WSWS : WSWS/DE : Aktuelle Analysen : Europa : Krieg im Kosovo

Das schmutzige Geheimnis des Kosovo

Zu den Hintergründen der BND-Affäre

Von Peter Schwarz
28. November 2008

Die Verhaftung dreier Agenten des deutschen Auslandsgeheimdiensts BND im Kosovo hat den Blick auf die Gesellschaft freigegeben, die in diesem ehemaligen Teil Jugoslawiens mit deutscher und amerikanischer Hilfe entstanden ist. Es ist ein Abgrund von Korruption, organisierter Kriminalität und Geheimdienstintrigen.

Die Affäre begann am 14. November, als vor dem Büro des EU-Sonderbeauftragten Pieter Feith in Pristina ein Sprengsatz explodierte. Es gab Sachschaden, aber keine Verletzte. Unmittelbar danach wurde im Nachbargebäude der deutsche Andreas J. beobachtet, von den kosovarischen Sicherheitskräften überprüft und als Agent des Bundesnachrichtendiensts (BND) enttarnt. So die Angaben der Staatsanwaltschaft. Deutsche Stellen behaupten dagegen, J. sei erst vier Stunden nach dem Anschlag am Tatort gewesen, um zu fotografieren.

Normalerweise werden solche Geheimdienstaffären zwischen befreundeten Regierungen still und diskret beigelegt, meist durch die Ausreise der enttarnten Agenten. Nicht so in diesem Fall. Vergangene Woche nahm die Polizei Andreas J. und zwei weitere BND-Agenten fest und beschuldigte sie, den Anschlag auf das Gebäude der Internationalen Verwaltungsbehörde (ICO) verübt zu haben.

Der Fall erregte gewaltiges Aufsehen und führte zu einer diplomatischen Krise zwischen Berlin und Pristina. Aufnahmen der Verhafteten erschienen im kosovarischen Fernsehen und auf den Titelseiten der Presse, gespickt mit Gerüchten, als deren Quelle das Büro von Regierungschef Hashim Thaci vermutet wurde. So hieß es, die Staatsanwaltschaft besitze ein Video, dass Andreas J. beim Werfen des Sprengsatzes auf das ICO-Gebäude zeige. Diverse Zeugen, die das Video gesehen haben wollen, behaupten allerdings, es ließe sich darauf keine Person identifizieren. Thaci seinerseits wusch die Hände in Unschuld und berief sich auf die angebliche Unabhängigkeit der kosovarischen Justiz.

Seither jagen sich die Spekulationen über die Hintergründe des Falles. Ob sie jemals geklärt werden können, ist fraglich. Der Kosovo ist ein Dschungel rivalisierender Geheimdienste. Er gleicht in dieser Hinsicht Berlin vor dem Mauerfall. Die USA, Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich verfügen alle über bedeutende nachrichtendienstliche Kapazitäten, die teilweise miteinander, zum Teil aber auch gegeneinander arbeiten. In dem 2,1 Millionen Einwohner zählenden Land sind außerdem 15.000 Nato-Soldaten, 1.500 UN-Polizisten sowie 400 Richter, Polizisten und Sicherheitsbeamte der UN-Mission Eulex stationiert.

Hinzu kommen eine Regierung und ein Staatsapparat, in denen die Korruption grassiert und die eng mit dem organisierten Verbrechen verflochten sind. Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Diebstahl, Raub und Autoschieberei sind laut einem Bericht, den das Berliner Institut für Europäische Politik letztes Jahr im Auftrag der deutschen Bundeswehr erstellte, die einzigen wachsenden und profitablen Wirtschaftssektoren des Landes. Nach konservativen Schätzungen belaufe sich der Jahresumsatz der Mafia auf rund 550 Millionen Euro, zitierte die Schweizer Weltwoche im Februar aus diesem Bericht. Dies entspreche einem Viertel des Bruttosozialprodukts, das durch enorme internationale Gebertransfers künstlich hochgehalten werde. Das Kosovo habe sich zu einem "polykriminellen Multifunktionsraum" entwickelt. Vor allem als Transitland für afghanisches Heroin spielte der Kosovo eine wichtige Rolle.

Die Bundesregierung hat jede Verwicklung der drei BND-Beamten in den Anschlag auf das ICO-Gebäude bestritten und entsprechende Beschuldigungen als "absurd" bezeichnet. Es lässt sich in der Tat nur schwer ein Motiv ausdenken, weshalb der BND Anschläge gegen eine Institution verüben sollte, an der die Bundesregierung selbst beteiligt ist.

Ein langjähriger BND-Beobachter, der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom, ist da allerdings anderer Ansicht. In einem Interview mit der Jungen Welt zeigte er sich überzeugt, dass die BND-Agenten den Anschlag verübt hätten, um den Druck für einen schnellen Übergang des Kosovo in die volle Souveränität zu erhöhen. Beweise konnte er allerdings nicht vorlegen.

