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Obama skizziert Kriegspolitik

Von Bill Van Auken
17. Juli 2008
aus dem Englischen (16. Juli 2007)

Am Dienstag hielt Barack Obama eine von seinem Wahlkampfteam als "wichtig" eingestufte Rede zur nationalen Sicherheit und dem Krieg im Irak. Diese Rede müsste eigentlich die letzten Missverständnisse zerstreut haben, dass Obama bei der Wahl 2008 als "Antikriegs-Kandidat" antritt.

Obama sprach vor dem Reagan-Building in Washington, hinter ihm ein Flaggenwald aus Sternenbannern. Er machte klar, dass er die gegenwärtige US-Politik im Irak nicht deshalb ablehnt, weil er prinzipiell gegen Neokolonialismus oder Aggressionskriege ist, sondern weil der Irakkrieg die amerikanische Militärkraft angeblich an der falschen Stelle binde und den globalen strategischen Interessen des amerikanischen Imperialismus nicht dienlich sei.

Die Rede des jungen Senators aus Illinois machte klar, dass die amerikanische Bevölkerung bei der Wahl im November keine Möglichkeit hat, gegen Krieg zu stimmen. Ihr bleibt lediglich die Entscheidung, welcher der beiden neokolonialen Kriege, die die USA gegenwärtig führen, eskaliert werden soll.

Wie schon in seinem Gastkommentar in der New York Times vom Montag verband er auch am Dienstag seine Forderung, Kampftruppen aus dem Irak abzuziehen, mit dem Vorschlag, bis zu 10.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken, um den Krieg dort auszuweiten.

Die Stoßrichtung von Obamas Kritik richtete sich gegen die Unfähigkeit der Bush-Regierung, eine vernünftige imperialistische Strategie zu verfolgen. Er verband das mit dem Versprechen, er werde, wenn er ins Weißen Haus eingezogen sei, im Wesentlichen die gleiche Strategie verfolgen, bloß überlegter und effektiver.

Er bezeichnete seine Politik als "verantwortungsbewussten Rückzug unserer Kampftruppen, der die irakischen Führer zwingt, eine politische Lösung zu suchen, der unser Militär stabilisiert und den Fokus auf Afghanistan und unsere übrigen Sicherheitsinteressen setzt".

Obama wiederholte sein Wahlkampfversprechen, die amerikanischen Kampfbrigaden innerhalb von sechzehn Monaten nach seiner Amtseinführung aus dem Irak abzuziehen. Nach dieser "Umgruppierung" wird jedoch eine "Resttruppe" im Irak verbleiben, um Aufstände zu bekämpfen, amerikanische Einrichtungen zu schützen und die irakischen Marionettentruppen auszubilden und zu unterstützen. Für diese Aufgaben werden sicherlich Zehntausende amerikanische Soldaten das Land auf unbestimmte Zeit besetzt halten.

Obama betonte, er werde nach Konsultationen mit den "Kommandeuren vor Ort und mit der irakischen Regierung" noch "taktische Änderungen" an seinem Plan vornehmen. Daraus ist zu schließen, dass selbst der Teilabzug vermutlich länger dauern wird als angekündigt.

Die Rede war zeitlich vor einem "Informationsbesuch" Obamas in der nächsten Woche in Irak und Afghanistan terminiert, bei dem er mit Militärführern zusammentreffen wird.

Obama begann seine Rede, indem er an die Strategie des US-Imperialismus nach dem zweiten Weltkrieg erinnerte. Dieser hatte sich damals für die Schaffung "internationaler Institutionen wie der Vereinten Nationen, der NATO oder der Weltbank" eingesetzt und Europa mithilfe des Marshallplans wiederaufgebaut. Obama kontrastierte diese sechs Jahrzehnte gültige Politik mit der nach seiner Meinung verpassten Gelegenheit Washingtons, nach den Terroranschlägen vom 11. September erneut die globale Führung zu übernehmen.

"Die Welt war gegen die Urheber dieses schlimmen Verbrechens einer Meinung. Alte Verbündete, neue Freunde und selbst langjährige Gegner standen an unserer Seite", sagte Obama. "Es war erneut Zeit für Amerika, Macht und moralische Überzeugungskraft aufzuwenden, es war erneut notwendig, eine neue Sicherheitsstrategie für eine Welt im Wandel zu entwerfen."

Um diese große Chance zu ergreifen, hätte man Obama zufolge "von Anfang an die volle Macht Amerikas auf die Jagd auf Osama bin Laden und seine Vernichtung konzentrieren müssen. Man hätte den Kampf gegen al-Qaida, die Taliban und alle für den 11. September verantwortlichen Terroristen führen und für wirkliche Sicherheit in Afghanistan sorgen müssen."

Stattdessen, sagte er vorwurfsvoll, habe die Bush-Regierung diese militärischen Mittel in den Krieg gegen den Irak gesteckt, der laut Obama "nicht das Geringste mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte". Er fuhr fort: "Wie man es auch dreht und wendet, unsere einseitige und dauerhafte Konzentration auf den Irak ist keine vernünftige Strategie, Amerika sicher zu machen."

