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Südafrika: Scharfe soziale Spannungen verursachen Konflikte im ANC

Von Chris Talbot
3. Januar 2008
aus dem dem Englischenen (22. Dezember 2007)

Der Sieg Jacob Zumas über den bisherigen Präsidenten Südafrikas, Thabo Mbeki, bei der Wahl des Vorsitzenden des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), ist Ausdruck der wachsenden sozialen Spannungen in diesem Land. Aber weder Mbekis noch Zumas Fraktion haben eine Antwort auf die Probleme der großen Bevölkerungsmehrheit.

Die erbitterte Rivalität der zwei Fraktionen zeigt nur, wie bankrott das nationalistische Programm des ANC ist. Der Kampf innerhalb der herrschenden Elite muss als Vorbote der zugespitzten Klassenkämpfe in Südafrika verstanden werden. Aufgrund der strategischen, ökonomischen und politischen Rolle des Landes ist diese Entwicklung für den gesamten Kontinent von Bedeutung.

Nach sechsunddreißigstündigem Gezänk über die Wahlprozedur erhielt Zuma auf der tief gespaltenen ANC-Konferenz 2.329 Stimmen gegenüber 1.505 Stimmen für Mbeki. Weitere fünf Spitzenpositionen im ANC fielen dem Zuma-Lager mit ähnlichem Vorsprung zu.

Zuma hat die Rückendeckung der Gewerkschaftsbürokratie COSATU und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP). Er fand Unterstützung in einigen Arbeitergebieten und besonders in den Townships, wo der ANC mit seiner Politik des freien Marktes zunehmend auf Ablehnung stößt.

Heute lebt über die Hälfte der Bevölkerung in Armut, fast neun Prozent leben von weniger als einem Dollar täglich. Die Kluft zwischen Reich und Arm wird immer größer. Aus Sicht der Kapitalistenklasse ist Südafrika eine wahre Erfolgsgeschichte: Das Bruttosozialprodukt ist in den vergangenen sieben Jahren ständig gewachsen, derzeit liegt die jährliche Steigerungsrate bei fünf Prozent. Minengesellschaften und Finanzhäuser verzeichnen immer größere Profite, aber die Bevölkerungsmehrheit hat keinerlei Nutzen davon.

Mbekis Finanzminister Trevor Manuel hatte sich mit Zinssätzen und der Regulierung der Inflation an die Vorgaben der Weltbank gehalten. Zuwächse bei öffentlichen Ausgaben wurden strikt auf Infrastrukturprojekte wie den Bau von Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 beschränkt.

Die Führungsrolle Mbekis wurde durch Zumas überwältigenden Sieg deutlich in Frage gestellt. Saki Macozoma, ein führender südafrikanischer Geschäftsmann und Verbündeter Mbekis, erklärte der Financial Times : "Wir waren ziemlich naiv. Lange Zeit ging es in der Politik reibungslos und kollegial zu. Die Kommentatoren hatten das Phänomen Zuma als zum Scheitern verurteilt betrachtet."

Diese fundamentale Fehleinschätzung verdeutlicht, wie weit sich die Führung des ANC von den Bevölkerungsmassen entfernt hat. Sie führt ein abgeschottetes Leben in Reichtum, und die elende Lage der Mehrheit interessiert sie nicht mehr.

COSATU und SACP erreichten schließlich Zumas Sieg, weil es ihnen gelang, die Führung ganzer ANC-Ortsgruppen zu übernehmen. Jede Gruppe sendet einen Delegierten zu der Konferenz. Etwa 70 Prozent der 51.000 SACP-Mitglieder sind unter 35 Jahre alt. Dieser vorwiegend jungen Mitgliedschaft war es möglich, etablierte und konservative Elemente hinauszudrängen.

Schon bei einer Konferenz im vergangenen Juli wurden alte Weggefährten Mbekis aus der Führung abgewählt. Der Generalsekretär der SACP, Blade Nzimande, kritisierte damals das "Projekt 1996" der Mbeki-Führung. Er bezog sich dabei auf Mbekis Marktwirtschaftspolitik und forderte eine "sozialistische" Wende im ANC. Wegen dieses rhetorischen Linksschwenks der SACP konnte nun Zuma auf der ANC-Konferenz den Sieg davontragen.

