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Obama signalisiert Kontinuität mit amerikanischem Folterregime

Von Bill Van Auken
14. Januar 2009
aus dem Englischen (13. Januar 2009)

Die Wahl des Demokraten Barack Obama zum Präsidenten der Vereinigten Staaten war in weiten Teilen von der Abscheu breiter Schichten der amerikanischen Bevölkerung über die kriminelle Politik getragen, die im Namen des "globalen Kriegs gegen den Terror" der Bush-Regierung gemacht wurde. Ihren verruchtesten Ausdruck fand diese Politik in der Folter und ungesetzlichen Inhaftierung Tausender Personen, wie sie in Guantánamo Bay auf Kuba, auf dem Luftwaffenstützpunkt Baghram in Afghanistan, in dem berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib im Irak und in "Geheimgefängnissen" auf der ganzen Welt praktiziert wird.

Ein Wahlkampfversprechen, das Obama häufig wiederholte, sollte den Bruch mit der Vergangenheit besonders deutlich zum Ausdruck bringen: Obama versprach, Guantánamo in den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit zu schließen.

Aber jetzt, eine Woche vor seiner Amtsübernahme als 44. Präsident der Vereinigten Staaten, distanziert sich Obama langsam auch von diesem Versprechen, und immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass seine gesamte Nationale Sicherheitspolitik viel eher von Kontinuität als von dem "Wandel" geprägt sein wird, den er im Wahlkampf immer wieder versprochen hat.

Bei einem Fernsehinterview am Sonntag versuchte Obama einer klaren Aussage auszuweichen, was jetzt mit seinem Versprechen zu Guantánamo sei. Das Interview fand ausgerechnet am siebten Jahrestag der Gefängniseröffnung zusammen, als im Januar 2002 das erste Kontingent von Gefangenen - geschundene, unter Drogen gesetzte, gefesselte, in orangene Overalls gekleidete Menschen - von Afghanistan nach Kuba geflogen wurde.

Am Dienstag berichtete die International Herald Tribune, Obamas Übergangsteam habe am Montag mitgeteilt, dass Obama an seinem ersten Amtstag die Schließung des Lagers verfügen werde. Es werde aber wohl viele Monate, "vielleicht sogar ein Jahr", dauern, die verbliebenen Gefangenen zu verlegen und das Gefängnis zu schließen.

Zu Beginn des Interviews wurde Obama nach dem Massaker an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza gefragt. Der Moderator der Sendung, George Stephanopoulos, spielte einen Videoclip des damaligen Demokratischen Präsidentschaftskandidaten ein, in dem dieser während des Wahlkampfs in Israel erklärte: "Wenn jemand Raketen auf mein Haus abfeuern würde, in dem meine beiden Töchter schliefen, würde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um das zu beenden. Ich nehme an, dass Israelis genauso denken." Diese Erklärung ist von israelischen Sprechern schon mehr als einmal als Rechtfertigung für das einseitige Schlachten in Gaza angeführt worden, dem schon ca. 5.000 Palästinenser, die meisten von ihnen Zivilisten, zum Opfer gefallen sind.

Auf die Frage, ob er die gleiche Erklärung heute, nachdem inzwischen das Blutbad begonnen hat, noch einmal so wiederholen würde, antwortete Obama mit Ja. "Ich denke, es ist ein Grundprinzip jedes Landes, dass es seine Bürger schützen muss." Er signalisierte zudem, dass er die Nahostpolitik der Regierungen Clinton und Bush fortsetzen werde, die viel zu der gegenwärtigen Katastrophe beigetragen hat.

Zum Iran betonte er, seine Regierung werde einen Verhandlungsweg beschreiten, wiederholte dann aber unbewiesene Behauptungen, denen zufolge das iranische Regime "mit Hilfe von Hamas und Hisbollah Terrorismus exportiert" und versuche, sich Nuklearwaffen zu verschaffen. Dieser Vorwurf wurde von dem letzten Bericht der amerikanischen Geheimdienste zurückgewiesen. Obamas Bemerkungen legten nahe, dass seine Regierung den diplomatischen Parcours absolvieren werde, um eine neue kriegerische Aggression besser vorzubereiten.

