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Was steckt hinter der Opposition gegen Obamas Gesundheitsreform?

Von Patrick Martin
13. August 2009
aus dem Englischen (12. August 2009, 23. Juli 2009)

Rechte Republikaner und Agenten der Versicherungskonzerne greifen Präsident Obamas Gesundheitsreform scharf an. Vergangene Woche tauchten rechtsradikale Aktivisten auf Bürgerversammlungen auf und schrieen Demokratische Abgeordnete oder Obama-Berater nieder. Es gab Todesdrohungen, in einigen Fällen sogar Gewalttätigkeiten.

Die rechten Angreifer verzerren die Maßnahmen von Obamas Programm in hysterischer Weise und bezeichnen es - zu Unrecht - als "sozialisierte Medizin". Gleichzeitig biedern sie sich der Angst der amerikanischen Bevölkerung an, die wohl spürt, dass die in Washington ausgeheckte Gesundheitsreform auf ihre Kosten geht und nur den Interessen der großen Konzerne nutzt.

Die ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner, Sarah Palin, bringt mit Vorliebe eine bestimmte falsche Beschuldigung vor. Sie behauptet, Obamas Plan befürworte Euthanasie, und Millionen alter Menschen würden dann vor einen "Todesausschuss" der Bundesregierung gezerrt, der darüber entscheiden werde, ob ihre "Produktivität für die Gesellschaft" die Bezahlung ihrer Arzt- und Krankenhausrechnungen noch rechtfertige oder nicht.

In Wirklichkeit heißt es in Paragraph 1323 des Gesetzentwurfs, dass Medicare Ärzten jetzt auch die Kosten für die Beratung über Alternativen am Lebensende wie Hospizpflege, Patientenverfügungen und ähnliche Möglichkeiten erstatten wird. Der Entwurf ist inzwischen von einem Ausschuss des Repräsentantenhauses verabschiedet worden.

Palin ist am 26. Juli von ihrem Posten als Gouverneurin von Alaska zurückgetreten, um als Sprecherin des faschistoiden Flügels der Republikanischen Partei eine nationale Karriere einzuschlagen. Sie wendet sich damit an dieselben christlich-fundamentalistischen Elemente, die 2005 im Fall von Terri Schiavo mobilisiert wurden.

Die Zurückhaltung in der Bevölkerung gegenüber Obamas Gesundheitsreform geht allerdings weit über die "Recht auf Leben" Aktivisten hinaus. Die Gesundheitsreform der Obama-Regierung ist im Wesentlichen vom Argument beherrscht, dass die Gesundheitskosten die amerikanische Wirtschaft in den Bankrott treiben würden, und dass es wichtig sei, die Kosten zu stabilisieren und zu senken.

Selbst wenn Washington das offiziell bestreitet, folgt aus diesem Ansatz logisch, dass jemandens Gesundheitsversorgung zu teuer ist und verschlechtert oder abgeschafft werden muss. Millionen Menschen fürchten, dass dieser Jemand sie und ihre Familien sein werden. Eine Umfrage ergab vergangene Woche, dass 53 Prozent der Menschen glauben, nach Obamas Reform schlechter oder nicht besser da zu stehen.

Obama und den Demokraten im Kongress kommen die wüsten Beschimpfungen seiner rechtsradikalen Kritiker gerade recht. Sie nutzen sie, um überhaupt jede Opposition gegen die Regierungspolitik zu diskreditieren, auch wenn sich diese Kritik dagegen wendet, dass Sozialprogramme wie Medicare gekürzt und der arbeitenden Bevölkerung noch größere Lasten aufgebürdet werden.

Dieses Argument benutzten in besonders plumper Weise die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und der Fraktionsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus, Steny Hoyer. In einer Kolumne der USAToday verurteilten sie die Opposition gegen Obamas Krankenkassenpläne als "unamerikanische Angriffe". Sie kritisierten die Störmanöver der Rechten als Versuch, eine Diskussion zu unterdrücken, und versicherten dann, dass die Gesundheitsreform eine qualitativ bessere Versorgung, ein Ende der Tricks der Krankenkassen und "Stabilität und Frieden für die Mittelschichten" bringen werde.

In einer Radioansprache am Samstag und in einer Bürgerversammlung in New Hampshire am Dienstag versuchte Obama die Sorgen der Bevölkerung über die Auswirkungen der Kostensenkung im Gesundheitswesen zu zerstreuen und einer Politik, die im Grunde reaktionär und wirtschaftsfreundlich ist, ein "progressives" Mäntelchen umzuhängen.

Dem Publikum in New Hampshire versicherte der Präsident, sein Programm werde die Leistungen von Medicare für die Rentner nicht schmälern. "Es ist ein Mythos, dass wir eure Medicare-Leistungen beschneiden wollen", sagte er. "Das stimmt nicht." Er behauptete, die einzigen Kürzungen bei Medicare beträfen 177 Mrd. Dollar Subventionen für Versicherungskonzerne, die private Policen zur Aufstockung von Medicare anböten. Aber alle Entwürfe, die in den verschiedenen Ausschüssen von Repräsentantenhaus und Senat beraten werden, verlangen deutliche Senkungen der Honorare für Krankenhäuser und Ärzte, was sich natürlich in Leistungskürzungen für die Alten und Behinderten niederschlagen wird.