Mbeki und seiner Mannschaft wurde offiziell zugestanden, bis zur voraussichtlichen Wahl Zumas zum Präsidenten im Jahr 2009 in ihren Regierungsämtern zu verbleiben. Da die Differenzen zwischen den beiden Lagern immer ausgeprägter werden und die Hoffnungen der Arbeiter auf Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ständig zunehmen, wird ein reibungsloser Machtwechsel immer unwahrscheinlicher.

Wie BBC berichtete, gab der Chef der nationalen Strafverfolgungsbehörde, Mokotedi Mpshe, schon einen Tag nach der Wahl der ANC-Spitze bekannt, er verfüge über ausreichend Beweismaterial für eine Anklage gegen Zuma wegen Korruption. Eine abschließende Entscheidung wann gegen Zuma vorgegangen werde, stehe kurz bevor. Zuma ist schon wiederholt mit derartigen Anschuldigungen konfrontiert worden. Seine Anhänger halten dagegen, dass derartige Anschuldigungen von Mbeki stammten und gefälscht seien. Zumas früherer Finanzberater Schabir Shaik wurde 2005 nach einem Korruptionsverfahren im Zusammenhang mit Waffengeschäften inhaftiert, während das Verfahren gegen Zuma selbst ausgesetzt wurde. Vergangenes Jahr wurde Zuma von Mbeki vom Posten des stellvertretenden Präsidenten abgesetzt und in einem weiteren Verfahren der Vergewaltigung beschuldigt, wovon er jedoch freigesprochen wurde.

In Wirklichkeit hat die gesamte regierende Schicht ihren Aufstieg an die Macht zur persönlichen Bereicherung genutzt. Ehemalige führende ANC-Kämpfer sind heute millionenschwere Geschäftsleute und haben Leitungsfunktionen in globalen Konzernen. Die Tatsache, dass die Fraktion Mbekis erneut auf ein Gerichtsverfahren setzt, zeigt ihre Rücksichtslosigkeit. Um die Macht nicht zu verlieren, nimmt sie das Risiko in Kauf, den gesamten ANC noch tiefer in Misskredit zu bringen.

Andere Führungspersonen bringen sich schon für den bevorstehenden Machtkampf in Stellung. Sollte es gelingen, Zuma mit Hilfe von Gerichtsverfahren kalt zu stellen, könnte sein Stellvertreter Kgalema Motlanthe zum Zug kommen. Motlanthe war unter dem Apartheidregime politischer Gefangener und wurde dann Generalsekretär der nationalen Bergarbeitergewerkschaft. Er genießt breite Unterstützung im ANC und stand Zuma während der Gerichtsverfahren zur Seite. Er gab seinen Posten als Generalsekretär des ANC auf, um Zumas Stellvertreter zu werden.

Motlanthe spielt zurzeit die Rolle des Vermittlers und versucht, die inneren Bruchstellen zu kitten. Auf Fragen der Presse sagte er, dass die "endlose Agonie" von Bedrohungen mit Gerichtsverfahren gegen Zuma den ACN in eine sehr schwierige Lage bringe. Der politische Kommentator des Business Day äußerte die Vermutung, Motlanthe könne der nächste Präsident werden, falls Zuma inhaftiert würde.

Auf alle Fälle ist das Zuma-Lager bemüht, Vorteile aus seinem klaren Sieg zu ziehen, und fordert eine Regierungsbeteiligung. Die Anhänger Zumas könnten sogar versuchen, Mbeki noch vor den Präsidentschaftswahlen hinauszudrängen.

Trotz der tiefen Kluft im ANC gibt es keine grundlegenden Unterschiede der politischen Perspektive. Seit den Fünfzigerjahren gab die SACP der nationalistischen und pro-kapitalistischen Politik des ANC immer die nötige Unterstützung. Im Moment wird einfach anerkannt, dass eine "linke" Fassade gebraucht wird, um die Opposition aufzuweichen und den ANC an der Macht zu halten.

