Forum Gleichheit diskutiert US-Kriegspläne gegen Iran
Von einem Korrespondenten
17. Februar 2007
"Wer die Geschehnisse der letzten Wochen verfolgt hat, kann nicht mehr daran zweifeln, dass sich die amerikanische Regierung ernsthaft auf einen Krieg gegen den Iran vorbereitet." Mit diesen Worten eröffnete Peter Schwarz, Mitglied der Redaktion der World Socialist Web Site, am Donnerstag seinen Beitrag auf einer gut besuchten Veranstaltung der Hochschulgruppe für Soziale Gleichheit an der Technischen Universität in Berlin. Im Rahmen des "Forum Gleichheit" fand eine rege Auseinandersetzung über die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran und den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung statt.
Versammlungsleiter Christoph Vandreier wies einleitend darauf hin, dass auf den Tag genau vor vier Jahren auf den Straßen Belins über eine Million gegen den bevorstehenden Irakkrieg demonstriert hatten. Auch in anderen Städten waren an diesem Tag Millionen auf die Straße gegangen. Es war die größte internationale Antikriegsdemonstration der Weltgeschichte. Um eine internationale Bewegung gegen Krieg aufzubauen, sei es unbedingt notwendig, die Lehren aus dem Scheitern der damaligen Friedensbewegung zu ziehen, betonte Vandreier.
Peter Schwarz ging als Hauptredner der Veranstaltung zunächst auf die Entwicklungen ein, die belegen, dass die Kriegspläne gegen den Iran weit fortgeschritten sind. "Nach dem Irakkrieg und der Katastrophe, die er angerichtet hat, erscheint dies zwar als heller Wahnsinn," sagte er. "Und es ist Wahnsinn. Trotzdem treibt die Bush-Administration die praktischen, politischen und propagandistischen Vorbereitungen auf einen Krieg gegen den Iran systematisch voran."
Schwarz nannte die Zurückweisung des Baker-Hamilton-Reports durch die Bush-Administration. Die Kommission unter Leitung des ehemaligen Außenministers und Freunds der Bush-Familie James Baker habe zwar kein Abbruch der Besatzung, aber eine langfristige Reduzierung der Truppen im Irak und die Einbeziehung Irans und Syriens in eine politische Lösung vorgeschlagen. Die Bush-Regierung habe die Truppen stattdessen aufgestockt, bereite eine neue Offensive in Afghanistan vor und habe mit der Entsendung eines zweiten Flugzeugträgers den größten Flottenverband seit Beginn des Irakkriegs im Persischen Golf konzentriert.
"Das ergibt nur Sinn als Vorbereitung eines Angriffs auf den Iran", sagte Schwarz. "Unterstützt durch Langstreckenbomber, die auf den amerikanischen Basen in Europa, dem Indischen Ozean und anderswo stationiert sind, verfügt das US-Militär damit über die Kapazität, den Iran rund um die Uhr mit Cruise-Missiles und Hunderten von Flugzeugen zu bombardieren."
Auch der mögliche Einsatz taktischer Atomwaffen sei bereits diskutiert worden. "Es wäre der erste Atombombeneinsatz seit der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkriegs."
Schwarz schilderte dann die Desinformationskampagne, mit der die Bush-Administration einen Militärschlag vorbereite und die stark an den Vorabend des Irakkriegs vor vier Jahren erinnere. So verbreite sie unbewiesene Behauptungen, die iranische Regierung würde den irakischen Widerstand bewaffnen und sei für den Tod amerikanischer Soldaten verantwortlich.
Washington habe auch eine rege Reisediplomatie gestartet, um die arabischen Regimes im Nahen Osten auf seine Seite zu bringen.
Schließlich zitierte er den ehemaligen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, der vor einem Senatsausschuss recht unverblümt davor gewarnt hatte, dass die Bush-Regierung zu Provokationen - eingeschlossen einen möglichen Terroranschlag in den USA - fähig sei, um einen Kriegsgrund zu fabrizieren.
