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Bush bejubelt die "freie Marktwirtschaft", während der US-Kapitalismus Pleite geht

Von Bill Van Auken
21. November 2008
aus dem Englischen (15. November 2008)

US-Präsident George W. Bush hat am 13. November an der Wall Street eine Rede gehalten, in der er die Tugenden der "freien Marktwirtschaft" rühmte. Gleichzeitig machen zahlreiche Wirtschaftsindikatoren deutlich, dass die so genannte "Magie des Marktes" für Millionen von arbeitenden Menschen in den USA und überall auf der Welt Armut und Not bedeutet.

Bush hielt diesen Lobgesang auf den amerikanischen Kapitalismus in der Federal Hall, nur einen Steinwurf entfernt von der New Yorker Börse. In diesem historischen Gebäude wurde George Washington in sein Amt eingeführt und hier fanden die ersten Sitzungen des US-Kongresses statt. Der geschichtsträchtige Ort stand in krassem Gegensatz zu den geladenen Gästen, die angesichts der Kluft zwischen ihren marktliberalen Überzeugungen und der soziökonomischen Realität an ein Treffen der Gesellschaft "Die Erde ist eine Scheibe" erinnerte.

Insgesamt 175 Teilnehmer waren zu der Versammlung erschienen, die vom Manhattan Institute organisiert wurde - einer rechten Ideenfabrik, die sich darauf spezialisiert hat, die Armen zu dämonisieren und Steuerkürzungen, finanzielle Deregulierung, den Abbau von Sozialprogrammen und die Reduzierung des öffentlichen Bildungswesens zu propagieren.

Der Präsident, dessen Regierungszeit zu Ende geht, hatte seine Rede auf den Vorabend des G20-Gipfels in Washington terminiert, jener Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt, die sich das Ziel gesetzt hatte, einen gemeinsamen Plan gegen die globale Finanzkrise auszuarbeiten.

Neben den Banalitäten und der Stimmungsmache sandte Bush eine deutliche Botschaft an die in Washington Versammelten: Es wird nichts akzeptiert, was die hemmungslose Anhäufung von Reichtum der amerikanischen Finanzelite und die Verteidigung ihrer Interessen beeinträchtigt und zwar ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf die Weltbevölkerung.

Bush verkündete praktisch gleich zu Beginn des Treffens der Präsidenten und Premierminister, dass an diesem Wochenende nichts erreicht werde - und dass seine Regierung, jeden Versuch blockieren werde, verbindliche Vereinbarungen zu treffen. "Das Vorhaben ist zu groß, um im ersten Anlauf erledigt zu werden", erklärte er. "Die Fragen sind zu komplex, das Problem zu wichtig, um zu glauben, man könne mit einer Konferenz sinnvolle Empfehlungen erarbeiten."

Vielmehr, betonte er, sollte das Gipfeltreffen sich der "Diskussion von Prinzipien" widmen. In erster Linie solle es bekräftigen, dass die "Prinzipien des freien Marktes der sicherste Weg zu anhaltendem Wohlstand sind".

Angesichts der tiefsten Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren, wirkten Bushs Bemerkungen wie Wahnideen. Er ignorierte die Veröffentlichung von offiziellen Zahlen, die zeigen, dass eine halbe Million amerikanischer Arbeiter in der Woche zuvor Arbeitslosengeld beantragt haben und im Oktober 85.000 Häuser zwangsversteigert wurden. Das Finanzministerium verkündete ein Rekord-Haushaltsdefizit von 237,2 Milliarden US-Dollar für Oktober. Nur einen Tag davor war Finanzminister Henry Paulson gezwungen, eine dringliche Verlautbarung herauszugeben, dass die 700 Milliarden Dollar, die der Kongress bewilligt hatte, um die "giftigen" hypothekengesicherten Anlagen aufzukaufen, umgeleitet werden müssten, um nicht nur die großen Banken zu stützen, sondern auch die in die Krise geratene Konsumentenkredit-Branche.

Bush sah sich gezwungen einzuräumen, dass "in der Folge der Finanzkrise Stimmen von links wie von rechts das System der freien Marktwirtschaft mit Habgier, Ausbeutung und Misserfolg gleichsetzen".

Er räumte zwar einzelne Misserfolge ein, wies aber jede Anklage gegen das kapitalistische System zurück. "Die Krise ist kein Versagen des Systems der freien Marktwirtschaft", verkündete er. "Und die Antwort besteht nicht darin, dieses System neu zu erfinden. Sie besteht darin, die Probleme zu lösen, vor denen wir stehen, die Reformen durchzuführen, die wir brauchen, und mit den Prinzipien der freien Marktwirtschaft voranzukommen, die den Menschen überall auf der Welt Wohlstand und Hoffnung gebracht haben."

Die "Rezepte" die Bush vorschlug waren so vage, dass sie praktisch bedeutungslos waren: "Verbesserung der Buchhaltungsrichtlinien", sicherstellen, dass "Finanzprodukte ordnungsgemäß reguliert werden" und "erneut die Regeln überprüfen, die Marktmanipulation und Betrug möglich machen".

Sein Glaube an die "freie Marktwirtschaft" blieb jedenfalls völlig unerschüttert: "Wie jedes andere System, das der Mensch geschaffen hat, ist der Kapitalismus nicht perfekt [vermutlich kann nur die ewige freie Marktwirtschaft, die von Gott im Jenseits geschaffen wird, diesen Zustand erlangen]. Es kann Missbrauch und Auswüchsen unterliegen. Aber es ist mit Abstand die erfolgreichste und gerechteste Art eine Wirtschaft aufzubauen. Auf der elementarsten Ebene bietet sie den Menschen die Freiheit zu wählen, wo sie arbeiten und was sie tun."

