Frankreich:
Die Volksfront von 1936 - Historische Lehren für den Kampf gegen den Ersteinstellungsvertrag
Von Peter Schwarz
24. März 2006
Die Auseinandersetzung über den Ersteinstellungsertrag CPE hat sich zu einer offenen Konfrontation zwischen der Regierung Villepin-Chirac und breiten Teilen der französischen Gesellschaft entwickelt. Auf der einen Seite steht die Regierung, unterstützt von den Unternehmerverbänden, auf der anderen die Jugend, ihre Eltern und die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung.
Längst geht es um Grundsätzliches. Die Jugendlichen, die Tag für Tag auf die Straße gehen und ihre Universitäten und Schulen besetzen, weigern sich, zur Verfügungsmasse wirtschaftlicher Interessen zu werden. Sie verlangen einen Platz in der Gesellschaft und wenigstens die soziale Sicherheit, die ihre Väter genossen haben. Das ist nicht viel - aber entschieden zuviel für eine Regierung, die jeden Aspekt des gesellschaftlichen Lebens dem Profitprinzip unterordnet.
Aus eben diesem Grund weigert sich Premier Dominique de Villepin strikt nachzugeben. "Wenn das Gesetz zurückgezogen wird, können wir uns für die nächsten zehn Jahre von Reformen verabschieden, das wäre ein fürchterliches Signal", fasste ein Wirtschaftsvertreter nach einem Treffen mit dem Premierminister die Haltung der herrschenden Eliten zusammen.
Wie so oft zuvor in der Geschichte werden in Frankreich Fragen ausgefochten, die ganz Europa, ja die ganze Welt betreffen. Hinter der Regierung stehen nicht nur die französischen Unternehmerverbände, sondern auch die Vertreter der internationalen Konzerne und die EU-Behörden in Brüssel. Sie alle beharren darauf, dass die sozialen Errungenschaften früherer Jahren im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit beseitigt werden müssen. Und ebenso wie in Frankreich reagiert die Arbeiterklasse in Deutschland, Italien und dem restlichen Europa mit erbittertem Widerstand auf den pausenlosen Abbau sozialer Standards und Rechte.
Diese grundsätzliche Bedeutung des Konflikts schließt jede Kompromisslösung aus. Trotz des wachsenden Drucks bekräftigt der Premierminister täglich seine Entschlossenheit, hart zu bleiben. Am Dienstag beteuerte er vor der Parlamentsfraktion der gaullistischen UMP, er werde sich "weder den Ultimaten noch der Erpressung" beugen. Die Polizei geht mit zunehmender Härte gegen die Proteste vor.
Will die Bewegung gegen den CPE Erfolg zu haben, muss sie die gaullistische Regierung zu Fall bringen. An der nötigen Kampfbereitschaft und Energie dazu mangelt es nicht, in dieser Hinsicht befindet sich die Regierung eindeutig in der Defensive. Was dagegen fehlt, ist politische Erfahrung und Orientierung.
In den letzten siebzig Jahren stand die französische Arbeiterklasse zwei Mal kurz davor, die bürgerliche Herrschaft zu stürzen und selbst die Macht zu übernehmen - 1936 und 1968. Beide Male scheiterte sie an der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei, die gewaltige Massenbewegungen lähmten und in eine Sackgasse führten. 1936 erfüllte die Volksfrontregierung unter Léon Blum diese Aufgabe, 1968 die KPF-dominierte Gewerkschaft CGT.
In beiden Fällen waren die Folgen der Niederlage verheerend. 1936 verhalf die Volksfrontregierung dem Bürgertum zurück an die Macht, sabotierte die spanische Revolution und ebnete so den Weg für den Zweiten Weltkrieg und das Vichy-Regime. 1968 würgte die CGT den Generalstreik ab und festigte so die Herrschaft der Bourgeoisie, die in den folgenden Jahren zur Gegenoffensive überging.
Spätestens seit Anfang der achtziger Jahre stagniert und sinkt der Lebensstandard der Arbeiterklasse, während die Zahl der Arbeitslosen und prekären Arbeitsverhältnisse steigt. Die meiste Zeit über geschah dies unter sozialistischer und kommunistischer Verantwortung - von 1981 bis 1995 unter Präsident François Mitterrand und von 1997 bis 2002 unter Premierminister Lionel Jospin. Es wäre absurd anzunehmen, dass diese Parteien, die sich als treue Sachwalter des französischen Kapitalismus bewährt haben, nun plötzlich die Interessen der Arbeiter vertreten.