Eine Erklärung des scheidenden Vizepräsidenten Dick Cheney, einem der Hauptarchitekten der amerikanischen Folter-, Verschleppungs- und Kriegspolitik, spielte in dem Interview eine wichtige Rolle. Cheney hatte Obama ermahnt, "sich nicht von seiner eigenen Wahlkampfrhetorik blenden zu lassen" und sich lieber "genau anzuschauen, was wir getan haben und wie wir es getan haben". Das sei ganz wichtig, um "die Sicherheit der Nation zu gewährleisten".

Nach seiner Meinung gefragt, antwortete Obama: "Ich denke, dass ist ein ganz guter Ratschlag."

Dann distanzierte er sich von Cheney und betonte, er halte das berüchtigte Waterboarding für Folter. Aber obwohl Cheney selbst zugegeben hat, an der Genehmigung von Waterboarding beteiligt gewesen zu sein, wodurch sich der scheidende Vizepräsident selbst als Folterer definiert, hielt Obama seinen respektvollen und herzlichen Ton gegenüber Cheney aufrecht und erklärte sich bereit, seine Ratschläge zu beherzigen.

Obama bekräftigte dann, dass Verhörtechniken "den Gesetzen, unserer Verfassung und internationalen Standards entsprechen müssen". Aber als er gefragt wurde, ob das das Ende des CIA-"Spezialprogramms" bedeute, weil dieses ausdrücklich "verschärfte Verhörtechniken", d.h. Folter, zulässt, machte Obama schnell einen Rückzieher. Er sagte: "Ich will mich nicht zu einem konkreten Programm äußern, weil ich der Meinung bin, dass Dick Cheneys Rat gut war, erst einmal alles zu kennen, was wir tun."

Zu dem Plan, Guantánamo zu schließen, sagte Obama: "Das ist schwieriger, als viele glauben." Das Problem sei, betonte er, dass sich unter den Hunderten, die noch inhaftiert sind, noch einige befinden, die "möglicherweise sehr gefährlich sind, und die noch nicht vor Gericht gestellt worden und noch keinem Gericht vorgestellt worden sind. Beweise gegen sie sind möglicherweise nicht verwertbar, obwohl sie korrekt sind."

Die Lösung dieses Problems, meinte er, erfordere die "Schaffung eines Verfahrensweges". Er fügte hinzu: "Unsere juristischen Arbeitsgruppen arbeiten ständig mit dem nationalen Sicherheitsapparat zusammen, um zu schauen, was da zu tun ist."

Die meisten Beobachter nehmen an, dass der künftige Präsident über die Schaffung einer Art "Nationalen Sicherheitsgerichtshofs" spricht, in dem Beweise, die eigentlich "nicht verwertbar" sind (wie Geständnisse unter Folter) zugelassen werden könnten, um Angeklagte entweder zu verurteilen, oder sie weiter ohne Anklageerhebung festzuhalten. Beweise und die Verfahren selbst könnten geheim sein.

Solche Pläne werden als Alternative zur schnellen Schließung jener Einrichtung gehandelt, die in aller Welt als schreiendes Beispiel für Staatskriminalität angesehen wird. Weiter könnte dadurch verhindert werden, die noch Inhaftierten entweder einfach zu entlassen, oder sie vor ordentliche Gerichte stellen zu müssen. Obamas Vorhaben würde das Folterregime der Bush-Regierung zu amerikanischem Gesetz erheben und einen pseudo-juristischen Rahmen für die weitere Ausdehnung des Polizeistaatsapparats der US-Regierung schaffen.

Der Moderator Stephanopoulos bat Obama dann, auf die am häufigsten gestellte Frage auf der Web Site des künftigen Präsidenten, Change. gvt, zu antworten. Er wollte wissen, ob Obama einen Sonderstaatsanwalt einsetzen werde, "um die größten Verbrechen der Bush-Regierung, wie Folter und Abhören ohne Gerichtsbeschluss, zu untersuchen".

Obama machte klar, dass er nicht die Absicht habe, die Verantwortlichen für die politischen und internationalen Verbrechen der letzten acht Jahre zur Rechenschaft zu ziehen.

Obama bekräftigte zwar ganz allgemein: "Niemand steht über dem Gesetz", aber er betonte: "Ich glaube aber auch, dass wir nach vorne schauen müssen und nicht zurück." Besorgt wies er darauf hin, dass jede ernsthafte Untersuchung einen Aufstand im Geheimdienstapparat auslösen würde. Er versicherte, er wolle nicht, dass die "außerordentlich fähigen Leute" bei der CIA "zuviel Zeit darauf verwenden müssen, einander ständig über die Schulter zu schauen und sich mit Juristerei zu befassen".

