Rumsfelds Entlassung: Das erste Bauernopfer nach den Wahlen in den USA
Von der Redaktion
11. November 2006
aus dem Englischen (9. November 2006)
Der Rücktritt von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zeigt das Ausmaß der Krise, die nach den Zwischenwahlen vom 7. November nicht nur in der Bush-Regierung, sondern im gesamten politischen Establishment der USA ausgebrochen ist.
Mindestens 29 republikanische Abgeordnete wurden nicht wiedergewählt. Dadurch hat sich das Kräfteverhältnis im Repräsentantenhaus entscheidend zu Gunsten der Demokraten verschoben. Im Senat haben die Demokraten bereits jetzt 50 Sitze sicher, und ihr Kandidat für Virginia, Jim Webb, verfügt über einen leichten Vorsprung und dürfte seinen republikanischen Gegner aus dem Amt verdrängen. Damit hätten die Demokraten auch im Oberhaus des Kongresses die Mehrheit.
Das Wahlergebnis, das die überwältigende Ablehnung des Irakkriegs in der Bevölkerung widerspiegelt, hat die herrschenden Kreise von Politik und Medien zutiefst erschüttert. Bei einer Wahlbeteiligung von nur 40 Prozent, in der sich die Entfremdung der Bevölkerung vom offiziellen Politikbetrieb niederschlägt, ist selbst die erdrutschartige Niederlage der Republikaner nur als stark abgeschwächter Ausdruck der brodelnden Unzufriedenheit in ganz Amerika zu werten.
Die Demokratische Partei ist zwar die unmittelbare Nutznießerin dieser Ablehnung des Kriegs, aber sie hat solche Stimmungen weder vor der Wahl mobilisiert noch nach der Wahl begrüßt.
Auf der Pressekonferenz im Weißen Haus, auf der einen Tag nach den Wahlen der Rücktritt des Pentagonchefs bekannt gegeben wurde, sagte Bush: "Es stimmt, dass viele Amerikaner gestern Abend an der Wahlurne ihr Unbehagen über den mangelnden Fortschritt dort [im Irak] zu Protokoll gegeben haben." Aber er fügte sofort hinzu: "Doch die meisten Amerikaner und die Führer beider Parteien hier in Washington verstehen auch, dass wir keine Niederlage hinnehmen können."
Die Wahl vom Dienstag und die Umbildung von Bushs Kabinett wird nicht zum Ende des Kriegs im Irak führen. Vielmehr ist eine weitere Ausweitung des Blutvergießens zu erwarten.
Die Entlassung Rumsfelds, des Architekten der Invasion des Iraks, dient der Ausarbeitung eines neuen Konzepts, mit dem Demokraten und Republikaner gemeinsam den Krieg und die globalen militaristischen Unternehmungen der USA im Namen des "Kriegs gegen den Terror" fortführen können.
Bei der Zeremonie im Weißen Haus, auf der Bush Rumsfelds Rücktritt annahm und den Ex-CIA-Direktor Robert Gates als seinen Nachfolger vorstellte, ließ der Präsident keinen Zweifel an der unveränderten politischen Grundrichtung seiner Regierung.
"Amerika befindet sich weiterhin im Krieg", erklärte er. "Wir müssen in der Offensive bleiben und unsere Feinde zur Rechenschaft ziehen, bevor sie uns noch einmal schaden können."
Gates schloss sich dieser verqueren und verlogenen Begründung für unprovozierte Angriffskriege an. "Die Vereinigten Staaten stehen im Irak und in Afghanistan im Krieg", erklärte er. "Wir kämpfen weltweit gegen den Terrorismus."
In seinen Bemerkungen zur Nominierung von Gates lobte Bush den CIA-Karrierebeamten als jemanden, der "die Herausforderung versteht, vor der wir in Afghanistan stehen", weil er als Vize-Direktor der CIA unter Reagan "mitgeholfen hat, die sowjetischen Truppen aus Afghanistan zu vertreiben".
Mit anderen Worten, Gates gehört zu jenen Geheimdienstlern, die enge Beziehungen zu Osama bin Laden unterhielten, als der von der CIA angeheizte Krieg Afghanistan verwüstete. Er leistete auf diesem Wege einen Beitrag zur Entstehung eben jener islamistischen Terroristengruppen, die später den Anschlag vom 11. September verursachen sollten. Und ausgerechnet mit dieser Laufbahn begründet Bush nun Gates Eignung als Heerführer des "Kriegs gegen den Terror". Nichts könnte den Zynismus der amerikanischen herrschenden Elite greller beleuchten.
Gates Beziehungen zum Terrorismus beschränkten sich nicht auf bin Laden. Mitte der 1980er Jahre war er in das Netzwerk von Beauftragten des Weißen Hauses und CIA-Agenten eingebunden, die die Iran-Contra-Operation organisierten. Dabei wurde der Erlös aus geheimen Waffenlieferungen an den Iran benutzt, um entgegen geltendem Recht den Terrorkrieg der Contras gegen Nicaragua zu finanzieren. Ebenso war Gates in den 1980ern an verdeckten Aktivitäten beteiligt, das irakische Regime Saddam Husseins mit Waffen für den Krieg gegen den Iran zu beliefern.