Ohne die Lehren aus diesen Erfahrungen zu ziehen, kann die Regierung Villepin nicht besiegt werden. Dieser Artikel befasst sich mit der Volksfront von 1936. Der Einfluss der Sozialdemokraten, der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaften ist zwar heute ungleich geringer als damals, doch sie setzen auch jetzt wieder alles daran, die Massenbewegung im Zaum zu halten und zu verhindern, dass sie die Regierung und die bürgerliche Herrschaft in Gefahr bringt.
Unterstützt werden sie dabei von der so genannten "extremen Linken", die in Wirklichkeit weder links noch extrem ist. Während Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), Lutte Ouvrière (LO) und Parti des Travailleurs (PT) sich verbal an die radikale Stimmung der Jugend anpassen, tun sie in der Praxis alles, um die Bewegung ins Fahrwasser der alten bürokratischen Organisationen zu lenken und deren Autorität zu wahren. Vor allem Olivier Besancenot von der LCR propagiert ständig die "Einheit der gesamten Linken, von Lutte Ouvrière bis zur Sozialistischen Partei".
Wir appellieren insbesondere an die Jugendlichen, die ihre ersten politischen Erfahrungen machen, sich den Lehren aus der Geschichte zuzuwenden. Es reicht nicht aus, gegen den CPE zu protestieren. Man muss auch wissen, wie man dem lähmenden Einfluss der alten bürokratischen Apparate und ihrer Verteidiger entgegentritt. Neben dem Willen zu kämpfen braucht man eine politische Strategie.
Die LCR stiftet in dieser Hinsicht enorme Verwirrung. Sie beruft sich auf das politische Vermächtnis Leo Trotzkis, doch ihre eigene Politik steht in diametralem Gegensatz zu dieser Tradition. Kaum jemand, der in jüngster Zeit für Olivier Besancenot gestimmt oder der LCR beigetreten ist, dürfte davon gehört haben, dass Trotzki in den 1930er Jahren ein entschiedener Gegner der Volksfront war und für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse eintrat.
Die Volksfrontregierung von 1936
Wie andere europäische Länder auch war Frankreich in den 1930er Jahren von heftigen sozialen Spannungen und Klassenkämpfen geprägt. Im Januar 1933 hatte Hitler in Deutschland die Macht übernommen. Ein Jahr später, im Februar 1934, brachte der Aufmarsch einiger tausend Faschisten und Royalisten die französische Regierung zu Fall. Der Sturz von Premierminister Edouard Daladier war nicht so sehr das Ergebnis der Stärke der Faschisten als des inneren Zerfalls seiner Radikalen Partei, der ältesten bürgerlichen Partei Frankreichs.
Daladier wurde durch Gaston Doumergue abgelöst, dessen halbdiktatorisches Regime auf den erbitterten Widerstand der Arbeiterklasse stieß. Die Kommunistische Partei reagierte auf die wachsende Militanz der Arbeiter, indem sie mit den Sozialdemokraten und den Radikalen verbündeten und eine Volksfront bildete.
In Deutschland hatte sich die Kommunistische Partei zuvor noch geweigert, sich mit den Sozialdemokraten zu einer Einheitsfront zusammenzutun, um die faschistische Gefahr abzuwehren. Die Trotzkisten, die für eine solche Einheitsfront eintraten, wurden von den Stalinisten erbittert verfolgt. Die Spaltung der deutschen Arbeiterklasse ermöglichte schließlich Hitler die Übernahme der Regierungsmacht.
Doch nun verbündeten sich die Stalinisten in Frankreich nicht nur mit den Sozialdemokraten, sondern auch mit den bürgerlichen Radikalen. Sie ordneten ihr Programm deren Interessen unter und verzichteten auf alle Forderungen, die ihre neuen Bündnispartner im bürgerlichen Lager hätten abschrecken können.
Die Stalinisten stellten die Volksfront als Bündnis der Arbeiterklasse und der Mittelklasse gegen die faschistische Gefahr dar. In Wirklichkeit entsprang sie einem Kurswechsel der Moskauer Außenpolitik. Nach der von ihr selbst verschuldeten Niederlage des deutschen Proletariats setzte die stalinistische Bürokratie bei der Verteidigung der Sowjetunion auf ein Bündnis mit der Bourgeoisie der "demokratischen" imperialistischen Länder. Sie wies die Kommunistischen Parteien an, alles zu unterlassen, was deren Herrschaft hätte destabilisieren können. Die Volksfront war, wie Trotzki schrieb, "eine Versicherungsgesellschaft gegen den Bankrott der Radikalen auf Kosten des Kapitals der Arbeiterorganisationen".
