Wachsende Unzufriedenheit über kurdisch-nationalistisches Regime im Nordirak
Von James Cogan
8. April 2006
aus dem Englischen (6. April 2006)
In den überwiegend kurdischen Provinzen im Nordirak mehren sich die Anzeichen wachsender Unzufriedenheit. Mangelnde Grundversorgung, soziale Ungleichheit und Unterdrückung politischer Opposition sorgen dafür, dass die zwei nationalistischen Parteien, die Kurdisch-Demokratische Partei (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK), die seit Ende des ersten Golfkriegs 1991 mit militärischer und finanzieller Unterstützung der USA in dieser Region die Macht ausüben, immer unbeliebter werden.
Erst kürzlich wurde wieder von Zwischenfällen berichtet, als Tausende Menschen am 15. März in Halabdscha, einer Stadt nahe der iranischen Grenze, gegen kurdische Politiker protestierten, die zu einer Gedenkveranstaltung gekommen waren. Es ging um das Massaker von 1988, als über 5.000 kurdische Zivilisten von der irakischen Armee umgebracht worden waren. Als Teil der brutalen "Anfal"-Kampagne zur Unterdrückung des Kurden-Aufstands hatte das Baathisten-Regime von Saddam Hussein angeordnet, die Stadt mit Senfgas und anderen Chemikalien zu bombardieren, um für alle Kurden ein Exempel zu statuieren.
Achtzehn Jahre später gingen die Einwohner von Halabdscha am Gedenktag auf die Straße, weil das Museum für die Giftgasopfer bisher das einzige Gebäude ist, das die kurdische Regierung in dieser verarmten Region hat bauen lassen. Der aufwändige Bau wurde 2003 vom damaligen US-Außenminister Colin Powell offiziell eingeweiht. Inzwischen funktionieren sowohl die Strom- als auch die Wasserversorgung der Stadt nicht mehr, sind die meisten Häuser Bruchbuden und grassiert die Arbeitslosigkeit.
Rund zweitausend Demonstranten versammelten sich vor dem Museum und beschuldigten die kurdischen Machthaber der Korruption und der Verachtung für die einfachen Einwohner der Stadt. Ein Mann sagte einem Reuters-Reporter: "Die kurdische Regierung beutet Halabdscha aus, um die Aufmerksamkeit auf die Not der Kurden zu lenken und Spenden einzukassieren, aber bis zu uns kommt nie was durch." Ein anderer sagte nach der Kundgebung dem britischen Independent : "Wir haben in Halabdscha noch nicht einmal Straßen, nur Schlammwege."
Als die Stimmung sich aufheizte, stieß ein Teil der Menge in das Gebäude vor und plünderte es. Eine schwarze Steinplatte mit den Namen der Getöteten wurde in Stücke geschlagen und Feuer im Museum gelegt. Schließlich feuerten kurdische Peschmerga-Kämpfer und Polizisten in die Menge, um die Demonstration mit Gewalt zu beenden. Mindestens ein Teilnehmer wurde getötet und acht weitere verwundet.
Die Behörden, die gerne behaupten, die kurdische Bevölkerung stehe vereint hinter KDP und PUK, versuchten verzweifelt zu verhindern, dass Nachrichten über den Zwischenfall nach außen dringen. Die Stadt wurde abgeriegelt, um Journalisten am Verlassen zu hindern, und Videofilme der Kameraleute wurden konfisziert. Mindestens sieben Journalisten berichteten, sie seien geschlagen worden. Dennoch gelangten Filmaufnahmen über das brennende Museum im Nahen Osten und international in die Medien.
Amanj Khalil, ein Journalist in Suleymanija, zitierte Ende März die Aussage anonymer Geheimdienstmitarbeiter, denen zufolge mindestens achtzig Menschen verhaftet worden seien. Man geht davon aus, dass die Anführer der Demonstration untergetaucht sind.
Im Vergleich mit dem Guerillakrieg und der Gewalt zwischen Religionsgruppen in Bagdad und anderen irakischen Regionen war es in den drei kurdischen Provinzen im Norden seit der Invasion von 2003 relativ ruhig. Im Allgemeinen haben Kommentatoren behauptet, der Grund dafür liege in der ethnischen Homogenität der Region, deren Bevölkerung KDP und PUK unterstütze.
Die Ereignisse in Halabdscha zeigen jedoch, dass sich in den fast 15 Jahren der Herrschaft der kurdischen Nationalisten hinter der Fassade ethnischer und politischer Einheit erhebliche soziale und klassenmäßige Spannungen aufgebaut haben.