Diese Darstellung ist eine grobe und bewusste Verfälschung der Motive für den Krieg in Afghanistan und natürlich für den im Irak. Beide hatten nicht das Ziel, "Amerika sicher zu machen", sondern sie verfolgten definitive strategische Interessen des amerikanischen Imperialismus.

Das wichtigste Ziel im Afghanistankrieg, der schon lange vor den Anschlägen vom 11. September geplant war, bestand darin, das Machtvakuum in Zentralasien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu nutzen, um die amerikanische Vorherrschaft in dieser Region, in der die zweitgrößten nachgewiesenen Öl- und Gasvorkommen der Welt liegen, herzustellen.

Die angeblichen Zielobjekte dieser Operation - Osama bin Laden, al-Qaeda und die Taliban - sind letztlich alles Produkte der blutigen Interventionen des US-Imperialismus in der Region. Besonders in der 1980er Jahren finanzierte Washington die Mudschaheddin mit Milliarden Dollar, die gegen die von der Sowjetunion unterstützte Regierung und gegen die sowjetischen Interventionstruppen kämpften. Zu diesen Kräften gehörten bin Laden und die Gründer von al-Qaida und der Taliban.

Dieser von der CIA gelenkte Krieg führte zur Zerstörung Afghanistans und verursachte ein anhaltendes politisches Chaos, das Washington durch die Unterstützung der Taliban unter Kontrolle zu bringen versuchte.

Heute, fast sieben Jahre nach der amerikanischen Invasion in Afghanistan, verkündet Obama: "Als Präsident werde ich dem Kampf gegen al-Qaida und die Taliban die oberste Priorität einräumen, die ihm auch zusteht. Diesen Krieg müssen wir gewinnen."

Um dieses Ziel zu erreichen, versprach Obama, "zwei zusätzliche Kampfbrigaden nach Afghanistan zu schicken". Außerdem werde er die NATO-Alliierten Washingtons unter Druck setzen, damit sie "einen größeren Beitrag leisten - mit weniger Einschränkungen" bei den Einsatzorten ihrer Truppen.

Weiter versprach er, die Intervention in Afghanistan ins benachbarte Pakistan auszuweiten.

"Die größte Bedrohung für die Sicherheit liegt in den Stammesregionen Pakistans, wo Terroristen ihre Ausbildungslager haben und von wo aus Aufständische in Afghanistan zuschlagen", warnte er. Wir können kein terroristisches Rückzugsgebiet dulden, und als Präsident werde ich das auch nicht tun. Wir brauchen eine stärkere und dauerhafte Partnerschaft zwischen Afghanistan, Pakistan und der NATO, um die Grenze zu sichern, Terrorlager auszuheben und über die Grenze wechselnde Aufständische zu bekämpfen. Wir brauchen mehr Truppen, mehr Hubschrauber, mehr Predator-Drohnen in der afghanischen Grenzregion. Und wir müssen klar machen, dass wir hochrangige Terrorziele wie bin Laden hochnehmen werden, wann immer sich die Gelegenheit bietet, und auch wenn Pakistan nicht handeln kann oder will."

Nichts deutet darauf hin, dass die US-Truppen in Afghanistan gegen al-Qaida kämpfen, oder dass die Mehrheit der Kämpfer gegen die amerikanischen und NATO-Truppen ihre Befehle von den versprengten Resten der Taliban empfangen. Das Pentagon kann keine gefangenen al-Qaida-Kämpfer vorweisen, und auch in den verschärften Kämpfen im Mai und Juni dieses Jahres, als 69 amerikanische und NATO-Soldaten ihr Leben verloren, wurden keine gefangen.

Tatsache ist, dass der Widerstand gegen die Besatzung dramatisch zugenommen hat, weil so viele Massaker an Zivilisten verübt werden. Am 6. Juli waren bei einem amerikanischen Luftangriff 47 Teilnehmer einer Hochzeitsfeier getötet worden, die Mehrheit Frauen und Kinder. Auch willkürliche Verhaftungen und häufige Folterungen von Menschen in der Gewalt amerikanischer Einheiten oder afghanischer Marionettentruppen rufen große Empörung hervor. Für Unmut sorgt auch die Korruption des Regimes von Präsident Hamid Karzai.

Dem Angriff auf einen amerikanischen Stützpunkt am vergangenen Sonntag fielen neun amerikanische Soldaten zum Opfer. Örtliche Bewohner sollen daran beteiligt gewesen sein und den Aufständischen, die den Angriff ausführten, unmittelbar geholfen haben.

Mit seinem Vorschlag, "mehr Truppen, mehr Hubschrauber, mehr Satelliten, mehr Predator-Drohnen" zu schicken, will Obama diese Massaker noch verstärken, was natürlich den Widerstand noch mehr anfachen wird. Dies wird wiederum zum Einsatz von noch mehr amerikanischen Truppen führen, und diese werden zwangsläufig auch jenseits der Grenze, in Pakistan, eingesetzt werden.