Andererseits stellt sich die Frage, weshalb die Regierung Thaci einen offenen Konflikt mit Deutschland in Kauf nimmt, das nach den USA der zweitgrößte Geldgeber des Kosovo ist und zu den wichtigsten Verfechtern seiner Unabhängigkeit zählt.

Die meisten deutschen Kommentare erklären dies mit einem Racheakt - eine Interpretation, die offenbar auf hohe Regierungsstellen zurückgeht. Bei kosovarischen Politikern und insbesondere bei Regierungschef Thaci habe sich seit Jahren viel Wut über die Arbeit des BND angestaut, weil er sich - im Unterschied zur amerikanischen CIA - kritisch über die Verbindung hochrangiger Politiker zum organisierten Verbrechen geäußert habe.

Als Stein des Anstoßes gilt eine 67 Seiten starke Analyse des BND über die organisierte Kriminalität (OK) im Kosovo vom 22. Februar 2005, über die der Frankfurter Publizist Jürgen Roth im selben Jahr in der Weltwoche berichtete. Sie beschuldigt Ramush Haradinaj (Regierungschef von Dezember 2004 bis März 2005), Hashim Thaci (Regierungschef seit Januar 2008) und Xhavit Haliti, der im Präsidium des Parlaments sitzt, tief in den Drogenhandel verwickelt zu sein.

Wörtlich heißt es in dem BND-Bericht: "Über die Key-Player (wie z. B. Haliti, Thaci, Haradinaj) bestehen engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden OK-Strukturen im Kosovo. Die dahinter stehenden kriminellen Netzwerke fördern dort die politische Instabilität. Sie haben kein Interesse am Aufbau einer funktionierenden staatlichen Ordnung, durch die ihre florierenden Geschäfte beeinträchtigt werden können."

Thaci gehörte zu den Gründern der "Befreiungsarmee des Kosovo" (UCK) und leitete 1999 die albanische Delegation auf der Konferenz von Rambouillet, die den Vorwand für den Nato-Krieg gegen Jugoslawien schuf. Zu diesem Zeitpunkt kontrollierte Thaci laut BND-Bericht "ein im gesamten Kosovo aktives kriminelles Netzwerk". 2001 sollen, so der BND, "direkte Kontakte zur tschechischen und albanischen Mafia bestanden haben". Im Oktober 2003 soll Thaci dann "im Zusammenhang mit umfangreichen Drogen- und Waffenhandelsgeschäften in engem Kontakt" zu einem Clan gestanden haben, dem auch Geldwäsche und Erpressung vorgeworfen werden.

Über Haradinaj schreibt der BND: "Die im Raum Decani auf Familienclan basierende Struktur um Ramush Haradinaj befasst sich mit dem gesamten Spektrum krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten, die die Sicherheitsverhältnisse im gesamten Kosovo erheblich beeinflussen. Die Gruppe zählt ca. 100 Mitglieder und betätigt sich im Drogen- und Waffenschmuggel und im illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren. Außerdem kontrolliert sie kommunale Regierungsorgane."

Im Dezember 2004 wurde Haradinaj, der als Protégé der USA galt, Ministerpräsident des Kosovo. Er musste allerdings schon im März 2005 wieder zurücktreten, weil ihn der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagte. Unter anderem wurden ihm gewaltsame Verschleppung von Zivilisten, Entführung, Freiheitsberaubung, Folter, Mord und Vergewaltigung vorgeworfen. Im April 2008 wurde er wegen Mangels an Beweisen freigesprochen, nachdem neun von zehn Belastungszeugen gewaltsam ums Leben gekommen und der zehnte seine Aussage zurückgezogen hatte, nachdem er knapp einem Attentat entronnen war.

Der bereits zitierte, zwei Jahre später entstandene Bericht des Berliner Instituts für Europäische Politik wiederholt die Vorwürfe gegen Thaci. Die eigentliche Macht im Kosovo liege bei 15 bis 20 Familienclans, die "nahezu alle wesentlichen gesellschaftlichen Schlüsselpositionen" besetzen und auf "engste Verbindungen zu führenden politischen Entscheidungsträgern" zählen, heißt es darin.

"Namentlich belastet wird im Bericht der aktuelle Ministerpräsident Hashim Thaci", fasst die Weltwoche das Ergebnis der Studie zusammen. "‚Keyplayer’ wie Thaci seien verantwortlich für ‚engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden Mafia-Strukturen’. Mit der politischen Anerkennung von Thaci und anderen Vertretern der Befreiungsarmee UCK hätten ehemalige Terroristen eine bislang unübertroffene Machtfülle erlangt. Die einstigen Verbrecher hätten als Politiker im Ausland an Reputation gewonnen, nach innen genießen sie parlamentarische Immunität und nach außen den Schutz des Völkerrechts. Sie könnten dadurch weitgehend unbehelligt im Kosovo operieren und mit Hilfe der - offiziell verbotenen - Parteigeheimdienste Druck auf politische Gegner ausüben."

