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Die Hinrichtung Saddam Husseins: Ein konfessionell geprägter Racheakt

Von Patrick Martin
6. Januar 2007
aus dem Englischen (3. Januar 2007)

Am vergangenen Wochenende wurde den arabischen Medien ein Video zugespielt, das die letzten Minuten im Leben von Saddam Hussein zeigt. Die letztlich weltweit ausgestrahlte Aufnahme belegt, dass es sich bei der Hinrichtung des irakischen Ex-Präsidenten um einen konfessionell geprägten Racheakt jener schiitischen Moslemgruppen handelte, die von den amerikanischen Besatzern an die Macht gebracht wurden.

Einer der Wachen oder der offiziellen Zeugen hat das Geschehen am Hinrichtungsort offenbar mit seinem Mobiltelefon aufgezeichnet. Zu hören und zu sehen sind die letzten Teile eines Wortwechsels zwischen Hussein und seinen vermummten Henkern. Vollstreckt wurde das Todesurteil scheinbar von Anhängern des radikalen schiitischen Klerikers Muktada al Sadr, dem Kopf der Mehdi-Armee, der mächtigsten Miliz im Lande.

Mehrere Henker und Zeugen begannen, den Namen des Schiitenführers zu rufen ("Muktada, Muktada, Muktada"), als sich die Schlinge um Husseins Hals legte. Hussein reagierte überrascht und gab dann verächtlich zurück: "Muktada? Verhalten sich so echte Männer?"

Andere Zuschauer riefen den Namen von Muktada al Sadrs Vater, eines Gründungsmitglieds der Dawa-Partei, die zur Regierung von Ministerpräsident Nuri al Maliki gehört. Einer rief: "Fahr zur Hölle". Hussein antwortete, die für seine Hinrichtung Verantwortlichen hätten einen "Galgen der Schande" errichtet.

Selbst Richter Munir Haddad, der die Todesstrafe bestätigt hatte, tadelte die dem konfessionellen Hass entsprungenen Ausfälligkeiten der schiitischen Wachen und rief ihnen zu: "Bitte nicht! Der Mann wird gleich sterben." Das Video endet dann mit den grausigen Bildern der sich öffnenden Falltür, von Husseins Fall und seinem pendelnden Körper mit gebrochenem Genick.

Alleine die Tatsache, dass unter den Wachen am Hinrichtungsort auch Anhänger der Mehdi-Armee waren und ungehindert Aufnahmen machen konnten, ist von außerordentlicher politischer Bedeutung. Hieran zeigt sich, in welchem Ausmaß das irakische Regime zum Werkzeug von Fraktionen geworden ist, die sich in dem religiös motivierten Konflikt im ganzen Land bekämpfen.

Seit fast einem Jahr werden sunnitische Muslime, Christen und weltlich orientierte Iraker von schiitischen Todesschwadronen gejagt, gefoltert und ermordet. Die meisten Gräueltaten beginnen damit, dass die Opfer von irakischen Polizisten und Soldaten mitgenommen werden, d.h. von eben jenen Kräften, die nach Aussagen der Bush-Regierung ausgebildet werden, um den "Terrorismus" zu bekämpfen.

Spätestens als die digitale Aufzeichnung am Montag im Irak sowie der ganzen arabischen und muslimischen Welt zirkulierte, hatte sich die Hinrichtung für die Maliki-Regierung und das US-Besatzungsregime zu einem politischen Debakel entwickelt. Tausende Sunniten versammelten sich in Tikrit, Mosul und anderen Städten der Provinz Anbar zu Protestdemonstrationen. In Samara, wo ein Bombenanschlag auf die Goldene Moschee der Schiiten im vergangenen Jahr kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen entzündet hatte, trugen die Sunniten zum Gedenken an Saddam Hussein einen Sarg durch die Straßen.

Die Maliki-Regierung ist bemüht, sich im Nachhinein von dem schiitischen Triumphgehabe zu distanzieren. Sie hat eine Untersuchung angeordnet, um aufzuklären, wie das Video am Hinrichtungsort gedreht werden konnte und wie es verbreitet wurde. Doch zumindest ein Augenzeuge, einer der Ankläger im Hussein-Prozess, behauptet, das Handy sei von einem hohen Regierungsvertreter und nicht von einem Wachhabenden mitgebracht worden. Die Aufzeichnung der letzten Auseinandersetzung zwischen den Wachen und Hussein habe zudem ganz ungeniert und offen stattgefunden.

Berichte in den US-Medien, die sich eingehender mit der Hinrichtung beschäftigen, räumen ein, dass sich diese für die Bush-Regierung als Schuss nach hinten erwiesen hat. In der New York Times vom Montag heißt es, das Weiße Haus könne sich kaum von der überstürzten Hinrichtung des Ex-Staatschefs distanzieren, weil diese in einer von den USA kontrollierten militärischen Einrichtung stattfand. Außerdem befand sich Hussein bis zur Übergabe an seine Henker in US-Gewahrsam.

