Am Vorabend von Obamas Amtsantritt
Von Barry Grey
21. Januar 2009
aus dem Englischen (20. Januar 2009)
Die Inauguration von Barack Obama wird von den Medien zum Anlass genommen, um eine Hysterie sondergleichen zu entfachen und das öffentliche Bewusstsein durch ein illusionäres und stupides Mega-Event zu beeindrucken und einzulullen. Der junge Senator aus Illinois wird verglichen - und vergleicht sich selbst - mit jedem Großen, von Abraham Lincoln über Franklin Delano Roosevelt bis zu Martin Luther King. Ein Beobachter der lückenlosen Berichterstattung über die Ereignisse, die Obamas Vereidigung als Präsident vorangehen, könnte den Eindruck gewinnen, der neue Heiland sei gekommen.
Für jeden, der seine Kritikfähigkeit erhalten hat, ist ein solches Schauspiel abstoßend. Aber irgendwann kommt unweigerlich der Moment, an dem sich die Megashow totläuft, und wenn der Müll dann beseitigt ist, bleibt am Ende die nackte Realität zurück. Die Realität in diesem Fall ist der Machtantritt eines Mannes, der unter Bedingungen einer beispiellosen kapitalistischen Krise in den USA und weltweit an der Spitze des reaktionärsten Staates der Welt stehen wird. Nicht die heile Medienwelt oder leere Plattitüden werden dann die Politik der Obama-Administration bestimmen, sondern die zwingenden Notwendigkeiten der Krise und die Forderungen der gesellschaftlichen Interessen, die Obama vertritt.
Obama hat nie Zweifel daran gelassen, dass er in allen wesentlichen Punkten die Politik der scheidenden Regierung fortsetzen wird. Er wird sie vielleicht etwas geschickter verpacken. Er hat sich mit Personen umgeben, die in imperialistische Verbrechen und Finanzskandale verstrickt sind. Ein Beispiel ist Bushs Pentagon-Chef, Robert Gates, der für die Truppenaufstockung im Irak verantwortlich ist und sich weigert, einen Termin für den Abzug der US-Truppen aus diesem verwüsteten Land festzusetzen.
Die Wahl Obamas kam einer überwältigenden Ablehnung der Bush-Politik von Krieg, Unterdrückung und sozialer Reaktion gleich. In den Monaten seither hat Obama alles getan, um die Republikanische Rechte zu versöhnen und zu beruhigen. Die New York Times berichtete am Montag, Obama habe seinen besiegten Gegner, den Republikanischen Senator John McCain, regelmäßig konsultiert und dieser virulenten Kriegsgurgel gestattet, seine Nominierungen für Positionen im nationalen Sicherheitsapparat zu prüfen. Die Times berief sich auf McCains Mitarbeiter Lindsey Graham, Senator aus South Carolina, und berichtete, McCain habe zu seinen Kollegen gesagt, "viele dieser Ernennungen hätte er selbst auch gemacht". McCain war auf einem Dinner am Montagabend vor der Amtseinführung Obamas Ehrengast.
Wenn es für die Selbstbeweihräucherung und dieses Medienspektakel überhaupt irgendeinen Grund gibt, dann höchstens die Tatsache, dass Obama der erste afroamerikanische Präsident ist. Dies ist zweifellos ein Meilenstein. Dieser Umstand büßt jedoch seine Bedeutung weitgehend wieder ein, weil Obamas Aufstieg unter den vorherrschenden historischen Umständen absolut nichts mit einer Wiederbelebung von sozialer Gleichheit zu tun hat.
Viele Jahrzehnte sind vergangen, seitdem die herrschende Klasse Amerikas die Bürgerrechtsbewegung unter ihre Kontrolle nahm und auf der Grundlage von Identitätspolitik und "positiver Diskriminierung" die farbige obere Mittelklasse in das politische Establishment integrierte. Obama repräsentiert die Apotheose dieser Politik von Hautfarbe, Geschlecht, etc., die benutzt wurde, um den tieferen sozialen und Klassenfragen der amerikanischen Gesellschaft aus dem Weg zu gehen und sie zu begraben, während die Existenzbedingungen der Arbeiterklasse, einschließlich der großen Mehrheit afroamerikanischer Arbeiter, sich ständig verschlechtern.
Man darf ob der staatlich sanktionierten Jubelfeier nicht vergessen, dass auch die zwei letzten Außenminister Afroamerikaner waren. Das hinderte sie nicht daran, in Irak und in Afghanistan eine verbrecherische Politik zu machen.
