Krieg in Sri Lanka beunruhigt Indiens herrschende Klassen
Von Deepal Jayasekera
13. Juli 2007
aus dem Englischen (7. Juli 2007)
Die Ausweitung des Krieges der srilankischen Regierung gegen die Separatisten der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ruft in Neu Delhi wachsende Besorgnis über die Auswirkungen auf Indiens strategische Interessen hervor. Der Konflikt betrifft nicht nur Neu Delhis Beziehungen zu Colombo und birgt das Risiko von Unruhen in Indien selbst in sich, sondern bedroht auch Indiens Ambitionen, sich als vorherrschende Regionalmacht zu etablieren.
Der Nationale Sicherheitsberater Indiens, M.K. Narayanan, richtete am 31. Mai eine unverhüllte Drohung an Colombo, nicht Neu Delhis Interessen im Wege zu stehen. Nachdem die Regierung in Colombo Waffen von Indiens Hauptrivalen in der Region, China und Pakistan, erworben hatte, sagte er gegenüber Reportern: "Sri Lanka muss verstehen, dass Indien die tonangebende Macht in der Region ist, und davon Abstand nehmen, Waffen in Pakistan oder China zu kaufen. Wir sind im Rahmen unserer Außenpolitik bereit, ihnen entgegenzukommen."
Gleichzeitig bekräftigte Narayanan Indiens Widerstand, Sri Lanka mit offensiver militärischer Ausrüstung zu beliefern. Bezeichnenderweise machte er seine Bemerkungen nach einem Treffen im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu, wo sich zunehmend Unmut über Sri Lankas militärische Repressionen und die Verletzung von Menschenrechten der tamilischen Minderheit auf der Insel aufstaut. Narayanan warnte auch die Marine Sri Lankas davor, das Feuer auf indische Fischer in den Gewässern zwischen den beiden Ländern zu eröffnen.
Narayanans Bemerkungen provozierten scharfe Reaktionen aus Islamabad und Colombo. Ein Sprecher des Außenministeriums in Pakistan erklärte, dass "Pakistan keinerlei hegemoniale Ansprüche irgendeines Landes in der Region akzeptieren werde". Sri Lanka müsse selbst "über die Angelegenheit entscheiden". Die Regierung Sri Lankas bekräftigte zwar ihre engen Beziehungen mit Indien, aber die großen Zeitungen des Landes warnten Indien davor, die Rolle des "Tyrannen" zu übernehmen. Die rassistische singhalesische Partei Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), die die Regierung drängt, den Krieg gegen die LTTE zu verschärfen, erklärte, Indien solle "nicht wieder in eine Politik des schlechten Nachbarn verfallen".
Seit seiner Amtsübernahme im November 2005 hat Präsident Mahinda Rajapakse den von den Großmächten unterstützten so genannten Friedensprozess praktisch über Bord geworfen. Unter offener Verletzung des Waffenstillstandsabkommens von 2002 besetzte das Militär Gebiete der LTTE im Osten des Landes und bekräftigte sein Vorhaben, die nördlichen Stützpunkte der LTTE ebenfalls zu überrennen. Die Offensive des Militärs mit Bombardements durch Artillerie und Luftwaffe forderte Hunderte von Todesopfern unter der zivilen Bevölkerung und machte Hunderttausende weitere obdachlos. Währenddessen stehen die Sicherheitskräfte unter dringendem Verdacht, an der Ermordung oder dem "Verschwinden" von Hunderten Menschen, hauptsächlich Tamilen, beteiligt zu sein.
Der eskalierende Krieg in Sri Lanka hat Indien in eine Zwickmühle gebracht. Neu Delhi ist gegen das Vorhaben der LTTE, einen eigenständigen kapitalistischen Miniaturstaat im Nordosten von Sri Lanka zu errichten. Es befürchtet, dies werde separatistische Bewegungen in Indien, z.B. in Tamil Nadu, ermutigen. Indien hatte die LTTE 1991 als "Terrororganisation" verboten, nachdem Premierminister Rajiv Gandhi durch ein Selbstmordattentat ermordet worden war.
Gleichzeitig kann es sich Indiens UPA-Regierung nicht leisten, seine politischen Verbündeten in Tamil Nadu durch eine offene Unterstützung von Colombos rassistischem Krieg zu verprellen. Wegen der politischen Opposition in Tamil Nadu liegt ein Abkommen der beiden Länder über eine Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen seit 2003 auf Eis. Aus denselben politischen Gründen ist Indien nicht bereit, Offensivwaffen an Sri Lanka zu verkaufen.
