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Amerikas Krieg und Besatzung des Irak - Eine Gesellschaft wird liquidiert

Teil 1

Von Bill Van Auken
26. Mai 2007
aus dem englischen (19. Mai 2007)

Dies ist Teil 1 einer dreiteiligen Serie. Teil 2 und Teil 3 folgen in den kommenden Tagen

Während das Hauptinteresse der offiziellen Politik und der Medien in den USA sich auf verschiedene Vorschläge zur Verhinderung des drohenden Debakels im Irak richtet, findet die Katastrophe, unter der die irakische Bevölkerung leidet, und die inzwischen historische Ausmaße annimmt, kaum öffentliche Beachtung.

Es gibt keine genauen Zahlenangaben darüber, wie viele Iraker durch den Krieg und die Besatzung der USA ihr Leben verloren haben - sowohl bei der Invasion und der darauf folgenden bewaffneten Gewalt, wie auch durch Krankheit und Hunger, besonders von Jungen und Alten. Jede ernst zu nehmende Schätzung setzt die Zahl der zusätzlichen Toten jedoch bei mehreren Hunderttausend bis zu einer Million an.

Der Irak, der einst zu den am meisten entwickelten Ländern der Region gehörte, ist nach seinen wirtschaftlichen und sozialen Kennziffern auf das Niveau der ärmsten afrikanischen Länder südlich der Sahelzone gesunken.

Eine ganze Gesellschaft wird durch Entfesselung von Gewalt und Verbrechen systematisch zerstört. Dies geschieht in einem Ausmaß, wie es das nicht mehr gegeben hat, seit Hitlers Armeen Europa im Zweiten Weltkrieg verwüsteten.

Dieser Krieg hat auch für die amerikanische Gesellschaft tödliche Konsequenzen. Inzwischen sind mehr als 3.400 amerikanische Soldaten im Irak gefallen und alles weist darauf hin, dass die Zahl der Toten mit der "Truppenaufstockung" der Regierung Bush noch schneller ansteigen wird, da die Kampftruppen in dicht besiedelten und äußerst feindselig gestimmten Wohngebieten Bagdads eingesetzt werden sollen.

Weitere 30.000 amerikanische Truppenangehörige sind verwundet worden. Mit Sicherheit werden Hunderttausende bleibende psychische Schäden aus ihrem Einsatz in diesem schmutzigen Kolonialkrieg davontragen.

Nach Schätzungen beläuft sich die tägliche finanzielle Belastung für die amerikanische Wirtschaft auf über 300 Millionen Dollar und es werden Gesamtkosten von 2 Billionen Dollar prognostiziert.

Die Schäden, die dieser kriminelle Krieg an dem politischen, sozialen und auch dem moralischen Gesundheitszustand der amerikanischen Gesellschaft anrichtet, werden aber um vieles kostspieliger sein. Trotz der abgenutzten Propaganda über den "Antiterrorkrieg", den Kampf um "Demokratie" und die "Befreiung" des irakischen Volkes, ist der Irakkrieg als der gescheiterte Versuch des amerikanischen Finanzkapitals anzusehen, sich immer mehr zu bereichern, und seine globale Hegemonie durch den nackten Diebstahl des irakischen Ölreichtums zu verteidigen.

Alle Teile der herrschenden amerikanischen politischen und Wirtschaftselite, die gesamte Regierung auf allen Ebenen, beide große Parteien und die Massenmedien sind in ungeheuerliche Kriegsverbrechen verwickelt. Kriminalität auf einem solch hohen Niveau darf nicht ungesühnt bleiben, ansonsten hätte dies schwerwiegende Auswirkungen auf die Zukunft des amerikanischen Volkes und letztendlich der gesamten Menschheit.

In ihrer Konsequenz laufen die amerikanischen Aktivitäten im Irak auf einen Soziozid hinaus, d.h. auf die absichtliche und systematische Zerstörung einer ganzen Gesellschaft.

Mehrere Reportagen haben in der letzten Zeit das Ausmaß an Zerstörung, Tod und Unterdrückung erkennen lassen, die durch die Besetzung des Irak, die sich jetzt schon im fünften Jahr befindet, verursacht wurde.