Die KDP und PUK kontrollieren den Norden effektiv seit 1991. Nach dem ersten Golfkrieg richtete die erste Bush-Regierung eine Flugverbotszone über den kurdischen Provinzen ein, und US-amerikanische, britische und französische Flugzeuge griffen jedes irakische Militärflugzeug an, das sich in dieser Region bewegte. Der Schutz der Großmächte versetzte die kurdischen Parteien in die Lage, faktische Ministaaten zu errichten. Die Provinz Suleymanija ist PUK-Territorium, während Irbid und Duhok KDP-kontrollierte Provinzen sind.
Die PUK und KDP nutzen ihre politische Kontrolle über den kurdischen Norden, um einer schmalen kurdischen Elite von Landbesitzern und Geschäftsleuten Reichtum und Privilegien zu sichern. Ihre Herrschaft ist durch die Unterdrückung der politischen Opposition und einer Bereitschaft gekennzeichnet, jedes Bündnis einzugehen, das ihren Interessen nützt, und sei es noch so schmutzig.
Dreimal - 1994, 1996 und 1997 - nahm die PUK die Hilfe des iranischen Regimes in Anspruch, um der KDP die Stadt Irbid abzunehmen, weil hier die wichtigste Verbindungsstrecke einer lukrativen Schmuggelroute zur Umgehung der UN-Sanktionen verlief. Die KDP erhob Steuern von den Schmugglern, die Irak mit Gütern aus der Türkei versorgten und Öl dafür mitnahmen. Um ihren Rivalen herauszuhalten, rief die KDP 1996 Saddam Husseins Armee auf ihr Territorium, um die PUK-Kämpfer aus Irbid zu verdrängen und die Kontrolle über den Schmuggel zurück zu gewinnen.
In den Monaten vor der US-Invasion im Irak im März 2003 verordnete Washington den zwei kurdischen Fraktionen einen Waffenstillstand und den Zusammenschluss der kurdischen Provinzen zu einer einzigen Kurdischen Regional-Regierung (KRG). In Wahrheit hielten die Parteien weiterhin ihre Kontrolle über die Einparteienstaaten ihrer Region aufrecht, während sie zustimmten, transnationale Energiekonzerne einzuladen, in der ganzen Region neue Ölfelder zu erschließen. Die KDP und PUK bildeten außerdem die Kurdische Allianz, um an den nationalen Wahlen teilzunehmen und sicherzustellen, dass die ölreiche Region rund um die Stadt Kirkuk bis Ende 2007 dem Gebiet der KRG zugeschlagen wird.
Die Ölprofite beginnen schon zu fließen. Die KRG erhält nicht nur 17 Prozent aller Einnahmen, die durch die vorhandene irakische Ölindustrie getätigt werden, sondern unterzeichnet auch Verträge über die neue Produktion. Der norwegische Konzern DNO hat Bohrungen aufgenommen, und mit den türkischen Unternehmen PetOil und General Energy und dem australischen Konzern Woodside Petroleum haben Vertragsverhandlungen angefangen. Unter den Bedingungen der irakischen Verfassung fließen die Erträge der neuen Felder den kurdischen Behörden zu, und nicht der Zentralregierung in Bagdad.
Magne Normann, DNO-Projektmanager im Irak, sagte dem Time -Magazin im Februar: "Für alle, die im Irak irgendetwas unternehmen wollen, ist Kurdistan der Eingang. Es ist das Sprungbrett für den Zugang zum Rest des Irak, sobald die Zeit reif ist."
Die nördlichen Kurdenprovinzen werden von ausländischen Investoren immer mehr als eine stabile Operationsbasis und als Einfallstor für das zukünftige Eindringen in die Märkte des übrigen Irak betrachtet. Infolgedessen hat sich die Wirtschaft erheblich entwickelt. Die Flughäfen von Suleymanija und Irbil sind nach internationalen Standards aufgerüstet worden, und eine Reihe großer Fluggesellschaften bieten jetzt Flüge nach Kurdistan an. Neue Hotels, Bürokomplexe und Shoppingcenter eröffnen in beiden Städten, um transnationale Konzerne und ihr Personal zu bedienen.
Der größte Teil der kurdischen Bevölkerung hat keinen ökonomischen Nutzen davon, obwohl eine kleine Minderheit relativ wohlhabend geworden ist. In einem Bericht des Korean Herald stand letzte Woche: "Die Region Irbil bleibt unterentwickelt mit hohem Analphabetentum, Arbeitslosigkeit und Mangel an Infrastruktur wie Straßen, Strom und Wasserversorgung." Unter den Bedingungen allgemeinen Mangels werden jedoch KDP- und PUK-Mitglieder bevorzugt, wenn es um die Vergabe von Arbeitsplätzen, Aufträgen, Studienplätzen und selbst Krankenhausbetten geht.