Zuma pflegt sorgsam sein Image als "Mann des Volkes", der sich von dem abgehobenen Akademiker Mbeki unterscheidet. Ein Unternehmensberater erklärte gegenüber Financial Times : "Er ist der Typ Mensch, der in einem Moment mit einem Präsidenten und im nächsten mit einem Zulu-Landarbeiter reden kann. Er ist ein moderner Mann, weil er den Bezug zu seinen Wurzeln nicht verloren hat."

Nichts deutet darauf hin, dass sich dieser Mann für mehr als kosmetische Veränderungen an der heutigen, am Markt orientierten Politik einsetzen wird. Als stellvertretender Präsident äußerte Zuma keinerlei Kritik an Mbekis ökonomischer Ausrichtung. Er wird den Kurs, den der ANC seit Ende der Apartheid einschlug, nicht in Frage stellen.

Während der vergangenen Monate hat Zuma engen Kontakt zu Teilen der herrschenden Klasse Südafrikas unterhalten, um deren Befürchtungen zu zerstreuen. Er traf die Dining Society, die Spitze des weißen Establishments, im Rand Club und speiste auf Einladung der Citigroup mit führenden Geschäftsleuten, denen er versicherte, dass es in wichtigen Angelegenheiten keine Umkehr geben werde. Er reiste auch zu Treffen mit Geschäftsleuten nach Großbritannien und Austin/Texas, wo er versicherte, dass sie im Falle seiner Präsidentschaft in Südafrika mit keiner Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu rechnen hätten.

Weder SACP noch COSATU fordern eine Veränderung der ökonomischen Grundprinzipien der Regierung. Motlanthe sagte der Presse, es werde keine Änderung der Wirtschaftspolitik geben, auch keine "Belohnung" für die Unterstützung der COSATU. "COSATU hat als Gewerkschaft kein Wahlrecht bei der nationalen Konferenz, sie haben Rederecht. Daher können sie auch nicht mit Forderungen kommen nach dem Motto: ‚Wir haben euch soweit gebracht und jetzt ist Zahltag’", sagte er.

Der Generalsekretär von COSATU, Zwelinzima Vavi, bekräftigte dies und sagte: "Es ist oft gesagt worden, Zuma müsse seine Schulden bei COSATU begleichen. In den letzten Jahren gab es manchmal linksradikale Stimmen. JZ [Jacob Zuma] ist keine Organisation. Es ist Sache der ANC-Mitglieder, über politische Fragen zu entscheiden, und die Führung hat diese Entscheidungen umzusetzen."

Diese Doppelzüngigkeiten wurden vom stellvertretenden Generalsekretär der SACP, Jeremy Cronin, wiederholt, als er der Presse erklärte: "Es findet schon jetzt ein Linksschwenk statt." In Wirklichkeit wurde die Wirtschaftspolitik des ANC Anfang dieses Jahres festgelegt, und sie liegt auf der Linie Mbekis und Manuels. Wo sich die Politik der SACP unterscheidet, fordert sie eine nationale Wirtschaftsentwicklung im kapitalistischen Rahmen. Das ist keine sozialistische Politik. Es ist der Inhalt dessen, was sie in einem politischen Dokument als ihre "mittelfristige Vision" bezeichnen.

In ihrer "Industriepolitik" fordert der SACP eine nationale Debatte zwischen ANC und der "Geschäftswelt" über "Entwicklungspolitik". Vavi sagte der Financial Times vor kurzem, die Regierung müsse "unsere Industrie an erste Stelle" setzen. Er tritt dafür ein, dass die Industrie ihre arbeitsintensiven Sektoren stärker entwickeln müsse, um Arbeitsplätze zu schaffen. "Unglücklicherweise ist der Bergbau nicht arbeitsintensiv", sagte er. Das ist allerdings mehr als "unglücklich". Die ANC-Regierung hat in den vergangenen Jahren mit Unterstützung der COSATU und der SACP zehntausende Arbeitsplätze im Bergbau zerstört. Das trug in nicht geringem Maß dazu bei, die Arbeitslosenrate in einigen Landstrichen auf 40 Prozent hochzutreiben.

