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McCain und Vietnam: Geschichtsfälschung zur Vorbereitung neuer Kriege

Von Bill Van Auken
21. Juni 2008
aus dem Englischen (18. Juni 2008)

Senator John McCain, voraussichtlicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner, wird in den amerikanischen Medien regelmäßig als "Vietnamkriegsheld" präsentiert. Wann immer sein Demokratischer Rivale, Senator Barack Obama, McCain vergangenen Monat kritisierte, stellte er seiner Rede die Beteuerung voran, er halte den Republikaner für "einen echten Kriegshelden", für einen "Mann, der seinem Land heroisch gedient hat", und er sei "ein amerikanischer Held, dessen militärische Verdienste wir in Ehren halten".

Unter normalen Umständen würde man über eine derartige Rhetorik hinweggehen. Man würde sie einerseits als Versuch der Republikaner abtun, ihren Kandidaten gut zu verkaufen, und andrerseits - auf der Seite der Demokraten - als taktische Finte, um von der fehlenden militärischen Erfahrung ihres Kandidaten abzulenken. Aber diese Worte haben eine viel tiefere, bedrohliche Bedeutung.

Denn was steckt eigentlich dahinter? McCain hat sein Image als "Kriegsheld" erfolgreich in eine politische Karriere umgemünzt, hat sie aus dem Vermögen seiner zweiten Frau finanzieren und von dem korrupten Immobilienhändler Charles Keating aus Arizona sponsern lassen. Aber wie ist er zu diesem Image gekommen?

John McCain, Sohn und Enkel von Vier-Sterne-Admiralen, hatte schon fast zehn eher unspektakuläre Jahre als Navy-Pilot hinter sich, als er im Oktober 1967 über Nordvietnam abgeschossen wurde und für fünfeinhalb Jahre in einem vietnamesischen Kriegsgefangenenlager landete.

Vor dem Abschuss seines Flugzeugs hatte er im Ganzen etwa zwanzig Stunden an jeweils kurzen Kampfeinsätzen über Vietnam teilgenommen, wobei er von einem im Südchinesischen Meer ankernden amerikanischen Flugzeugträger startete und Bomben von enormer Sprengkraft über Städten und Menschen abwarf.

Er hatte sich freiwillig für eine Operation gemeldet, die den Kodenamen "Rolling Thunder" trug. Sie war von der Regierung des damaligen demokratischen Präsidenten, Lyndon B. Johnson, beschlossen worden war, um den Willen des vietnamesischen Volkes zu brechen. Das Ziel war, durch intensive Bombenabwürfe die Wirtschaft und Infrastruktur des Landes zu zerstören und viele seiner Bürger zu töten und zu verstümmeln.

Im Vietnamkrieg warfen amerikanische Flugzeuge fast acht Millionen Tonnen Sprengstoff über einem Land von der Größe von New Mexico ab. Das war viermal die Sprengkraft, die im gesamten Zweiten Weltkrieg abgeworfen wurde. Dieser intensivste und längste Bombenkrieg der Geschichte verwüstete die Städte Vietnams und zerstörte seine Industrie und seine Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur.

In dem Krieg wurden fast fünf Millionen Vietnamesen getötet, viele von ihnen infolge amerikanischer Luftangriffe.

In seinem Buch "Vietnam: A History" gibt der altgediente Journalist Stanley Karnow den Bericht eines vietnamesischen Bauern über einen Luftangriff wieder:

"Die Bombardierung begann ungefähr um acht Uhr morgens und dauerte stundenlang. Als wir die ersten Explosionen hörten, rannten wir in die Tunnel, aber nicht alle schafften es. Als eine Pause eintrat, gingen einige nach draußen, um zu schauen, ob sie etwas tun konnten. Ihnen bot sich ein schreckliches Bild. Körper waren in Stücke gerissen, Gliedmaßen hingen von Bäumen herab und waren überall verstreut. Dann begann die Bombardierung erneut, diesmal mit Napalm, und das Dorf ging in Flammen auf. Ich bekam Napalm ab. Es fühlte sich an, als würde mein ganzer Körper wie ein Stück Kohle brennen. Ich verlor das Bewusstsein. Freunde brachten mich ins Krankenhaus. Erst sechs Monate später begannen meine Wunden zu heilen. Mehr als 200 Menschen starben bei dem Angriff, darunter meine Mutter, meine Schwägerin und drei Neffen. Sie wurden lebendig begraben, als der Tunnel einstürzte." [Übersetzung aus dem Englischen]

Was hier geschildert wird, hat nichts mit Heroismus zu tun, sondern ist ein Kriegsverbrechen, begangen von der stärksten Militärmacht der Welt an einem armen und historisch unterdrückten Land.

McCains Flugzeug wurde abgeschossen, kurz nachdem er einen solchen Bombenangriff auf ein Kraftwerk in einem dicht bewohnten Teil von Hanoi durchgeführt hatte.