Das Ausmaß der Unzufriedenheit erregte erstmals vor den Parlamentswahlen vom 15. Dezember Aufmerksamkeit. In den Wochen vor dem Urnengang berichtete der britische Guardian : "In den letzten Monaten kam es zu Straßenprotesten und Studentenstreiks in ganz irakisch Kurdistan. Die Menschen protestierten gegen alles, vom Strommangel und fehlender Wasserversorgung in Studentenheimen bis hin zur Korruption der Lokalbehörden, steigenden Mieten und der Kontrolle, die beide Parteien über das tägliche Leben ausüben." Ein Zeitungsherausgeber sagte dem Guardian : "Die Jugend hat die Nase voll. Sie spürt, dass sie keinen Raum zum Atmen hat."
Wie in anderen Gegenden des Nahen Ostens führt der wachsende Unmut in Abwesenheit jeder progressiven Alternative zur Unterstützung für den islamischen Fundamentalismus. Bei den Wahlen trat eine organisierte Opposition gegen KDP und PUK in Form der Kurdischen Islamischen Union (KIU) an. Die islamische Partei stand außerhalb der Kurdischen Allianz und gewann trotz beträchtlicher Einschüchterung der Wähler durch die herrschenden Parteien fünf Sitze im irakischen Parlament.
Im Februar veröffentlichte das Time -Magazin einen Bericht, der die politischen Bedingungen im irakischen Kurdistan schilderte. Darin heißt es: "Die zwei Parteien monopolisieren die Macht in ihren jeweiligen Territorien, und ihre despotischen Tendenzen bedrohen die bürgerlichen Freiheiten und den jungen demokratischen Prozess, indem sie ein Klima der Korruption und Unterdrückung schaffen.... Kurdistan ist durch und durch ein Polizeistaat. Die Militärpolizei Asajesch hat in jedem Viertel der größeren Städte einen Stützpunkt, und die Geheimpolizei Parastin überwacht Telefongespräche und kontrolliert, wer am Freitagsgebet teilnimmt."
Die Medien werden ebenfalls strikt kontrolliert. In einem der prominentesten Fälle wurde ein kurdischer Journalist und österreichischer Staatsbürger, Kamal Said Qadir, im letzten Oktober verhaftet und zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt, weil er angeblich den KDP-Führer und KRG-Präsidenten Massoud Barzani verunglimpft hatte. Er hatte in einer Artikelreihe über Korruption in der KDP Barzanis wohlhabenden Sohn als "Zuhälter" bezeichnet.
Der Fall zog die Aufmerksamkeit auf die Verfolgung von Opponenten der herrschenden Parteien in Kurdistan. Rebil Ismael, ehemaliger Herausgeber einer kurdischen Zeitung, sagte der New York Times am 25. Januar: "Im Allgemeinen ist jeder Journalist oder Schriftsteller, der nicht der Partei angehört, in Gefahr. Wenn man etwas schreibt, das ihrem Interesse nicht entspricht, dann wird man verhaftet oder erhält Drohanrufe." Organisationen wie Reporter ohne Grenzen haben schon Erklärungen veröffentlicht, um das zu verurteilen.
Die internationale Kritik an der Behandlung Qadirs, der kleine Wahlerfolg der KIU und der Zwischenfall in Halabdscha haben im kurdischen Establishment Besorgnis über die Stabilität der Herrschaft von KDP und PUK ausgelöst, die als Voraussetzung für den Zufluss ausländischer Investitionen gilt.
Barzani gab im März bekannt, die Prioritäten der KRG würden sich auf die "Fürsorge" und den "Haushalt für besondere Baumaßnahmen für sozial benachteiligte Regionen" wie Halabdscha konzentrieren. Letzten Monat wurde Qadirs Strafmaß - in erster Linie aufgrund der internationalen Proteste - auf 18 Monate herabgesetzt. Diese Woche widerrief Barzani die Strafe ganz und ordnete an, den Journalisten freizulassen.
Vermutlich um das kurdische Volk zu besänftigen, wurde diese Woche in dem Gerichtsverfahren gegen Saddam Hussein bekannt gegeben, dass es wegen der Massaker an den Kurden während der "Anfal"-Kampagne von 1987-89 einen zweiten Prozess gegen den früheren Diktator geben werde.
Trotz dieser kosmetischen Maßnahmen wird jedoch die Unzufriedenheit unter der kurdischen Bevölkerung nur steigen, da der Abgrund immer tiefer wird, der die Elite, die von der US-Invasion des Irak profitiert, von der großen Bevölkerungsmehrheit trennt.