Eine Besatzungsarmee mordet und foltert

Bedeutsam ist ein Bericht des Pentagon über den psychologischen Zustand der amerikanischen Besatzungstruppen, der Anfang des Monats heraus kam. Er ist ein aussagekräftiger Hinweis auf die Gewaltorgie, die von den amerikanischen Besatzungstruppen gegen das irakische Volk entfesselt wurde. Das Dokument zeichnet das erschütternde Portrait einer Armee, die unter wachsender Demoralisierung, sowie geistigem und emotionalem Zerfall leidet. Dies findet seinen Niederschlag in gefühlskalter Gleichgültigkeit, wenn nicht unverhülltem Hass gegenüber der irakischen Zivilbevölkerung.

Die Studie zeigt, dass die Mehrheit der Truppe der Meinung ist, dass irakische Zivilisten kein Recht hätten, "mit Achtung und Respekt" behandelt zu werden. Annähernd 10 Prozent geben zu, ohne Not Gewalt gegen Iraker angewendet zu haben, entweder indem sie sie misshandelten oder ihr privates Eigentum zerstörten.

Das vielleicht bedeutsamste Ergebnis der Studie ist die Aussage, dass 14 Prozent der amerikanischen Soldaten und Marines unmittelbar für den Tod eines "feindlichen Kämpfers" verantwortlich sind. Unter der Voraussetzung, dass sich derzeit 170.000 Soldaten im Irak befinden - und seit 2003 über 650.000 mindestens einmal im Irak im Einsatz waren - ergibt sich eine riesige Zahl von Tötungen, die unmittelbar von US-Soldaten ausgeführt worden sind.

Viele dieser Soldaten befinden sich sicherlich in ihrem zweiten oder dritten Irakeinsatz. Die Daten berücksichtigen auch nicht, ob bei den Vorfällen eine oder mehrere Personen getötet wurden. Noch weniger wurde berücksichtigt, dass bei Luftangriffen oder Bombardierungen von Artilleriestellungen mit vielen Opfern zu rechnen ist. Bei der Studie wurden auch nicht die Zehntausenden Opfer berücksichtigt, die von angeheuerten Söldnern getötet wurden. Söldner müssen sich weder vor der irakischen Justiz noch vor Militärgerichten verantworten.

Einen weiteren Hinweis auf die allgegenwärtige tödliche Gewalt, die das Land überrollt, gab eine Umfrage, die Anfang des Jahres von ABC News, USA Today, BBC und der deutschen ARD durchgeführt wurde, und bei der 53 Prozent der Iraker angaben, dass entweder nahe Freunde oder Verwandte getötet oder verwundet wurden.

Neben der ansteigenden Todesrate wurde auch eine steigende Zahl von Verschwundenen registriert, die inzwischen den Horror, der mit diesem Begriff seit den Diktaturen in Argentinien und Chile verbunden ist, bei weitem übertrifft. Irakische Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass 15.000 oder mehr Iraker vermisst werden, täglich kommen 40 bis 60 Verschwundene hinzu. Auf das Jahr umgerechnet ist demnach von 20.000 Menschen auszugehen.

Zweifellos wurden viele Menschen Opfer von Todesschwadronen, andere müssen der steigenden Zahl Verhafteter zugeordnet werden, die ohne Verfahren eingesperrt, und einer unbegrenzten Untersuchungshaft, und nicht selten der Folter unterworfen werden.

Das irakische Ministerium für Menschenrechte berichtete im März, dass beinahe 38.000 Festgenommene und Verhaftete von dem Regime festgehalten werden. Das US-Militär gibt 19.000 Verhaftete in den zwei wichtigsten Gefangenenlagern zu - in Camp Cropper und Camp Bucca. Schon diese Zahl beträgt beinahe das Sechsfache der Zahl der Gefängnisinsassen des Saddam-Regimes vor der amerikanischen "Befreiungs"-Invasion. Zweifellos wird diese Zahl stark ansteigen, wenn im Laufe der Maßnahmen der"Truppenaufstockung" viele weitere irakische Zivilisten ergriffen werden.

