mir die Möglichkeit, unter Leute zu kommen, mit ihnen zu reden und irgendwie wieder ein Mensch zu werden".
Nachdem er nun diesen Job, der ihm soviel bedeutet hat, verloren hat, versucht er aus seinem Hobby einen Broterwerb zu machen. Er graviert Jagdmesser und hofft, seine Arbeiten an Sammler zu verkaufen. Seine Aussichten sind allerdings ziemlich düster. O'Machearley sagte in der Sendung: "Jeweils an Dienstagen werden wir abends keinen Strom haben. Wir werden die Öllampen anzünden und Checkers spielen." Er betrachte Wilmington als "Ground Zero" des aktuellen Wirtschaftszusammenbruchs.
Geri Lynn Thomas, deren Arbeitszeit bei DHL halbiert wurde, hortet Nahrungsmittel, seit die Krise bei DHL losbrach. Sie kauft immer, wenn sie es sich leisten kann, extra Lebensmittel für die noch schwierigeren Zeiten ein, die unvermeidlich bevorstehen, wenn sie selbst ebenfalls entlassen wird. Unter Tränen erzählt sie dem Moderator Pelley, dass sie ihren Sohn vorzeitig aus dem College nehmen musste. "Er ist zu den Herbst- und Winter-Trimestern dieses Jahr nicht mehr hingegangen", sagte sie, "wir haben das Geld nicht mehr." "Es war mein Traum, dass es meinen Kindern besser gehen sollte als mir, und jetzt funktioniert es nicht mehr."
In der Sendung "60 Minutes" machte der Bürgermeister von Wilmington, David Raizk, düstere Voraussagen. Raizk geht davon aus, dass zwanzig Prozent aller Geschäfte in der kleinen Stadt infolge der Schließung von DHL dicht machen könnten. Raizk vermutete auch, dass das örtliche Krankenhaus gefährdet sei. "Die Versicherungsbeiträge der Arbeiter machten acht Millionen Dollar bei den Einnahmen des Krankenhauses aus. Wenn man diese acht Millionen jetzt wegrechnet und die zusätzlichen Ausgaben hinzuzählt, die kostenlose Behandlungen bedeuten, weil viele Leute nicht mehr versichert sind, dann kann das für das Krankenhaus Existenz gefährdend sein."
Die einzige Organisation, die gegenwärtig wächst, ist die Suppenküche der Pfarrgemeinde Sugar Tree. Die Küchenbetreiber registrieren plötzlich eine so große Nachfrage nach Essen, dass sie die Einrichtung erweitern mussten, um für weitere 200 Sitzplätze Platz zu schaffen. Damit wurde die Kapazität der Küche verdoppelt, ein beunruhigender Indikator für das herrschende Elend.
Dem Bericht von "60 Minutes" zufolge fordert der Demokratische US-Senator Sherrod Brown 100 Millionen Dollar Bundeshilfe, aber nicht nur für Wilmington, sondern für "Krisenkommunen im ganzen Land". Selbst wenn das Geld genehmigt werden sollte, ist die Summe angesichts des Ausmaßes der Krise vollkommen unzureichend.
CBS berichtet, Bürgermeister Raizk habe eine Feuerwehr für die Wirtschaft gebildet, die "die bevorstehenden wirtschaftlichen Folgen der Arbeitsplatzverluste [allein für Wilmington] mit 400 Millionen Dollar im Jahr veranschlagt". Nicht ohne Grund beschreibt Scott Pelley die Situation Wilmingtons in folgenden Worten: "Die Stadt erlebt das Trauma eines Hurrikan Katrina, nur ohne die physischen Schäden."
Derweil wurde ein 500 Millionen Dollar schwerer Notkredit der Bundesregierung organisiert, um die Arbeitslosenkasse von Ohio wieder zahlungsfähig zu machen, da sie vergangene Woche bankrott gegangen war. Es gibt auch schon einen Fond über vier Millionen Dollar für Weiterbildungsmaßnahmen im Computerbereich, aber gegenwärtig sind keine Arbeitsplätze in Sicht, die die neu Ausgebildeten besetzen könnten.
Die Situation in Wilmington zeigt, dass nichts zu teuer ist, wenn es um die Rettung der Finanzelite geht, die für die Krise verantwortlich ist, dass man aber gleichzeitig ihren Opfern höchstens Almosen zur Verfügung stellt.
Der Fernsehbericht über den Kampf der Einwohner von Wilmington kommt nicht einmal eine Woche nach der Rede Barack Obamas, in der er bei der Amtseinführung die arbeitende Bevölkerung für die Wirtschaftskrise verantwortlich machte. Weil er weitere "Opfer" von der Arbeiterklasse forderte, fand die Rede Unterstützung und Anerkennung in den etablierten Medien. Der Titel des Berichts in der Sendung "60 Minutes" geht auf eine Formulierung in Obamas Rede zurück.
Die Lage der DHL-Arbeiter in Wilmington, Ohio, die in "60 Minutes" dokumentiert wird, widerlegt die Verleumdung der arbeitenden Bevölkerung durch Obama und seine Anhänger. Analysten gehen davon aus, dass infolge der DHL-Schließung insgesamt 10.000 Arbeitsplätze bei Zulieferern und in der gesamten Geschäftswelt von Wilmington verloren gehen.
Für eine Stadt von nur 12.000 Einwohnern ist eine solche Katastrophe lebensbedrohend, sie droht zu einer Geisterstadt im mittleren Westen zu werden. Ihre Bewohner können sich keine weiteren Opfer mehr leisten.