Ranghohe amerikanische Armeerichterin räumt Folter in Guantánamo ein
Von Patrick Martin
27. Januar 2009
aus dem Englischen (15. Januar 2009)
In einer nicht alltäglichen öffentlichen Erklärung räumte die Spitzenmilitärrichterin, die die Militärtribunale auf Guantánamo Bay beaufsichtigte, zwei der Hauptanklagepunkte ein, die schon lange gegen die Bush Regierung erhoben wurden: Gefangene des Internierungslagers Guantánamo sind gefoltert worden, und die Folter wurde in Übereinstimmung mit der offiziellen Politik Washingtons durchgeführt.
In einem Interview mit Washington Post- Reporter Bob Woodward sagte Susan Crawford, der Gefangene Mohamed Al-Qahtani sei systematische durch Isolation und Schlafentzug so misshandelt worden, dass er sich in einem "lebensbedrohlichen Zustand" befand. Zum Beispiel habe man ihn absichtlich nackt der Kälte ausgesetzt.
"Wir haben Qahtani gefoltert", sagte sie zu Woodward. " Auf seine Behandlung trifft die juristische Definition von Folter zu, und darum habe ich die Anklage gegen ihn nicht zugelassen".
Crawford, die 61-jährige ehemalige Armeeberaterin und frühere Generalinspekteurin des Pentagon, diente von 1991 bis 2006 am Berufungsgericht der Vereinigten Staaten für die Streitkräfte als Richterin. Im Februar 2007 ernannte Verteidigungsminister Robert Gates sie zur Anklageautorität der Militärkommissionen. Im Mai 2008 wies sie die Anklage wegen Kriegsverbrechen gegen Qahtani zurück, ohne ihre Gründe öffentlich zu nennen.
Obwohl sie sagte, sie habe keine Einzelheiten der Behandlung der fünf anderen Guantánamo-Häftlinge gekannt, die der Anschläge vom 11. September 2001 beschuldigt werden, sagte Crawford: "Ich nehme an, sie sind gefoltert worden." Sie erwähnte, dass Funktionäre der Bush-Regierung zugelassen hätten, dass mehrere der Gefangenen, einschließlich des angeblichen Organisators vom 11. September, Khalid Scheich Mohamed, durch das so genannte "Waterboarding" [simuliertes Ertränken] misshandelt wurden.
Wie Crawford klarstellte, war der Missbrauch der Gefangenen nicht das Ergebnis übereifriger nachrangiger Vernehmungsbeamter, sondern die Konsequenz einer Politik, die von ganz oben angeordnet wurde. Die Techniken, die gegen Qahtani verwendet wurden, waren vom seinerzeitigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld genehmigt. "Vieles geschah unter seiner Aufsicht", sagte sie.
Die Verantwortlichkeit, legte sie nahe, geht sogar höher, zum Weißen Haus. "Ich denke, der schwarze Peter liegt beim Oval Office" erklärte Crawford der Washington Post. "Meiner Meinung nach schadet er seinen eigenen Zielen", fügte sie hinzu, womit sie auf Bushs Einrichtung der Militärgerichte Bezug nahm. "Ich denke, irgendjemand muss jetzt zugeben, dass Fehler gemacht wurden, und dass das kontraproduktiv ist. Und dafür muss er die Verantwortung übernehmen."
Qahtani, einem saudischen Staatsangehörigen, wurde im August 2001 am Flughafen von Orlando (Florida) der Zugang in die Vereinigten Staaten verwehrt. Beamte der Bush-Administration haben ihn als den "zwanzigsten Luftpiraten" bezeichnet, als einen Al-Qaida-Kämpfer, der versucht habe, sich den neunzehn anderen Männern anzuschließen, fast alles Saudis, die an den Angriffen vom 11. September beteiligt waren.
Er wurde später durch US-Streitkräfte in Afghanistan aufgegriffen und im Januar 2002 nach Guantánamo verbracht, wo er anfangs wenig Aufmerksamkeit erregte. Das ist eigentlich verwunderlich, in Anbetracht der ihm zugeschriebenen Rolle beim 11. September. Seine Befragung fing im November 2002 an und wurde drei Monate fortgeführt. Danach folgten wiederum drei Monate Einzelhaft.
Berichte über die grässliche Art seiner Behandlung in Guantánamo gelangten auch in Amerika schon in die Presse, gestützt auf Aussagen seiner Verteidiger und anderer, die mit dem Fall vertraut sind. Aber kein hochrangiger Beamter, geschweige denn eine entsprechende juristische Instanz, bestätigte die Details und erklärte seine Behandlung kategorisch als Folter.