Eine der ersten Fragen, die Obama beantwortete, und die sicher von Beamten des Weißen Hauses vorher arrangiert worden war, kam von einer Frau, der von ihrer Versicherung eine Behandlung verweigert worden war. Obama äußerte sich mitfühlend über ihr Schicksal und nahm den Wortwechsel zum Anlass, sein Programm als eine Wohltat für jene hinzustellen, deren Versorgung von privaten, profitorientierten Krankenkassen gekürzt oder gestrichen wurde.

Wie Obama und die Demokraten in Wahrheit zu den Versicherungskonzernen stehen, wird viel zutreffender vom Magazin BusinessWeek in seiner aktuellen Titelgeschichte über die Gesundheitsreform beschrieben. Die Überschrift des Artikels lautet "Die Krankenversicherer haben schon gewonnen". Das Magazin zeigt detailliert auf, welchen Einfluss UnitedHealthGroup, die größte amerikanische Krankenversicherung, ausgeübt hat. Sie hat praktisch die wichtigsten Parameter der Gesetzentwürfe diktiert, die jetzt im Kongress beraten werden. Der Versicherungskonzern unterhält die besten Beziehungen zum Obama-Berater Tom Daschle und zu den konservativen Demokraten von der "Blue Dog"-Fraktion.

"Die Industrie hat ihr wichtigstes Ziel schon erreicht, nämlich eine staatlich verwaltete Versicherung zu beschneiden, wenn nicht ganz zu blockieren. Eine solche Versicherung hätte die Konzerne, die den Gesundheitsmarkt beherrschen, Marktanteile kosten können", schrieb BusinessWeek. UnitedHealthCare, Aetna und Wellpoint haben "auch ein sekundäres Ziel erreicht: So werden die neuen Leistungen knapp gehalten, die jene Dutzende Millionen Menschen erhalten, die gegenwärtig unversichert sind. Dadurch werden die neuen Kunden für die Versicherer lukrativer".

Mit anderen Worten haben die Profiteure die Gesundheitsgesetzgebung voll im Griff. Auf ihre politischen Diener bei den Republikanern und den Demokraten können sie sich verlassen. Sie sorgen dafür, dass die finanziellen Interessen der Konzerne bei jeder Strukturreform des Gesundheitswesens gewahrt bleiben, oder dass die Gesetzgebung ganz torpediert wird, falls das notwendig sein sollte.

In den letzten Wochen brachte die Presse immer wieder detaillierte Berichte über die enormen Summen, die Pharmakonzerne, Versicherungsgesellschaften, private Krankenhausketten etc. in die "Landschaftspflege" und in direkte "Wahlkampffonds" gesteckt haben - beides Euphemismen für offene Bestechung.

Presseberichten vom Dienstag zufolge will die Lobbygruppe der Pharmaindustrie, PhRMA, eine 150 Millionen teure Werbekampagne für Obamas Gesundheitsreform starten, nachdem das Weiße Haus seine Versprechen noch einmal bekräftigt hat. Obama hat versprochen, dass der "Beitrag" der Industrie zur Umstrukturierung des Gesundheitssystems die achtzig Mrd. Dollar nicht übersteigen wird, die hinter verschlossenen Türen zwischen Obama-Beratern und PhRMA-Chef Billy Tauzin vereinbart worden sind. Tauzin war Gründungsmitglied der "Blue Dogs", bevor er den Kongress verließ, um sich unmittelbar in den Dienst der Pharmaindustrie zu stellen.

Obama hat wiederholt seine Treue zur kapitalistischen Medizin beschworen und das "Recht" der Arzneimittelfirmen, der Versicherungsgesellschaften, der Hersteller von medizinischen Geräten und einer ganzen Reihe anderer Parasiten verteidigt, aus der Krankheit Profit zu ziehen. Seine Differenzen mit den Republikanischen Gegnern sind rein taktischer Natur und drehen sich vor allem darum, welche Teile der amerikanischen Wirtschaft am meisten von dem aktuellen Gesetzeswerk profitieren sollen.

Was auch immer die wirtschaftsfreundlichen Politiker und Lobbyisten der Konzerne in Washington aushecken, es wird den arbeitenden Menschen nichts nützen. Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht. Sie muss für jeden amerikanischen Bürger und Einwohner kostenlos und frei zugänglich sein. Das erfordert die Verstaatlichung der Versicherungsgesellschaften und all der anderen Profiteure der Krankheit. Das Gesundheitssystem muss vergesellschaftet werden, und es muss für alle, die seiner bedürfen, kostenlos sein.

Siehe auch:
Obamas Krankenversicherung - ein klarer Rückschritt
(30. Juli 2009)
Die amerikanische Gesundheitsreform und die Klassenfrage