Währenddessen ist die herrschende Klasse Indiens zutiefst über die chinesischen und pakistanischen Bemühungen beunruhigt, in Sri Lanka Fuß zu fassen. Pakistan ist durch den Verkauf von Mehrfach-Raketenwerfern, Panzern, Artillerie, und Infanteriewaffen zum größten Waffenlieferanten Colombos geworden. Von China hat Sri Lanka Munition und kleinere Waffen gekauft, wobei im letzten Monat zusätzlich hoch entwickelte Radarsysteme bestellt wurden. Zudem entwickelt Colombo mit China beachtliche Beziehungen im Bereich der Politik, des Handels und der Wirtschaft. China hat bereits mit der Realisierung eines 360 Millionen Dollar schweren Projekts für einen Tiefwasserhafen in der südlichen Stadt Hambantota begonnen. Dieses Projekt könnte China zu einer Marine-Präsenz im Indischen Ozean verhelfen.
Indiens enge wirtschaftlichen Beziehungen zu Sri Lanka gewannen im Jahre 2000 mit der Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens (Free Trade Agreement, FTA) zunehmend an Bedeutung. Jetzt ist Indien mit einem jährlichen Umsatz von 1,2 Milliarden US-Dollar Sri Lankas wichtigster Handelspartner und außerdem der viertgrößte Auslandsinvestor in Sri Lanka. Im Moment arbeiten Neu Delhi und Colombo daran, das FTA zu einem "Comprehensive Economic Partnership Agreement" (CEPA, Umfassendes wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen) auszubauen, das auch den Handel mit Dienstleistungen mit einbezieht und Investoren anlockt. Für Indien ist Sri Lanka das Testfeld für die Entwicklung seiner Wirtschaft durch ein südasiatisches Freihandelsabkommen in einem breiteren regionalen Umfeld.
Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat sich Indien aus dem Krieg in Sri Lanka herausgehalten, in der Hoffnung dass der internationale Friedensprozess den Konflikt beilegen wird. Als die Kämpfe erneut aufflammten, erwartete Neu Delhi ohne Zweifel von den imperialistischen Großmächten, insbesondere von den Vereinigten Staaten, die Regierung Rajapakse und die LTTE wieder zurück an den Verhandlungstisch zu bringen. Doch während die Bush-Regierung routinemäßige zu Friedensverhandlungen aufruft, unterstützt sie stillschweigend den wieder ausgebrochenen Krieg.
Washingtons wachsende Präsenz in Sri Lanka ist für Neu Delhi ein weiteres Problem. Seit 2000 haben sich die Regierungen Indiens bemüht, engere militärische, wirtschaftliche und politische Beziehungen zu den USA herzustellen. In der Zeit nach dem 11. September 2001 nutzten beide Länder den "Krieg gegen den Terror", um eine engere "strategische Partnerschaft" voranzutreiben. Während Neu Delhi die Allianz mit den Vereinigten Staaten als ein entscheidendes Mittel betrachtet, seinen Status als regionale Macht zu stärken, sieht es Washingtons Aktivitäten in Sri Lanka als Einmischung im eigenen Hinterhof an.
Ein Schritt zur ungezügelten Einmischung
Narayanans Warnungen an Sri Lanka, nicht gegen Indiens strategische Interessen zu handeln, widerspiegeln diese Bedenken und können das Vorspiel für eine direktere Rolle Neu Delhis sein. Eine Woche zuvor veröffentlichte eine einflussreiche indische Denkfabrik - das Institut für Studien und Analysen für Verteidigung (Institut for Defence Studies and Analyses, IDSA) - eine politische Einschätzung, die Neu Delhi empfiehlt, eine aktivere Haltung einzunehmen. Der IDSA-Bericht versicherte zwar, dass China und Pakistan "den Einfluss Indiens oder seinen Wirkungsraum in Sri Lanka nicht wesentlich reduziert haben", dennoch kommentiert er wie folgt:
"Die Vergabe von Explorationsrechten im Mannar Basin an China zur Erkundung von Ölvorkommen nur wenige Kilometer von Indiens Südspitze entfernt, sowie Berichte über Pakistans Bemühungen, die muslimische Bevölkerung Sri Lankas näher an sich heranzuziehen, haben auf verschiedenen Ebenen Besorgnis ausgelöst. Aber die indische Regierung hat bisher auf konkrete Schritte verzichtet, die eskalierenden ethnischen Konflikte in Sri Lanka zu lösen."
Das IDSA Papier vermerkt zudem, dass Bedenken über die wachsende Zahl von Flüchtlingen aus Sri Lanka "beginnen, sich auf die politische Landschaft von Tamil Nadu auszuwirken". Weiter heißt es: "Wenn die Situation in Sri Lanka sich weiter verschlechtert, könnte dadurch das politische Klima in den Provinzen beeinflusst werden, was die Zentralregierung in Zukunft dazu zwingen könnte, ihre Politik der beobachtenden Inaktivität zu überdenken."