"Die angewandten Techniken waren alle genehmigt, aber die Art und Weise, wie sie umgesetzt wurden, war übermäßig aggressiv und zu lang anhaltend", erklärte Crawford der Post. "Wenn Sie an Folter denken, denken Sie an irgendeine horrende körperliche Tat, die gegen eine Einzelperson ausgeübt wird. Dies war keine bestimmte Tat; es war gerade die Kombination mehrerer Dinge, die eine medizinische Auswirkung auf ihn hatten und seine Gesundheit beeinträchtigten. Es erfolgte missbräuchlich und unangebracht und als Zwangsmittel, ganz klar als Zwangsmittel." Gerade diese Auswirkung auf die Gesundheit hätte sie dazu gebracht, es Folter zu nennen.
Qahtani wurde wiederholt einer Leibesvisitation unterzogen, und häufig waren weibliche Aufseher dabei. Er wurde gezwungen, Frauenunterwäsche überzuziehen und eine Hundeleine zu tragen. Er wurde im angeketteten Zustand verhört, von scharfen Militärhunden bedroht und gezwungen, sich wie ein Hund zu benehmen. Wie ein Dokument belegt, wurde Qahtani längere Zeit der Schlaf entzogen, und man unterwarf ihn "an 48 von 54 aufeinander folgenden Tagen einem 18- bis 20-stündigen Verhör".
Qahtani musste infolge seiner schrecklichen Leiden zweimal ins Krankenhaus eingeliefert werden. Man stellte bei ihm Bradykardie fest, eine ungewöhnliche Verlangsamung des Herzschlags, die tödlich verlaufen kann. Zu der Zeit war sein Puls nur 35 Schläge pro Minute. Nach Ansicht seines Rechtsanwalts leidet Qahtani unter Gedächtnisverlust, Konzentrationsunfähigkeit und Paranoia. Nach wie vor in Guantánamo eingesperrt, beteuert er seine Unschuld und leugnet jegliche Verbindung zu Al-Qaida.
Crawford, eine Republikanerin und Karrieremilitärjuristin, die ausspricht, was momentan viele im Pentagon denken, äußerte ihre Sorge, dass die Folterung Gefangener auf Guantánamo Bay eine Katastrophe für die Öffentlichkeitsarbeit der US-Regierung darstelle, und dass sie US-Militärangehörige, die vielleicht in Zukunft gefangen genommen würden, in Gefahr bringen könne.
"Ich verstehe all jene, die damals, nach dem 11. September, versucht haben, Informationen zu sammeln, um unsere Sicherheit zu erhalten, weil sie nicht wussten, was als nächstes kommen würde", erklärte sie der Post. "Aber es muss doch eine Grenze geben, die wir nicht überschreiten dürfen. Und leider, was das betrifft, so haben die Auswirkungen meiner Meinung nach alle Erfolge verdorben."
Die Behandlung von Qahtani "entsetzte mich", sagte sie. "Ich war völlig durcheinander und verwirrt. Wenn wir so etwas zulassen und erlauben, was können wir dann dagegen sagen, wenn unsere Soldaten und Frauen oder andere im Auslandsdienst gefangen genommen und den gleichen Methoden unterworfen werden? Wie können wir uns beschweren? Wo ist unsere moralische Autorität, um uns zu beschweren? Nun, vielleicht haben wir sie verloren."
Das Interview der Washington Post mit Susan Crawford traf zeitlich mit einem weiteren wichtigen juristischen Schlag gegen die so genannten "cangaroo courts" [Militärtribunale] zusammen. Ein ehemaliger Staatsanwalt in Guantánamo, Darrel Vandeveld, reichte am Dienstag einen Schriftsatz bei einem US-Berufungsgericht ein, in dem die Freilassung von Mohamed Jawad, einem afghanischen Jugendlichen, gefordert wird. Jawad war 2002 von den US-Truppen aufgegriffen und in den vergangenen sechs Jahren in Guantánamo inhaftiert worden.
Vandeveld, ein ehemaliger Oberstleutnant, der vor dem Militärgericht für die Anklage gegen sieben Gefangene verantwortlich war, trat vergangenen September von seiner Position zurück. Als Grund führte er die Misshandlung von Jawad durch die afghanische Polizei und das US-Militär an. Und die Beweisführung, sagte er, sei verdächtig, unaufrichtig oder rundweg gefälscht, einschließlich eines von Jawad unterzeichneten Geständnisses in Farsi, einer Sprache, die er gar nicht spricht.