"Der Bombenanschlag, der gestern in der iranischen Stadt Sahedan elf Elitesoldaten der Revolutionsgarden das Leben kostete, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden", sagte Schwarz. Die Verantwortung habe eine sunnitische Gruppe übernommen, die im Namen der Minderheit der Belutschen gegen das schiitische Regime in Teheran kämpfe. Man wisse aus mehreren Quellen, dass Washington Geld zur Unterstützung solcher Gruppen bereitgestellt habe. Ein solcher Anschlag könne ethische Spannungen im Iran schüren, einen Konflikt mit Pakistan provozieren (das von Teheran beschuldigt wird, sunnitischen Terroristen Unterschlupf zu gewähren) oder die iranische Regierung zu aggressiven Gegenmaßnahmen veranlassen, die den USA dann wiederum den Vorwand für eine weitere Eskalation lieferten.
Die Folgen eines Kriegs gegen den Iran wären in jeder Hinsicht verheerend, fuhr Schwarz fort. "Er würde Hunderttausenden - und im Fall des Atomwaffeneinsatzes Millionen - das Leben kosten. Er würde an den iranischen Grenzen nicht halt machen und die ganze Region in den Strudel ziehen. Die ethischen, religiösen und sonstigen Spannungen in der Region, die vom Imperialismus über Jahrzehnte hinweg geschürt wurden, würden wie ein Hexenkessel explodieren. Auch Russland, die europäischen und die asiatischen Mächte würden mit einbezogen, die alle über massive Interessen in der Region verfügen. Das Szenario erinnert mehr und mehr an den Vorabend des Ersten und des Zweiten Weltkriegs."
Ein solcher Krieg hätte auch innenpolitische Folgen in Europa und Amerika. Es gäbe massive Opposition - aber auch die Gefahr von Terroranschlägen. "Die Regierungen würden darauf reagieren, indem sie demokratische Rechte weitgehend außer Kraft setzen und halbdiktatorische Regimes errichten." Nur in diesem Zusammenhang könne man verstehen, weshalb Innenminister Wolfgang Schäuble mit solcher Besessenheit den Staat aufrüste.
"Weshalb verfolgt die Bush-Administration dieses wahnsinnige Projekt?" fragte Schwarz. "Als Marxisten ignorieren wir die Rolle des Individuums in der Geschichte nicht. Aber letztlich kann man derart einschneidende historische Ereignisse wie einen Krieg nicht einfach aus den individuellen Motiven und Interessen von Leuten wie Bush, Cheney und der sie umgebenden Clique verstehen. Hier sind grundlegendere Kräfte am Werk."
Bush und seine Clique seien der bösartigste Ausdruck der unlösbaren Krise eines Gesellschaftssystems, das sich historisch überlebt hat - des amerikanischen und des Weltkapitalismus. "Die modernen, globalen Produktivkräfte lassen sich nicht mit einem Gesellschaftssystem vereinbaren, das auf dem Nationalstaat beruht; der gesellschaftlich organisierte Produktionsprozess, der Millionen Individuen verbindet, nicht mit dem anarchischen Systems des Privateigentums und des Markts."
Die zunehmende Krise der Weltwirtschaft zwänge die Großmächte in einen gnadenlosen Konkurrenzkampf um billige Arbeitskräfte, Rohstoffe und Märkte, der letztlich mit militärischen Mitteln ausgetragen werde. Die USA versuchten, ihren ökonomischen Niedergang gegenüber den europäischen und asiatischen Rivalen mit militärischen Mitteln zu kompensieren und ihre Stellung als globale Hegemonialmacht zu verteidigen.
Das erkläre auch, weshalb es in der herrschenden Elite der USA zwar viel Kritik, aber keine ernsthafte Opposition gegen Bushs Kurs gebe. Die neue demokratische Mehrheit in Senat und Kongress, die ihren Wahlsieg der Opposition gegen den Irakkrieg verdanke, habe von vornherein kategorisch ausgeschlossen, Bush die Finanzmittel zu sperren oder ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn zu eröffnen. "Bush weiß, dass er letztlich auf ihre Unterstützung zählen kann."
"Die Demokraten vertreten dieselbe Oligarchie, dieselbe superreiche Oberschicht, wie die Republikaner", sagte Schwarz. "Diese parasitäre Schicht, die vielleicht ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, hat unbeschreibliche Reichtümer zusammengerafft, während die große Mehrheit in prekären Verhältnissen oder in offener Armut lebt. Eine derartige soziale Poarisierung verträgt sich nicht mit Demokratie. Allein schon die Angst, dass sie damit eine Volksbewegung auslösen könnten, die ihrer Kontrolle völlig entgleitet, hält die Demokraten davon ab, Bush ernsthaft entgegenzutreten."