Die Radikale Partei verteidigte, trotz ihrer kleinbürgerlichen Wählerschaft, die Interessen der Großbourgeoisie. Sie diente dazu, das Kleinbürgertum vor den Karren des französischen Imperialismus zu spannen. "Das Bündnis mit der radikalen Partei", so Trotzki, "ist folglich nicht ein Bündnis mit dem Kleinbürgertum, sondern mit dessen Ausbeutern. Ein wirkliches Bündnis zwischen Arbeiter und Bauer ist nur möglich, wenn man das Kleinbürgertum lehrt, wie es sich von der Radikalen Partei befreien, wie es ihr Joch ein für allemal abschütteln kann. Die Volksfront jedoch handelt in direkt entgegengesetztem Sinne. Durch ihren Eintritt in diese Front nahmen Sozialisten und Kommunisten die Verantwortung für die Radikale Partei auf sich und halfen ihr so, die Volksmassen auszubeuten und zu betrügen."
Um die Radikalen nicht abzuschrecken, widersetzten sich die Stalinisten den Forderungen und Kämpfen der Arbeiter. "Während die Massen mit dem Stimmzettel und durch ihren Kampf die Partei der Radikalen stürzen wollen", schrieb Trotzki an anderer Stelle, "sind die Führer der Einheitsfront im Gegenteil bestrebt, sie zu retten. Nachdem die Führer der Arbeiterparteien auf Grund eines sozialistischen Programms das Vertrauen der Arbeitermassen gewonnen haben, treten sie danach freiwillig den Löwenanteil dieses Vertrauens an die Radikalen ab, zu denen die Arbeitermassen selber überhaupt kein Vertrauen haben."
Im Mai 1936 gewann die Volksfront die Parlamentswahlen und der Sozialdemokrat Léon Blum bildete gemeinsam mit den Radikalen eine Regierung, die von den Stalinisten unterstützt wurde. Ermutigt durch den Wahlsieg der Volksfront ging die Arbeiterklasse zu Streiks und Betriebsbesetzungen über, die sich wie ein Lauffeuer ausbreiteten und in einen Generalstreik mit zweieinhalb Millionen Teilnehmern mündeten. Frankreich stand am Rande der Revolution.
Die Stalinisten, die selbst vom Streik überrascht worden waren, übernahmen nun in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die Aufgabe, die Kämpfe unter Kontrolle zu bringen, die Arbeiter aus den besetzten Betrieben herauszuholen, die revolutionäre Lage zu entschärfen und die Autorität der Regierung Blum wieder herzustellen. KPF-Führer Maurice Thorez prägte damals denn Satz: "Man muss wissen, wann es Zeit ist, einen Streik abzubrechen."
Die Bourgeoisie erkaufte den Abbruch des Streiks mit weitgehenden Zugeständnissen: Lohnerhöhungen, 40-Stunden-Woche und bezahlter Urlaub. Aber diese Errungenschaften waren von kurzer Dauer. Nachdem die Bourgeoisie wieder fest im Sattel saß, wurden sie zurückgenommen.
Mit dem Ende des Generalstreiks verlor die Regierung Blum ihren Nutzen für die herrschende Klasse. Viele Arbeiter, deren Erwartungen sie enttäuscht hatte, wandten sich von ihr ab. Im Juni 1937 wurden die Radikalen wieder zur größten parlamentarischen Partei und stellten mit einer kurzen Unterbrechung bis zum Ende der Dritten Republik den Regierungschef. Es kam zwar weiterhin zu Streiks und Auseinandersetzungen und im Frühjahr 1938 kehrte Blum sogar für kurze Zeit an die Spitze der Regierung zurück. Doch im Allgemeinen ging die Entwicklung immer weiter nach rechts.
Daladier, einst das linke Aushängeschild der Radikalen und deren wichtigster Vertreter in der Volksfront, ging mit diktatorischen Mitteln gegen die Arbeiter vor, dekretierte Lohnsenkungen und verbot 1939, nach dem Hitler-Stalin-Pakt, die Kommunistische Partei. Nach dem deutschen Einmarsch stellte sich dann ein beträchtlicher Teil der französischen Bourgeoisie hinter das Vichy-Regime und kollaborierte mit den Nazis. Die Volksfront hatte die Arbeiter gelähmt und demoralisiert und die bürgerliche Reaktion politisch gestärkt.