Jawad ist einer von zwei Gefangenen, denen ein Verfahren auf Guantánamo Bay bevorsteht. Beide waren nicht älter als siebzehn, als sie durch US-Streitkräfte gefangen genommen wurden. Die Bush-Administration verfolgte Jawad und den kanadischen Staatsbürger Omar Khadr als Erwachsene, obgleich internationale Abkommen verlangen, dass beide als "Kindersoldaten" eingestuft und als Opfer des Konflikts behandelt werden.
Die Organisationen American Civil Liberties Union, Amnesty International, Coalition to Stop the Use of Child Soldiers, Human Rights First und Human Rights Watch haben einen Appell vom 12. Januar unterzeichnet, in dem sie den neuen Präsidenten Barack Obama auffordern, das Verfahren gegen Jawad einzustellen.
Dieser Appell kam einen Tag nach einem ABC-Fernsehinterview, in dem Obama sich von seinem Wahlversprechen distanzierte, das Internierungslager auf Guantánamo Bay bei seinem Amtsantritt zu schließen. Er distanzierte sich auch von dem Vorhaben, hochrangige Beamte der Bush-Administration wegen der Genehmigung von Folter, illegaler Abhörpraktiken und anderer Angriffe auf demokratische Grundrechte vor Gericht zu stellen.
Inzwischen berichtet die Times of London, dass fast ein Fünftel der Gefangenen in Guantánamo in einen Hungerstreik getreten seien und durch die Militärbehörden zwangsernährt würden. Dem Zeitungsbericht zufolge lehnen 44 von 248 Insassen die Nahrungsaufnahme ab, und 33 werden zwangsernährt. Die Zwangsernährung ist jene rabiate Repressalie, bei der einem Menschen Flüssigkeit mit einem Schlauch durch die Nase in den Magen gedrückt wird. Der Rechtsanwalt einiger Gefangener sagte, tatsächlich beteiligten sich mehr als siebzig Gefangene an dem Hungerstreik, fast ein Drittel der aktuell Inhaftierten.
In den letzten sieben Jahren hat die Bush-Administration mehr als 700 Männer in Guantánamo eingesperrt. Sie wurden (in Rumsfelds Worten) als "die Schlimmsten der Schlimmen" dargestellt. Fast 500 von ihnen wurden ohne Anklage in ihr jeweiliges Heimatland abgeschoben. Sie haben keinerlei Entschädigung für den Verlust an Lebensjahren, für die brutale Behandlung und unrechtmäßige Gefangenschaft erhalten.
Aussagen über die Verbrechen in Guantánamo oder darüber, wie sie vertuscht werden - wie die von Susan Crawford, von Darrel Vandeveld und anderen Militär- und Zivilbeamten - könnten eine enorme Bedeutung bekommen, wenn sie dazu beitragen würden, ranghohe Amtsträger der Bush-Regierung zur Verantwortung zu ziehen.
Jeder Politiker und Funktionär, der für die Untaten auf Guantánamo Bay Verantwortung trägt, muss vor ein internationales Tribunal gestellt werden. Das gilt auch für die anderen Taten, für Folter, unrechtmäßige Inhaftierung, Entführung und Mord, die durch US-Agenten im Verlauf des "Kriegs gegen den Terror" begangen wurden. Und es gilt für Bush selbst, seinen Vizepräsidenten Cheney, für Rumsfeld, Condoleezza Rice und all die hochrangigen CIA- und Militäroffiziere, die die politischen Weichen für die Foltermethoden gestellt haben, wie auch für die Juristen der Regierung, die diese groben Verletzungen von internationalem Recht juristisch gerechtfertigt haben.
Obamas Aussage, er wolle " lieber vorwärts schauen als rückwärts", läuft darauf hinaus, für sämtliche durch die Bush-Administration begangenen Verbrechen eine politische Amnestie auszusprechen. Obama und die Demokraten im Kongress lehnen jede ernsthafte Strafverfolgung entschieden ab, weil solche Bemühungen die Komplizenschaft der Demokraten bloßstellen würden. Sie wären auch nicht mit der Politik der Gewalt und Unterdrückung zu vereinbaren, die Obama im Interesse des amerikanischen Imperialismus in Afghanistan, dem Irak und anderen Länder weiter verfolgt.