Noch im vergangenen April hatte Obama im Wahlkampf erklärt, er werde seinen Justizminister "umgehend" beauftragen, Beweise für die Verbrechen der Bush-Regierung zu sichten. In seinem Interview vom Sonntag sagte er nun, sein Kandidat für den Posten, Eric Holder, werde wohl "einige Anrufe machen". Aber ansonsten erklärte er: "Ich glaube, bei der Nationalen Sicherheit sollten wir uns darauf konzentrieren, das Richtige in der kommenden Zeit zu tun, und uns nicht damit quälen, was wir in der Vergangenheit falsch gemacht haben."

Selbst auf die Frage nach einer zahnlosen Verschleierungsuntersuchung nach dem Muster der Kommission zum 11. September sagte Obama: "Meine Orientierung ist, vorwärts zu gehen."

Angesichts dieser faktischen Zusage, die Spitzenvertreter der Bush-Regierung, Bush und Cheney eingeschlossen, und des Geheimdienstapparates zu amnestieren, klingt Obamas formale Ablehnung von Folter hohl und zynisch. Sie ist nicht besser als Bushs Standardfloskel: "Die Vereinigten Staaten foltern nicht". Die USA haben es getan, sie tun es weiter und sie werden es unter einer Obama-Regierung zweifellos auch in Zukunft tun.

Nach der Genfer Konvention müssen Verantwortliche für Folter strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn es sich um hohe Politiker handelt. Obamas Versprechen einer quasi-Amnestie in dieser Frage macht ihn zum Komplizen.

Das ganze Gerede, man müsse "nach vorne schauen", kann nicht die Tatsache verbergen, dass die künftige Regierung entschlossen ist, diese Verbrechen zu vertuschen. Der Grund ist, dass nicht nur die Bush-Regierung und die Republikaner dafür verantwortlich sind, sondern genauso die Demokraten. Jede wirkliche Untersuchung der Folter- und Haftpolitik der letzten Jahre würde unvermeidlich die Verwicklung Demokratischer Kongressführer aufzeigen, die über diese kriminellen Praktiken informiert und darin eingebunden waren.

Obamas mäßigende und überparteiliche Herangehensweise haben ihm das Lob der politischen Rechten und der etablierten Medien eingebracht.

Die letzte Ausgabe des Newsweek -Magazins brachte eine Titelstory unter der Überschrift "Was würde Dick tun? Warum Obama sich vielleicht schon bald mit Cheneys Machtvision anfreunden wird".

"Obama, der schon seit Wochen von Geheimdiensten genau informiert wird, wird die Überreaktionen der Bush-Regierung wohl kaum unbedacht überkorrigieren", schreibt Newsweek.

William Kristol von der New York Times, nahm den Auftritt Obamas im Fernsehen zum Anlass für eine Kolumne, die von zynischer Zufriedenheit nur so triefte. Kristol, einer der Standartenträger der neokonservativen Rechten, überschrieb sein Werk "Kontinuität, an die wir glauben können".

Kristol eröffnete seine Kolumne mit dem Hinweis auf Obamas Bekanntgabe, dass er die Suche nach einem Hund für das Weiße Haus auf zwei "undramatische" Rassen eingeengt habe, und fügte hinzu: "Und er scheint sich auch für die Variante ‚Keine dramatischen Veränderungen im Weißen Haus’ entschieden zu haben."

Die hinterhältige Darstellung spielte auf eine nicht gerade schmeichelhafte Analogie an. Obama, der der amerikanischen Wählerschaft als "Kandidat des Wandels" verkauft worden war, tritt immer mehr als das Schoßhündchen der gleichen herrschenden Eliten auf, die bisher ihre Interessen mithilfe der Bush-Regierung verfolgt haben.

Um diesen ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Interessen dienen zu können, wird die Obama-Regierung zum großen Teil auf die gleichen kriminellen Methoden zurückgreifen wie ihre Vorgängerin. Das ist der Grund, warum selbst der weitgehend symbolische Akt, das Lager Guantánamo zu schließen, plötzlich eine so komplizierte Aufgabe geworden ist.

Siehe auch:
Obamas Konjunkturprogramm: Ein weiteres Geschenk an die Wirtschaft
(10. Januar 2009)