Er fuhr fort: "Der Kapitalismus der freien Marktwirtschaft ist mehr als eine ökonomische Theorie. Er ist die Lokomotive der sozialen Mobilität - die Schnellstraße zum amerikanischen Traum."

"Freiheit zu wählen, wo man arbeitet?" Wen glaubt er, damit für dumm verkaufen zu können?

Laut offiziellen Zahlen sind zurzeit zehn Millionen amerikanische Arbeiter arbeitslos und können keine Arbeit finden. Allein im letzten Jahr sind eine Million hinzugekommen. Wenn man noch diejenigen dazuzählt, die unterbeschäftigt sind - unfreiwillig zu Teilzeitarbeit gezwungen - und die so genannten "entmutigten" Arbeiter, die nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik geführt werden, können zwölf Prozent nicht nur nicht auswählen, wo sie arbeiten, sondern überhaupt keinen Vollzeit-Job finden. Und das ist erst der Anfang, da jeden Tag Massenentlassungen verkündet werden, die eine Armee von Arbeitslosen zu schaffen drohen, die größer ist als alles, was man seit der Großen Depression gesehen hat.

Und was die freie Marktwirtschaft als "Lokomotive der sozialen Mobilität" angeht, so hat diese Mobilität sich in zwei entgegengesetzte Richtungen entwickelt: diejenigen an der Spitze der sozialen Leiter haben ihren Anteil am Gesamtreichtum auf eine nie da gewesene Höhe geschraubt, während die Einkommen der großen Mehrheit, der arbeitenden Bevölkerung, stagnieren und zurückgehen. Die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA ist heute größer als zu irgendeiner Zeit seit den 1920er Jahren.

Diese Bereicherung an der Spitze der Gesellschaft verteidigt Bush mit aller Entschiedenheit. Wie die Washington Post am Freitag hervorhebt, schlugen andere Regierungschefs auf dem Washingtoner Gipfel vor, "die Gehälter der leitenden Angestellten zu begrenzen". "Bush und seine Berater lehnten diesen Vorschlag ab."

Bush war gezwungen einzuräumen, dass selbst sein Engagement für die freie Marktwirtschaft Grenzen hat. "Wir sind mit der Perspektive einer weltweiten Krise konfrontiert", erklärte er. "Und deshalb haben wir mit mutigen Maßnahmen reagiert. Ich bin ein marktorientierter Mensch, aber nicht wenn ich mit einer globalen Krise konfrontiert bin."

Diese "mutigen Maßnahmen" - die nicht nur von Bush, sondern auch vom neu gewählten Präsidenten Barack Obama unterstützt werden - bestehen darin, Milliarden von Dollars an gesellschaftlichem Reichtum zu plündern, um die größten Banken und Finanzhäuser der Wall Street zu retten. Hunderte von Milliarden von Dollars fließen direkt in die Boni für Führungskräfte der Finanzinstitute und in Dividenden für reiche Aktienbesitzer, während sie gleichzeitig genutzt werden, die Banken zu konsolidieren und eine weitere Konzentration des Reichtums herbeizuführen.

Die "Prinzipien der freien Marktwirtschaft" gelten aber weiterhin mit voller Gewalt für die Arbeiter, die ihre Arbeitsplätze verloren haben und für die Familien, die mit der Zwangsversteigerung ihrer Häuser konfrontiert sind. Für sie gibt es keinen Rettungsplan, sondern nur die Aussicht, für die Milliarden, die für die Wall Street verschwendet werden, mit weiteren Angriffen auf ihren Lebensstandard, ihre Arbeitsplätze und Sozialprogramme zu bezahlen.

Zu Beginn seiner Präsidentschaft beschränkte Bush seine öffentlichen Auftritte zum großen Teil auf militärisches Publikum, das per Befehl gezwungen war, ihn mit Respekt zu behandeln. Jetzt, in den letzten Tagen seiner Präsidentschaft, fühlt er sich offensichtlich nur noch wohl, wenn er vor kleinen Gruppen rechter Ideologen auftritt, wie die vom Manhattan Institute.

Und das aus gutem Grund. Außerhalb dieses feinen Ambientes ist die Popularität des Kapitalismus und der "freien Marktwirtschaft" auf das Niveau des scheidenden Präsidenten selbst gesunken, dessen Umfragewerte ein Tief erreicht haben, das von keinem bisherigen Inhaber des Weißen Hauses erreicht wurde.

Millionen fangen tatsächlich an, das "System der freien Marktwirtschaft" mit "Habgier, Korruption und Scheitern" gleichzusetzen. Während die Regierung Obama ihr Amt antritt und versucht, dasselbe System zu verteidigen, wird die Wut der Bevölkerung über die vom Kapitalismus geschaffenen sozialen Bedingungen unausweichlich die Form von Massenkämpfen gegen seine Regierung annehmen.

Siehe auch:
Obamas "reibungsloser Übergang" zum endlosen Krieg
(20. November 2008)
Das Rettungspaket für die US-Autoindustrie und die sozialistische Alternative
( 18. November 2008)
G-20 Gipfel ähnelt mehr London 1933 als Bretton Woods 1944
( 18. November 2008)