Das IDSA erläutert einige Optionen für Indien, wie Druck auf die Regierung Sri Lankas auszuüben, sich der Rechte der tamilischen Minderheit anzunehmen, den "menschlichen Kosten des Kriegs" ein zu Ende zu setzen und den Friedensprozess wieder zu beleben. Der Report deutet an, dass jegliche Unterstützung für Colombos Krieg gegen die LTTE von der Bereitschaft der srilankischen Regierung abhängig gemacht werden müsse, "einer Machtteilung mit moderaten Elemente der Tamilen zuzustimmen".
Der eher bedächtige Ton der Empfehlungen des IDSA ist das Ergebnis vergangener Erfahrungen. In den frühen 1980er Jahren versorgte Neu Delhi die LTTE und andere tamilische Separatisten-Gruppen zynischerweise mit Nachschub und Waffen, um die große Unzufriedenheit in Tamil Nadu über den anti-tamilischen Pogromen in Sri Lanka zu beschwichtigen und die Regierung Sri Lankas zu zwingen, von allzu engen Beziehungen zu den USA Abstand zu nehmen. Als der Bürgerkrieg immer mehr außer Kontrolle geriet, unterzeichnete Indien das Indo-Lanka Abkommen von 1987 und entsandte "Friedenstruppen" in den Norden der Insel. Die militärische Intervention entwickelte sich zu einer Katastrophe, als Kämpfe mit der LTTE ausbrachen, die der indischen Armee Tausende Tote bescherten. Die "Friedenstruppen" wurden schließlich 1990 zu einem demütigenden Rückzug gezwungen.
Seitdem haben alle indischen Regierungen versucht, möglichst nicht direkt einzugreifen. Der sich verschärfende Krieg in Sri Lanka übt nun Druck auf Neu Delhi aus, diese Haltung aufzugeben. Narayanans Bemerkungen deuten an, dass sich in den politischen und militärischen Kreisen Indiens eine Debatte über die Politik der Zentralregierung gegenüber Sri Lanka entwickelt hat. Ein Artikel in der Times of India vom 6. Juni legt nahe, dass die gegenwärtige Strategie des "Nichts-Tun" unter Beschuss gerät. Bei einem hochkarätig besetzten Strategietreffen am 5. Juni unter der Leitung von Verteidigungsminister A.K. Antony, an dem auch Narayanan teilnahm, drängten die Führer der Streitkräfte auf eine Verstärkung der Militärhilfe für Sri Lanka.
Die Times of India berichtet, in militärischen Kreisen herrsche tiefe Besorgnis, dass China das politische und strategische Vakuum in Sri Lanka für sich nutzen könnte, sofern Indien nicht eingreift. Die Führungsriege des Verteidigungsministeriums führte dabei den Fall Myanmar (Burma) an, wo China in den 1990er Jahren enge Beziehungen knüpfte, während sich Indien von der Militärjunta des Landes distanzierte. "Wir könnten uns gezwungen sehen [im Falle Sri Lankas] eine strategische 180-Grad-Wendung zu vollführen, so wie wir es im Fall von Myanmar getan haben", so ein hoher Offizier gegenüber der Zeitung.
In einem Artikel des Magazins Outlook India vom 12 Juni mit der Überschrift "Widerwilliger Hegemon" erklärte der Analyst Ajai Sahni: "Indiens Verlegenheit ergibt sich hauptsächlich aus der Furcht vor den politischen Folgen, die eine unbedachte Unterstützung für Colombo im Krieg gegen die LTTE in Tamil Nadu haben könnte... Die Tatsache bleibt jedoch bestehen, dass der Druck lokaler Stimmungslagen und Sympathien mit Indiens strategischen Zielen und Kalkulationen abgewogen werden muss, ebenso wie mit Indiens gesunden Beziehungen zu Colombo".
Nach der Aufforderung an Neu Delhi, Druck auf Colombo auszuüben, um seine "offensichtlich diskriminierenden Aktionen" gegen die Tamilen zu beenden, schreibt Sahni weiter: "Die indische Haltung zur militärischen Unterstützung muss viel realistischer werden. Wenn Colombo der Versuchung widerstehen soll, chinesische und pakistanische Hilfe anzunehmen, dann muss es absolutes Vertrauen in Delhis Absichten und Möglichkeiten haben, seinen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Haarspaltereien über defensive und offensive Waffen haben nur einen geringen Stellenwert in der Realpolitik, die die Zukunft Südasiens und Indiens Platz darin bestimmen wird".
Momentan gibt es keine nennenswerten Anzeichen dafür, dass Indiens Regierung ihre Politik des "Nichts-Tun" überdacht hätte. Doch mit der Eskalation des Bürgerkriegs in Sri Lanka und seinem Widerhall in der ganzen Region, steigt der Druck auf Indien, einzugreifen, um die vitalen Interessen seiner herrschenden Klassen zu verteidigen. Dadurch wird die Insel im indischen Ozean zu einem Epizentrum weltumspannender Rivalitäten und Konflikte.