Trotzkis Kampf gegen die Volksfront
Leo Trotzi, der zwischen 1933 und 1935 in Frankreich lebte, verfolgte die Ereignisse aus der Nähe und bemühte sich, sie zu beeinflussen. Auch danach, im norwegischen Exil, nahm er regen Anteil an der Entwicklung in Frankreich und stand in enger Verbindung zu seinen französischen Gesinnungsgenossen.
Trotzki lehnte die Politik der Volksfront ab, aber er ignorierte das Streben der kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiter nach Einheit keineswegs. Beide Parteien verfügten damals noch über eine große Anhängerschaft. Trotzki war bemüht, Mittel und Wege zu finden, die diesem Streben eine unabhängige Richtung geben, die es vom lähmenden Einfluss der der bürokratischen Apparate und der Volksfront befreien konnten.
So trat er für die Bildung von Aktionskomitees ein. In sie hätten natürlich nicht nur Arbeiter, sondern auch Mitglieder verschiedener Parteien und Gewerkschaften sowie Angehörige anderer sozialer Schichten Eingang gefunden - Staatsangestellte, Handwerker, Kleinhändler und Kleinbauern. Aber als "Apparate des Kampfes", so Trotzki, wären Aktionskomitees in der Lage, den Willen der Massen gegen die Apparate durchzusetzen.
"Aktionskomitees können die Arbeiter nur dann wählen", schrieb er, "wenn sie selbst an irgendeiner Aktion teilnehmen und das Bedürfnis nach einer revolutionären Führung empfinden. Es handelt sich nicht um die formell-demokratische Vertretung aller und jeder Massen, sondern um die revolutionäre Vertretung der kämpfenden Massen." Die erste Vorbedingung für die Entstehung solcher Komitees bestehe darin, dass man selber klar die Bedeutung der Aktionskomitees begreife "als das einzige Mittel, den antirevolutionären Widerstand der Partei- und Gewerkschaftsapparate zu brechen."
Auch das "Aktionsprogramm für Frankreich", das Trotzki 1934 vorlegte, zielte darauf ab, die Kampfkraft und Unabhängigkeit der Massen gegenüber jeder Art bürokratischer Bevormundung zu stärken und alle unterdrückten Schichten zusammenzuschweißen.
Trotzki polemisiert in seinen Schriften über Frankreich immer wieder gegen politische Tendenzen, die zwar bereitwillig die weitestgehenden Forderungen akzeptieren, sie in der Praxis aber der Einheit mit den konservativen Apparaten opfern, wie dies mit der so genannten "Revolutionären Linken" Marceau Piverts der Fall war.
"Wenn Marceau Pivert diese oder jene revolutionäre Losung nachspricht, ordnet er sie dem abstrakten Prinzip der organischen Einheit unter, die in Wirklichkeit Einheit mit den Patrioten gegen die Revolutionäre bedeutet," schrieb Trotzki. "Während es für die revolutionären Massen eine Lebensfrage ist, den Widerstand der vereinigten sozialpatriotischen Apparate zu brechen, betrachten die linken Zentristen die Einheit dieser Apparate als ein absolutes, über den Interessen des revolutionären Kampfes stehendes Gut. ... Voraussetzung für den Sieg des Proletariats ist die Beseitigung der heutigen Führung. Die Losung der Einheit wird unter all diesen Umständen nicht nur eine Dummheit, sondern auch ein Verbrechen. Keine Einheit mit den Agenten des französischen Imperialismus und des Völkerbundes."
Lehren für heute
Es ist nicht schwer, in der damaligen "Revolutionären Linken" die heutige "Extreme Linke" wieder zu erkennen - wobei Besancenot, Alain Krivine, Arlette Laguiller und andere zwar alle Laster Piverts besitzen, aber keine seiner Tugenden. Pivert war Zentrist, das heißt er schwankte zwischen revolutionärer und antirevolutionärer Politik, wobei er sich im entscheidenden Moment stets für letztere entschied.
Die heutige "Extreme Linke" dagegen hat sich längst mit den bestehenden Verhältnissen arrangiert. Sie vermeidet jede ernsthafte Kritik an der Sozialistischen und insbesondere an der Kommunistischen Partei. Die LCR besteht sogar darauf, dass eine neue linke Bewegung nur unter Einbeziehung der KPF-Stalinisten aufgebaut werden könne - einer Partei, die dem französischen Imperialismus seit siebzig Jahren bei jeder Krise zu Hilfe eilte und die den größten Teil der letzten 25 Jahre in der Regierung verbrachte!