Millionenfache Vertreibung und Exil

Zusätzlich zu den Hunderttausenden Toten, die die Besatzung unter der irakischen Bevölkerung verursacht hat, ist auch die hohe Zahl von Flüchtlingen ein vergleichbar deutlicher Hinweis auf die katastrophalen Auswirkungen, die die Besatzung für die irakische Gesellschaft hat.

Schätzungsweise zwei Millionen Iraker sind aus ihrer Heimat geflohen, der größte Teil suchte Zuflucht in Syrien und Jordanien. Weitere 1,9 Millionen sind Vertriebene innerhalb des eigenen Landes.

Insgesamt sind 15 Prozent der Iraker auf der Flucht. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt, dass sich pro Woche zwischen 40.000 und 50.000 weitere Iraker auf die Flucht begeben. Viele von ihnen müssen ohne jede Hilfe in Zelten oder im Freien übernachten.

"Wir verließen Bagdad, weil die Lage äußerst schwierig ist. Wir wurden mit dem Tode bedroht und sie nahmen uns unsere Häuser und unsere Geschäfte weg", berichtete ein Mann, der vor Kurzem mit seiner Familie in Syrien ankam, dem UNHCR. "Begreifen sie die Lage dort - nichts als Tod und Zerstörung."

Die Vereinigten Staaten, die derart Zerstörung und Tod verbreiten, haben seit 2003 nur 701 irakische Flüchtlinge ins Land gelassen. Allein Syrien hat bis jetzt ungefähr 1,2 Millionen Vertriebene aufgenommen. Washington versucht, dieses massive Flüchtlingsdrama zu verschleiern und weigert sich, Verantwortung dafür zu übernehmen. Der Grund ist, dass es eine einzige Anklage gegen die soziale Katastrophe darstellt, die Washington im Irak angerichtet hat.

Das starke Anwachsen des Flüchtlingsstroms innerhalb des Landes hat immer hoffnungslosere und angespanntere Bedingungen im Süden des Landes erzeugt, wohin schätzungsweise 700.000 Menschen geflohen sind. Diese Vertriebenen kommen zu den Flüchtlingen aus den Südprovinzen hinzu, die sich in den Provinzen Nadschaf, Kerbela und Basra befinden. Die regionalen Verwaltungen und Hilfsorganisationen sind überlastet und nicht mehr in der Lage, diese riesige Menschenmasse mit Unterkünften, Nahrung und medizinischer Hilfe zu versorgen. Die Zentralregierung in Bagdad ist erwiesenermaßen unfähig, und auch nicht willens, auch nur die notwendigste Unterstützung zu gewähren.

"Täglich kommen Dutzende Familien in den Flüchtlingslagern an und können nicht mit dem Grundlegendsten, wie Nahrung oder medizinischer Hilfe, versorgt werden", erklärte im März Ali Fakhouri, Sprecher des Provinzrates von Nadschaf gegenüber IRIN, der Nachrichtenagentur der Koordinationsstelle für Menschenrechte der Vereinten Nationen. "Die letzten zwei Monate waren die schlimmsten für diese Familien. Die Hilfsmaßnahmen sind aus Sicherheitsgründen beträchtlich eingeschränkt worden, und weil es in den regionalen Krankenhäusern an Medikamenten fehlt und die Krankenhäuser nicht erreichbar sind, sind besonders Kinder stärker von Krankheiten bedroht. Sehr häufig sind Durchfallerkrankungen bei den Kindern der Flüchtlinge im Süden."

Höchster Anstieg der Kindersterblichkeit

Der vermutlich erschütterndste Bericht stammt vom Kinderschutzbund "Save the Children". Er dokumentiert weltweit die Entwicklung der Kindersterblichkeit, die allgemein als eine der aussagekräftigsten Kennziffern für gesellschaftlichen Fortschritt angesehen wird.

