Frankreich: Sarkozy-Regierung stärkt Vollmachten der Polizei
Von Ajay Prakash
25. Juli 2008
aus dem Englischen (23. Juli 2008)
Auf direkte Anweisung von Präsident Nicolas Sarkozy sind die französischen Sicherheitsdienste gründlich umstrukturiert worden. Die Polizei erhielt umfassende Vollmachten, Personen oder soziale und politische Organisationen auszuspionieren, deren Aktivitäten möglicherweise die öffentliche Ordnung stören könnten. Unter diese neuen Regelungen fallen schon 13-jährige Kinder.
"Wir beobachten einen Anstieg von Kinderkriminalität", so rechtfertigte Innenministerin Michèle Alliot-Marie die Ausweitung des Datensammelns auf 13-Jährige.
Die neuen Vollmachten sind ein schwerer Angriff auf die Meinungsfreiheit und eine Bedrohung von demokratischen Rechten. Sarkozys Sparprogramme verschärfen die soziale Krise, was in Frankreich schon zu zahlreichen Protesten von Millionen von Arbeitern und Jugendlichen geführt hat. Diese Neuregelungen zielen darauf ab, breiten Widerstand und politische Opposition unter Kontrolle zu halten.
Mit einem am 1. Juli 2008 im Offiziellen Staatsanzeiger veröffentlichten Dekret wird eine "Datenbank potenzieller Gewalttäter" mit der Bezeichnung EDVIGE (Exploitation documentaire et valorisation de linformation générale) eingeführt. Sie richtet sich vor allem gegen Jugendbanden.
Doch können auch Daten von Personen gesammelt werden, die "ein politisches, gewerkschaftliches oder wirtschaftliches Mandat" anstreben oder ausüben oder "eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen, religiösen oder institutionellen Leben spielen. Ihre Aufgabe ist es, Informationen über Personen, Gruppen oder Organisationen zu zentralisieren und zu analysieren...., die durch ihre individuelle oder kollektive Aktivität eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung sein können."
In EVIGE werden selbst geringfügige Details registriert: "Informationen über Familienstatus und Beruf, Adresse, Telefonnummern, elektronische Adressen... Photos, Verhalten, Identitätskarten, KFZ-Kennzeichen, Steuer- und Eigentumsverhältnisse, Reisegewohnheiten und Strafregister... Informationen über das Umfeld einer Person, besonders über aktuelle oder frühere Beziehungen, direkte oder zufällige."
Das gibt der Polizei das Recht, sämtliche Bewegungen und privaten Beziehungen von Leuten auszuspionieren. Deshalb kritisieren Menschenrechtsorganisationen das Dekret jetzt schon, vor allem weil es die Verfolgung Minderjähriger autorisiert.
Dass die Regierung zu solchen Maßnahmen greift, ist ein Anzeichen dafür, wie stark junge Leute politisiert worden sind. Gymnasiasten führten Anfang des Jahres Massendemonstrationen gegen die Stellenstreichungen an den Schulen an. Im Herbst 2005 revoltierten die unterdrücktesten Schichten von Jugendlichen und lieferten sich in ganz Frankreich gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei, nachdem eine Polizeiverfolgung zum Tod zweier Jugendlicher geführt hatte. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand und nahm Tausende Jugendliche fest. Ausländische Jugendliche wurden mit Abschiebung bedroht. Bis heute sind sporadische Zusammenstöße mit Jugendlichen an der Tagesordnung.
Kurz nach einem Zwischenfall im Juni auf dem Marsfeld beim Eiffelturm, an dem Jugendliche und die Polizei beteiligt waren gab Justizministerin Rachida Dati in einem Interview mit dem Journal du Dimanche die Schaffung einer "Datei für organisierte Gangs" bekannt.
Le Monde fragte daraufhin in einem Leitartikel: "Wer wird wohl in diese Datei für Gangs hineingeraten? Leute, die bereits angeklagt sind - aber existiert so was nicht schon? - oder Leute, von denen auf Grundlage ihres Profils und ihrer Bekanntschaften angenommen wird, dass sie möglicherweise in der Zukunft Straftaten begehen könnten? Ein Rechtsstaat kann nicht akzeptieren, dass Leute wegen ihrer vermuteten Absichten bestraft werden."
Die Menschenrechtsorganisation (Human Rights-LDH) hat die "ungeheure Ausweitung der polizeilichen Überwachung der Bürger" scharf verurteilt. "Das sind nicht mehr Akten über Leute, die ein Vergehen begangen haben, sondern vorbeugende Akten gegen Leute, die als potentielle Täter in der Zukunft angesehen werden. Ein Verdacht reicht aus, um in die Datei zu geraten."
