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Planen die USA einen Putsch im Irak?

Von Peter Symonds
23. August 2006
aus dem Englischen (22. August 2006)

Am 16. August erschien in der New York Times ein bemerkenswerter Artikel mit Einzelheiten aus einem geheimen Spitzentreffen, das vergangene Woche im Pentagon stattgefunden hatte und bei dem die amerikanische Strategie für den Irak diskutiert worden war. Präsident Bush nahm zusammen mit seinem Kriegskabinett und "externen Experten" daran teil. Er äußerte unverhohlen seine Unzufriedenheit darüber, dass die irakische Regierung - und das irakische Volk - die amerikanische Politik nicht stärker unterstützten.

"Darüber hinaus habe der Präsident seiner Enttäuschung darüber freien Lauf gelassen, dass die Iraker nicht die Opfer der Vereinigten Staaten im Irak zu würdigen wüssten. Es sei ihm ein Rätsel, wie die kürzliche antiamerikanische Kundgebung in Bagdad für die Hisbollah eine derartige Massenunterstützung finden konnte", berichtete die Zeitung. An den feindseligen Protesten gegen den israelischen und von den USA unterstützten Krieg im Libanon hatten sich in der Hauptstadt und in weiteren irakischen Städten mehr als 100.000 Menschen beteiligt.

Der Artikel der New York Times, bei dem es sich offensichtlich um eine lancierte Story handelte, sprach einen Putsch gegen Maliki natürlich nicht offen an. Dennoch drohte er dem Bagdader Regime unmissverständlich, dass seine Tage gezählt sind, wenn es sich nicht an die von Amerika gewünschte Linie hält. Maliki hatte im vergangenen Monat vor seinem Washington-Besuch die israelische Invasion im Libanon verurteilt. Obwohl seine Äußerungen nur ein schwacher Widerhall der öffentlichen Stimmung im Irak und im ganzen Nahen Osten waren, vereitelten sie die Absicht der Bush-Regierung, den Besuch als dringend benötigte propagandistische Stärkung vor den amerikanischen Zwischenwahlen zu nutzen.

Als nächstes erschien am 17. August in der New York Times ein Artikel über neue Statistiken des Verteidigungsministeriums, die die Katastrophe im Irak illustrieren: Die Anzahl der Autobomben, die sich in erster Linie gegen die amerikanischen Streitkräfte richten, erreichte im Juli mit 2.625 gegenüber 1.454 im Januar ihr absolutes Maximum. "Unter allen Aspekten ist der Aufstand schlimmer geworden. Die Angriffe der Aufständischen befinden sich auf dem bisher höchstem Niveau. Der Aufstand erfährt immer stärkere Unterstützung der Bevölkerung, wird von einer wesentlich größeren Zahl von Aktivisten getragen und ist zu größerer Gewalt in der Lage denn je", erklärte ein hoher Beamter des Verteidigungsministeriums gegenüber der Zeitung.

Am Ende des Artikels floss das bemerkenswerte Bekenntnis eines Teilnehmers des Treffens im Pentagon ein, dass die Beamten der Regierung Bush schon die Agenda für die Ära nach Maliki planen. "Spitzenbeamte der Regierung haben mir bestätigt, dass sie Alternativen zur Demokratie in Betracht ziehen", berichtete ein nicht namentlich genannter Militärexperte der New York Times. "Alle Regierungsmitglieder äußern sich sehr vorsichtig, aber man spürt ihre Sorge, dass die Verhältnisse in eine ganz andere Richtung treiben."

Die Versuche der Regierung Bush, die illegale Besetzung des Irak als "demokratischen" Akt hinzustellen, waren immer nur Schwindel. Seit der Invasion im Jahr 2003 übten amerikanische Beamte immer direkten Einfluss auf die Formulierung verfassungsrechtlicher Bestimmungen, die Durchführung der Wahlen und die Regierungsbildung aus. Maliki kam im Mai nur zu dem Amt des Ministerpräsidenten, weil das Weiße Haus zuvor seinen Vorgänger Ibrahim al-Jaafari zum Rückzug gedrängt hatte. Die Sprachregelung "Alternativen zur Demokratie in Betracht ziehen" kann nur eins bedeuten - dass die Bush-Regierung erwägt, die Verfassung außer Kraft zu setzen, Maliki abzuservieren und ein Regime zu installieren, das den Befehlen Washingtons gegenüber willfähriger ist.