Zur Rolle der deutschen und anderer europäischer Regierungen sagte Schwarz, sie verfolgten die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran zwar mit großem Unbehagen, weil massive wirtschaftliche und strategische Interessen auf dem Spiel stehen. "Während die USA den Iran seit der Revolution von 1979 boykottiert haben, sind die Europäer dort groß im Geschäft." Aber keine europäische Regierung sei bereit, Washington offen entgegenzutreten. Stattdessen machten sie gute Mine zum bösen Spiel, verfolgten eine Politik des Appeasements und würden die USA letztlich unterstützen, wenn es zum Krieg kommen sollte.
Das Verhalten von Angela Merkel sei in dieser Hinsicht typisch. "Öffentlich pflegt sie die Freundschaft mit Bush, demonstriert Harmonie, unterstützt die Sanktionen gegen Iran und äußert kein Wort der Kritik - obwohl die Bundesregierung bestens informiert ist, was gespielt wird. Hinter den Kulissen versucht sie, den USA entgegenzuwirken. So interpretiert zumindest der Spiegel ihre jüngste Nahostreise, auf der sie versucht haben soll, verschiedene arabische Regimes auf eine Politik des Dialogs statt der militärischen Konfrontation einzuschwören."
"Es ist offensichtlich, dass ein derart feiges Taktieren die Kriegspläne der Bush-Regierung nicht stoppen wird", folgerte Schwarz. Diese werde Merkels Haltung vielmehr nutzen, wie schon die von Deutschland unterstützten UN-Resolutionen vor dem Irakkrieg, um einen Militärschlag zu legitimieren.
Die deutsche Regierung fürchte eine Niederlage der USA im Nahen Osten weit mehr als einen Krieg gegen Iran, weil eine solche Niederlage den Imperialismus insgesamt schwächen würde. Sie wolle sich alle Optionen offen halten, an der möglichen Beute eines Krieges teilzuhaben. Und sie fürchte, offener Widerstand gegen Bush könnte eine Antikriegsbewegung ermutigen, die ihr schnell über den Kopf wachsen würde.
"Deutschland, Frankreich und Italien reagieren auf den aggressiven Militarismus der USA, indem sie selbst militärisch aufrüsten und eigene Truppen in den Nahen Osten schicken. Die Bundeswehr ist in Afghanistan, im Libanon und am Horn von Afrika aktiv und hat mit der Entsendung von sechs Tornadoflugzeugen in den Süden Afghanistans gerade den ersten Schritt unternommen, sich direkt an Kampfhandlungen zu beteiligen. Und auch hier geht der wachsende Militarismus mit einer intensiven Aufrüstung des Staatsapparats und sozialem Kahlschlag einher", erklärte Schwarz.
Zusammenfassend müsse man sagen, dass die Bundesregierung eine direkte Mitverantwortung für die kriminelle Politik der Bush-Administration trage.
Abschließend ging Schwarz auf die Frage ein, was aus der Anti-Kriegsbewegung vor vier Jahren geworden sei. Damals seien Millionen auf die Straße gegangen, doch heute rege sich scheinbar nichts.
Der Grund sei im Bankrott der Perspektiven und Organisationen zu suchen, die damals den Ton angegeben hätten. Sie hätten das Ziel verfolgt, die Bush-Administration mittels der UNO und der europäischen Regierungen unter Druck zu setzen.
Attac, das damals eine wichtige Rolle spielte, sei der Sozialdemokratie nahe gestanden. Viele führende Attac-Mitglieder hätten für Bundestagsabgeordnete der SPD und der Grünen gearbeitet. Inzwischen sei klar, dass die damalige rot-grüne Regierung trotz ihrer öffentlichen Ablehnung des Kriegs eng mit den USA kooperiert habe. So habe sie sich geweigert, die US-Basen in Deutschland für den Krieg zu sperren. Auch bei illegalen Entführungen habe sie die USA unterstützt, wie die Fälle Kurnaz und El-Masri zeigten.
Einige der damaligen Wortführer der Friedenbewegung seien heute selbst in Regierungsverantwortung eingetreten und unterstützten - wie Rifondazione Comunista in Italien - die Entsendung von Truppen in den Nahen Osten.
