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Italienische "Robin-Hood-Tax" - ein Hohn auf die soziale Misere

Von Marianne Arens
19. August 2008

Von 500 Euro im Monat kann ein Mensch in Europa auf Dauer nicht überleben. Siebeneinhalb Millionen Menschen, dreizehn Prozent der Bevölkerung, gelten in Italien als arm, da sie monatlich höchstens 500 Euro zur Verfügung haben. In den italienischen Städten grassiert das Elend der Rentner, und die Kinderarmut ist laut Kinderhilfswerk Unicef die höchste ganz Europas.

Mit einer so genannten "Robin-Hood-Steuer" auf die Gewinne der Ölkonzerne und großen Banken will Wirtschaftsminister Giulio Tremonti nun Geld locker machen, um es an die Armen im Land zu verteilen. "Bellissima" - wunderschön, so nennt Tremonti diese Steuer, wobei er, der enge Vertraute von Regierungschef Silvio Berlusconi, des reichsten Bürgers Italiens, wohl selbst nicht gerade Ähnlichkeit mit Robin Hood aufweist.

Aus der neuen Zusatzsteuer soll eine monatliche Zulage für Senioren ab 65 Jahren mit geringem Einkommen finanziert werden, unter der Bedingung, dass sie zehn Jahre in Italien gelebt haben. Einwanderer sind davon ausgeschlossen, worauf die ausländerfeindliche Regierungspartei Lega Nord ausdrücklich bestanden hatte.

Für 1,2 Millionen einkommensschwache Bürger wird eine elektronische Sozialkarte ausgegeben, auf die sie Abschläge bei Lebensmitteln, Strom, Gas und Wasser erhalten, insgesamt bis zu einem Betrag von maximal 400 Euro im Jahr. Das ist höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein, der noch dazu durch Sparmaßnahmen des gleichen Finanzpakets konterkariert wird. Auch werden die großen Konzerne die zusätzliche Steuerlast mit Sicherheit durch Preiserhöhungen wieder auf die Verbraucher abwälzen.

Die "Robin-Hood-Tax" ist Bestandteil der so genannten "Finanziaria", des Haushaltsentwurfs für die kommenden drei Jahre. Dieser Haushaltplan wurde in Grundzügen schon in der letzten Parlamentssitzung vor den Sommerferien, nicht wie üblich im Spätherbst, verabschiedet. Überstürzt und ohne parlamentarische Debatte wurde er durch Abgeordnetenhaus und Senat gepeitscht.

Die "Finanziaria" ist ein Spagat der rechten Berlusconi-Regierung, die damit einerseits bei den Geringverdienern in der italienischen Bevölkerung punkten, andererseits der italienischen Wirtschaft ihre Effizienz beweisen will: Sie soll die nationale Verschuldung durch radikale Einsparungen im öffentlichen Bereich bis zum Jahr 2011 aus den roten Zahlen heraus holen. Bis dahin sollen 36 Mrd. Euro eingespart werden.

Das Finanzpaket setzt den Rotstift sowohl bei den Ausgaben staatlicher Ministerien, als auch in den Regionen, Provinzen und Gemeinden an. Schon im kommenden Jahr sollen 17,1 Mrd. Euro eingespart werden, eine Milliarde allein im öffentlichen Gesundheitswesen. Drastische Sparmaßnahmen betreffen die Schulen und Universitäten und werden sich in Forschung und Lehre auswirken. 87.000 Lehrerstellen sollen gestrichen werden.

Ein besonders beunruhigender Aspekt ist der beschlossene kulturelle Kahlschlag: Das Finanzdekret entzieht dem Denkmalschutz mehrere hundert Millionen Euro und wird somit Auswirkungen auf die Kulturgüter Italiens haben. Deren Pflege wird den Regionen und Kommunen überlassen, die häufig heute schon versuchen, ihre finanzielle Notlage durch den Verkauf ihrer Güter zu lindern. Die neue Gesetzeslage ermutigt sie dazu.

Weltbekannte Kulturgüter, wie der Tempelbezirk von Agrigent auf Sizilien und die antiken Theater von Taormina und Syrakus, werden auf dreißig Jahre hinaus an private Unternehmer verpachtet, in norditalienischen Städten wie Verona werden mittelalterliche Paläste und Renaissancebauten verkauft, und das Umweltministerium plant die Privatisierung der italienischen Naturparks.