Damit würde der US-Imperialismus nicht zum ersten Mal eine seiner Marionetten absetzen. Als 1963 die amerikanische Strategie in Vietnam in Schwierigkeiten geriet, gab die Regierung Kennedy Verschwörern in der Armee grünes Licht zum Sturz des südvietnamesischen Präsidenten Ngo Dinh Diem. Während er sich Washington gegenüber loyal verhalten hatte, waren seine autokratischen Methoden in der Bevölkerung auf Widerstand gestoßen und hatten dadurch die amerikanischen Anstrengungen zur Stärkung der vietnamesischen Armee im Krieg gegen die Nationale Befreiungsarmee unterlaufen.

Am 1. November 1963 meuterten rebellierende Armeeeinheiten und marschierten zum Präsidentenpalast in Saigon. Diem, der entkommen konnte, rief beim amerikanischen Botschafter Henry Cabot Lodge an, der dem vietnamesischen Präsidenten versicherte, dass die USA nicht in den Putsch verwickelt seien und er selbst sich um Diems Sicherheit sorge. Beruhigt stellte sich Diem ein paar Stunden später, nur um zusammen mit seinem berüchtigten Bruder Ngo Dinh Nhu erschossen und durch eine Militärjunta ersetzt zu werden.

Die Bush-Regierung hat vielfältige Gründe sich Malikis zu entledigen. Als die Invasion des Irak in die Wege geleitet wurde, hatte Washington nie einen unabhängigen demokratischen Irak im Sinn gehabt. Es war vorgesehen, das Land in einen willigen Marionettenstaat zu verwandeln, der als Operationsbasis für weitergehende Pläne in der ganzen Region, besonders gegen den Iran, dienen sollte. Aber die Unzufriedenheit mit den politischen Ergebnissen des militärischen Abenteuers wurde im Weißen Haus immer größer. Wegen seiner eigenen verheerenden Fehleinschätzungen war es gezwungen, auf eine Koalitionsregierung zu setzen, die von schiitischen Parteien mit langjährigen Verbindungen zu Teheran bestimmt wird.

Die Rechnung der Bush-Administration, dass Malikis "Regierung der nationalen Einheit" den antiamerikanischen Widerstand unterdrücken werde, und das Abgleiten in den Bürgerkrieg verhindern könne, hat sich als falsch erwiesen. Anstatt mit dem Truppenabzug beginnen zu können, musste das Pentagon nicht nur das Truppenniveau halten, sondern Tausende zusätzliche Soldaten in den hoffnungslosen Kampf schicken, die Hauptstadt zurückzuerobern.

Angesichts der bedrohlich näher rückenden Kongresswahlen steigerte die Niederlage des Kriegsbefürworters Joseph Liebermann bei den Vorwahlen der Demokraten am 8. August die Angst im Weißen Haus vor einem Wahldebakel. Die Anti-Kriegs-Stimmung wird durch die Katastrophe im Irak, in Afghanistan und dem ganzen Nahen und Mittleren Osten angeheizt.

Die Absetzung Malikis und die Installierung eines fügsamen Militärregimes würde, zumindest kurzfristig, einige der politischen Probleme der Bush-Regierung lösen. Alle Kritik aus Bagdad gegen das unbarmherzig scharfe Vorgehen im Land und an den amerikanischen Plänen für neuerliche Provokationen gegenüber dem Iran und Syrien würde verstummen.

Bezeichnenderweise gab es zeitgleich mit den Berichten der New York Times über die Diskussionen im Weißen Haus und im Pentagon in Bagdad nicht verstummende Gerüchte über einen Putsch. Am 29. Juli berichtete die Washington Post über Bemerkungen des prominenten schiitischen Politikers Hadi al-Amiri, dass "manche Zungen" über den Sturz der Koalition Malikis und ihre Ersetzung durch eine "Regierung der nationalen Rettung" sprächen. Er sagte, dass dies gleichbedeutend mit der "Annullierung der Verfassung und der Annullierung der Ergebnisse der Wahlen und einer Rückkehr zum Nullpunkt" wäre. "...Und das werden wir nicht akzeptieren."

Die Bush-Regierung, die während der vergangenen fünf Jahre eine Politik des rücksichtslosen Militarismus im Nahen Osten verfolgt hat, ist ohne weiteres zum Sturz eines Regimes fähig, das nicht mehr allen ihren Vorgaben gehorcht. Stabilisierung der würde jedoch Aber ein Putsch in Bagdad würde genauso wenig die amerikanischen Besatzung stabilisieren und das Weiße Haus aus seiner politischen Krise befreien, wie das 1963 durch die Absetzung Diems gelang. Wie in Vietnam versinken die USA im Irak immer tiefer im politischen und militärischen Morast.

Siehe auch:
Das amerikanische Verteidigungsministerium schickt 300 Soldaten zurück in den Irak
(19. August 2006)
US-Regierung stößt Irak an den Rand des Bürgerkriegs
( 2. März 2006)