Wenn eine solche Person als Garant einer "neuen Perspektive" für den Irak vorgestellt wird, dann werden hinter den Kulissen zweifellos noch schlimmere Verbrechen vorbereitet.
Die ersten Reaktionen auf den Wechsel von Rumsfeld zu Gates bestätigen diese Warnung. Senator John McCain aus Arizona, der Mann mit den besten Aussichten auf die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei 2008, berief umgehend eine Pressekonferenz ein, um die Umsetzung zu begrüßen.
McCain bezeichnete die Ernennung von Gates als Gelegenheit, "die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren". Washington müsse überlegen, "ob wir wirklich genügend Soldaten im Irak haben, um das Maß an Sicherheit zu gewährleisten, das unabdingbar ist, um den Aufstand zu besiegen". Er werde mit Gates "darüber sprechen, dass die Armee und das Marine Corps unbedingt aufgestockt werden müssen".
Die Ernennung des neuen Verteidigungsministers, schloss McCain, biete "die Chance für eine stärker überparteilich ausgerichtete Irakpolitik - damit alle Republikaner und Demokraten guten Willens für den Sieg zusammenarbeiten".
McCain sagte, die USA müssten den radikalen schiitischen Kleriker Moktada al-Sadr "aus dem Spiel nehmen". Dies ist die Umschreibung für einen brutalen Angriff nicht nur auf al-Sadrs Milizen, sondern auf die arme schiitische Bevölkerung in Bagdad, die der US-Besatzung mit zunehmender Ablehnung begegnet.
McCains Prognose, dass Gates Ernennung die "überparteiliche Zusammenarbeit" erleichtern werde, hat sich schnell bestätigt. Der Führer der Demokraten im Senat, Harry Reid aus Nevada, erklärte: "Mit der Annahme des Rücktritts des Verteidigungsministers hat Präsident Bush einen Schritt in die richtige Richtung getan."
Der New Yorker Senator Charles Schumer, der den Wahlkampf der Senats-Demokraten geleitet hatte, äußerte sich ähnlich. "Die Nominierung eines neuen Verteidigungsministers ist ein guter erster Schritt, und ich hoffe, dass er ein Zeichen für die Bereitschaft des Präsidenten ist, im Irak neue Wege zu gehen."
Dieses Lob für Bushs Maßnahme folgte einer Reihe von Erklärungen führender Demokraten, die ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Bush-Regierung beteuerten. Die künftige Demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, versprach einen Kurs "der Partnerschaft mit dem Präsidenten und den Republikanern im Kongress anstelle von Parteiegoismus".
Gates ist Mitglied der Iraq Study Group, einem überparteilichen Experten-Gremium unter Führung des ehemaligen republikanischen Außenministers James Baker und des ehemaligen Führers der Demokraten im Kongress, Lee Hamilton. Dieses Gremium wird in Kürze seine Empfehlungen veröffentlichen, wie die USA sich aus dem militärischen und politischen Debakel im Irak befreien könnten. Es wird allgemein erwartet, dass es eine "realistischere" Sichtweise einfordern wird. In diesem Fall würde die Prahlerei Washingtons über die Einführung der Demokratie im Irak sang- und klanglos zu Gunsten einer offenen Militärdiktatur ad acta gelegt.
Beide Parteien unterstützen weiterhin einhellig den Krieg, und die Krise des Zwei-Parteien-Systems nimmt zu. Das Ergebnis der Wahlen vom Dienstag ist kein Mandat der Bevölkerung für die Demokraten, sondern eine Ablehnung der Politik der Bush-Regierung, die von den Demokraten unterstützt wurde. Das Wahlergebnis ist Ausdruck einer wachsenden Opposition in der Bevölkerung gegen das gesamte politische Establishment.
Die Ablehnung des Kriegs an der Wahlurne ist umso bemerkenswerter, als sowohl die Demokratische Partei wie auch die Medien versucht haben, solche Stimmungen zu unterdrücken.
Die Demokraten haben Bush 2002 im Kongress die Mehrheit verschafft, die er für seinen Angriffskrieg brauchte, und sie stimmen bis heute der Finanzierung der Besatzung im Umfang von zwei Milliarden Dollar pro Woche zu. Auch die Angriffe auf demokratische Rechte, wie sie im Patriot Act und dem Gesetz für Militärkommissionen (militärische Sondergerichte) enthalten sind, haben die Zustimmung der Demokraten gefunden.
Unter diesen Bedingungen ist die Entlassung von Rumsfeld kaum mehr als eine Showveranstaltung. Jegliche Erwartungen, dass ein solcher Personalwechsel oder die Mehrheit der Demokraten im Kongress das Ende des Krieges näher bringen werde, sind völlig fehl am Platze.