Diese Pseudo-Linken bringen es nicht einmal über sich, offen und direkt zum Sturz der Regierung Villepin aufzurufen. Olivier Besancenot hat zwar ein förmliches Entlassungsschreiben an den Premierminister geschickt, in dem er ihm wegen "mehreren schweren Fehlern" die sofortige Beendigung seines Arbeitsvertrags mitteilt. Aber solche kabarettistische Einlagen können keine ernsthafte politische Perspektive ersetzen.
Ein Sturz Villepins wirft unvermeidlich die Frage auf: Wer kommt danach?
Hinter den Kulissen wartet Rechtsaußen Nicolas Sarkozy, der inständig hofft, die Krise seines innerparteilichen Rivalen werde seine Chance erhöhen, im kommenden Jahr als Kandidat der UMP in den Präsidentenwahlkampf zu ziehen. Sarkozy frisst zurzeit Kreide und ist dem Premierminister mit der Forderung nach einer sechsmonatigen "Probezeit" für den CPE sogar in den Rücken gefallen.
Wäre es angesichts einer drohenden Präsidentschaft Sarkozys nicht besser, man rüttelt nicht all zu fest am Stuhl Villepins? Diese Frage stellen sich viele Sozialisten - und insgeheim auch die LCR. Schließlich hatte sie schon 2002 mit der Begründung für Chiracs Wahl zum Präsidenten geworben, nur so könne ein anderer Rechtsaußen, Jean-Marie Le Pen von der Nationalen Front, verhindert werden. Damals rechtfertigte sie ihre Unterstützung für Chirac mit der Begründung, er garantiere die Verteidigung republikanischer Werte. Tatsächlich stärkte die LCR damit die gaullistische UMP und bereitete den Boden für die heutigen Angriffe Villepins. Ihn ähnlicher Weise würde Sarkozy davon profitieren, wenn es der Regierung gelingt, der Bewegung eine Niederlage beizubringen. Der Sturz der Regierung würde dagegen auch Sarkozy schwer in Mitleidenschaft ziehen.
Die Sozialisten wiederum hoffen zwar, dass die Bewegung gegen den CPE ihre Wahlchancen im Jahr 2007 erhöht. Aber das Erbe einer Regierung, die durch eine militante Massenbewegung gestürzt worden ist, möchten sie nicht antreten. Das würde sie mit Erwartungen konfrontieren, die sie nicht erfüllen können. Schon Lionel Jospin musste diese Erfahrung machen, als er 1997 die Nachfolge des Gaullisten Alain Juppé antrat, der durch die massive Streikbewegung des Vorjahres zu Fall gebracht worden war. Die anschließende Enttäuschung über Jospin bescherte den Sozialisten 2002 eine Niederlage, von der sie sich bis heute nicht erholt haben.
Letztlich will die Sozialistische Partei nicht das Villepin stürzt, weil dadurch nicht nur die UMP, sondern die bürgerliche Herrschaft insgesamt erschüttert würde, die die Sozialisten ebenso bedingungslos verteidigen wie die Gaullisten. Die LCR wiederum will den Sozialisten in dieser Frage nicht lästig werden, hofft sie doch seit langem darauf, dass sich in einer neuen Auflage der Pluralen Linken auch für sie ein Platz und vielleicht sogar ein Sitz am Kabinettstisch finden.
Der Kampf für den Sturz der gaullistischen Regierung wirft unweigerlich die Frage nach einer alternativen gesellschaftlichen Perspektive auf. Er setzt voraus, dass sich die Arbeiterklasse von der Vormundschaft ihrer alten Organisation befreit, die seit siebzig Jahren und mehr den französischen Kapitalismus verteidigen. Das ist nur auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive möglich, die in der Lage ist, alle unterdrückten Schichten der Gesellschaft anzusprechen und zu vereinen. Unterstützung werden die französischen Arbeiter und Jugendlichen dabei nicht bei den bürokratischen Apparaten und ihren linken Anhängern, sondern unter der europäischen und internationalen Arbeiterklasse finden, die mit denselben Angriffen und Problemen konfrontiert sind.
Die wichtigste Schlussfolgerung, die sich aus den Erfahrungen der vergangenen siebzig Jahren ergibt, ist die Notwendigkeit, eine unabhängige, internationale sozialistische Partei aufzubauen.