Eigentlich steht die Erhaltung der "Beni Culturali", die seit der klassischen Antike zu den europäischen Kulturgütern von Weltrang gehören, in Italien unter Verfassungsschutz; ein eigenes Ministerium ist dafür zuständig. An seiner Spitze steht heute der Philosophieprofessor Sandro Bondi, der sich anfangs der 1990er Jahre vom Mitglied der stalinistischen KPI zum glühenden Berlusconi-Anhänger wandelte. Bondi distanzierte sich anfänglich von den beabsichtigten Kürzungen in Milliardenhöhe und versprach, im Parlament dagegen aufzutreten. Aber in der entscheidenden Abstimmung verzichtete der Minister auf jeden Einspruch.

Berlusconis und Tremontis Haushaltentwurf sieht außerdem vor, die staatlichen Zuschüsse für zahlreiche Zeitungen von Parteien und Kooperativen zu streichen. Die davon betroffene linke Tageszeitung il manifesto macht darauf aufmerksam, dass dies ein weiterer Angriff auf die Informationsfreiheit darstellt.

Giulio Tremonti hatte schon im Wahlkampf kein Hehl aus seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen gemacht, als er ein Buch über die Folgen der Globalisierung mit dem Titel "Angst und Hoffnung" veröffentlichte: Darin gab er einerseits dem "Globalisierungswahn" und den globalen Finanzspekulanten, andererseits den Massen "illegaler Einwanderer" aus Asien und Afrika die Schuld an der italienischen Misere und forderte die Schaffung einer autoritären, national-konservativen Ordnung.

Tremontis "Finanziaria" wurde am 5. August, am letzten Sitzungstag vor den Sommerferien, im Abgeordnetenhaus beschlossen. Mittels einer Vertrauensabstimmung stellte Berlusconi sicher, dass die Budgetplanung nicht etwa durch einen Änderungsantrag von Walter Veltronis oppositioneller Demokratischer Partei (DP) aufgehalten werden könne. Es war bereits die vierte Vertrauensabstimmung innerhalb von zwei Wochen.

So kurz vor den Sommerferien wollte die rechte Berlusconi-Regierung offenbar Fakten schaffen. Zudem braucht sie dringend eine populistische Aktion in der Öffentlichkeit, in der sie sich (völlig unglaubwürdig) die Maske des Wohltäters umhängt.

Soziale Polarisierung

Offenbar versucht die Berlusconi-Regierung von der schreienden sozialen Polarisierung abzulenken und Arbeiterprotesten im Herbst zuvorzukommen. Berlusconi erklärte in Neapel: "Die Opposition kann im Herbst gegen die Finanziaria demonstrieren wie sie will, aber genau so gut könnte sie gegen den Hagel demonstrieren." Das neue Finanzgesetz, wie schon die Stationierung von Truppen im Innern und die Verhängung des nationalen Notstands, drücken in Wirklichkeit die Angst der Herrschenden vor neuen, unvermeidlichen sozialen Konflikten aus.

Die Wachstumsprognose für die italienische Wirtschaft wurde für das Jahr 2008 von ursprünglich 1,5 Prozent auf 0,4 Prozent nach unten korrigiert, und der Unternehmerverband Confindustria erwartete im Mai sogar ein Nullwachstum für 2008. Die weltweite Finanzkrise, der schwache US-Dollar und die verringerte Nachfrage nach Exportgütern am Weltmarkt haben Italiens Exporte gebremst.

Die Lebenshaltungskosten steigen dramatisch. Im Juli wurde laut Angaben des staatlichen italienischen Statistikinstituts Istat eine Inflationsrate von 4,1 Prozent verzeichnet. Besonders Preise für den täglichen Grundbedarf, d.h. vor allem für Nahrungsmittel (+6,4%), Wohnung inklusive Wasser und Strom (8,6%) und Transport (7,3%) sind überdurchschnittlich angestiegen. Der Brotpreis soll laut Zeitungsberichten in einem Jahr um 12 Prozent, der für Pasta sogar um 25 Prozent angestiegen sein.