Die Opposition der Bevölkerung gegen den Krieg, die in der Wahl zum Ausdruck kam, richtet sich nicht gegen die unprofessionelle Art der Kriegsführung, sondern die Menschen sprechen dem Krieg als solchem die Berechtigung ab. Die Mehrheit will den Krieg beenden, weil sie ihn für falsch und unnötig hält.
Die herrschende Elite, die in beiden Parteien den Ton angibt, macht sich aus genau dem entgegengesetzten Grund Sorgen über den Irak. Für sie ist ein "Erfolg" im Irak unverzichtbar. Es geht ihr dabei nicht nur um die Ausbeutung der Ölreserven des Landes, sondern um die Hegemonie des US-Imperialismus weltweit.
Bei allen taktischen Differenzen der Demokraten mit der Bush-Regierung in der Irakpolitik kann man mit Gewissheit vorhersagen, dass die Demokraten einer Ausweitung des Blutbads unter dem irakischen Volk keine Steine in den Weg legen werden. Kein führender Demokratischer Politiker protestierte gegen die brutale Belagerung von Falludscha unmittelbar nach der Wahl 2004. Auch wenn das Pentagon in Kürze die lang erwartete Offensive gegen die schiitischen Slums von Sadr City in Bagdad eröffnet, werden die Demokraten ihre Unterstützung nicht verweigern.
Zwei Probleme sind es, die in den herrschenden Kreisen der USA für Unruhe sorgen. Das erste ist die verzweifelte Lage im Irak. Das zweite liegt geografisch näher - es ist die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten selbst. Die Wahlen machen deutlich, dass der Politik- und Medienapparat, mit dem das Establishment die öffentliche Meinung manipuliert, versagt hat. Mit einer derartigen Ablehnung der Regierungspolitik an der Wahlurne haben die allermeisten Medien nicht gerechnet. Sie konnten auch nichts dagegen tun.
Die große Gefahr besteht nun darin, dass die Massen von Menschen, die der Bush-Regierung eine Wahlschlappe beigebracht haben, keine wirkliche politische Alternative sehen. Das verschafft der Regierung Zeit, neue Methoden auszuarbeiten, wie sie den Militarismus im Ausland und die Angriffe auf demokratische Rechte und soziale Bedingungen im Inland weiter betreiben kann.
Obwohl Bushs Weißes Haus nun über die Vorzüge der Überparteilichkeit schwadroniert, ist durchaus erkennbar, dass es seine Ziele notfalls auch mit ganz anderen Mitteln durchsetzen würde. Am Vorabend der Wahl erklärte Vizepräsident Dick Cheney, dass der Irakkrieg "ja unpopulär sein mag. Aber was solls." Die Regierung werde ihren Kurs "mit voller Kraft Richtung Sieg" weiterführen, egal, was das Volk denkt.
In ähnlichem Sinn zitierte die Los Angeles Times Grover Norquist, einen Steuersenkungsfanatiker und engen Berater des Weißen Hauses. Er sagte, Bush "wird jetzt hauptsächlich auf dem Verordnungswege regieren, anstatt mit dem Kongress Gesetze auszuhandeln".
Wenn der Widerstand der Bevölkerung ihrer Politik in den Weg gerät, dann ist die Regierung Bush bereit, diktatorische Methoden anzuwenden, bis hin zu polizeistaatlicher Unterdrückung.
Die Wahlen haben diese Regierung auf offenen Kollisionskurs mit der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in Amerika gebracht. Die Stimmengewinne der Demokraten werden diesen Prozess nicht aufhalten, sondern eher beschleunigen.
Die Socialist Equality Party hat bei den Zwischenwahlen ein Programm vertreten, das den sofortigen und bedingungslosen Rückzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak verlangt, weil nur so das Blutvergießen beendet werden kann.
Die SEP fordert außerdem, dass alle Verantwortlichen für diesen illegalen Krieg - darunter Bush, Cheney und Rumsfeld - politisch und juristisch zur Verantwortung gezogen werden.
Die Demokratische Partei hat nicht die Absicht, solche Anklagen zu erheben. In ihrer Erklärung vom Mittwoch wiederholte die künftige Sprecherin des Repräsentantenhauses Pelosi ihr Versprechen, dass "ein Amtsenthebungsverfahren vom Tisch ist". Sie gibt diesen Treueschwur ab, noch bevor in irgendeiner Weise untersucht worden ist, ob das Verhalten der Bush-Regierung Anlass zu einem Amtsenthebungsverfahren bietet. Und dies, obwohl sich die Bush-Administration so vieler Verstöße gegen die US-Verfassung und das amerikanische Volk schuldig gemacht hat, wie keine Regierung vor ihr.
Die Politik der Demokraten unmittelbar nach ihrem Kantersieg hat die zentrale politische Perspektive der SEP in diesem Wahlkampf bestätigt: Die einzige Möglichkeit, gegen imperialistischen Krieg, gegen soziale Ungleichheit und gegen Angriffe auf demokratische Rechte anzugehen, ist der Aufbau einer unabhängigen sozialistischen Massenbewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen das kapitalistische Zwei-Parteien-System richtet.