Nach Vavis Vorstellung sollte die Regierung für Wachstum sorgen, indem sie eine Inflation von neun Prozent zulässt. Derzeit liegt die Inflationsrate zwischen drei und sechs Prozent. Eine solche Politik würde unvermeidlich die Arbeiterklasse treffen, da die Preise für Nahrungsmittel und andere wichtige Konsumgüter steigen würden. Sich vorzustellen, dass eine Regierung eine auch nur leichte Inflation kontrollieren könnte, ist illusorisch, besonders da alle Zeichen der Weltwirtschaft auf eine Entwicklung zur Stagflation, d.h. steigende Preise bei ökonomischer Rezession, hinweisen. Die Auswirkungen einer galoppierenden Inflation sind heute schon im benachbarten Zimbabwe zu beobachten.

Das aktuelle Wachstumsniveau wurde erreicht, indem Südafrika zum bevorzugten Investitionsstandort und einem Zentrum für das Finanzkapital in Afrika wurde. Ein höheres Wachstum könnte nur erreicht werden, wenn mehr Investitionen angezogen würden, was noch größere soziale Unterschiede zur Folge hätte. Das Problem ist nicht das Wachstum an sich. Es sind die Besitzverhältnisse. Wenn eine winzige gesellschaftliche Minorität Unternehmen, Bergwerke, Fabriken und Banken besitzt, und sich der Reichtum daher zwangsläufig in ihren Taschen anhäuft, wird die Bevölkerungsmehrheit, die den Reichtum durch ihre Arbeit schafft, in immer größere Armut getrieben.

Wo immer die Zuma-Fraktion andere wirtschaftliche Prioritäten als die Mbeki-Fraktion gesetzt hat, sind ihre Folgen reaktionär und gegen die Interessen der Mehrheit der einfachen Menschen gerichtet. Aber diese Unterschiede sind eher zweitrangig. Wichtig ist, dass der Konflikt selbst politisch und historisch eine enorme Bedeutung hat.

Der ANC ist in den vergangenen dreizehn Jahren als Regierung der nationalen Einheit aufgetreten. Hinter der monolithischen Fassade gab es Meinungsverschiedenheiten, die aber unter der Decke gehalten und übertüncht wurden. Heute zeigt die in der Öffentlichkeit deutlich wahrgenommene und akute Spaltung zwischen Zuma und Mbeki, dass der ANC sich nicht länger, wie noch bei Mandelas Machtübernahme, als natürliche und historisch entstandene Bewegung der nationalen Führung präsentieren kann. Er hat sich im Lauf seiner Regierungszeit als Partei des Big Business entpuppt und seinen anfänglichen Anspruch, die Interessen der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen in Stadt und Land zu vertreten, aufgegeben.

Politisch reift jetzt eine Generation heran, die nach dem Sturz des Apartheidregimes aufgewachsen ist und deren politische Erfahrungen durch eine ANC-Regierung geprägt sind, die alles in ihrer Macht Stehende zum Vorteil der Reichen und Großkonzern unternommen hat. Die Brüche, die jetzt innerhalb des herrschenden Regimes auftreten, bieten eine nie dagewesene Möglichkeit für eine Initiative der Arbeiterklasse. Diese muss sich politisch darauf vorbereiten, indem sie die Situation von einem unabhängigen Standpunkt aus analysiert. Die Arbeiter müssen den politischen Kampf innerhalb des ANC von ihren eigenen Klasseninteressen aus untersuchen, die den Interessen aller Fraktionen der herrschenden Elite Südafrikas diametral entgegenstehen.

Siehe auch:
ANC gewinnt Wahlen in Südafrika bei geringer Wahlbeteiligung
(20. April 2004)