Konsumentenschutzverbände gehen davon aus, dass italienische Familien jährlich 2.000 Euro mehr für Lebensmittel und Benzin ausgeben müssen, wobei allein für Strom, Gas und Benzin mit zusätzlichen Ausgaben von gut 700 Euro zu rechnen sei. Dabei stagnieren die Löhne und Gehälter der italienischen Arbeiter und Angestellten seit fast zehn Jahren und gehören zu den niedrigsten in Westeuropa. Nach Angaben der OECD von 2007 rangieren sie unter dreißig Ländern an 23. Stelle. Die so genannte prekäre Arbeit, d.h. ungesicherte, befristete und Gelegenheitsarbeit, ist stark im Vormarsch.

Die Unternehmer verweigern strikt jede Lohnerhöhung. Der italienische Unternehmerverband Confindustria fordert Steigerung der Produktivität durch Kostensenkung, was den Druck auf die Löhne noch mehr verstärkt. Fiat in Turin hat für September Kurzarbeit angekündigt und will die laufenden Zeitverträge kündigen.

Der Vorsitzende der italienischen Staatsbank, Mario Draghi, warnte vor Lohnerhöhungen: Keinesfalls dürfe man die "Fehler der Vergangenheit" wiederholen und den Inflationsanstieg, wie bei der Ölkrise von 1973, durch Lohn- und Gehaltserhöhungen ausgleichen.

Bankrott der ehemaligen KPI

Die wichtigste Stütze der Berlusconi-Regierung ist das völlige Fehlen einer prinzipiellen Alternative auf der Seite der Arbeiterklasse. Die aus der italienischen Kommunistischen Partei hervorgegangenen Partei Rifondazione Comunista ist an der letzten Parlamentswahl im April gescheitert.

Rifondazione, die Partei der "kommunistischen Neugründung", hatte innerhalb von nur zwei Jahren drei Viertel ihrer Wähler, alle ihre parlamentarischen Abgeordneten und so gut wie ihren gesamten Einfluss in der italienischen Arbeiterklasse verspielt. Der Grund war, dass sie an der bürgerlichen Prodi-Regierung teilgenommen und eine Politik mit getragen hatte, die sich in jedem Aspekt gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung richtete.

Auf ihrem jüngsten Parteikongress, dem VII. Kongress vom 24.-27. Juli in Chianciano in der italienischen Toskana, bewies Rifondazione auch dem letzten Arbeiter, dass im Kampf gegen Berlusconi mit ihr auf jeden Fall nicht zu rechnen ist: Viel zu sehr war und ist sie mit ihren inneren Querelen und Machtkämpfen beschäftigt.

In Chianciano lieferte sich die Parteiprominenz eine erbitterte Schlammschlacht um die Führung, wobei auf einer Seite die bisherigen Sekretäre Fausto Bertinotti und Franco Giordano mit ihrem Kandidaten, dem apulischen Regionalpräsidenten Nichi Vendola, auf der anderen Paolo Ferrero stand, der einzige Rifondazione-Politiker, der in der Regierung Prodi Minister war. Ferrero ging knapp als Sieger und neuer Parteisekretär hervor.

Die Presse feierte Ferreros Sieg als "Linksschwenk", weil er einen Zusammenschluss mit andern Parteien ablehnte und an Hammer und Sichel festhielt. Den Kommunismus als politisches Ziel hat Rifondazione jedoch längst aufgegeben: So ist für Nichi Vendola, einen bekennenden Katholiken, der Kommunismus ein "himmlisches Reich", für Paolo Ferrero ein "symbolisches Universum" ("universo simbolico").

Selbst Fragen wie Rassismus, Krieg und innere Aufrüstung kamen nicht zur Sprache. Über dem Gezänk und Postengeschacher gingen drängende Tagesfragen wie der Kampf gegen die soziale Polarisierung oder gegen die Angriffe der Berlusconi-Regierung auf elementare demokratische und soziale Grundrechte völlig unter.

Dies bestätigten sogar Kongressteilnehmern selbst. Marco Veruggio, ein ehemaliger Anhänger der Progetto-Comunista-Strömung, kommentierte: "Es wird zu wenig über das politische Projekt diskutiert. Alle sagen, man müsse Rifondazione retten, aber wenn ein prekär Beschäftigter oder ein Student zu unseren Kongressen käme, würde er sich fragen, warum Rifondazione eigentlich gerettet werden soll."

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