Man muss auch daran erinnern, dass Martin Luther King Junior, dessen Andenken heute zynisch ausgebeutet wird, der Vertreter eines großen Kampfs für soziale Gleichheit und ein vehementer Gegner des amerikanischen Imperialismus war. In den Monaten vor seiner Ermordung prangerte King öffentlich den Vietnamkrieg an und bestand immer entschiedener darauf, dass die zentrale Frage in Amerika nicht Hautfarbe, sondern Klassenzugehörigkeit sei. Diese Überzeugung wollte er zur Grundlage seines "poor peoples march", seines Marschs der Armen, machen. In dieser Zeit sprach er immer öfter über die Notwendigkeit einer Labor Party, einer Arbeiterpartei, und forderte den Bruch mit der Demokratischen Partei.
Derartige Prinzipien kann man unmöglich mit Obama in Verbindung bringen, der niemals Repräsentant einer Volksbewegung war und einen großen Teil seines Erwachsenenlebens seiner Karriere in der Demokratischen Parteimaschine von Illinois gewidmet hat, wo man schon früh ein Auge auf ihn als Kandidat für hochrangige politische Positionen geworfen hatte. Sein Präsidentschaftswahlkampf war von Anfang an von mächtigen Fraktionen der höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreise Amerikas organisiert und finanziert. Nachdem das Prestige und die Stellung des amerikanischen Imperialismus während der Bush-Jahre verheerende Schläge einstecken mussten, sahen diese Kreise in Obama den Mann, um das Bild der Vereinigten Staaten wieder aufzupolieren.
Es ist nicht notwendig, die absurden Vergleiche Obamas zu Lincoln oder selbst zur weit weniger hochstehenden Person Roosevelts zu widerlegen. Dennoch ist es bemerkenswert, wie wenig diese rein oberflächlichen und ahistorischen Analogien auf die explosive Krisenentwicklung eingehen, mit der diese Männer konfrontiert waren. Trotz Lincolns rednerischer Brillanz (mit der Obamas abgedroschene Reden keine Ähnlichkeit aufweisen) brachen die Widersprüche, mit denen er konfrontiert war, innerhalb von fünf Wochen nach seiner Inauguration in einem offenen Bürgerkrieg aus.
Roosevelt war nur ein Jahr nach seiner Amtseinführung mit gewaltigen sozialen Kämpfen der Arbeiterklasse konfrontiert. In Toledo, Minneapolis und San Francisco brachen Streiks aus, und kurze Zeit später wurde die CIO gegründet. Die Sitzstreiks trugen schon fast Züge eines Aufstands.
Die erbärmlichste und verabscheuungswürdigste Rolle bei der Jubelfeier für Obama spielen die kleinbürgerlich Radikalen und "Linken" im Dunstkreis der Zeitschrift Nation und ähnlicher Publikationen. Sie machten Wahlkampf für ihn und präsentierten ihn als Führer einer Aufstandsbewegung der "amerikanischen Erneuerung". Damit erleichtern sie die Durchsetzung einer rechten Politik, die sonst politisch nicht machbar wäre. Dazu gehören die Ausweitung des Afghanistan-Kriegs, Billionen Dollar schwere Geschenke an die Banken und Kürzungen an grundlegenden Sozialprogrammen wie Social Security, Medicare und Medicaid.
Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, dass auch die Arbeiterklasse sich derart selbst betrügen und berauschen würde. Sie lebt in der wahren Welt, in der Arbeitslosigkeit, Armut und Obdachlosigkeit ständig steigen. Selbst wenn Arbeiter die Erwartung haben, Obama werde ihre Hoffnung auf einen wirklichen Wechsel vielleicht erfüllen, wird sie das nicht davon abhalten, den Kampf aufzunehmen. Und ihre Illusionen werden durch die reale Entwicklung eher früher als später platzen und der Einsicht weichen, dass die neue Regierung nicht weniger ihr Feind ist als die alte.
Was uns betrifft, so haben wir nicht vergessen, dass Viele vor vier Jahren noch glaubten, George W. Bush dominiere wie ein Koloss die ganze Welt. Viele der "Linken", die heute Obama als neuen Messias preisen, waren damals fest von der Omnipotenz Bushs überzeugt.
An der ganzen Inauguration von Obama ist die Tatsache wichtig, dass er die Präsidentschaft inmitten einer historischen Krise des amerikanischen Kapitalismus übernimmt, die durch die aggressive globale Agenda des US-Imperialismus bestimmt wird. Nach dem 20. Januar kommt der 21. Januar. Die wachsenden Widersprüche des amerikanischen Kapitalismus im Ausland und die scharfen gesellschaftlichen Spannungen im Innern werden eine Situation hervorrufen, auf die keiner dieser Machtpolitiker oder ihrer "linken" Anhängsel vorbereitet ist - auf den Moment, an dem die amerikanische Arbeiterklasse die Bühne wieder betritt.
Der Amtsantritt von Barack Obama steht am Beginn einer Periode nie dagewesener gesellschaftlicher und politischer Umwälzungen.