Der Einfluss der Mafiabanden reiche inzwischen bis in den Stab der internationalen Eingreiftruppe Kfor und die Uno-Verwaltung Unmik hinein. Die Unmik sei zudem mitverantwortlich, heißt es in der Weltwoche, "dass sich das Kosovo in den letzten Jahren zu einem ‚Zentrum des internationalen Frauenhandels’ für junge, teilweise minderjährige Prostituierte entwickelt hat. In den geschätzten 104 Bordellen, die meistens am Stadtrand bei einer Tankstelle liegen, sollen die ‚Internationalen’ zu den besten Kunden gehören. Die hohe Nachfrage habe einen ‚signifikanten Beitrag zum Aufwachsen der lokalen Schleuserstrukturen geleistet’. In der Vergangenheit seien bereits mehrere geheime Internierungslager mit Frauen ausgehoben worden."

Interessant ist auch, dass der Bericht des Berliner Instituts auf erhebliche Spannungen zwischen deutschen und amerikanischen Stellen hinweist. "Kritisiert wird im deutschen Bericht insbesondere die Rolle der USA, die europäische Ermittlungsbemühungen behindert hätten und durch geheime CIA-Gefangenenlager auf dem Gelände des Camp Bondsteel im Kosovo politisch erpressbar geworden seien", schreibt die Weltwoche. "Zweifel an den amerikanischen Methoden wachsen auch durch die ‚ernst gemeinte’ Beschreibung eines hochrangigen deutschen Uno-Polizisten, dass es die Hauptaufgabe des stellvertretenden amerikanischen Unmik-Chefs Steve Schook sei, ‚sich einmal die Woche mit Ramush Haradinaj zu betrinken’."

Diese Spannungen haben offenbar beträchtliche Ausmaße angenommen. Mehrere Artikel über die Verhaftung der drei BND-Agenten deuten an, dass die CIA dabei eine Rolle gespielt haben könnte.

Es gibt auch noch weitere Hypothesen darüber, weshalb sich Pristina auf einen offenen Konflikt mit Berlin eingelassen hat. Eine hat mit der EU-Mission Eulex zu tun, die von 400 auf 1.900 Justiz- und Sicherheitsbeamte aufgestockt werden, bis Ende des Jahres die UN-Mission Unmik ablösen und rechtsstaatliche Strukturen aufbauen soll.

Das stört zum einen die Verbrecherclans, die bisher weitgehend unbehelligt agieren konnten, weil sich vor der völlig überforderten Justiz rund 40.000 unerledigte Verfahren aufgetürmt haben. Zum anderen hat sich die EU, um ein UNO-Mandat für Eulex zu erhalten, mit Belgrad darauf geeinigt, dass die Behörden in Pristina keinen Zugriff auf die Polizei und Gerichte im serbisch besiedelten Norden des Kosovo haben. Pristina sieht darin einen ersten Schritt zur Abspaltung dieser Gebiete und lehnt die Vereinbarung daher ab.

Eine weitere Hypothese lautet, Pristina habe es in Wirklichkeit nur auf den BND-Agenten Robert Z., einen der drei festgenommenen, abgesehen, dem es unterstelle, im Jahr 2000 in die Ermordung des UCK-Kommandeurs Ekrem Rexha verwickelt gewesen zu sein.

Wie dem auch sei, eines hat die Affäre um die verhafteten BND-Agenten bereits deutlich gemacht: Die Bundesregierung hat durch den ersten Kriegseinsatz seit Bestehen der Bundeswehr und mit hohen Summen an Steuergeldern einem Regime auf die Beine geholfen, das nach Auffassung ihres eigenen Geheimdiensts zur Drehscheibe des Drogen- und Frauenhandels in Europa geworden ist. Die kosovo-albanischen Clans sind heute, wie Jürgen Roth in der Weltwoche schreibt, "insbesondere in der Schweiz, in Deutschland und Italien eine führende kriminelle Macht".

Die so geförderte organisierte Kriminalität dient Innenminister Wolfgang Schäuble ihrerseits als Vorwand, massiv in demokratische Grundrechte einzugreifen und neue Vollmachten für Polizei und Geheimdienste zu fordern.

Eine besondere Verantwortung für diese Entwicklung tragen die Grünen, die sich wie keine andere Partei bemüht haben, die Rückkehr des deutschen Imperialismus auf den Balkan mit Phrasen über Menschenrechte und Selbstbestimmung zu bemänteln. In Wirklichkeit ging es um Macht- und Wirtschaftsinteressen. Das Ergebnis ist eine völlig ruinierte Gesellschaft, in der kriminelle und korrupte Elemente den Ton angeben.

Siehe auch:
Wie Deutschland die Abspaltung des Kosovo vorantrieb
(26. Februar 2008)
Die Abtrennung des Kosovo# die Großmächte und das Völkerrecht
( 20. Februar 2008)
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo destabilisiert Europa
( 19. Februar 2008)
Marxismus gegen Nationalismus - eine Podiumsdiskussion zum Kosovo
( 28. November 2006)