Nach diesem Bericht, verzeichnet der Irak unfassbare 150 Prozent Zunahme an Todesfällen bei Kindern von 1990 bis 2005. Grob geschätzt starben 122.000 irakische Kinder im Jahr 2005, die Hälfte davon waren Neugeborene. Die Sterbekennziffer betrug 125 gestorbene Kinder unter fünf Jahre auf 1.000 Lebendgeborene. 1990 waren es zum Vergleich 50. Wie das irakische Gesundheitsministerium angibt, haben sich die Verhältnisse noch verschlechtert und die Sterberate ist im Jahr 2006 auf 130 Todesfälle pro 1.000 Neugeborene angestiegen.

Die Jahre, über die "Save the Children" in der internationalen Studie berichtet, haben eine besondere Bedeutung für den Irak. Sie beginnen 1990 mit den von den USA eingeleiteten schweren Wirtschaftssanktionen und enden 2005, zwei Jahre nach der Invasion. Wie in den meisten bedeutsamen Kennziffern über die soziale Zerstörung des Irak spiegelt sich auch in den Statistiken über die Kindersterblichkeit die ein Jahrzehnt lang andauernde erbarmungslose wirtschaftliche Strangulierung des Landes wieder. In diesem Zeitraum fanden auch immer wieder militärische Angriffe statt. Die Statistiken zeigen aber auch die brutalen Zerstörungen während der folgenden Invasion und Besatzung.

Der riesige Anstieg der Kindersterblichkeit im Irak ist beispiellos. Selbst afrikanische Länder südlich der Sahelzone, in denen die AIDS-Epidemie am schlimmsten wütet, haben keinen derart grauenhaften Zusammenbruch erfahren.

Ein Hauptfaktor für die Kindersterblichkeit sind zweifellos die amerikanischen Militäroperationen. Bei so gut wie jedem Luftangriff und jeder Bombardierung von bewohnten Gebieten befinden sich Kinder unter den Opfern.

Von noch viel größerer Bedeutung ist jedoch der umfassende Zusammenbruch der irakischen Wasser- und Elektrizitätsversorgung und der Abwasserentsorgung, sowie des Gesundheitssystems, was dazu führt, dass die wichtigsten Todesursachen bei Kindern - Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, und vermeidbare Krankheiten wie Typhus und Hepatitis - nicht diagnostiziert und nicht behandelt werden können.

Die Vereinten Nationen haben allein seit 2006 über einen unvorstellbaren siebzigprozentigen Anstieg von Durchfallerkrankungen bei irakischen Kindern berichtet. Den höchsten Anstieg gab es in der Provinz Anbar, einem Zentrum des Widerstands gegen die US-Besatzung, das unter Dauerbelagerung der amerikanischen Streitkräfte lag. 60 Prozent der Bevölkerung der Provinz haben nur Zugang zu verunreinigtem Flusswasser.

Im ganzen Land hat weniger als ein Drittel der Bevölkerung sauberes Trinkwasser zur Verfügung und für nur 19 Prozent gibt es ein funktionierendes Abwassersystem. Sowohl das Trinkwasser- als auch das Abwassersystem wurden durch die amerikanischen Bombardierungen im ersten Golfkrieg 1991 und bei der Invasion 2003 schwer beschädigt. Nach dem Sturz der irakischen Regierung unternahmen die US-Streitkräfte nichts, um die Plünderung der nötigsten Ausrüstung von Wasseraufbereitungsanlagen und Pumpstationen zu verhindern. Wie überall, so war auch in diesem Bereich der "Wiederaufbau" ein katastrophaler Misserfolg.

Die Iraker werden im Durchschnitt täglich nur acht Stunden mit Strom versorgt. In Bagdad sind die Verhältnisse noch schlimmer. Dort gibt es für die Mehrzahl der sieben Millionen Einwohner nur eine maximal sechsstündige Stromversorgung.

Wird fortgesetzt

Siehe auch:
US-Senator John McCain erläutert die Interessen des amerikanischen Imperialismus im Irak
(19. April 2007)
Hunderttausende demonstrieren im Irak für das Ende der US-Besatzung
( 17. April 2007)