Dass McCain seinen Fallschirmabsprung über Hanoi überlebte, hat er der menschlichen Gesinnung des vietnamesischen Volkes zu verdanken, und besonders einem vietnamesischen Arbeiter, der in den See hinausschwamm, in den der verwundete Pilot gestürzt war, und ihn aus dem Wasser zog, bevor er ertrank. Dieser Arbeiter schützte ihn anschließend auch vor einer wütenden Menge.

Man kann nur darüber spekulieren, wie es einem ausländischen Piloten ergangen wäre, der - aus einem Land kommend, das überhaupt nicht angegriffen wurde - über einer amerikanischen Stadt wie zum Beispiel Phoenix mit dem Fallschirm hätte abspringen müssen, nachdem er durch todbringende Luftangriffe Männer, Frauen und Kinder zerfetzt und Wohnungen zerstört hätte.

1997 gab McCain in einem Interview in der Sendung "60 Minutes" auf CBS offen zu: "Ich bin ein Kriegsverbrecher, ich habe unschuldige Frauen und Kinder bombardiert." Das war zwar ein ehrliches Eingeständnis, ist aber sicher kein Grund, ihn zum Präsidenten zu wählen.

Seine Taten als Kriegsverbrecher waren, obwohl aus großer Entfernung begangen, genauso todbringend wie das My-Lai-Massaker. Sie entsprangen jedoch nicht seiner individuellen Schlechtigkeit, sondern dem objektiven Charakter des Kriegs. Offensichtlich tragen viele Andere an der Spitze von Regierung, Militär und Geheimdienst und in beiden großen Parteien eine wesentlich größere Verantwortung für diesen kriminellen und konterrevolutionären Aggressionskrieg gegen Vietnam.

Seit drei Jahrzehnten versucht das amerikanische Establishment, die Geschichte des Vietnamkriegs zu revidieren, um seine Verantwortung für die größten Kriegsverbrechen seit dem Sturz der Nazis zu verschleiern und die Niederlage des US-Imperialismus aus dem politischen Bewusstsein zu tilgen. Das erscheint ihm umso dringlicher, als es mit Massenopposition und sozialen Kämpfen im eigenen Land konfrontiert ist.

Das "Vietnam-Syndrom" zu überwinden, ist zumindest seit der ersten Bush-Regierung das erklärte Ziel der herrschenden Elite. Sie hoffte, der erste Golfkrieg und dann die Invasion im Irak würden die Ablehnung der Bevölkerung gegen amerikanische Aggressionskriege, dieses bittere Erbe des Vietnamkriegs, überwinden helfen.

Unabhängig von McCains Eingeständnis von 1997 ist sein Auftreten als Kriegsheld Teil dieser Kampagne. Seine eigenen Auffassungen über den Vietnamkrieg haben entscheidend dazu beigetragen, seine Haltung zum Irakkrieg und zu einem eventuellen weiteren Krieg gegen den Iran zu bestimmen.

Ein Artikel in der New York Times vom Sonntag, der sich auf einen Aufsatz McCains stützt, den er 1974, ungefähr ein Jahr nach seiner Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft, am National War College schrieb, liefert neues Anschauungsmaterial über die Lehren, die McCain aus seiner grausigen und prägenden Erfahrung in Vietnam gezogen hat. Während viele Offiziere zu dem Schluss gelangt waren, dass die USA niemals Kampftruppen nach Vietnam hätten schicken dürfen, konzentrierte sich McCains Aufsatz darauf, "dass es nicht gelang, die Unterstützung der Öffentlichkeit für den Kampf zu erhalten", wie die Times schreibt.

McCain kritisierte Mit-Kriegsgefangene, die "die Legalität des Kriegs in Frage stellten", nannte sie eine "leichte Beute für die kommunistische Propaganda" und verurteilte "spalterische Kräfte" in den USA.

Als Gegenmittel schlug er die verstärkte Indoktrination der amerikanischen Truppen mit den außenpolitischen Zielen der Regierung vor - wobei er immerhin zugab, dass "ein solches Programm als ‘Gehirnwäsche’ verstanden werden könne" - und plädierte dafür, dass die Regierung aggressiver daran arbeiten müsse, der amerikanischen Bevölkerung "einige grundlegende Fakten ihrer Außenpolitik" nahe zu bringen.

Natürlich stellten damals Millionen Amerikaner, auch viele Armeeangehörige, die "Legalität des Kriegs" in Frage, schließlich war es tatsächlich ein krimineller Aggressionskrieg. Zudem war die arbeitende Bevölkerung Amerikas nicht länger bereit, den Preis für diesen Krieg zu zahlen, der 60.000 Soldaten das Leben kostete und die physische und psychische Gesundheit von Hunderttausenden ruinierte. Menschen in aller Welt betrachteten den Krieg als Verbrechen und als moralische Schande.