Der Verband der Amtsrichter ruft zum Widerstand gegen diese Datei auf, denn sie sei "von antidemokratischem Geist geprägt". Die Datei "hält die Regierung über politisch aktive Menschen auf dem Laufenden, und beschränkt sich nicht mehr darauf, die politische und wirtschaftliche Situation darzustellen".
Neuorganisation der nationalen Sicherheit
Ein wesentlicher Bestandteil dieser repressiven Gesetze ist die Schaffung der Mittel zu ihrer Durchsetzung. Dazu dient die Neufassung des LOPSI 2-Gesetzes, das im Herbst im Parlament beraten werden soll. LOPSI 2 soll Überwachung und Ausspähung über das Internet verstärken und das Sammeln von Daten aus Computern und Emails erleichtern.
In einem Kommentar in Le Monde vom 24. Juni mit der Überschrift "Sicherheit gegen Freiheit" heißt es: "Das in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagene elektronische Datenspeicherprojekt Périclès würde die Ermittlungsbefugnisse der Polizei enorm ausweiten. Wenn eine solche Datenbank geschaffen würde, wäre es möglich, einen großen Teil der Informationen über das Privatleben der Bürger zusammenzuführen (Autobewegungen, Führerscheinnummer, Handy-SIM-Karte oder Rechnungen...)."
Aus Furcht, der französische Staat könne sich diskreditieren, betont Le Monde, dass Sicherheitsüberlegungen "nicht ausreichen, um Notstandsmaßnahmen in das normale Rechtssystem einzuführen oder Bürgerrechte und das Recht auf Privatsphäre mehr oder weniger auszuhöhlen. In einer Republik rechtfertigt das Ziel nicht alle Mittel."
Ein weiteres Anzeichen für das Bestreben, willkürliche, von der Justiz unkontrollierte, repressive Staatsvollmachten zu legalisieren, ist in einem Artikel in Le Monde vom 24 Juni zu finden. Wie es darin heißt, verlangt der Generalsekretär für nationale Verteidigung (SGDN), Francis Delon, den Zugang von Untersuchungsrichtern zu Machtzentralen wie Ministerien oder Geheimdiensten einzuschränken."
Der Geheimdienst ist völlig neu organisiert worden. Der bisherige Abwehrdienst DST und die Geheimpolizei DCRG wurden zum neuen Inlandsgeheimdienst DCRI vereint. 6.000 Agenten befassen sich mit Antiterrorkampf, größeren Protestbewegungen, Ermittlungen von Wirtschaftsverbrechen usw. Der bisherige DST-Direktor Bernard Squarcini, ein enger Freund von Präsident Nicolas Sarkozy und Sohn eines Polizisten, wurde an die Spitze des DCRI berufen.
Auf der Web Site des französischen Innenministeriums heißt es, der DCRI solle eine Art französisches FBI sein. Für die Ermittlung der Demonstrantenzahl, für etwaige Unruhen in den Städten und soziale Konflikte wie Streiks wird das Ressort für allgemeine Information (SDIG) zuständig sein, das beim Amt für öffentliche Sicherheit (Direction de la securite publique - DCSP) gebildet wurde und 1.000 Angestellte zählt.
Es sind mehrere Bestimmungen in Vorbereitung, die dem Staat ermöglichen sollen, das Internet zu zensieren.
Innenministerin Michel Alliot-Marie erklärte am 10. Juni diesen Jahres, der französische Staat habe sich mit den Internet Service Providern (ISPs) geeinigt, Seiten zu sperren, die terroristische, pädophile, Rassenhass fördernde und sonstige ungesetzliche Inhalte bereitstellen. Alliot-Marie gab bekannt: "Seit dem 14. Februar... haben wir mit den ISPs daran gearbeitet, die Schwächsten zu schützen. Das wird ganz einfach funktionieren: die Plattform wird eine Schwarze Liste an die ISPs weiterleiten, welche Seiten gesperrt werden sollen..."
ZDNet.fr zitierte am 11. Juni Daniel Fava, den Vorsitzenden des Verbands der Internet Service Provider und Internet-Dienste. Er beteuerte, man habe keine Übereinstimmung erzielt, und sagte: "Wir wollen nicht zu einem Big Brother werden, und die "Internauten" sollten sich von ihrem ISP nicht ausspioniert fühlen."