Obama versprach, das amerikanische Militär für diesen Krieg zu stärken, der viel intensiver als der im Irak zu werden droht. Er schlägt die Aufstockung der Armee um 65.000 Soldaten und der Marines um 27.000 Mann vor und will "in die Fähigkeiten investieren, die wir benötigen, um konventionelle Feinde jederzeit zu besiegen und den unkonventionellen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen".

Die Reaktion der Medien auf Obamas Rede war zwiespältig. Die einen warfen die Frage auf, ob er wohl deshalb immer noch für einen Truppenrückzug aus dem Irak eintrete, um seine Demokratische Basis zu beruhigen. Andere spekulierten, ob die Betonung seiner Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, wenn er erst einmal Oberkommandierender sein werde, ein weiterer "Ruck ins Zentrum" darstelle.

Tatsächlich widerspiegelt die Rede einen wachsenden Konsens im amerikanischen Establishment, bei Demokraten wie Republikanern. Die Meinung gewinnt Überhand, dass die strategischen Interessen der USA im Irak auch mit weniger Truppen gewährleistet werden können. Man fragt sich, ob es wirklich nötig sei, jeden Monat zehn Milliarden Dollar für den Irakkrieg auszugeben, was zusätzlich zur Wirtschaftskrise des amerikanischen Kapitalismus beiträgt.

Um diese Botschaft zu unterstreichen, wurde Obama am Dienstag vom Demokratischen Ex-Abgeordneten Lee Hamilton eingeführt, der gemeinsam mit dem Republikanischen Ex-Außenminister James Baker die Iraq Study Group geleitet hatte. Diese parteiübergreifende Gruppe hatte sich für eine Erneuerung des US-Militärs und für eine Reaktivierung der Diplomatie eingesetzt, um die amerikanische Intervention im Irak zu retten.

Verteidigungsminister Robert Gates und Generalstabsvorsitzender Admiral Michael Mullen haben sich besorgt geäußert, es könnten in Afghanistan nicht genügend Truppen zur Verfügung stehen, um die Kontrolle der USA über das Land sicherzustellen. Sie haben erkennen lassen, dass sie weitere 10.000 Soldaten entsenden möchten - zufällig die gleiche Zahl, die Obama vorschlägt.

Selbst Bush blies bei einer Pressekonferenz am Dienstagmorgen im Weißen Haus ins gleiche Horn. Er behauptete, dass Washington und die NATO schon an einer "Truppenverstärkung" (surge) in Afghanistan arbeiteten.

Die Frage, ob die Rede einen Ruck nach rechts darstellt, geht an der Sache vorbei, weil Obama das gleiche Lied schon mehrfach während seiner Bewerbung um die Präsidentschaft gesungen hat. Er betonte in den Vorwahlen zwar seine Opposition gegen den Senatsbeschluss von 2002, Bush die Vollmacht für den Irakkrieg zu erteilen. Diese Resolution wurde damals von seinen Hauptrivalen Hillary Clinton und John Edwards unterstützt. Aber er ließ nie Zweifel daran aufkommen, dass er den ideologischen Rahmen des "globalen Kriegs gegen den Terror" mitträgt, mit dem die Kriege im Irak und in Afghanistan gerechtfertigt wurden.

Angesichts dieser Position und seiner Haltung zur Kriegsfinanzierung - er hat ihr seit 2005, seitdem er im Senat sitzt, jedes Mal zugestimmt - gibt es wenig Grund anzunehmen, dass auch er nicht Bush einen Blankoscheck für die Invasion im Irak ausgestellt hätte, wäre er damals schon Senator gewesen.

Vor einem Jahr schrieb Obama in Foreign Affairs, die Lehre aus dem Irak-Debakel sei die Notwendigkeit, sich auf neue Kriege vorzubereiten. "Wir müssen diesen Moment nutzen, um unser Militär zu reorganisieren und auf seine künftigen Missionen vorzubereiten", betonte er. "Wir müssen immer die Kapazitäten haben, eine konventionelle Drohung gegen unser Land und unsere vitalen Interessen zu besiegen. Aber wir müssen uns auch besser darauf vorbereiten, Personal zu haben, um gegen asymmetrische Feinde zu kämpfen, die weltweite hochflexible Kampfmethoden entwickeln."

Zweifellos werden Obamas "linke" Verteidiger den offenen Militarismus und das Kriegsgeschrei in der Rede des Kandidaten als politisches Mittel zu entschuldigen versuchen, Stimmen in der "Mitte" zu gewinnen. Aber in Wahrheit hat der Kandidat hier ausgesprochen, was von einer Demokratischen Regierung 2009 zu erwarten ist.

Nicht der "Wandel", den Obama im Wahlkampf immer beschwört, wird seine Politik bestimmen, sondern die wachsende wirtschaftliche und soziale Krise des amerikanischen Kapitalismus und die Entschlossenheit der amerikanischen Elite. Sie wird ihre Militärmacht weiter nutzen, um ihren wirtschaftlichen Niedergang zu kompensieren.

Siehe auch:
Barack Obama rührt die patriotische Trommel
(8. Juli 2008)
McCain-Berater erwartet bei neuem Terroranschlag verbesserte Wahlchancen der Republikaner
(2. Juli 2008)
Obama Clinton und Identitätspolitik
(12. Juni 2008)