Mehrere Piloten der Navy und der Air Force zogen allerdings ganz andere Schlussfolgerungen aus dem Krieg. Der prominenteste von ihnen war der ehemalige Air-Force-Chef General Curtis LeMay, der sich gegen jede Einschränkung des Luftkriegs gegen Vietnam wandte und dafür eintrat, das Land "ins Steinzeitalter zurückzubomben". Diese Elemente standen der Johnson-Regierung zu Beginn der Rolling Thunder-Kampagne äußerst kritisch gegenüber. Sie waren der Meinung, die USA müssten die vietnamesischen Städte gnadenlos mit Bombenteppichen belegen. Sie lobten Nixons Einsatz von 200 B52-Bombern gegen Hanoi bei der so genannten Weihnachtsbombardierung von 1972. Aber auch diese Gräueltat konnte den Willen des vietnamesischen Volkes nicht brechen und ebnete dem Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Land den Weg.

McCain hat geschrieben, in seiner Zeit am National War College, in der er seinen bereits erwähnten Aufsatz verfasste, habe er "feste Ansichten in Fragen der Außenpolitik und des Kriegs" entwickelt. Im Wesentlichen bestand seine Schlussfolgerung darin, dass die USA den Vietnamkrieg hätten gewinnen können, wenn eine andere Militärstrategie verfolgt worden wäre. Stattdessen sei dem Einfluss spalterischer Kräfte nachgegeben worden, worunter er die Antikriegsbewegung, die Medien und die Demokratische Partei verstand.

McCain ist nicht der einzige, der versucht, die Geschichte der Vietnam-Ära umzuschreiben. Eine solche ideologische Kampagne gibt es seit Jahrzehnten. Sie fand ihren Ausdruck unter anderem in den Rambo -Filmen und anderen Produkten der Unterhaltungskultur. Der tiefere Sinn dieser Kampagne besteht darin, den Weg für neue US-Aggressionskriege wie den im Irak zu bereiten. Zum Beispiel hätte McCain, wie er sagte, kein Problem damit, US-Truppen hundert Jahre lang im Irak zu belassen - wie auch im Iran. Seine Meinung zu einem Angriff auf den Iran gab er einmal wieder, indem er zu einer alten Melodie der Beach Boys summte: "Bomb, bomb, bomb ... bomb, bomb Iran".

Die Unterstützung der Demokratischen Partei für diese Kampagne begann auch nicht erst mit ihrem unterwürfigen Lob für McCain, den "Kriegshelden". Seit Jahrzehnten reagiert die Partei defensiv auf den Vorwurf der Rechten, ihr Antikriegsflügel sei für diese Niederlage des US-Imperialismus verantwortlich.

Was die Republikaner betrifft, so haben sie keine Hemmungen, die Kriegsmeriten ihrer rivalisierenden Kandidaten anzugreifen. 2004 riefen sie die "Schnellbootveteranen für die Wahrheit" ins Leben, um den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, John Kerry, mit Schmutz zu bewerfen. Er war nach seiner Rückkehr aus Vietnam ins Lager der Kriegsgegner übergewechselt, und die Republikaner stellten sogar in Zweifel, ob das Gefecht, für das Kerry seinen Silver-Star-Orden erhalten hatte, überhaupt je stattgefunden habe.

Kerry selbst und die Demokraten taten ihrerseits ihr Bestes, um die Kampagne ihres Kandidaten gegen den Krieg vor mehr als dreißig Jahren nicht zur Sprache zu bringen. Stattdessen präsentierten sie ihn als "Kriegshelden", der wisse, "wie man sein Land verteidigt".

Diese Wahlkampftaktik trug dazu bei, den Vietnamkrieg zu rehabilitieren. Dem gleichen Ziel dient die ständige "Würdigung" von McCains Kriegsbilanz heute durch die Demokraten.

Dieser Versuch einer Rehabilitierung stützt sich nicht auf irgendwelche neuen Einsichten über die Vergangenheit, sondern setzt auf die Hoffnung, dass die schmerzhaften Erinnerungen sich abschwächen und dass die neue Generation nicht mehr so genau über die schrecklichen Ereignisse jenes Krieges Bescheid weiß.

Hinter diesem historischen Revisionismus von Demokraten und Republikanern steht ein Konsens in der herrschenden Elite - unbeschadet ihrer taktischen Differenzen in der Frage, wie der Schaden im Irak begrenzt werden kann. Sie sind gemeinsam der Meinung, dass die Verteidigung der strategischen Position des amerikanischen Imperialismus neue und noch schlimmere Kriegsverbrechen nötig mache.

Das trifft auf Obama genauso zu, wie auf John McCain. Obama nennt Afghanistan "einen Krieg, den wir gewinnen müssen", und tritt für einseitige Angriffe auf Pakistan und für eine größere Armee ein.

In der heutigen Situation, in der die amerikanische Arbeiterklasse erneut mit scharfen sozialen Kämpfen und Kriegen konfrontiert ist, ist es umso wichtiger, die Erinnerung an die wahre Geschichte der Niederlage des amerikanischen Imperialismus in Vietnam wach zu halten.

Siehe auch:
Obama Clinton und Identitätspolitik
(12. Juni 2008)
Bush Cheney und Co. gelten dem FBI als Kriegsverbrecher
(3. Juni 2008)
"Appeasement"- Kontroverse: Ein Vorgeschmack auf den Wahlkampf zwischen McCain und Obama
(23. Mai 2008)