"Die Anti-Kriegsbewegung liegt am Boden, weil ihre Perspektiven bankrott sind", folgerte Schwarz. "Die Opposition der breiten Bevölkerung gegen den Krieg ist dagegen gewachsen, das zeigt sich am deutlichsten in den USA, und es existiert eine weit verbreitete soziale Wut und Unzufriedenheit."
Die wichtigste Aufgabe bestehe daher darin, diese weit verbreitete Opposition auf eine tragfähige politische Grundlage zu heben. "Dem amerikanischen Militarismus kann nur durch den Aufbau einer weltweiten, breiten unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse entgegengetreten werden, die sich gegen seine Wurzeln im kapitalistischen System richtet."
Eine solche Bewegung müsse für den sofortigen und bedingungslosen Rückzug aller US-Truppen aus Afghanistan und dem Irak, für den Rückzug der amerikanischen Kriegsarmada aus dem Persischen Golf und für die Auflösung des Netzwerks von Militärbasen, die das Pentagon im ganzen Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien geschaffen hat, eintreten. Sie müsse auch den Rückzug aller europäischen Truppen aus Irak, Afghanistan und dem Nahen Osten sowie die Schließung der US-Basen auf europäischem Boden verlangen.
Sie müsse für die Überführung der Kriegsindustrie in öffentliches Eigentum und für die Umwandlung ihrer Produktion für friedliche Zwecke eintreten. Und sie müsse die Umwidmung der gewaltigen Militärausgaben für soziale Zwecke sowie die Vergesellschaftung der Hauptprofiteure des Kriegs, der großen Ölkonzerne, verlangen.
Die WSWS, das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Partei für Soziale Gleichheit würden in den kommenden Wochen und Monaten ihre Kräfte dem Aufbau einer solchen Bewegung widmen. Schwarz wies in deisem Zusammenhang auf die Dringlichkeitskonferenz gegen die Kriege im Irak und Iran hin, die die International Students for Social Equality am 31. März und 1. April im amerikanischen Ann Arbor durchführen.
Im Anschluss an den Vortrag kam es zu einer lebhaften Diskussion.
Ein Student führte zahlreiche Gründe an, weshalb der Aufbau einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse gegen Krieg nicht möglich sei: Man könne die Leute nicht erreichen, sie seien nur mit sich selbst beschäftigt, die Bourgeoise verfüge über einen allmächtigen Propagandaapparat, usw.
Ihm wurde entgegnet, dass Millionen von Menschen bereit sind, gegen Krieg zu kämpfen, und vor Wut über die soziale Ungerechtigkeit kochen, dass es ihnen aber aufgrund des Bankrotts und des Verrats der alten Arbeiterorganisationen an einer tragfähigen Perspektive mangelt. Die Aufgabe bestehe darin, die unvermeidlichen kommenden sozialen Kämpfe politisch vorzubereiten.
Ein langjähriges Mitglied der Grünen, das die Partei wegen ihrer Unterstützung des Afghanistan-Kriegs verlassen hatte, wollte konkret wissen, wie Attac und die Grünen die Antikriegsbewegung in die Irre geführt hätten. Er wies auf den grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele hin, der im Gegensatz zur Parteiführung seine Antikriegshaltung stets bewahrt habe.
Im wurde geantwortet, dass gerade Ströbele eine Schlüsselrolle dabei gespielt habe, den Kurs der Grünen mit einem linken Deckmäntelchen zu kaschieren. Die Grünen seien in die Regierung geholt und mit dem Amt des Außenministers betraut worden, um den aus historischen Gründen weit verbreiteten Widerstand gegen die Umwandlung der Bundeswehr aus einer territorialen Verteidigungs- in eine internationale Interventionsarmee durchzusetzen. Nur eine Partei, die den Pazifismus in ihrem Programm verankert hatte, habe dies vermocht.
Ströbele habe dagegen opponiert, um den Widerstand aufzufangen, im entscheidenden Moment aber immer einen Deal ausgehandelt, der die Partei zusammenhielt und der Linie der Führung zum Durchbruch verhalf.
Der ehemalige Grüne schilderte dann selbst, wie Ströbele - als die rot-grüne Koalition beim Afghanistaneinsatz ihre Mehrheit zu verlieren drohte - eine Vereinbarung aushandelte, die es vier von acht oppositionellen grünen Abgeordneten erlaubte, gegen den Einsatz zu stimmen. So wurde der Schein der Opposition gewahrt und gleichzeitig eine Mehrheit für den Einsatz sichergestellt.