Der entschiedene Kriegsbefürworter und Bagdader Büroleiter der Times John Burns schreibt, dass "die neuen schiitischen Herrscher des Irak [...] es offensichtlich darauf anlegen, die Hinrichtung und ihre Folgen in einen Albtraum für die sunnitische Minderheit zu verwandeln, die unter Hussein eine privilegierte Stellung eingenommen hatte".

Wie die Times berichtete, waren US-Vertreter im Irak "aufgebracht über die überstürzte nächtliche Hinrichtung". Sie sollen die Maliki-Regierung mehrfach gedrängt haben, die Hinrichtung ein paar Wochen aufzuschieben, um den Bestimmungen der irakischen Verfassung und Gesetze Genüge zu tun, die eine Bestätigung des Todesurteils durch den irakischen Präsidenten verlangen und Hinrichtungen während des Opferfestes, des höchsten muslimischen Feiertags, verbieten.

Der gewählte Zeitpunkt für die Hinrichtung war wohl der klarste Beweis dafür, dass es sich um einen konfessionell geprägten Racheakt handelte, denn für die Sunniten ist der Samstag der erste Tag des Opferfestes, während die Feierlichkeiten für die Schiiten erst am Sonntag beginnen. Ein staatlicher Vertreter erklärte auch tatsächlich, die schiitische Auffassung habe im ganzen Land Gesetzeskraft. Außerdem enthüllte die Times, dass die letzte Entscheidung über die Hinrichtung der schiitischen Geistlichkeit und nicht der gewählten Regierung überlassen worden war.

In der Times heißt es, die Maliki-Regierung habe die Einwände von US-Vertretern und sunnitischen Politikern gegen eine Hinrichtung am Samstag diskutiert, sei aber zum Schluss gekommen, die Entscheidung dem Rat der Ajatollahs in Nadschaf, der heiligen Stadt der Schiiten, und damit dem höchsten Organ der schiitischen Geistlichkeit zu überlassen. Der Times zufolge "gaben die Ajatollahs ihren Segen. Daraufhin wies Maliki den Justizminister am Freitag, wenige Minuten vor Mitternacht, in einem Brief an, die Hinrichtung durchzuführen."

Die Times schließt mit einer bemerkenswerten Feststellung: "Keiner der irakischen Regierungsvertreter konnte erklären", schreibt die Zeitung, " warum Maliki nicht bereit war, die Hinrichtung aufzuschieben. Auch konnte keiner erklären, warum die für ihre Durchführung Verantwortlichen zugelassen haben, dass sie in ein von konfessionellem Hass geprägtes Spektakel abglitt. In der Aufzeichnung erweckt daher der Massenmörder Hussein einen Eindruck von Würde und Beherrschung, während seine Henker, die als Schiiten zu den Opfern seines Regimes zählten, wie eine Bande ungehobelter Straßenjungs wirken."

Ein weiterer Artikel in der Times vom Montag bestätigte diese Darstellung mit einem Bericht über die Reaktion sunnitischer Araber in Bagdad: "Die verschwommenen Bilder vom grausamen Hinrichtungsspektakel sind die Quintessenz dessen, was sich auf den Straßen der Hauptstadt immer deutlicher abzeichnet: Die von Schiiten geführte Regierung, die unter der schützenden Hand Amerikas an die Macht kam, leitet den Staat unverhüllt im Interesse und im Namen der eigenen Konfessionszugehörigkeit."

Associated Press berichtete in einem Artikel, der sich mit der Reaktion der Sunniten auf die Hinrichtung befasste, dass unmittelbar im Anschluss daran das amerikanische Militär das Bagdader Büro eines prominenten sunnitischen Politikers stürmte und dabei sechs Iraker tötete: "Die gegenwärtigen sunnitischen Proteste scheinen zuzunehmen und könnten ein Zeichen für um sich greifende Gewaltbereitschaft sein."

Der kurdische Richter Risgar Mohammed Amin, der den ersten Prozess gegen Saddam Hussein geleitet hatte, bis er unter dem offiziellen Druck der schiitischen Regierungsparteien zurücktreten musste, verurteilte den Zeitpunkt und die Umstände der Hinrichtung. Amin verwies dabei insbesondere auf die klare gesetzliche Vorschrift, nach der "kein Urteil an staatlichen oder religiösen Feiertagen vollstreckt werden darf". Die Vorschrift war unter Hussein erlassen worden, ist aber immer noch in Kraft.

Die Handyaufzeichnung von Husseins Hinrichtung zeigt, wie es um die angeblich von Amerika gebrachte "Demokratie" im Irak wirklich bestellt ist. Die Invasion hat die Staatsstrukturen im Irak zerstört, soziale Spannungen verschärft und die konfessionellen Gegensätze zur Explosion gebracht, was Hunderttausenden das Leben kostet. Die andauernde amerikanische Besatzung hat nicht die "Freiheit" erblühen lassen, sondern buchstäblich zum Zerfall der irakischen Gesellschaft geführt.

Siehe auch:
Eine juristische Farce: Irakisches Gericht bestätigt Saddam Husseins Todesurteil
(29. Dezember 2006)
Pentagon-Bericht zeichnet schlimmes Bild von der Lage im Irak
( 23. Dezember)
US-Marionettenregime beginnt zweiten Schauprozess gegen Saddam Hussein
( 26. August 2006)