Die Krise der Islamischen Republik und die Aufgaben der iranischen Arbeiterklasse
Von Keith Jones
30. Dezember 2009
aus dem englischen (29. Dezember 2009)
In Teheran, Täbriz und anderen iranischen Städten kommt es seit Samstag immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Gegnern der iranischen Regierung und den Sicherheitskräften und Basidsch-Milizen.
Wegen der Einschränkungen für ausländische und oppositionelle Medien liegen nur beschränkte Informationen vor, aber die Zusammenstöße haben mindestens acht, möglicherweise aber sogar fünfzehn Todesopfer und Dutzende Verletzte gefordert. Offizielle Sprecher behaupten, es seien zahlreiche Polizisten, darunter auch der Chef der Teheraner Polizei, verletzt und "mehrere getötet" worden.
Zu den toten Demonstranten zählte auch ein Neffe des Oppositionsführers und ehemaligen Ministerpräsidenten der islamischen Republik, Mir Hossein Mussawi. Letzterer war bei den Präsidentschaftswahlen im Juni Mahmoud Ahmadinedschads schärfster Rivale. Ali-Habibi Mussawi wurde bei regierungsfeindlichen Protesten am Sonntag angeblich in den Rücken geschossen. Anhänger der Opposition nannten seinen Tod einen gezielten Mord.
Die Polizei bestätigte am Sonntag 300 Festnahmen von Demonstranten. Gestern verhafteten Sicherheitskräfte hohe Berater Mussawis und Mohammad Khatamis, des iranischen Präsidenten von 1997 bis 2005. Sie setzten auch Ebrahim Yazdi fest, den momentanen Führer der Freiheitsbewegung des Iran von Mehdi Bazargan.
Auch sechs Monate nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom 12. Juni ist es der Regierung von Ajatollah Khamenei und Präsident Ahmadinedschad offensichtlich nicht gelungen, den Widerstand der Opposition gegen das Wahlergebnis zu unterdrücken.
Regierungsvertreter und Polizeichef Esmail Ahmadi Mokadam hatten angekündigt, sie würden jeden Versuch der Anhänger von Mussawis "Grüner Revolution" verhindern, den religiösen Feiertag Ashura zu regierungsfeindlichen Aktionen zu nutzen. Dieser Feiertag wird bei den Schiiten seit langem immer wieder mit politischem Protest in Verbindung gebracht.
Zehntausende, wahrscheinlich sogar Hunderttausende nahmen an regierungsfeindlichen Protesten teil. Viele gingen in Isfahan und Nadschafabad auf die Straße. Das sind Städte in Zentraliran, die bisher als Hochburg der Regierung galten. Viele Demonstranten trugen Grün und identifizierten sich damit mit Mussawis Forderung nach einer Reform der islamischen Republik. Viele griffen jedoch auch Parolen auf, die direkt deren Existenz in Frage stellen, und riefen beispielsweise: "Tod dem Diktator". In einem Bericht der New York Times hieß es, die Oppositionsbewegung habe erstmals Teilnehmer aus der Arbeiterklasse im Süden Teherans angezogen.
Alle Protagonisten der "Grünen Revolution" sind Stützen der islamischen Republik: allen voran Mussawi, Khatami und Haschemi Rafsandschani, der Milliardär, Ex-Präsident und aktuelle Vorsitzende des Experten- und des Schlichtungsrates. Aber jetzt finden sie sich an der Spitze einer Bewegung wieder, die einen aufständischen Charakter anzunehmen scheint.
Das bürgerlich-klerikale Establishment des Iran ist unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise, der wachsenden sozialen Gegensätze und des US-Imperialismus in mehrere Fraktionen zerfallen.
Dem Economist zufolge wuchs die iranische Wirtschaft im vergangenen Jahr nur um 0,5 Prozent, weil die Öleinnahmen von 82 Mrd. Dollar in 2008 auf weniger als 60 Mrd. Dollar sanken. Offizielle Zahlen weisen eine Inflation von über fünfzehn Prozent und eine Arbeitslosenrate von mehr als elf Prozent aus.
Ahmadinedschad gewann die Präsidentschaft 2005, weil er sich als Gegner der neoliberalen Politik seiner Vorgänger Khatami und Rafsandschani ausgab. Tatsächlich trieb er aber die Privatisierungen voran und verkaufte staatliches Vermögen im Wert von 63 Mrd. Dollar. Zur Enttäuschung Rafsandschanis und anderer Basar-Kapitalisten fiel der größte Teil der Gewinne aber nicht ihnen zu, sondern Geschäftskreisen aus dem Umfeld der Revolutionsgarden.
Um den Druck von unten aufzufangen, nutzte Ahmadinedschad die steigenden Staatseinnahmen aus dem Ölboom von 2005-08 zur Steigerung der Sozialausgaben. Diese Politik empörte mächtige Teile der iranischen Bourgeoisie, und unter dem Druck der Wirtschaftskrise ist Ahmadinedschad nun gezwungen, Pläne für eine radikale wirtschaftliche Umstrukturierung anzukündigen. Zum Beispiel sollen Subventionen für Lebensmittel, Energie, Wasser, Verkehr und anderes abgeschafft werden. Das hat seine Kritiker in der iranischen Elite allerdings nicht besänftigt, die ihn beschuldigen, in der Bevölkerung eine Versorgungsmentalität zu schaffen.
Auch über die Verfolgung der Großmachtambitionen der iranischen Bourgeoisie am Persischen Golf gibt es im Angesicht der unnachgiebigen Feindschaft des US-Imperialismus scharfe Differenzen.
In den letzten beiden Jahrzehnten hat Washington mehrfach iranische Angebote für eine Normalisierung der Beziehungen und einen "großen Handel" zurückgewiesen. Stattdessen erhöhten Clinton, Bush und jetzt Obama den Druck auf Teheran durch Sanktionen; sie arbeiten auf einen "Regimewechsel" hin und drohen mit einem Militäreinmarsch. Heute führen die USA in drei an den Iran grenzenden Ländern Krieg: dem Irak, Afghanistan und Pakistan. Nach dem 1. Januar wollen sie auch die anderen Großmächte auf die Verhängung neuer, "schmerzhafter" Sanktionen gegen Teheran einschwören.
Im Frühjahr verkündete Obama großspurig seine Absicht, Gespräche mit Teheran aufzunehmen. Aber er selbst und Außenministerin Hillary Clinton erklärten, sie würden auf keinen Fall auf die amerikanischen Forderungen an den Iran, seine nuklearen Brennstoffprogramme einzustellen, verzichten. Auch müsse der Iran die amerikanische Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten akzeptieren. Das Gesprächsangebot war eher ein Versuch, die Risse in der iranischen Elite auszunutzen und auf diplomatischem Gebiet eine Verschärfung der Sanktionen vorzubereiten.
Acht Monate später plant die Obama-Regierung jetzt, noch weiter zu gehen als Bush und Cheney und ein Embargo von raffinierten Erdölprodukten über den Iran vorzuschlagen. Ein solches Embargo wäre angesichts von Teherans Abhängigkeit von importiertem Benzin und Diesel ein schwerer Schlag gegen die iranische Wirtschaft.
Gleichzeitig unterstützt Obama die "Grüne Revolution", deren Führer, besonders Rafsandschani und Khatami, schon lange eine Annäherung an Washington befürworten.
Die iranische Arbeiterklasse muss diese Krise für sich ausnutzen und selbständig gegen die islamische Republik aufstehen. Die Voraussetzung dafür ist der Widerstand gegen und die Unabhängigkeit von allen Fraktionen der Bourgeoisie.
Die westlichen Medien haben Irans bürgerliche Opposition zu einer "Demokratiebewegung" hochstilisiert, und alle kleinbürgerlichen Organisationen unterstützen sie darin: Sie stellen sich hinter Obama und schließen Frieden mit dem amerikanischen Imperialismus.
Aber die wirklichen Bedürfnisse der iranischen Bevölkerung - Freiheit von imperialistischer Unterdrückung, demokratische Rechte, Arbeitsplätze, Sozialleistungen und soziale Gleichheit - können nicht im Bündnis mit Teilen der nationalen Bourgeoisie realisiert werden. Und schon gar nicht mit solchen Schichten - wie im Fall der Führer der "Grünen Revolution" -, die darauf aus sind, einen Handel mit dem US-Imperialismus zu machen, und die für eine noch radikalere, arbeiterfeindliche Sozial- und Wirtschaftspolitik eintreten.
Die Tragödie des heutigen Iran besteht darin, dass die mächtige antiimperialistische Revolution von 1978-79 in die Hände der Bourgeoisie gefallen ist, und dass ein Teil der Geistlichkeit sie mithilfe von schiitischem Populismus und iranischem Nationalismus in eine Perversion ihrer selbst verwandelt hat.
Das war möglich, weil die stalinistische Tudeh-Partei eine geradezu kriminelle Politik verfolgte. Sie ordnete die Arbeiterklasse Ajatollah Khomeini unter, indem sie behauptete, der Iran könne als unterdrücktes Land mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung nicht über das "bürgerlich-demokratische" Stadium hinausgehen.
Dreißig Jahre später muss die iranische Arbeiterklasse die Lehren aus dieser Entwicklung ziehen, und diese Lehren müssen den revolutionären Kampf gegen die islamische Republik anleiten. Die Grundlage dafür muss ein sozialistisches und internationalistisches Programm sein.